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Bild 1. mit 18 Jahren wanderte Ottmar Mergenthaler nach Amerika aus; in Württemberg sah er keine Perspektiven

 

Uhrmacher statt Maschinenbauingenieur. Wieder beginnt eine Geschichte eines großen Erfinders, der in großer Armut aufwuchs. Er wollte so gerne Maschinenbau studieren, aber, als er dreizehn war, eröffnete ihm sein armer Vater, dass er zu seinem Onkel, dem Uhrmachermeister Louis Hahl in die Lehre müsse. Der Vater von fünf Kindern konnte das Geld für eine höhere Schule nicht aufbringen. Aber der Onkel verlange von ihm noch eine Probe seines Geschicks, bevor er eine endgültige Zusage mache. Für Ottmar Mergenthaler (*Hachtel 1854, †Baltimore/USA 1899), den späteren Erfinder der Setzmaschine, brach eine Welt zusammen, es half jedoch nichts, er musste sich in das Unvermeidbare fügen. Er sagte nur: ja, Vater. Einen Widerspruch erlaubte sein strenger Vater nicht. Er überlegte nun angestrengt, mit welchen Fähigkeiten er seinen Onkel beeindrucken könnte; ob seine kleine Rädermaschine, die er gebastelt hatte, ausreicht, wenn sein Onkel Louis etwas von ihm sehen will? Uhrmacher war immerhin etwas, das seinen Neigungen zu mechanischen Tüfteleien nahe kam; die Chance, die sich ihm da bot, wollte er auf keinen Fall verspielen.

 

Bild 2. Ottmar und das Ensinger Uhrwerk.

 

Da kam ihm eine wahnwitzige Idee. Die Kirchturmuhr in Ensingen, wo sie jetzt wohnten, versagte schon seit zwei Jahren ihren Dienst. Die Leute im Dorf mussten sich nach der Sonne oder ihrem Gefühl richten, das gab Ärger und Spott genug. Das Uhrwerk sah so schlimm und verrottet aus, dass kein Uhrmacher es reparieren wollte. Sollte er selbst es einfach wagen? Wenn es gelänge, wäre es ein toller Coup. Das Uhrwerk kannte er, hatte es oft mit dem Vater angeschaut, wusste, wie es funktionierte. Er packte Werkzeug ein, schlich sich unbemerkt auf den Kirchturm, klopfte alle Teile der Uhr ab, alles klang fest und massiv. Er begann, sie zu zerlegen, reinigte sie, fettete die Lager, passte die Zahnräder wieder ein, nein, nichts schien beschädigt zu sein, nur Schmutz, Schmutz. Schwer war es für ihn, alles wieder zusammenzusetzen, manche Räder und Achsen hatten ein beträchtliches Gewicht. Der Schweiß rann ihm vom Körper, es muss gelingen, es muss! Stunde um Stunde verrann. War alles am rechten Ort? Er regte das Pendel an, es tackte ein paarmal, dann stand es still. Ihm stockte das Blut. War die Reibung zu groß im Werk? Schrauben zu straff angezogen? Er lockerte sie hier und dort ein wenig. Dann regte er das Pendel wieder an. Er starrte auf das ruckende Räderwerk. Tack, tack, tack, immer wieder, es lief, immerfort! laute Glockenschläge rissen ihn plötzlich wie aus einem Traum, auch das Schlagwerk ging, so selbstverständlich wie früher! Als Ottmar aus der Kirche trat, sah er eine Menge Leute, die das Schlagen angelockt hatte. Er rannte an ihnen vorbei nach Hause. Statt Lob gab es Vorwürfe von den Eltern: bodenloser Leichtsinn, Überheblichkeit, Großmannssucht! Und als sein Onkel Louis sich das Werk ansah: pfuscht da ein unreifer Bub einem ehrbaren Meister ins Handwerk! Aber dann sah er, dass alles sehr gut funktionierte und nur noch die Zeit justiert werden musste. Auch von ihm keinerlei Lob, nur ein Hmhm. Der Vierzehnjährige Ottmar konnte dann seine Lehre als Uhrmacherlehrling im 20 km entfernten Bietigheim beginnen. Der Onkel rieb ihm die Arbeitsordnung unter die Nase: vier Jahre Lehre ohne Lohn bei freier Kost und Wohnung, fünf Groschen Taschengeld pro Woche, Arbeitszeit elf Stunden mit einer Stunde Mittagspause, bei Verstößen gegen Ordnung und Moral sofortige Entlassung. Als Jüngster musste er alle Drecksarbeit machen, Aufbegehren war bei Strafe verboten. Ottmar kriegte sehr schnell mit, dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind.

