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Paul Schlack (*1897 Stuttgart, †1987 Leinfelden-Echterdingen) setzte für seine Wunderfaser "Perlon" auf Caprolactam als Ausgangsstoff, obwohl Carothers, der Nylon-Erfinder den als unbrauchbar verworfen hatte. Und er hatte Erfolg und löste mit seinem neuen Stoff die Seidenraupe ab. Heute wird mehr Perlon als Nylon hergestellt.

Das Nylon war zuerst da. Es gab also eine Vorgeschichte jenseits des großen Teiches. Dort hatte Wallace Hume Carothers (1896-1937), seit 1928 Forschungsleiter bei Du Pont, 1934 das Polyamid "Nylon" erfunden und  patentieren lassen. Die hervorragenden Eigenschaften der Nylon-Faser waren ein Frontalangriff auf das japanische Monopol der Seidenfaser. Jahrhunderte lang musste für die Damenstrümpfe ein kleines Geschöpf sein Leben lassen: Bombyx mori, die Larve des Seidenspinners, die jetzt wieder Hoffnung auf´s Überleben schöpfen konnte. Und die Damen konnten jetzt auf die schönsten Beinbekleidungen aller Zeiten hoffen. Die Legende sagt, dass Carothers nach der Erfindung ausgerufen haben soll: Now You Lousy Old Nipponese! Oder auch: Now You've Lost Old Nippon. Daher der Name. Andere sagen, er käme von den Abkürzungen für New York (NY) und London (LON). Carothers konnte den Riesenerfolg seiner Wunderfaser nicht mehr erleben. Er versuchte seine Depressionen mit Alkohol zu bekämpfen - ohne Erfolg. Mit einer Kapsel Zyankali setzte er 1937 seinem Leben ein Ende. Jedenfalls stand es in der Kunstfaserentwicklung zwischen USA und Deutschland 1:0.

Aus Erdölbestandteilen hatte er ein Endlosmolekül synthetisiert, ein Polymer, das sich zu endlos langen, beliebig dünnen, sehr haltbaren Fäden ausziehen lässt. Der Vorgang heißt Polymerisation. Ein sensationeller Fund!

 

Bild 2. So gelang Carothers die Synthetisierung des Nylons. Das lange Kettenmolekül enthält zwei verschiedene Monomere, (CH2)4 und (CH2)6, verbunden jeweils durch das Amid COHN. Er erhielt im September 1938 das Patent.

Paul Schlack lässt sich nicht entmutigen. Das, was er am Tegeler See gelesen hatte, war für ihn Ansporn, die Wunderfaser mit einem anderen Ausgangsstoff und nach anderem Verfahren herzustellen. Carothers hatte schon mal mit Caprolactam, einem Bestandteil des Steinkohlenteers, experimentiert. Sein Urteil: unbrauchbar, die Ringverbindung ist nicht zu knacken, um daraus Kettenmoleküle zu bilden. Sollte sich Schlack an den natürlichen Makromolekülen, wie Seide, Stärke, Zellulose, Lignin oder an halbsynthetischen Makromolekülen, wie Kautschuk, Acetatseide, Viskose orientieren? Das spiralige DNA-Kettenmolekül von Watson und Crick war ja noch nicht entdeckt. Er wusste, dass die Amerikaner eher hemdsärmeliger forschen, die Deutschen aber systematischer und gründlicher. Also erst mal untersuchen, warum Carothers das Caprolactam verworfen hat!

