Bild 1. Gerhard Neumann, Herman the German, bei den Flying Tigers in China 1939
Wer war Gerhard Neumann? Du kennst Gerhard Neumann (*1917 Frankfurt/O., †1997 Swampscott/USA), die Ingenieurlegende nicht? Dann wird es aber höchste Zeit! 1933 ging er, dessen Eltern sich als jüdische Deutsche bezeichneten, mit 14 Jahren durch eine harte dreijährige Auto-Mechaniker-Lehre in Frankfurt an der Oder, während der er nicht auf Rosen gebettet war; sein Meister Schroth: Lehn dich nicht mit dem Ellbogen auf die Werkbank, verstehst du, Junge? Reinige abends alle Werkzeuge und verstaue sie ordentlich, verstehst du, Junge? Wenn du Metall sägst, bewege die Säge nicht wie ein Geigenvirtuose, sondern gerade und gleichmäßig, verstehst du, Junge? Wieviel du lernst, hängt von dir ab, ich verlange, dass du alles ordentlich machst, aber du wirst von mir nie ein Lob oder ein Danke hören, ist das klar, Junge? Herr Schroth hatte noch nicht mal eine Hebebühne für die Autoreparatur. Die Mechaniker mussten sich mit dem Rücken auf niedrige Holzrutschen legen, die sie unter das Auto schoben, und so in Dreck und Ölschmiere in der "Überkopftechnik" die Fahrzeuge reparieren. Seines preußischen Meisters Arbeitsethos prägte Neumann sein ganzes Leben lang, er gab immer sein Bestes, nie weniger. Je härter ich arbeite, desto glücklicher bin ich, war sein Lebensmotto. Und Neumann schaffte es bis zum obersten Boss in der Flugtriebwerks-Division von General Electric in USA, verantwortlich für 30000 Angestellte. Hier ist seine abenteuerliche Geschichte, die er 1984 in seinen Memoiren festgehalten hat.
Von Anfang an war sein Berufswunsch „Ingenieur“. Er wollte etwas erfinden, entwerfen, wollte seine Herstellung beobachten und wollte sehen, wie es funktioniert. Nach der Lehre besuchte er daher die Ingenieurschule für Maschinenbau in Mittweida in Sachsen, Fachrichtung Fahrzeug- und Flugzeugbau. Seine dort erworbenen Fähigkeiten konnte er immer wieder einsetzen, dankbar blickte er später auf seine Ausbildungsstätte zurück: Mittweida brachte ausgekochte Ingenieure hervor, die gelernt hatten, theoretischen und übergenauen Berechnungen mit Skepsis zu begegnen. Die Studenten wurden angespornt, technische Produkte zu entwerfen, die so einfach wie möglich betrieben und gewartet werden konnten. Er gehört damit zu den an technischen Fachhochschulen ausgebildeten Ingenieurpraktikern, deren auf Erfahrung und Intuition beruhende Arbeitsweise als „empirische Wissenschaft“ bezeichnet werden kann. Der an technischen Universitäten ausgebildete Ingenieur ist stark theoretisch ausgerichtet mit der Zielrichtung „Forschung und Entwicklung“ und den dazu gehörigen mathematisch-numerischen Berechnungsmethoden, mit deren Hilfe man die Funktion eines Produkts schon vor dessen praktischer Erprobung weitgehend optimieren kann. Ein wesentliches Erfolgsrezept einer Firma besteht darin, zwischen beiden, den „Eisenverbiegern“ und den „Theoriejongleuren“ ein gutes Arbeitsklima herzustellen; denn sie ist auf beide angewiesen.