 

Bild 3. Bietigheim an der Enz. Das Haus seines Onkels Louis Hahl. Hier lernt Ottmar das Uhrmacher- Handwerk.

 

Im Gleichmaß einer strengen Ordnung vergingen die ersten Monate, in denen er erkennen musste, dass das, was er an technischen Vorkenntnissen mitbrachte Stümperei war gegen das, was notwendig war, um ein guter Uhrmacher zu werden: seine ersten Zahnrädchen waren unsauber im Schnitt, seine ersten Federn „schiefe Schnecken“ und seine Polierarbeiten mangelhaft. Seine erste reparierte Uhr wurde jedoch mit einem Klaps auf die Schulter belohnt. Mit sechzehn schrieb er sich auf der Ingenieurschule ein. Es erforderte sehr viel Kraft, am Wochenende noch Technisches Zeichnen, Mathematik, Werkkunde und Deutsch zu lernen. Aber er sagte sich immer wieder: ich schaffe es!

Keine Perspektive in Deutschland - auf nach Amerika! Es kamen sehr schwere Zeiten. Sie dachten, sie könnten nach dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich jubeln, aber die Gründung des Deutschen Reiches 1871 brachte den „Gründerkrach“ mit sich, eine tiefgreifende wirtschaftliche Krise. Meister Hahl brachen die Aufträge weg, und, um einen Bankrott zu vermeiden, war er gezwungen, Leute zu entlassen. Ottmar dachte über seine Zukunftspläne nach. Er entschloss sich zu gehen – nach Amerika! Er sah in dieser aussichtslosen und bedrückenden Lage keine Möglichkeit, seinen Weg zu machen, weder in Bietigheim noch anderswo im Land. Er schrieb an seinen Cousin August Hahl, den Sohn von Louis´ Bruder in Washington, wo der eine kleine Mechanische Fabrik betrieb.

Eine lange Zeit des Wartens und Zweifelns, was ist, wenn es nicht klappt? Aus seinem Hoffen war Unruhe geworden. Da, endlich nach Monaten, während deren er seine Gesellenprüfung vorbereitete, traf die erlösende Nachricht ein: ja, er könne kommen. Ottmar hätte aufjauchzen können.  August hatte das Geld für die Überfahrt bereits angewiesen, Ottmar würde es dann abarbeiten.

Der Vorsitzende der Prüfungskommission: Mergenthaler hat die Gesellenprüfung bestanden, theoretisch und praktisch mit „sehr gut“. Der Ingenieurschul-Leiter: er hat an den Aufgaben mit großem Fleiß gearbeitet und erhält im Technischen Zeichnen und in Mathematik die Noten „sehr gut“. Wir gratulieren ihm und seinem Lehrherrn und wünschen ihm alles Gute für die Zukunft. Louis Hahl war stolz und spendierte ihm sogar ein Glas Wein.

Im Oktober 1872 legte der Dampfer „Berlin“ im Hafen von Baltimore an. Willkommen in der Neuen Welt, rief August und umarmte ihn herzlich. Auf der Zugfahrt nach Washington lernte Ottmar gleich Näheres über seinen neuen Wirkungskreis, dass sein Vetter 40 Leute beschäftigte, die Hälfte davon Deutsche, die für die Signalabteilung der Vereinigten Staaten Messinstrumente für Regen, Schnee, Windstärke testeten, elektrische Geräte, Uhren und Klingeln herstellten und Modelle für Erfinder bauten. Sehr interessante Arbeit, sagte August. Für seine 30 Jahre hatte er es weit gebracht. Ottmar könne in der Teilefertigung, in der Montage, im Modellbau oder im technischen Büro arbeiten.

In Amerika zählten seine Zeugnisse nicht, auch nicht die Verwandtschaft zum Chef; Können und Leistung waren wesentliche Bestandteile des American way of life. Er machte eine „Rundreise“ durch alle Abteilungen; seine Kenntnisse im technischen Zeichnen und in der Mathematik waren jetzt von größtem Nutzen; er gab den Ideen der Erfinder auf dem Zeichenbrett eine konkrete Gestalt. Doch dann die Hiobsbotschaft: Augusts Bankhaus machte bankrott, das Geld der Firma ging verloren, die Kunden waren genauso betroffen, Entlassungen, Verkauf des Grundstücks … August musste mit einer Handvoll Leuten wegziehen und ganz von vorn anfangen. Er übergab Ottmar die zeitweilige Geschäftsführung, um sich nach einem anderen Standort umzusehen. So musste unser Auswanderer schon frühzeitig in die Verantwortung. Es war in USA nicht anders als im neuen Deutschen Reich. 1875, in Baltimore legten sie ihr Schwergewicht auf die Arbeit mit Erfindern und die Umsetzung ihrer Ideen in die Praxis, um dann eine gute Erfindung in Serienherstellung übernehmen zu können.