Tatsächlich - der Caprolactam-Ring wird geknackt. Sein großes Ziel: Einen Kunststoff herstellen, der sich wie pflanzliche oder tierische Fasern verweben lässt. Es gelang ihm, einen riesigen Kessel aus Edelstahl zu besorgen, in Zeiten der Kriegs- und Mangelwirtschaft keine leichte Aufgabe. Ein Riesentopf, der für den Bedarf von Großküchen konzipiert war. Darin wurden kleine Mengen von Cyclohexanonoxim, dem Ausgangsstoff für die Produktion von Caprolactam, "gekocht". Dann wurde die Lösung des Oxims in 90-prozentiger Schwefelsäure durch einen Röhrenofen geschickt. Der ganze Vorgang war archaisch und hatte noch wenig mit industrieller Prozeßtechnik zu tun. Unter heftigem Zischen und Brodeln verwandelte sich das Oxim in Caprolactam, mußte dann noch aufgearbeitet und unter Vakuum destilliert werde. Eine Nacht lang Erhitzung auf 240°C mit einem geeigneten Katalysator in einem dickwandigen Röhrenofen - das bewirkte die schlussendliche Polymerisation. Carothers Aussage wurde Lügen gestraft, der Ring des Caprolactam war geknackt. Deutschland hatte sein Polyamid, ohne das amerikanische Patent verletzt zu haben. Der 29. Januar 1938 war die Geburtsstunde des "Perlon", das noch nicht so hieß und dessen große Stunde erst ein gutes Jahrzehnt später kommen sollte.

Bild 3. So gelang Schlack die Synthetisierung des Perlons. Das lange Kettenmolekül enthält nur ein Monomer, (CH2)5, verbunden jeweils durch das Amid COHN. Er erhielt im Mai 1938 das Patent Nummer 748 253.

Die ganze Aktion dieser zukunftsträchtigen Entwicklung lief unter der Bezeichnung "Streng geheim", da die Lage in Europa schon sehr stark nach Krieg roch. Das Patent umfasste einen sehr weitgehenden Schutz und wurde erst vier Monate nach der eigentlichen Geburt angemeldet. Dieses Risiko gingen die IG Farben bewusst ein, um nicht zu früh durch die Offenlegung der Patentschrift die internationale Konkurrenz schlau machen und die Karten aufzudecken.

Die Amerikaner kommen. Im Spätsommer 1938 landete eine Delegation von Du Pont-Managern in Berlin, um im Bewusstsein ihres "Nylon"-Triumphes der Direktion der IG Farben eine teure Nylon-Lizenz anzubieten. Die Herren aus Übersee bekamen betretene Gesichter, als man ihnen die bereits hochwertigen Fäden aus "Perlon" präsentierte, das aus Caprolactam hergestellt war, einem Stoff, den Carothers ausdrücklich verworfen hatte. Ohne Ergebnis mussten sie die Heimreise antreten. Die Deutschen hatten Polyamid 6 erzeugt, ohne auch nur ansatzweise das US-Patent zu verletzen. Sie setzten auf Perlon, weil seine Herstellung einfacher und kostengünstiger war als die des Nylon. Das ist bis heute so geblieben: Die Perlon-Produktion ist derzeit doppelt so hoch wie die Nylon-Produktion. Der Wettbewerb in der Entwicklung der Polyamide zwischen den USA und Deutschland stand jetzt 1:1.

So schildert es Paul Schlack wenige Jahre vor seinem Tod: So haben wir denn, mein Laborant und ich, reines Caprolactam mit Aminocapronsäurehydrochlorid und einer Spur Wasser in ein Glasrohr eingeschmolzen und dieses in der Nacht vom 28. auf den 29. Januar 1938 in einem sogenannten Bombenofen auf 240° erhitzt. Eigentlich erwarteten wir nur ein halbes Resultat, eine Ermutigung. Doch das Unwahrscheinliche wurde Ereignis. Dieser erste Versuch war ein voller Erfolg. Als wir am Morgen das Rohr öffneten, konnten wir ein hochelastisches Formstück Polyamid 6 entnehmen. Sofort war klar, dass die Erfindung bereits vorlag... Die Entdeckung fiel jedoch nicht vom Himmel, sondern war das Resultat langjähriger Forschungen als Textilchemiker.