Besuch der Ingenieurschule und dann ab nach China! 1938 drohte seine Verweisung von der Ingenieurschule Mittweida wegen seiner jüdischen Herkunft. Da las er einen Anschlag an der Pinnwand der Schule, dass China deutsche Maschinenbau-Ingenieure suche, um von Deutschland geliefertes Militärmaterial zu warten. Er bewarb sich, bekam eine Zusage, begab sich auf die abenteuerliche volle acht Tage dauernde Flugreise in einer 12-sitzigen Dewoitine der Air France von London ins ferne China nach Hongkong, um dann festzustellen, dass es die für seinen Transfer verantwortliche Agentur gar nicht mehr gab. Er schlug sich mit verschiedenen Tätigkeiten in Hongkong durch, entging dann bei Ausbruch des Weltkrieges der britischen Internierung nur knapp durch Anheuerung bei den Flying Tigers, einer in Kunming stationierten freiwilligen und geheimen US-Militäreinheit, die China im Abwehrkampf gegen die japanischen Aggressoren unterstützte. Als Deutscher in amerikanischen Militärdiensten erwarb er sich unschätzbare Verdienste durch seine unkonventionellen Ingenieur-Ideen, arbeitete als Spion hinter den japanischen Linien mit der Aufgabe, die Maschinen der feindlichen Luftwaffe aus der Sicht eines Ingenieurs zu studieren.
Bild 2. Das legendäre japanische Jagdflugzeug A6M Zero machte den Flying Tigers zu schaffen.
Er kommt hinter die Geheimnisse des japanischen Jagdflugzeugs "Zero". Er enträtselte in einer Top-Secret-Aktion die Geheimnisse des japanischen Wunderjägers Mitsubishi A6M „Zero“, indem er aus den in einem Reisfeld abgeschossenen Trümmern ein flugfähiges Jagdflugzeug zusammen baute, das dann auf Vor- und Nachteile untersucht werden konnte. Major John Alison flog dann das Feindflugzeug unter Geleitschutz von dem geheimen Ort nach Kweilin und landete unter dem Triumphgeheul der Amerikaner und Chinesen auf dem Feldflughafen.
Der Zero war viel leichter gebaut als die US-Jäger, Tragflächen mit dem Cockpit aus einem Stück, ohne Treibstofftank-Schutz, der Motor konnte in einer halben Stunde gewechselt werden, während die gleiche Arbeit bei den P-40-Tomahawks und P-51-Mustangs 7 Stunden brauchte. Die Japaner waren also mit ihrer innovativen Technik wieder viel schneller in der Luft. Der Zero war den Amis überlegen! Die einzige Schwäche: Er war nicht sturzflugfähig! Das konnte jetzt gnadenlos ausgenutzt werden. Neumanns Ruf wurde legendär. Obwohl er als Deutscher ein "enemy alien", ein feindlicher Ausländer war, wurde er „US Air Corps Master Sergeant“ und nur noch voller Hochachtung „Herman the German“ genannt. Seine außerordentlichen Leistungen waren die Grundlage einer Sondergenehmigung des amerikanischen Kongresses für seine Einwanderung und Einbürgerung in die USA.
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Bild 3 - 5, 5a. Herman the German mit seiner Frau Clarice und dem Jeep "Rosinante" quer durch Asien: Die Route, Behelfsbrücke in Burma, und der Hund "Mr. Chips" passt auf. Die Sondergenehmigung des US-Congresses, unterschrieben von President Truman..
17000 Kilometer mit dem Jeep durch Asien. Im Jahr 1947 bedurfte es aber noch einer abenteuerlichen Autofahrt, um aus China, das von den kommunistischen Truppen Maos eingenommen wurde, herauszukommen. Da es keinen Flug mehr gab, packten Neumann und seine amerikanische Frau Clarice einen Jeep namens „Rosinante“ und fuhren mit dem Hund „Mr. Chips“ sage und schreibe 17000 km durch Thailand, Burma, Indien, Afghanistan, Iran, Irak, Jordanien bis nach Jerusalem. Es ging durch Wüsten, Ströme, Urwälder, über Gebirgspässe unter unsäglichen Schwierigkeiten mit dem Material, den Banditen und Bürokraten. Trotz Vierradantriebs blieb der Jeep oftmals im tiefen Schlamm stecken, die einheimische Bevölkerung baute Bambusflöße für Rosinante beim Überqueren von Flüssen, das Schlimmste waren die Reifenpannen fast jeden Tag. Aber der Ingenieur-Pionier packte es mit Einfallsreichtum, Optimismus, Verhandlungsgeschick, Improvisationstalent und Schlitzohrigkeit. Ja, einem Ingeniör ist nichts zu schwör.
