Was machen die Enkel Robert Kochs im Jahr 2012 ?

Robert Koch erkannte als erster die mikroskopisch kleinen Erreger als Ursache zahlreicher Infektionskrankheiten. Das war eine medizinische Revolution. Bis dahin galten Ausdünstungen der Erde und Verunreinigungen der Luft als Krankheitsauslöser. "Malaria" bedeutet wörtlich "schlechte Luft". Kochs Revolution ging weiter. Wir können hier nicht alle Aspekte der Mikrobenforschung in aller Welt beschreiben. Wir wollen uns auf die heutigen Aufgaben des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin beschränken. Sind die Visionen des Nobelpreisträgers wahr geworden? War sein Vermächtnis stark genug, sein großes Werk fortzuführen? Gab es Fortschritte, gab es Rückschläge?

Bild 1. Das Robert Koch-Institut in Berlin heute. Das Backsteingebäude wurde 1900 gebaut.  Bild 2. Das eindrucksvolle Portal hat dem Bombeninferno widerstanden. Heute schmückt es der Bundesadler.

Das Robert Koch-Institut hat bis heute nichts von seiner kreativen Dynamik eingebüßt. Als wissenschaftlich-medizinische Leitinstitution der Bundesregierung hat es die Aufgabe, Gesundheit zu schützen und Risiken zu erforschen. Es hat 990 Mitarbeiter,  und ein jährliches Budget von 60 Mio. €. Die Grundfinanzierung leistet das Bundesgesundheits-Ministerium.

Erste Aufgabe: Erkennen, Verhüten, Bekämpfen von Infektionskrankheiten. Hier sind sie, die Feinde, deren Bekämpfung Robert Kochs ganzes Leben gewidmet war: Bakterien, Viren, Sporen, Einzeller, Parasiten. Für die Erforschung der Bakterien hatte er schon sehr gute Mikroskope von Zeiss und Leitz zur Verfügung. Wenn man aber bedenkt, dass die Größe eines Virus ein halbes Promille einer Bakteriengröße beträgt (wenn ein Auto die Größe eines Bakteriums darstellt, dann ist die Radmutter so groß wie ein Virus), wird klar, dass kein Lichtmikroskop Viren enttarnen kann.

Bild 3. Die eiförmigen Sporen, die Dauerformen der Milzbrandbakterien hat Koch entdeckt, obwohl er sie so, wie in dieser modernen elektronenmikroskopischen Aufnahme gezeigt, nie gesehen hat.

 

Erkennen. Dazu werden heute Elektronenmikroskope benutzt, deren Auflösungsvermögen bis zu 2000 mal größer ist als bei Lichtmikroskopen (0,1 nm gegenüber 200 nm). So können z.B. die von Koch entdeckten Milzbrandsporen, die Dauerform der Bakterie, im Elektronenmokroskop sehr gut sichtbar gemacht werden, das war wichtig bei den Milzbrandanschlägen im Jahr 2001. Für die Forschung stehen auch molekulargenetische Methoden der DNA-Analyse zur Verfügung, um durch die Abstammungslinien die Reiserouten von Krankheitskeimen zu verfolgen. Dieses Verfahren der Messung von Markern im Erbgut ist Stand der Technik, z.B. auch bei der Ausbreitung des Homo sapiens über den gesamten Globus. Man misst z.B. die Zahl der Y-Chromosom-Marker bei zwei Individuen, kann dann anhand der Unterschiede den letzten gemeinsamen Vorfahren örtlich dingfest machen, und ist so in der Lage, sukzessive die geografische Wanderroute nachzuvollziehen. Analog geht das auch mit Bakterienstämmen, deren einzelne Mutationsschritte sehr viel schneller ablaufen als bei der Gattung Mensch.

Verhütung. Milzbrand, Tuberkulose, Typhus, Cholera sind von Bakterien verursacht, Masern, Mumps, Röteln sind Viruserkrankungen, Malaria und Schlafkrankheit werden von Parasiten ausgelöst. Das Tuberkulose-Bakterium, das gegen Medikamente immer unempfindlicher wird, fordert jährlich 2 Mio. Todesopfer, ist gefährlicher denn je und ist Gegenstand intensiver Forschung am RKI; man versteht noch nicht, warum die Bakterien ausgerechnet in den Fresszellen des Immunsystems überleben. 160000 Menschen sterben jährlich an Masern.