Was machten die Vereinigten Staaten mit dem neu entwickelten Kunststoff? Der Krieg stand vor der Tür. Dreimal darf man raten, ob als erstes Fallschirme oder Damenstrümpfe hergestellt wurden. Charles Stine, Manager des US-amerikanischen Chemiekonzerns DuPont kündigte 1938 eine Entwicklung an, die seinem Haus-Chemiker Wallace Carothers gelungen war: Ich kündige hiermit zum ersten Mal eine absolut neue Kunstfaser an. Die erste von Menschenhand hergestellte organische Textilfaser, die ausschließlich aus Materialien des Mineralreichs besteht. Obwohl es aus nichts anderem als gängigen Rohstoffen wie Kohle, Wasser und Luft besteht, kann Nylon zu Fäden gezogen werden, die stark sind wie Stahl, fein wie ein Spinnennetz, aber geschmeidiger als jede gebräuchliche Naturfaser, mit einem wunderbaren Glanz. In Seaford baute Du Pont 1939 ein erstes Werk zur Produktion von "Nylon", das aber nicht auf dem offiziellen Markt landete, sondern zu 100 Prozent in die Rüstungsbranche ging, vorwiegend zur Herstellung von Fallschirmseide.

Bild 4. 15. Mai 1940 - der Nylon-Stocking-Day in New York. Die Frauen waren total aus dem Häuschen, ihre Begeisterung kannte keine Grenzen. Die neuen Strümpfe versprachen Glamour, waren sexy und zugleich damenhaft.

5 Millionen Paar Nylonstrümpfe am ersten Tag. An einem geschichtsträchtigen Tag, dem 15.Mai 1940 wurden in den USA erstmals echte Nylonstrümpfe verkauft. Zuvor bestanden Strümpfe noch klassisch aus Seide oder Kunstseide. Das änderte sich erst am berühmten N-Day, dem Tag, an dem der feine Nylonstrumpf die Frauenbeine eroberte. Vor dem Geschäft warteten bereits Tausende Kunden auf Einlass, um endlich Hand an den begehrten Stoff legen zu können. Es war ein sagenhafter Ansturm. Am ersten Tag wurden in New York 780 000 Paar Nylonstrümpfe verkauft. Über die gesamten USA verteilt waren es sogar stolze 5 Millionen Paar.

Was machte Deutschland mit dem neu entwickelten Kunststoff? Das, was Schlack am 29. Januar 1938 aus seinem Bombenofen in Berlin-Lichtenhagen zieht, hat mit feinem Garn überhaupt keine Ähnlichkeit. Zwei bis drei Zentimeter dick sind die rundlichen Stäbe. Aber sie sind elastisch, und selbst Schläge mit einem schweren Hammer lassen sie nicht bersten. Es bedurfte noch einer umfangreichen Prozedur, um daraus unendlich lange Fäden zu ziehen: schmelzen, schneiden, trocknen, strecken, spinnen, waschen...

Bild 5. Vom Caprolactam zum Perlonfaden.

Am Morgen des 29. Januar 1938, als das Ergebnis vorlag, kann  Paul Schlack sein Heureka! Ich hab´s gefunden! ausrufen, er hat das Perlon erfunden. Als er die Tür seines Labors schließt, denkt er weder an Weltpolitik noch an Damenbeine. Er hat ein Material entdeckt, das die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts wie ein langer Faden begleiten wird. Ein Kunststoff hat die Seidenraupe abgelöst. Er sollte auch zum Symbol des deutschen Wirtschaftswunders nach dem Krieg werden.

In Berlin-Lichtenberg entstand im Laufe des Jahres 1939 eine erste Perlon-Versuchsfabrik. Das Material wurde durch eine Düse gepreßt. Aus den klitzekleinen Öffnungen der Düse, den Kapillaren, traten die Perlon-Fäden als endlose Fasern aus. Die leitenden Herren der IG Farben waren beeindruckt. Auf ihre erstaunte Frage, ob diese Fäden denn nie abreißen, hieß es lakonisch: Erst, wenn unser Vorrat an Spinnmasse aufgebraucht ist. Und das konnte dauern, denn zu diesem Zeitpunkt lief die Maschine schon geschlagene fünf Stunden ohne Unterbrechung.