Gerhard Neumanns Karriere beginnt bei General Electric in USA - Erfindung der verstellbaren Schaufeln. 1948 bekam er eine Anstellung in der Flugtriebwerks-Division von General Electric in Lynn/Massachusetts, zunächst auf dem Prüfstand für Triebwerke axialer Bauart, die für GE neu waren und die alle auf die seit 1935 entwickelten deutschen Vorbilder Jumo 004 und BMW 003 zurückgingen. Die Arbeit führte ihn geradewegs in die Eingeweide eines Düsentriebwerks mit allen theoretischen Grundlagen. Ihm gelang eine entscheidende Weiterentwicklung des Triebwerk-Axialverdichters: jede der bis zu 16 Stufen des Verdichters besteht aus den rotierenden Laufschaufeln und den im Gehäuse befestigten Leitschaufeln.
Bild 6. Neumanns Erfindung: Verstellbare Verdichterleitschaufeln werden um ihre Längsachse verdreht und so dem Anströmwinkel der aus dem Laufrad kommenden Luft angepasst. Links: Normalposition, rechts: Leitschaufeln teilweise zugedreht, angepasst an die Richtung der Geschwindigkeit c. Feste Leitschaufeln erzeugen bei kleinerer Leistung Strömungsabriss und steigern den Treibstoffverbrauch.
Bild 7. Der Rotor des Triebwerks J79 mit den Laufschaufeln des Verdichters. Unten links sieht man die einzelnen Leitschaufel-Hebel, die jeweils an einen Ring pro Schaufelreihe angelenkt sind. Durch Verdrehung des Rings am Umfang werden die Leitschaufeln um ihre Längsachse verdreht.
Je nach Geschwindigkeit des Flugzeugs ändert sich die Richtung der aus dem Laufrad abströmenden Luft. Neumann hatte nun die entscheidende Idee, den Profilwinkel der Leitschaufeln variabel an die Strömungsrichtung anzupassen. Wenn der Anstellwinkel der letzteren durch Drehung um ihre Längsachse während des Fluges verändert, wodurch der Strömungsabriss am Schaufelprofil verzögert würde, könnte der Wirkungsgrad über den gesamten Betriebsbereich erhöht und damit der Treibstoffverbrauch des Triebwerks gesenkt werden. Seine Erfindung und die Berechnungen der Aerodynamiker wurden auf dem Prüfstand voll bestätigt. Der neue Kompressor arbeitete exzellent, und das erteilte Patent trägt Gerhard Neumanns Namen. Heute haben fast alle Triebwerke der Welt seine variablen Stator-Schaufeln.
Sein berühmtestes Triebwerk und erfolgreichstes ist das J79. Es wurde von 1955 bis 1982 mit über 19000 Stück, auch in Lizenz von der deutschen MTU hergestellt, hauptsächlich für Kampfflugzeuge, die bekanntesten davon die F-4 Phantom II und der Starfighter F-104. Es ist 5,30 m lang mit einem Durchmesser von 1 m. Es hat 17 Verdichterstufen, davon 8 mit verstellbaren Leitschaufeln, 3 Turbinenstufen und Nachbrenner (mit dem kann durch Brennstoffeinspritzung hinter der Turbine der Schub kurzzeitig enorm gesteigert werden). Schub 53, mit Nachbrenner 80 kN, Verdichter-Druckverhältnis 13:1, Turbinen-Eintrittstemperatur 1000 °C.
Bild 8 und 9. Das berühmte General-Electric-Triebwerk J79, konzipiert von Gerhard Neumann. Oben: Die von MTU/Deutschland gebaute Version. Der Nachbrenner mit der verstellbaren Schubdüse (rechts im Bild) ist halb so lang wie das Triebwerk.
Bild 10. Die Lockheed F-104, Starfighter. Die Deutschen machten daraus ein Eier legendes Woll-Milch-Schwein, das ging gründlich schief, und es wurde ein furchtbarer Witwenmacher.