 

Bild 4. Das Urmodell des Charles Moore. Hiermit begann alles.

 

Die Idee einer Drucksetzmaschine kam von außen. Da kam ein Mister Charles Moore aus Virginia und brachte ihnen eine merkwürdige von ihm erfundene Maschine, bestehend aus einer Walze, einer mehrreihigen Tastatur und verschiedenen Rädern, alles auf einem Holzblock montiert. Er behauptete, dass das Ding in den Druckereien ganz neue Wege weisen wird; er schilderte sie in den glühendsten Farben, und er habe sie schon zum Patent angemeldet. Er will damit das seit Gutenbergs Zeit übliche mühselige Handsetzen einer Druckzeile mit einzelnen Buchstaben ersetzen und zwar durch die „lithographische (d.h. die Steindruck-) Methode“, mit der eine gewaltige Zeitersparnis zu erzielen sei. Er redete so eindringlich und überzeugend, dass August Hahl versprach, sich die Sache zu überlegen. Er wollte aber noch James Clephanes Meinung einholen; das war ein durch Erbschaft wohlhabend gewordener Gerichtssekretär im Ruhestand, aufgeschlossen für technische Neuerungen, Förderer einiger Erfinder. Er hatte Moore an die Firma Hahl vermittelt. Was halten Sie von der Idee, Mr. Clephane? Sehr viel, war die Antwort, sie wird im Druckwesen einmal Geschichte machen, nur ist sie bei Moore nicht in den richtigen Händen. Er kommt nicht weiter, deshalb gab ich ihm keine finanzielle Unterstützung mehr. Ihrer Werkstatt traue ich eine ordentliche Umsetzung in die Praxis zu. Wenn Sie Geldmittel brauchen, wenden Sie sich getrost an mich. Hahls Bedenken waren ausgeräumt. Mergenthaler hatte inzwischen Feuer gefangen. Er sah, dass der Prototyp vom Entwurf her nicht funktionieren konnte, doch traute er sich zu, ihn zur Marktreife zu führen. Nicht irgendwelche Drucksachen, sondern Zeitungen müssten das Endziel sein, dann erst hätte die Erfindung umwälzende Bedeutung; rationeller, billiger, schneller müssten sie aus den Druckereien rollen. Die Welt veränderte sich mit jedem Jahr, Naturwissenschaften und Technik machten riesige Schritte vorwärts, und er war selbst ein begeisterter Techniker, voller Tatkraft und Optimismus. August, wir müssen es wagen, aus dem Ding ist was zu machen!

Harte Arbeit, Rückschläge und ein Erpressungsversuch. Nun, es kam ganz anders. Mergenthaler verfolgte die ursprüngliche Idee des Druckens auf Stein und musste enttäuscht feststellen, dass damit keine Zeitersparnis erzielt werden kann. Es kam zum Zerwürfnis mit seinem Cousin, der ihm eine völlige Fehleinschätzung vorwarf. Er betrachtete die Entwicklung als endgültig gescheitert, könne kein weiteres Geld hineinstecken und ordnete ein abruptes Ende der Arbeiten an. Ottmar war entsetzt über soviel Engstirnigkeit, wollte auf jeden Fall weitermachen, weil er die Idee für gut, nur den bisherigen Weg für falsch hielt. Sie trennten sich im Zorn, Mergenthaler gründete seine eigene Werkstatt und zog sich zwei gute Mitarbeiter, die damals in Washington entlassen wurden, an Land. Er versicherte sich der Hilfe Mr. Clephanes, der sie aber klar an die Bedingung knüpfte, dass dafür etwas grundsätzlich Neues her müsse, z.B. eine Matrizen-Prägemaschine, mit der man die einzelnen Buchstaben in Pappmaché eindrücken und die Vertiefungen mit Metall ausgießen kann. Jeglicher Handsatz und das leidige Ablegen der Buchstaben entfielen, das wäre eine enorme Verbesserung. Für Mergenthaler schien das auf den ersten Blick eine verblüffende Lösung zu sein. Er ging freudig darauf ein und stürzte sich voller Energie auf den Neuanfang. Eine Erfindung hat zwei Seiten: die Idee, das ist der kleinste, die Umsetzung, das ist der weitaus größte Teil der Anstrengungen; das musste er auf die harte Tour erfahren.