Was ist Perlon für ein Material? Hohe Formbeständigkeit in der Wärme, auch in der Kälte sehr zäh und hart. Gute Gleit- und Notlaufeigenschaften, hohe Verschleiß- und Druckfestigkeit, daher gut geeignet als Werkstoff für Wellenlager. Geringe Gas- und Dampfdurchlässigkeit, daher gut geeignet für Lebensmittelverpackungen. Gewebeverträglich, gut geeignet für die Herstellung von Prothesen.

Rohdichte 1140.00 kg/m3, Dauergebrauchstemperatur -40 bis 85 °C, Schmelzpunkt 220 °C. Lieferformen: Granulat, Fasern, Rohre, Folien, Vollstäbe, Formteile. Formen: extrudieren, extrusionsblasformen. Generative Fertigungs-Verfahren: gießen, pressen, rotationsformen, spritzgießen. Fügen: kleben, nieten, schnappverbinden, schrauben, schweißen. Oberflächenbearbeitung: prägen, bedrucken, lackieren, metallisieren. Trennen/subtrahieren: bohren, drehen, fräsen, hobeln, sägen, schneiden.

 

Bild 6. Sowohl in den USA als auch in Deutschland waren es zuerst Fallschirme, die aus dem neuen Material hergestellt wurden. Lebensrettung von Jagdfliegern war wichtiger als Verschönerung von Damenbeinen.

 

Perlon - das Nazi-Nylon. Fallschirm statt Damenstrumpf. Dann kam der Krieg. Wenige Perlon-Strümpfe wurden hergestellt, nur als Weihnachtsgeschenke für die Frauen der I.G.-Farben-Manager. Die restlichen Kunstfasern des als "kriegswichtig" eingestuften Produkts werden für das Militär gebraucht. Aus Perlon entstehen Hochdruckschläuche für Flugzeugreifen, Seile aller Art und Borsten für die Reinigung von Waffen. Weil aus Japan keine Seide mehr importiert werden kann, müssen auch Fallschirme komplett aus der Faser hergestellt werden. In einem Berliner Labor ist also ein Stoff entstanden, der Jagdfliegern das Leben rettet und die Frauen leer ausgehen lässt. Paul Schlack erhält das Kriegsverdienstkreuz erster Klasse. Und in den letzten Kriegstagen promoviert er noch über Polyamide. Noch kurz vor der Kapitulation entstehen zwei neue Perlon-Fabriken.

Doch an dem neuen Stoff klebt auch Blut. Der Großkonzern IG Farben, ein großer Zulieferer des Vernichtungskrieges beschäftgte Hunderttausende Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge, die durch Arbeit zu Tode geschunden wurden; das hatte ja überall im Nazi-Reich System.

 

 

Bild 7. Paul Schlack im Labor, 1958. Der Krieg ist vorbei, die Forschung geht weiter.

 

Wie sehen die Perlon-Spinnverfahren aus? Beim Schmelzspinnverfahren werden die PA6-Stäbe eingeschmolzen und mit Hilfe einer Pumpe durch Spinndüsen gepresst, in einem Kaltluftstrom ausgesponnen, verstreckt (Ausrichtung der Moleküle) und aufgewickelt. Beim Trockenspinnverfahren wird die in einem Lösemittel gelöste Spinnmasse in einem Warmluftstrom ausgesponnen, das Lösemittel entweicht, die Faser wird fest, verstreckt und aufgewickelt. Beim Nassspinnverfahren wird das PA6 gelöst, mit Spinnpumpen durch Düsen gepresst, in einem Chemikalienbad verfestigt, ausgesponnen, verstreckt und aufgewickelt.