Starfighter - der Unglücksvogel. Der von der Deutschen Bundeswehr in USA bei Lockheed gekaufte bzw. in Lizenz gebaute Flieger Lockheed F-104G war das Standard-Kampfflugzeug der Nato in Europa der 1960er und 70er Jahre. Geschwindigkeit Mach 2,2 (d.h. über 2-fache Schallgeschwindigkeit) in 11 km Höhe, maximale Höhe 17 km, Reichweite 1200 km, Schub 71 kN mit Nachverbrennung, ein Triebwerk GE J79 mit 2 Lufteinlasskanälen seitlich am Rumpf, Spannweite nur 6,7 m (!). Dieses Flugzeug erlangte traurige Berühmtheit: Von 910 von der Bundeswehr angeschafften Maschinen stürzten 269 (wohlbemerkt ohne Feindberührung!) ab, also 30%, 110 Piloten fanden dabei den Tod. Von den 360 italienischen Starfightern gingen 38% durch Absturz verloren. 16 Länder setzten den Starfighter ein.
Bild 11. Der Starfighter, jetzt museumsreif. Auf dem Luftwaffen-Museum Berlin-Gatow. Die zwei seitlichen Lufteinlässe und die eine Schubdüse sind gut zu erkennen.
Der Ursachen gab es viele: Die Deutschen machten es zu einem Mehrzweckflugzeug: Jagdbomber, Abfangjäger, Aufklärer, Schlechtwetterjäger, Tiefflieger...diese Aufgaben-Vielzahl erforderte umfangreiche Änderungen der Elektronik und eine Verstärkung der Struktur, womit das ursprüngliche Flugzeug überfordert war, und das offensichtlich ohne die Tragflächen zu vergrößern. Hinzu kam ein unausgereifter Nachbrenner, bei dessen Versagen die viel zu große Schubdüsenfläche nicht schnell genug herunter geregelt werden konnte. Ergebnis: Der sehr starke Schubabfall führte augenblicklich zum Absturz, weil für die stark abgesenkte Fluggeschwindigkeit die Tragflächen nicht ausreichten. Nach und nach wurden diese Fehlkonstruktionen beseitigt, und die Zahl der Abstürze reduziert. Aber, unterm Strich war dieses Flugzeug eine totale Fehlinvestition der Bundesluftwaffe. Es war wahrlich ein "Witwenmacher" oder "fliegender Sarg". Die jungen, hoffnungsvollen Piloten und deren Familien können einem wirklich leid tun.
Neumann steigt ganz nach oben bei GE. Seine Erfolge ließen Herman the German auf der Karriere-Leiter schnell nach oben steigen: 1955 wurde er General Manager of the Jet Engine Department mit 5000 Leuten, 1961 dann General Manager of the Flight Propulsion Division mit 20000 Leuten, verantwortlich für das gesamte Strahltriebwerksgeschäft von GE. Er war auch ein Organisationstalent; er führte neue Management-Techniken ein, z.B. Soll-Ist-Vergleich auf täglicher Basis, häufige, unangekündigte Werkstattbesuche, regelmäßige Kontaktbesuche bei Kunden, TTT (time to think)-Gespräche etc.
Besonders für Ingenieure war es faszinierend zu sehen, welche schnellen Fortschritte GE unter seiner Leitung machte: schnellere, leichtere, kleinere Triebwerke mit mehr Leistung für jedes Kilogramm ihres Gewichts und mehr Schub für jedes Kilogramm angesaugter Luft.
Bild 12. Der zweite Streich von "Herman the German": Das Zweistrom-Triebwerk ZTL (Prinzipschema). Er führte es bei General Electric ein. Ein großer Teil des Luftstroms geht außen vorbei. Das Bypass-Verhältnis in diesem Beispiel ist 3:1. Bei modernen Triebwerken geht außen zehn mal soviel Luft vorbei als durch die Brennkammer strömt (also Bypassverhältnis 10:1).
Die Entwicklung des Zweistrom-Triebwerks. Anfang der 1960er trieb er die Entwicklung eines neuartigen Zweistrom-Triebwerks (ZTL) voran: vor das Triebwerk wird ein riesiger, von einer eigenen Turbine angetriebener Fan geschaltet, dessen angesaugte Luft nur zu einem kleinen Teil durch Hochdruckkompressor, Brennkammer, Turbine und Schubdüse fließt, während der Löwenanteil außen herum unverbrannt durch eine Ringdüse gelangt. Diese Triebwerke mit hohem Bypass-Verhältnis erbrachten auf Anhieb eine 25%ige Reduzierung des Treibstoffverbrauchs. Am Austritt umgibt der kühlere Fanstrom den heißen Schubdüsenstrom und trägt so zu einer wesentlichen Geräuschminderung bei.