Die ständige Impfkommision der Bundesrepublik (STIKO) wird vom RKI koordiniert und gibt aufgrund von Erhebungen Impfempfehlungen heraus für Gebiete in Deutschland, wo noch Impflücken bestehen. So tritt die Masernkrankheit immer wieder auf, weil der Impfschutz nachgelassen hat. Andere Infektionskrankheiten, wie Polio und Pocken, konnten (fast) ausgerottet werden. Auch für den Wundstarrkrampf Tetanus gibt es sehr wirksamen Impfschutz, der allerdings ab und zu aufgefrischt werden muss. Schwieriger gestaltet sich der Impfschutz gegen die Grippeviren, weil diese sich sehr schnell durch genetische Mutation verändern und gegen bestimmte Medikamente resistent werden. Das RKI untersucht jedes Jahr die verschiedenen Grippeviren und gibt dann Empfehlungen für die Herstellung des Impfstoffs. Ein ganz großes Problem stellen die in Krankenhäusern erworbenen Infektionskrankheiten dar, die von Bakterien verursacht werden, die mit Antibiotika nicht mehr wirkungsvoll bekämpft werden können. Besonders der mehrfach resistente Staphylococcus aureus (MRSA) ist ein schlimmer, kaum zu bekämpfender Feind geworden. 500000 Patienten jährlich bekommen hierzulande eine Krankenhausinfektion, und 10000 sterben daran. Das RKI untersucht die genetischen Eigenschaften der Erreger und analysiert riskante Trends in der Ausbreitung widerstandsfähiger Mikroben, um Gegenmaßnahmen einleiten zu können.

Das Antibiotikum muss in das Bakterium eindringen, um zu wirken. Je häufiger Antibiotika eingesetzt werden, umso mehr lernen die Bakterien, sich auf unterschiedliche Art dagegen zu wehren. Sie werden resistent, indem sie den Eintritt ihrer Gegner durch eine Mutation verhindern, das Antibiotikum aufspalten, abstoßen oder ausschleusen. Es gibt schon Keime, gegen die kein Antibiotikum mehr hilft. Es könnten wieder Zeiten kommen, in denen einfache Wunden den Tod bedeuten. Könnte man nicht die chemischen Sulfonamide, die Gerhard Domagk in den 1930ern entdeckt hat, weiterentwickeln? Wo bleibt der Ideenreichtum der Pharmaindustrie?

Bild 4. Der hoch gefährliche EHEC-Erreger - vom RKI identifiziert.

 

Neue Erreger bekämpfen. Neu auftauchende Krankheitskeime verbreiten sich durch die Mobilität der Menschen heute sehr schnell über den Globus. Viele werden auch von Tieren auf den Menschen übertragen. Das Virus HIV löst AIDS aus, stammt von Schimpansen und hat 30 Millionen Menschen infiziert, in Deutschland 70000, 600 davon sterben pro Jahr. Andere neue Erreger: H1N1, SARS, BSE, XMRV, HTLV-1, vCJK, EHEC, Ebola, Lassa ... die meisten rufen schwere Krankheiten hervor. Fast jedes Jahr taucht ein neuer, gefährlicher Erreger auf. Alle müssen analysiert, beobachtet, Flächen deckend überwacht, in Grenzen gehalten werden. Das RKI ist, ganz im Sinne des Gründers Robert Koch, immer am Ball, erforscht den Feind, erarbeitet Vorgehensweisen zu seiner Eindämmung und Bekämpfung. Der große Meister hatte die bis heute gültige Strategie vorgegeben: Erst den Erreger entdecken, identifizieren, dann Maßnahmen zur Bekämpfung einleiten.

Seuchengefahr eindämmen. Es gehört zu den Aufgaben des RKI, bei ersten Anzeichen einer Epidemie oder sogar Pandemie (weltweite Seuche) die Krankheitsfälle rasch zu erkennen und Gegenmaßnahmen zügig einzuleiten, internationale Warnmeldungen auszulösen und Schutzmaßnahmen in Deutschland anzuordnen. In schlimmer Erinnerung ist noch die berüchtigste Pandemie, die spanische Grippe von 1918, die weltweit 20 Millionen Todesopfer forderte. Die Weltgesundheitsorganisation WHO gibt Frühwarnungen über mögliche Infektionsausbrüche an die nationalen Institute heraus, und dann entscheidet das RKI, welche Vorkehrungen in Deutschland getroffen werden müssen. Diese können Massenimpfungen oder Quarantäne umfassen.

Zweite Aufgabe: Risiken für die Volksgesundheit erforschen. Das RKI ist für die Gesundheits-Berichterstattung an das Bundesgesundheits-Ministerium verantwortlich. Sie soll ein Bild der Gesundheitslage der Deutschen geben. Sind die Deutschen zu dick? (Ja, eindeutig, die EU hat den Deutschen bescheinigt, die Dicksten in der EU zu sein). Treiben Kinder ausreichend Sport? Häufen sich psychische Leiden? Es werden aussagekräftige Daten zu Gesundheitsrisiken in der Bevölkerung bereit gestellt, damit gesundheitspolitische Weichenstellungen getroffen werden können. Hier wird auch der demografische Wandel hin zu einer Gesellschaft mit sehr vielen alten Leuten erfasst. Alterstypische Krankheiten werden definiert und statistisch zusammen gestellt.