Der Krieg ist zu Ende. Der Preis, der für die Zerschlagung des Verbrecherkartells gezahlt werden musste, ist so hoch wie noch nie in der Menschheitsgeschichte, Millionen und Abermillionen von Toten, Tausende von Kriegsgefangenen, verwüstete Industrie, Städte in Trümmern. Die Wunderwaffen V1 und V2 haben nichts gebracht, der deutsche Atomreaktor blieb unkritisch, der Wunder-Düsenjäger Me262 konnte nicht aufsteigen, weil der Treibstoff fehlte, weil die Werke, die Kohle zu Flugbenzin verflüssigten, zerbombt waren, da halfen auch keine Perlon-verstärkten Flugzeugreifen, und die Perlon-Fallschirme blieben am Boden. Wie weiter?

Die bedingungslose Kapitulation - auch die Kapitulation der Hoffnung? Paul Schlack, der als unabkömmlich selbst nicht eingezogen worden war, gelingt es, auf abenteuerliche Weise, sich mit einem der letzten Züge und einer Handvoll Kisten voller "Perlon"-Know-how von Berlin bis zum Zweigwerk Bobingen bei Augsburg durchzuschlagen. Ohne diese Unterlagen hätte ich kaum riskiert, dort eine neue ,Perlon'-Entwicklung aufzubauen, erinnerte sich Schlack an diese erste Zeit nach Kriegsende. Aber so geht er das Risiko ein und legt los. Die Alliierte Hohe Kommission der Siegermächte zerschlug den IG-Farbenkonzern in den westlichen Besatzungszonen. Neue Unternehmen wurden gegründet, u.a. Bayer, BASF und Hoechst. Das Werk Bobingen kam unter das Firmendach der Frankfurter Hoechst AG. Es ist eines der ältesten Chemiefaser-Werke in Europa, zum Glück ohne größere Kriegsschäden und mit einem beträchtlichen Rohstofflager, wie Schlack erfreut feststellen kann. Schon nach wenigen Wochen kann eine kleine Produktion in Bobingen anlaufen. Bald sind es Borsten aus Perlon, mit denen dann die Besen und Bürsten für das große Aufräumen in Deutschland gefertigt werden. Irgendwie war es Schlack gelungen, eine noch halbwegs funktionierende Apparatur über die Wirren des Kriegsendes zu retten. Auf der wird aus Caprolactam das Perlon nach dem Jahre null produziert. Problematisch ist allerdings, an die benötigten Rohstoffe zu gelangen, nachdem die Bestände des eigenen Lagers erschöpft sind. Über komplizierte Kompensationsgeschäfte muss das Caprolactam aus Leuna in der Ostzone beschafft werden, bis in Ludwigshafen endlich auch wieder eine Lactam-Fabrikation anlaufen kann. Allerdings lief auch in der französischen Zone vorläufig nichts ohne afrikanische Tausch- und Schachermethoden.

Aus Schwertern Pflugscharen! Das steht schon in der Bibel, Jesaja 2.4 u.a. In Deutschland werden 1948 2000 Perlon-Fallschirme umgenäht zu Kleidern, Blusen, Wäsche, sogar Dirndl und Brautkleider sind dabei.

Und bald wurden in Frankfurt und anderen Hoechst-Unternehmen jede Menge Fäden aus Perlon für das Wirtschaftswunder gesponnen. Kaum ein Produkt ist so eng mit diesem Phänomen des Aufschwungs verknüpft wie dieser Faden aus der chemischen Retorte. Perlon entsprach den Wünschen vieler Frauen besonders nach hübschen Strümpfen, die sie in den endlosen Jahren des Krieges und in den Trümmern der zerstörten Städte zutiefst vermisst hatten. Im zweiten Halbjahr 1949 produziert die Fabrik Bobingen unter Schlacks Leitung bereits 15 Tonnen Perlonfasern.