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Bilder 13 und 14. Neumanns voran getriebene Entwicklung von Zweikreis-Turbinen-Luftstrahl-Triebwerken (ZTL) oder "Mantelstromtriebwerken", auch Turbofan-Triebwerk genannt, bedeutete den Eintritt in das Zeitalter der Großraumflugzeuge. Das GE-Triebwerk CF6 eröffnete das Rennen 1971: es treibt A300, A330, Boeing 747, Boeing 767 u.a. mit Schüben bis zu 300 kN bei einem Bypass-Verhältnis von ca. 5:1. Deutlich zu sehen der riesige Fan mit einem drei mal größeren Durchmesser gegenüber dem schlanken eigentlichen Gasturbinen-Triebwerk.
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Bilder 15 und 16. Der Fan des Triebwerks Trent 900 von Rolls Royce. Das Bypass-Verhältnis beträgt 8,5:1, die gewaltigen Fan-Schaufeln haben einen Außendurchmesser von sage und schreibe 2,95 m und saugen einen Luftstrom von 1000 kg pro Sekunde an. Die S-förmigen Fan-Schaufeln sind Gegenstand intensiver Forschung und Entwicklung. Die absonderliche Form muss den Forderungen der Strömungs-, Schwingungs- und Festigkeitstechnik entsprechen. Nur exotische Verbund-Werkstoffe können die gewaltigen, durch die Fliehkraft hervor gerufenen Beanspruchungen aushalten.
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Bilder 17 und 18. Das Triebwerk Trent 900 als cut-away-drawing. Das eigentliche Strahltriebwerk mit dem Verdichter und der Gasturbine ist in das große Gehäuse des Fans hineingeschoben, wie in einen Mantel. Vier von diesen Kraftpaketen treiben den Airbus 380, das größte Passagierflugzeug der Welt. Rechts die Vorführung auf der ILA (Internationale Luftfahrtausstellung) 2006.
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Bilder 19 und 20. Der Riesenvogel mit den Mantelstrom-Triebwerken auf der ILA. Das Fan-Gehäuse ist nach hinten bis über die Schubdüse verlängert.
Bild 21. So wird ein Flugtriebwerk in eine Nutzleistungsturbine umgebaut: Fan und Schubdüse werden entfernt. Das Abgas der Verdichterantriebsturbine treibt eine Powerturbine, die wiederum entweder einen Prozessverdichter oder einen Pipelineverdichter oder einen Generator oder eine Schiffsschraube antreibt. Bei solchen "Aeroderivatives" wird das Strahltriebwerk zu einem "Gasgenerator", und die Nutzturbine wird angebaut, jedoch ohne mechanische Kopplung.
Bild 22. Eine Aeroderivative-Gasturbine, die LM2500, entwickelt aus dem GE-Triebwerk CF6. Die deutsche Firma MTU hat eine Nutzturbine angebaut, die 22000 bis 30000 kW leistet. Vielfach zieht man solche Aggregate den schwereren, als Industrieturbinen entwickelten Maschinen vor.
Bild 23. Von Frank Whittles Triebwerk W1 von 1941 bis zum Rolls-Royce Trent von 2011 im selben Maßstab: welch ein Weg in 70 Jahren. Herman the German hatte großen Anteil daran.
Bild 24. Die dritte Generation: das GTF (Geared Turbofan-Triebwerk), schematisch. Hier das PW1000G von Pratt & Whitney für den Airbus A320neo. 147 kN Schub, Fan-Durchmesser 2,05 m, 3 ND-Verdichterstufen, 8 HD-Verdichterstufen, 2 HD - Turbinenstufen, 3 ND - Turbinenstufen, 2 Wellen. Da die Fan-Drehzahl durch das Planeten-Getriebe nur 1/3 der ND-Turbinendrehzahl beträgt, kann der Fan-Durchmesser vergrößert und das Bypass-Verhältnis auf 12:1 gesteigert werden (!). Ergebnis: Kraftstoffverbrauch -15%, Lärmemission -20 dB, Schadstoffemission -50%, weniger Verdichter- und Turbinenstufen gegenüber einem normalen ZTL-Triebwerk ohne Getriebe. Fan und ND-Turbine arbeiten im optimalen Wirkungsgradbereich. Im Gegensatz zum Stirnradgetriebe hat das Planetengetriebe keinen Wellenversatz. Für das Time-Magazine vom 8.Nov./2011 gehört dieses Triebwerk unter die besten 50 Erfindungen 2011.