Schutz vor Bioterror. Seit der neolithischen Revolution vor 11000 Jahren im fruchtbaren Halbmond im Nahen Osten (dauernde Sesshaftigkeit in größeren Gruppen, Haustierhaltung, Getreideanbau) haben die Menschen auf Gewalt zur Lösung von Problemen gesetzt. Dazu gehören Kriege, Völkermorde und heute, im Rahmen der sog. asymmetrischen Kriegsführung, auch Anschläge auf Politiker, Andersgläubige, Zeitungsredaktionen. Das "dreckige Dutzend" nennt man die Erreger und Gifte, die für derartige Terroranschläge in Frage kommen: Dazu gehören Erreger von Milzbrand, Pest und Hasenpest, Pocken- und Ebola-Viren sowie das Botulinum-Toxin und das Gift Rizin.Das Zentrum für Biologische Sicherheit am RKI ist die zentrale Stelle für die Erkennung, Beurteilung und Bewältigung bioterroristischer Anschläge.

Das dunkelste Kapitel des Robert Koch-Instituts. Das Unfassbare geschah im Jahr 1933 und dauerte bis 1945, und das war ein tiefer Sturz in die Abgründe des Bösen: Das Institut des Menschenretters Robert Koch fiel in die Hände der Menschenvernichter. Nachdem alle jüdischen Mitarbeiter entfernt wurden, bestand die Forschungsstätte nahezu vollständig aus überzeugten Nationalsozialisten, die die Eroberungspolitik unterstützten, die Möglichkeiten zur schrankenlosen "Forschung" an Menschen aktiv nutzten und willfährig die von ihnen verlangten "Untersuchungen" durchführten. Sie unternahmen Menschenexperimente mit tödlichem Ausgang und nahmen hin, dass mehrere hundert Menschen bei diesen Versuchen vielfach unter großen Qualen ihr Leben verloren. Nach Kriegsende wurden nur wenige Beteiligte für diese Verbrechen verurteilt.

 

Bild 5. Die dunkle Vergangenheit des Robert Koch-Instituts wurde nach 65 Jahren aufgearbeitet - Inschrift im Foyer.

 

Die Vergangenheitsbewältigung. Unter der Überschrift "Die Wahrheit ist zumutbar" setzte das RKI von 2006 bis 2008 eine Untersuchungskommission ein, um herauszufinden, wie weit das renommierte Institut in die Nazi-Gräuel verstrickt war. Im März 2011 wurden die Ergebnisse veröffentlicht und in einer Feierstunde ein Erinnerungszeichen eingeweiht und in Ansprachen der Opfer der verbrecherischen "Forschung" gedacht. Die Wahrheit musste ungeschminkt ausgesprochen werden, wie weit sich die Wissenschaftler damals in die Nazi-Ideologie einbinden ließen. Die Ergebnisse der Untersuchung sind ungeheuerlich. RKI-Wissenschaftler unter der Leitung von Eugen Gildemeister beteiligten sich an inhumanen Menschenversuchen in Konzentrationslagern und psychiatrischen Anstalten. Sie übertraten humanistische Grundsätze und verletzten die Würde und Unantastbarkeit des Menschen, indem sie ihn in wertvolle und minderwertige Exemplare einteilten. Welche Verrohung menschlichen Handelns und Verachtung des Koch´schen Wertesystems! Wie war es möglich, dass man "Forschung" ohne moralische Grenzen zuließ? Dafür gibt es keine Rechtfertigung, auch wenn die politische Führung ihr Verhalten tolerierte oder gar forderte. 

Ein niederschmetterndes Einzelschicksal. Erschütternd ist der beispielhafte Bericht der Kommission über den Sinti Otto Schmidt, der 1938 als 20-Jähriger im Rahmen der Aktion "Arbeitsscheu" ins KZ Buchenwald eingeliefert wurde. Nach vier Jahren Lagerhaft wurde er 1942 in eine 19-köpfige Gruppe für vom RKI auszuführende Fleckfieberversuche ausgewählt. Zum Studium des Krankheitsverlaufs wurde er mit Fleckfieberimpfstoff, hergestellt aus Hundelungen, infiziert. Vier Personen erkrankten sofort tödlich. Schmidt überlebte die Fieberattacken, nicht jedoch den mörderischen Versuchsplan. Alle "überlebenden" Häftlinge der Gruppe wurden nach Versuchsabschluss durch den Lagerarzt Hoven mit einer Spritze getötet. Im offiziellen Bericht über die Krankheitsverläufe steht: Sehr schwere Erkrankung, Bewusstseinsstörung, Delirium, psychische Störungen... Mitarbeiter des RKI benutzten KZ-Häftlinge als menschliche Versuchsobjekte zur perversen Befriedigung ihrer wissenschaftlichen Interessen. Kann ein Institut, das sich dem Wohle der Menschheit verschrieben hat, tiefer sinken?