Am Tag mit der laufenden Fabrikation für Kunden, die ihm Clephane geschickt hatte, beschäftigt, wandte er sich am Abend seiner Erfindung zu. Bis spät in die Nacht hinein arbeitete er, entwarf, verwarf wieder. Nur langsam, unter Überwindung großer Hindernisse, schritt die Sache voran. Doch was auf dem Papier funktionierte, versagte in der Praxis den Dienst. Den größten Kummer bereitete das saubere Ausgießen der Matrizen. Das Pappmaché war offensichtlich nicht geeignet, die Buchstaben waren ausgefranst. Er rechnete, zeichnete, feilte, montierte, polierte, montierte, prägte, goss wieder und wieder. Er war gereizt seinen Mitarbeitern gegenüber, fuhr sie an. Sein Erspartes ging zur Neige, auch Clephanes geliehenes Geld. Sollte die Erfindung doch ein Flop sein, wie sein Cousin behauptet hatte? Nein, nein, schrie Mergenthaler. Es muss gelingen – es muss, wie damals mit der Reparatur der Kirchturmsuhr!

 

Bild 5. Mr. Watson will Mergenthaler bestechen.

 

Da trat eines Abends auf dem Weg von der Werkstatt zu seiner Wohnung ein Unbekannter auf ihn zu und bot ihm 3000 Dollar, er müsse nur unterschreiben, alle Entwicklungsarbeiten an der Prägemaschine einzustellen. Er nannte sich Watson und sagte, dass er im Auftrag mehrerer Druckereien handele, weil sie in der neuen Maschine eine große Gefahr für ihre Geschäfte erblickten. Ottmar war aufs Äußerste erbost: kapiere ich nicht, jeder einsichtige Geschäftsmann kann den Fortschritt doch nur begrüßen, bestellen Sie Ihren Hintermännern, dass ich Verantwortung für den Fortschritt trage und nicht käuflich bin! Guten Abend! Als der Fremde sah, dass er erfolglos war, rief er ihm hinterher: 4000 Dollar! Sie – Sie werden es bereuen!

Die Blitzidee: setzen, prägen, gießen in einem Arbeitsgang. Die Vorführung des ersten Prototyps, der „Bandmaschine“  begeisterte Mr. Clephane, nur Mergenthaler war überhaupt nicht begeistert, die Druckzeilen sind unsauber und das getrennte Ausgießen benötigt noch zu viel Zeit, der Handsatz ist noch rentabler. Er machte seinem Förderer deutlich, dass es noch Monate kosten würde, dazu habe ich keine Luft mehr, ich bin finanziell am Ende! Darauf Clephane: Ich kann eine monatelange weitere Entwicklung nicht finanzieren, ich kann nur dann noch etwas für Sie tun, wenn es Ihnen doch möglich ist, die Mängel in kurzer Zeit zu beseitigen. Mergenthaler war am Boden zerstört und kurz vor dem Durchdrehen. Er wollte den Beruhigungstee, den ihm die Kontoristin gemacht hatte, mit einem Schwung voller Verzweiflung in die lahme Prägemaschine gießen. Da – die Blitzidee, natürlich, das ist es! Gießen! Gleich in der Maschine, alles zusammen: setzen, prägen, gießen, gleich hintereinander, ohne dass der Setzer die Maschine verlassen muss!

Und wieder musste er fast von vorn anfangen. Er konnte das Neue nicht einfach ankleben. Ein in die Maschine eingebautes mit Gas beheiztes Schmelzöfchen, aus dem eine kleine Pumpe gerade soviel geschmolzenes Metall entnimmt, wie zu einer Zeile benötigt wird. Ein Stoßer drückt die gegossene Zeile zur Seite, über eine Rutsche fällt sie in einen Sammler, wo sich die Zeilen einfinden.

Noch einmal wurde auf ihn ein Anschlag verübt, sie erwischten den von Mr. Watson gedungenen jungen Burschen, der des Nachts in die Werkstatt eingedrungen war, um die Maschine zu zerstören, weil sie in ihr einen Fluch und ein Teufelszeug sahen, das die Drucker brotlos machen würde.

Bild 6 (links). Messingmatrize. Bild 7 (rechts). Ganze Zeile mit Keilen für Zwischenräume (Gussform).