Bild 25. Der weitere Sprung nach vorn: Das Getriebe-ZTL von Pratt & Whitney in Zusammenarbeit mit MTU/München. Der neue Airbus A320neo wird damit ausgerüstet. Die mit dem Fan über das Planetengetriebe gekoppelte Niederdruckturbine arbeitet als freie Powerturbine, die ihr Treibgas von dem "Gasgenerator" bezieht, der aus dem HD-Verdichter, der Brennkammer und der HD-Turbine besteht.
Die Entwicklung ist noch nicht zu Ende. A) Der Wirkungsgrad, d.h. die Brennstoffausnutzung, kann weiter verbessert werden durch: Erhöhung des Verdichter-Druckverhältnisses, z.B. durch eine Zwischenkühlung zwischen ND- und HD-Verdichter; Gewichtseinsparung durch Blisk-Bauweise (Blade Integrated Disk), d.h. Schaufeln und Scheiben aus einem Stück gefräst, auch durch neue, leichte Werkstoffe und Ausnutzung der Wärme des Abgasstrahls. B) Die Vergrößerung des Nebenstromverhältnisses (d.h. Fan-Massenstrom zum Brennkammer-Massenstrom) bringt nicht nur eine Erhöhung des Wirkungsgrades, sondern auch eine Lärmminderung, da der "kalte" Luftstrom des Fans die heißen, hoch turbulenten und daher lauten Abgase wie ein dämpfender Mantel umgibt. C) Wirkungsgraderhöhung und Gewichtsreduzierung haben direkten Einfluss auf den Kerosinverbrauch und damit auf den Ausstoß von Kohlendioxid und Stickoxid.
Gerhard Neumann, der Schöpfer der zweiten Generation von Düsentriebwerken. Seine geistigen Erben sind überall auf der Welt tätig und haben jetzt die dritte Generation geschaffen. Wie jedoch Herman the German unser Leben mit seinen ZTL-Triebwerken vom Typ CF6 und CFM56 verändert hat, sehen wir an den militärischen und zivilen Großraumflugzeugen, z.B. Galaxy, Boeing, Airbus mit ihrer enorm gesteigerten Reichweite, vervielfachten Kapazität und ihrem günstigeren spezifischen Verbrauch.
Flugtriebwerke nicht nur für Flugzeuge. 1968 wurde er Group Executive, verantwortlich für 31000 Leute. Er vergab Lizenzen an diverse Länder. Inzwischen wurden auch alle neuen US-Zerstörer und Fregatten mit von Flugtriebwerken abgeleiteten Gasturbinen (sog. "Aeroderivatives") von GE ausgerüstet. Ebenso werden heute Erdgaspumpstationen weltweit mit abgeänderten Fluggasturbinen angetrieben. Sehr erfolgreich ist die LM2500, die vom Triebwerk CF6 abgeleitet ist. Bei diesen stationären Gasturbinen wird die Schubenergie dazu verwandt, den separaten Erdgasverdichter anzutreiben, der das Gas auf den Druck bringt, der erforderlich ist, um das Gas in der Pipeline bis zur nächsten ca. 100 km entfernten Station zu transportieren.
Bild 26. Vom Automechaniker zum erfolgreichen amerikanischen Industriemanager - Gerhard Neumann in den 1990ern.
Zum Ende seines Lebens verrät er sein Erfolgsrezept. 1977 kam, was eigentlich kommen musste: Gerhard Neumanns hektisches Leben, der immense Leistungsdruck und der Wille, immer nur sein Bestes zu geben, verlangten einen hohen Preis. Mehrere Herzoperationen zwangen ihn zum Zurückschalten, und 1980, mit 63 Jahren, musste es den Stab an seinen Nachfolger weitergeben. Er starb im Jahr 1997, nachdem er mit seiner Familie noch viele Orte seines früheren abenteuerlichen Lebens aufgesucht hatte.