Paul Schlack wechselt 1955 mit 58 Jahren von Bobingen in das Werk Hoechst der Muttergesellschaft, um dort die Leitung der Faserforschung zu übernehmen. 1961, im Alter von 64 Jahren,  wird Paul Schlack Honorarprofessor für Textilchemie an der TH Stuttgart. Sicher ein Triumph für den kreativen Schwaben. Denn dort schließlich hatte vor einem knappen halben Jahrhundert seine Karriere begonnen. Im Laufe seines Lebens hat er mehr als 300 Patente angemeldet.

Der Perlon-Strumpf - Symbol des deutschen Wirtschaftswunders. Bis Ende 1949 gab es in Deutschland keine Perlonstrümpfe. Die ersten amerikanischen Nylons, die in Deutschland ankamen, steckten in Care-Paketen aus USA und in den Brusttaschen amerikanischer GIs, kamen auf diese Weise auf den schwarzen Markt, waren sehr teuer und wurden rasch zum Mythos. Genau wie die Ami-Zigaretten Marke Camel, Lucky Strike und Chesterfield entwickelt sich das Beinkleid aus Kunststoff zur heimlichen Währung auf dem Schwarzmarkt. Ein Paar Nylons sind so viel wert wie 200 Reichsmark - der Monatslohn einer Stenotypistin.

Bild 8. Perlonstrümpfe werden genauso wie der VW-Käfer zu Symbolen des deutschen Wirtschaftswunders ab 1950. Ludwig Erhard, Bundeswirtschaftsminister von 1949 bis 1963, hat die entscheidenden Weichen gestellt.

1950 wurden dann in Deutschland die ersten Perlonstrümpfe produziert. Im Westen in Bayern, im Osten in Sachsen. Sie wurden noch auf Flachstrickmaschinen hergestellt, also in Form gearbeitet und dann hinten zusammengenäht. Da sie noch nicht so elastisch waren, dass sie sich jeder Beinform anpaßten, vermaß eine Firma in Bayern Tausende von Frauenbeinen, errechnete Durchschnittsbeine und legte Größen fest. Der Stoff wird zum Symbol des Wirtschaftswunders: Dreißig Millionen Strümpfe werden 1951 in Westdeutschland verkauft, das Paar für zehn D-Mark. 1955 sind es 100 Millionen zum Preis von nur noch drei D-Mark. 

Am 19. August 1987 stirbt Paul Schlack in Leinfelden-Echterdingen, wo er sich nach seiner Emeritierung niedergelassen hatte. Nicht viel mehr als einen guten Fußmarsch von seiner Geburtsstadt Stuttgart entfernt schließt sich der Kreis. Nach seinen eigenen Worten macht eine Faser noch kein Wirtschaftswunder, aber der fleißige, rührige, erfinderische Schwabe hat einen sehr großen Teil dazu beigetragen. Er hat den Amerikanern mit seiner Gründlichkeit paroli geboten, hat ein Terrain beackert, dass jene schon aufgegeben hatten, hat damit die Welt verändert, unser aller Leben bereichert, hat die Grundlage geschaffen für unendlich viele Produkte in der Bekleidungsindustrie, im Maschinenbau, in der Elektrotechnik, im Transportwesen, in der Wohnkultur und für unsere vielgeliebte Freizeitgestaltung. Er hat sich um Deutschland verdient gemacht, er hat unseren Respekt verdient. 

 

Was wurde aus Schlacks Erfindung?

 

Bildnachweis

Bild 1: nach diversen Bildern aus dem Web. Bild 2 und 3: eigene Zeichnungen.  Bild 4: aus der Website Didaktik der Chemie, Uni Bayreuth, Nutzungsrechte abgelaufen. Bild 5: Schema aus der Website des Strumpfmuseums mit eigenen Ergänzungen. Bild 6: aus der Website der SZ 5/2010. Bild 7: Website, Foto 1958 Universitätsarchiv Stuttgart Z 363. Bild 8: aus dem Web des Wirtschaftswunder-Museums und Strumpfmuseums, Foto Ludwig Erhard Wikipedia Bundesarchiv, B 145 Bild-F004204-0003 / Adrian, Doris / CC-BY-SA, eigene Zusammenstellung.