Es ist immerhin anerkennenswert, dass sich eine weltbekannte, wissenschaftliche Einrichtung, wenn auch spät, doch nicht zu spät, der Verantwortung gestellt hat, ihre dunkle Vergangenheit aufzuarbeiten. Mit offenen Augen, Wahrheit muss ausgesprochen, der Opfer muss gedacht, nichts darf verharmlost werden. Wir sind es den Opfern schuldig. Man sieht nur, was man weiß. Glasstelen vor dem Eingang und Augenpaare auf langen Bändern in Augenhöhe mit Robert Kochs Büste im Foyer sind eine würdige Erinnerungs- und Reuekultur. So ist das Foyer eine ständige Mahnung zur Wachsamkeit vor dem Missbrauch wissenschaftlichen Geistes und der Verführung der Macht.

 

Bild 6. GROSSDEUTSCHES REICH: Menschen vernichten statt retten, kann es eine schlimmere, perversere Ausrenkung der Wahrheit geben? Es müsste stattdessen heißen: NIEDRIGSTES DEUTSCHLAND.

 

Ein schlimmes Postwertzeichen. 1943, zum 100. Geburtstag Kochs, gab die Post eine Briefmarke mit einem schönen, würdevollen Portrait Robert Kochs heraus, mit der Unterschrift GROSSDEUTSCHES REICH. Oh, schändlicher Missbrauch des guten Namens Koch! Die Naziverbrecher berufen sich auf Robert Koch, den großen Menschenfreund, wie das denn? Treten sie nicht tagtäglich seine hohen Werte in den Dreck? Quälen und töten sie nicht tagtäglich Menschen, wo er tagtäglich alles daran setzte, Menschen zu retten, sie vor einem qualvollen Tod zu bewahren? Was war überhaupt GROSS an diesem Reich? Auf eine niedrigere Stufe kann überhaupt kein Staatengebilde sinken als dieses Dritte Reich. Und war es überhaupt noch DEUTSCH? Ist "Deutschland" nicht Luther, Kant, Goethe, Bach, Beethoven, Schweitzer, Einstein? Und was war eigentlich REICH an diesem Staatsgebilde? REICH, das ist ja etwas Hehres, von königlicher Abstammung, etwas Heiliges (das "Heilige Römische Reich"). Das, was sich die Deutschen damals freiwillig gewählt haben, war weiter nichts als ein monopolistisches Verbrecherkartell mit absolutem Herrschaftsanspruch über jeden Einzelnen und mit dem bedingungslosen Anspruch, Gut und Böse, Wert und Unwert, Nutzen und Schaden nach eigener Auffassung zu definieren, die Umsetzung mit brutaler Gewalt durchzupeitschen und auf dieser Menschen beglückenden Grundlage die germanische Weltherrschaft anzustreben.

Jeden Sonntag um 11:58 ist die Freiheitsglocke im Deutschlandradio Kultur zu hören, gefolgt von dem Freiheitsgelöbnis: „Ich glaube an die Unantastbarkeit und an die Würde jedes einzelnen Menschen. Ich glaube, dass allen Menschen von Gott das gleiche Recht auf Freiheit gegeben wurde. Ich verspreche, jedem Angriff auf die Freiheit und der Tyrannei Widerstand zu leisten, wo auch immer sie auftreten mögen". Dies wird in eindringlichen Worten gesprochen zur ständigen Erinnerung an die Welt, dass Freiheit nicht von selbst entsteht und zeitlebens verteidigt werden muss. Dieses Gelöbnis entspricht auch dem Vermächtnis Robert Kochs. Es wurde von seinen Enkeln in Deutschlands renommiertem Forschungsinstitut mit Füßen getreten, aber es ist jetzt aufgearbeitet, und der Geist des "Engineer of Bacteriology", des großen Menschenfreundes kann jetzt wieder wehen, wo er will..

 

Bildnachweis

Bild 1, 3: Foto RKI in "Gesundheit schützen, Risiken erforschen", Hrsg. RKI, 3. Aufl. 2011. Bild 4, 5: Eigene Fotos Robert-Koch-Museum im RKI Berlin, 7.5.2012, lt. Pressestelle RKI 7/2012: Genehmigung nicht erforderlich. Bild 2: Eigenes Foto 5/2012. Bild 6: Eigenes Foto, Public Domain.