Er selbst über sein Erfolgsrezept: persönliches Vertrauen schaffen, auf die Meinung des Kunden hören, Versprechen einhalten, Verpflichtungen erfüllen. Das gelegentliche Versagen einer Maschine ist verzeihlich, nicht jedoch das Versagen, jede Anstrengung zur Behebung des Problems zu unternehmen. Sein Enthusiasmus, seine Führungskompetenz, sein professionelles Know-How und seine Fähigkeit, andere zu begeistern, wurden mit zahlreichen Auszeichnungen gewürdigt, die bedeutendste ist wohl die Aufnahme in die "National Aviation Hall of Fame" in USA. Neumann war Inhaber von 8 Patenten. Er erhielt aufgrund seines Lebenswerkes zahlreiche Auszeichnungen, so die Goddard Gold Medal, den Guggenheim Award und die Otto-Lilienthal-Medaille 1995. 1987 wurde er mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet.
David S. Lewis, Chairman General Dynamics sagt über ihn: Not only was he one of America's most successful technical managers in the development of jet engines for aircraft but Gerhard Neumann's life has been filled with exotic and exciting adventures. Und Anna Chennault, Frau seines Kommandanten bei den Flying Tigers über ihn: Er repräsentiert die außerordentliche Mischung von Herkunft, Kultur und Talent, die Amerika zu einem Land der Zukunft gemacht hat.
Bilder 27 und 28. 1976: Neumann steht mit Tränen in den Augen vor der ehemaligen Bettfedernfabrik seines Vaters. Das Geburtshaus trägt heute diese Erinnerungstafel.
Im Jahre 1976 erhielt er aus Ostdeutschland die Genehmigung, seine Heimatstadt Frankfurt/Oder zu besuchen. Da stand nun der einstmals kleine Automechaniker-Lehrling vor dem zu seiner großen Freude erhalten gebliebenen Geburtshaus, sah mit Tränen in den Augen die Inschrift an dem alten Fabrikgebäude seines Vaters und dachte zu träumen, und er erinnerte sich an die Worte seines Lehrmeisters Schroth: Wieviel du lernst, hängt von dir ab, ich verlange, dass du alles ordentlich machst, hast du mich verstanden, Junge?
Hier noch ein paar Fakten zu Neumanns bemerkenswertem Leben.
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Bilder 28a,b,c,d,e,f,g,h. Neumanns General Chennault bei den Flying Tigers in China. Seine Frau Anna schreibt ein schönes Vorwort zu seinen Memoiren. Enemy Alien Master Sergeant Neumann im Cockpit einer Curtiss P-40. Das von Neumann rekonstruierte japanische Jagdflugzeug A6M Zero. Sein Geburtshaus in Frankfurt/Oder. Der Empfang Neumanns in der TFH Mittweida 1992, ein Gebäude erhielt 1997 den Namen "Gerhard-Neumann-Bau". Seine bei verschiedenen Verlagen erschienenen Memoiren. Ehrung für das Lebenswerk Neumanns: Mit seinem Bild in der Hochschule Mitweida führt der Maler Günter Radtke Wirken und Werk des Ingenieurs Gerhard Neumann vor Augen. Sein Anliegen: Die von Neumann entwickelten Triebwerke und die damit ausgestatteten Flugzeuge zu zeigen. V.l.n.r.: CF6, J-79, 11-A, J-1A.
Ein paar Aussagen in seinen Memoiren von 1984 werfen nochmal ein bezeichnendes Licht auf diesen außerordentlichen Menschen. Ihr Untertitel lautet: Ich hatte einfach Glück, glaube ich, Just lucky, I guess.
Der Ingenieurberuf befasst sich mit messbaren Fakten, übernimmt technische und finanzielle Risiken, gibt Fehler in der Beurteilung und in den Annahmen zu... ich bin stolz, ein Ingenieur zu sein. Von Jugend auf wollte ich Ingenieur werden, wollte etwas erfinden, wollte zusehen, wie es hergestellt wird und wie es benutzt wird. Aus engen Beziehungen zu Kunden lernte ich eines: Persönliches Vertrauen aufbauen, auf das hören, was der Kunde denkt, meine Zusagen einhalten oder sie übertreffen - das waren die wichtigsten Gründe für den Erfolg in meiner Arbeit. Ein gelegentliches Versagen einer Maschine ist verzeihlich, nicht aber ein Versagen, jegliche Anstrengung zur Behebung der Probleme zu unternehmen. Wann immer ich konnte, ging ich in die Werkstatt, um mit den Arbeitern zu sprechen und kehrte jedes mal klüger an meinen Schreibtisch zurück. Enthusiasmus, Führungsstärke, professionelles Know-how und die Fähigkeit, andere zu inspirieren - das waren die Voraussetzungen, ein Manager zu werden.