Mergenthaler machte ihm klar, dass seine Maschine Zeitungen billiger und schneller herstellen würde, Handsetzer können dann Maschinensetzer werden, und zum Bau der Maschinen werden dann viele, sehr viele Leute vom Fach gebraucht. Er brauche keine Angst zu haben, dass jemand brotlos wird. Er war so überzeugend, dass er Arthur Lachenmeyer als Freund gewann, und da kam noch mehr…Dann hatte er noch die zündende Idee, die Papp-Matrizen durch Matrizen aus dickem Messingblech zu ersetzen, alle gleich groß, für jeden Buchstaben eine. Diese tragen auf der Schmalseite Einkerbungen mit den vertieften Buchstaben. Beim Betätigen der Tasten fallen die Matrizen aus dem Magazin über eine schräge Rutsche in einen Sammler und fügen sich zu Wörtern und einer ganzen Zeile zusammen. Das ist bereits die Gussform. Es ist also eine Setz-Gießmaschine. Nach dem Ausgießen der Zeile werden die Matrizen wieder in das Magazin an die richtige Stelle zurück befördert. Endlich war die Setzmaschine gedanklich komplett und Ottmar Mergenthaler war am Ziel. 1884 war sie fertiggestellt.

Bild 8. 1884: die Vorführung. "Ottmar, you´ve cast a line of types". Mr. Watson machte sich aus dem Staub.

Bild 9. Die gegossene Zeile. Bild 10. Mehrere Zeilen zu einem Text gefügt.

Die Vorführung vor geladenen Besuchern - der große Erfolg. Nach gründlicher Erprobung und kleinen Korrekturen führte er sie vor einem geladenen Kreis von Interessenten vor. Zuvor dankte er Mr. Clephane und Mr. Moore, dessen Idee ihn beflügelt hatte. Die Besucher, in gespannter Erwartung, hatten sich im Halbkreis in achtungsvoller Entfernung um die Maschine herum gruppiert. Er berührte die Tasten, die Matrizen glitten an die bestimmten Plätze, wurden festgehalten, ausgerichtet, die Pumpe lieferte das flüssige Metall, eine fertige silberglänzende Zeile fiel aus der Maschine und die Matrizen kehrten an ihre normalen Plätze zurück. Das Ganze dauerte fünfzehn Sekunden. Mergenthaler stellte die noch heißen Zeilen auf ein Tischchen und sagte: der Setzer schafft das Vierfache eines Handsetzers. Die Zeilen werden dann spaltenweise neben- und untereinander gestellt, wie die Gestaltung einer Zeitungsseite es erfordert. Die Druckform ist fertig. Die Zeilen werden wieder eingeschmolzen und stehen als Barren für den erneuten Gebrauch wieder zur Verfügung. Die Revolution war da, die Sensation perfekt, Bravo-Rufe und langer Beifall. Clephane: das ist das größte Wunderwerk seit Gutenberg im Jahr 1450! Im Hintergrund machte sich ein Mann schnell aus dem Staub: Mr. Watson!

Bild 11. Linotype-Maschine von 1972. Bild 12. Die schräge Matrizenrutsche. Bild 13. Typenschild dieser Maschine

Seine Gegner gaben sich noch lange nicht geschlagen. Ausgerechnet in seinem Heimatland schrieb 1885 das „Journal für Buchdruckerkunst“: die dummen Amerikaner sind auf einen großartigen  Setzmaschinen-Schwindel hereingefallen! War das die Rache der Deutschen an dem Abtrünnigen, der 1878 seine amerikanische Staatsbürgerschaft bekam? Aber kein Totschweigen und keine Verleumdung konnte Mergenthalers Erfolg mindern.

Die New York Tribune wird mit seiner Maschine gedruckt. Weltweiter Durchbruch. Mergenthalers Gerät wurde im Juli 1886 erstmals zum Satz der „New York Tribune“ herangezogen. Nach der Überlieferung rief der dabei anwesende Verleger, Whitelaw Reid, aus: „Ottmar, you've cast a line of types“. Von den letzten drei Wörtern dieses Ausrufs soll sich der danach benutzte Markenname „Linotype“ für die im Januar 1888 unter der Nr. US-378 798 patentierte Maschine ableiten.