Seine Erfindungen sind Meilensteine der Luftfahrt, vor allem die verstellbaren Leitschaufeln in den Strahltreibwerken. Wenn wir heute mit großen Airlinern um die halbe Welt fliegen und aus dem Fenster auf die Triebwerke schauen, sehen wir: Da ist die Idee von Gerhard Neumann eingebaut worden. Er hat die Antriebstechnik der Luftfahrt wesentlich vorangebracht.
Bild 29. Romantik des Fliegens - mit Oldtimern und Düsenflugzeugen der neuesten Generation.
Bild 30. Das neue 3-Wellen- Mantelstrom-Triebwerk Trent 1000 von Rolls Royce. Durchmesser des Fan-Gehäuses mehr als drei Meter. Gegenüber dem Trent 900 sind zahlreiche Neuerungen verwirklicht. Gerhard Neumanns Ideen werden in ungeahnter Weise fortgeführt.
Bild 31. ILA 2014, Prinzip-Schema des neuesten ZTL-Triebwerks von Rolls-Royce. Von hinten gesehen dreht der HD-Rotor im Uhrzeigersinn, MD- und ND-Rotoren entgegengesetzt zum Uhrzeiger. Fan, Mitteldruck- und Hochdruckverdichter komprimieren die angesaugte Luft auf das 50-fache. Durch das Mantelstromgehäuse strömt 11 mal soviel Luft wie durch das eigentliche Triebwerk; Wirkung: Steigerung des Wirkungsgrades, d.h. weniger Treibstoffverbrauch bei gleichem Schub und Lärmminderung.
Bild 32. Auch die ILA 2018 bietet wieder sehr viel Interessantes: Warbirds, Segelflugzeuge, Hubschrauber, Kampfflugzeuge, Raketen, Fracht- und Passagierflugzeuge.
Bildnachweis
Bild 1, 3, 4, 5: Aus Gerhard Neumann: "Herman the German", W. Morrow and Co, Inc. New York, 1984. Bild 2: Urheber Marc Grossman, creative commons CC BY-SA 2.0. Bild 6: Eigene Zeichnung. Bild 7: GNU free doc lic. Wikimedia Commons. Bild 8: Aus der Website F104G. Bild 9: Gemeinfrei USAF. Bild 10: Gemeinfrei USAF, Wikipedia. Bild 11: Eigenes Foto, Luftwaffenmuseum Berlin-Gatow, 2010. Bilder 12-14: Eigene Fotos am 1./2.8.2011 im Deutschen Museum München, Gestattungsvertrag für Bildaufnahmen vom 12.7.2011. Bilder 15, 16: Eigene Fotos ILA 2006. Bild 17: Aus passionevolo. Bilder 18-20: Eigene Fotos ILA 2006, 2010. Bild 21: Eigene Zeichnung. Bild 22: Aus der Website MTU. Bild 23: Eigene Zusammenstellung aus dem Web. Bild 24: Aus Wikipedia, GNU free Doc. License, Urheber Tosaka, eigene Ergänzungen. Bild 25: Eigenes Foto ILA 2012 mit eigenen Ergänzungen. Bild 26, 28f: Aus der Website Hochschule Mittweida. Bild 27: Eigenes Foto, Frankfurt/Oder 2011. Bild 28: Aus der Website Frankfurt/Oder. Bilder 29, 30: Eigene Fotos auf der ILA 2014. Bild 31: eigene Skizze. 28a-d,g: aus Herman the German" by G. Neumann, W. Morrow & Co., 1984. 28e, 28h: aus "Treffpunkt" Förderkreis Hochschule Mitweida, 2007. Bild 32: Eigene Fotos auf der ILA 2018.