Der endgültige Durchbruch im Druckgewerbe gelang 1890 mit dem verbesserten Modell „Simplex-Linotype“. Neben Produktionsstätten in den USA und England entstand im Oktober 1894 auch in Deutschland ein Tochter-Unternehmen, die „Mergenthaler Setzmaschinen-Fabrik GmbH“. 1896 kamen die ersten Maschinen zur Gewerbe-Ausstellung in Berlin, schon sehr bald eroberten Linotype-Maschinen die Buchdruckereien auch in Deutschland. Man nannte sie die „Königin der Setz-Maschinen“. Von 1899 bis 1975 wurden in Deutschland etwa 50.000 Stück gebaut; Hersteller war die Firma "Berliner Maschinenbau AG. L. Schwartzkopff".

Bild 14. Ehrungen: Mergenthaler-Büste in der Princeton University.  Bild 15. Glasbild im Smith Museum of Stained Glass Windows, Chicago.

Unter den Gratulanten am 26. Juli 1884 war auch Emma Lachenmeyer, die Cousine des Einbrechers. Sie nahm mit beiden Händen seine Rechte, und auf ihrem Gesicht lag mehr als Freude über seinen Erfolg. Sie heirateten und hatten fünf Kinder. Emma war verständnisvoll in schweren Zeiten, immer auf sein Wohlergehen bedacht. Doch auch ihre Fürsorge konnte nicht verhindern, dass er viel zu früh im Alter von 45 Jahren an Tuberkulose starb.

Bild 16. Weitere Ehrungen: Briefmarke zum 100. Geburtstag.  Bild 17. Irische Briefmarke 1986.

Seine Erfindung, die nach seinem Tod ständig verbessert wurde, beherrschte das Druckwesen bis Mitte der 1970er, als der Lichtsatz erfunden wurde, also 90 Jahre lang.

 

Bild 18. Mergenthaler-Aktie von 1896 über 100 Anteile. Bild 19. Kaum zu glauben: Seine erste Maschine "Blower" als Kirchenfenster in der Zionskirche in Baltimore. Schönes Gedenken an den großen Erfinder. Hier besuchte die Familie Mergenthaler regelmäßig den Gottesdienst.

Bild 20. Drucken vor Mergenthaler: Werkstatt 1814.       Bild 21. Lob den Schriftsetzern aller Jahrhunderte.

Hochachtung vor den Schriftsetzern. Die poetischen Zeilen auf Glas im "Smith Museum of Stained Glass", Chicago, Bild 21, sind schwer ins Deutsche zu übersetzen. Hier sei ein sehr freier Versuch gemacht: Ehre den Schriftsetzern aller Jahrhunderte, den Boten des Friedens und guten Willens, den Feinden des Irrtums und Vergessens, den Meistern guter Arbeit, den Bewahrern der Kunst, den Förderern der Kultur. Danke für die Überlieferung aufgeschriebener Gedanken und für die Weitergabe des Wissens der Menschheit.

...Und er schaffte es doch. Dem armen Dorfschul-Lehrersohn aus Württemberg blieben die Bildungsmöglichkeiten einer höheren Schule oder einer Universität verwehrt. Er hatte ein schweres Leben. Selbstvertrauen, Begeisterung, Talent, geistige Beweglichkeit und der Mut, Neues zu wagen ließen ihn trotz allem seinen Weg gehen. Da er keine Perspektiven in Deutschland sah, ging er in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, aber auch dort wurde ihm nichts in den Schoß gelegt. Seine Grundhaltung „nicht unterkriegen lassen, dranbleiben, ich schaffe es“ bescherte ihm nach langen Jahren harter Arbeit und vielen Rückschlägen endlich den großen Wurf. Sein Lebensmotto: die Verhältnisse können gar nicht so schlimm sein, dass ich sie mit meiner Entschlossenheit nicht bezwingen kann.

 

Bildnachweis.

Bild 1: Museum Hachtel. Bild 2-5, 8 aus: Bodo Kühn: ...und er schaffte es doch. Gebr. Knabe Verlag Weimar, 1972. Bild 6: Eigenes Foto am 1./2.8.2011 im Deutschen Museum München, Gestattungsvertrag für Bildaufnahmen vom 12.7.2011. Bild 7: Public domain, Paul Koning. Bild 9 und 10: Eigene Fotos,  Zeilen gegossen in der Linotype-Maschine im Technik-Museum Berlin, 2010. Bild 11-13, eigene Fotos, im Technik-Museum Berlin, 2010. Bild 14: Gemeinfrei, Andreas Praefcke. Bild 15, 20, 21: Smith Museum of Stained Glass, Chicago. Bild 16, 17: gemeinfrei. Bild 18: Public domain, Linotype Co. Bild 19: Zion Church Baltimore.