Paul Schlack (*1897 Stuttgart, †1987 Leinfelden-Echterdingen) hält im Januar 1938 in der Firma Aceta in Berlin-Lichtenberg ein Polymerisat des Caprolactams in den Händen. Das war eine zähe, hornartige Masse, aus deren Schmelze sich jedoch Fäden ziehen lassen - endlos und ohne abzureißen. Das war der Geburtsmonat des "Perlon", das ist der Handelsname des Polycaprolactam, abgekürzt PA6. Fest wie Stahl, dünn wie ein Spinnennetz - aus nichts anderem als aus Kohle, Wasser und Luft - das war die neue Wunderfaser. Damit hatte Schlack mit seiner Kunstfaser die Seidenraupe abgelöst. Der Stoff war besser als Naturseide.
Der amerikanische Chemiker Wallace Carothers hatte 1937 in der US-Firma Du Pont de Nemours ein Patent auf "Nylon" erhalten, das ist der Handelsname des Poly-Hexamethylenadipamid, abgekürzt PA66 - eine durchsichtige, seidig schimmernde Faser, die reißfest, schlagfest, temperaturresistent und unverwüstlich ist. Ausgangsstoff ist Hexamethylendiamin. Carothers hatte das Caprolactam ausdrücklich für ungeeignet gehalten, eine Faser mit solchen Eigenschaften herzustellen und daher verworfen.
Perlon und Nylon gehören zu den Polyamiden (Abkürzung PA), die als Flüssigkeiten und Feststoffe vorkommen. Diese sind zäh, scheuerfest, reißfest und elastisch. Die Polyamide sind Polymere, deren sehr große kettenförmige Moleküle (Makromoleküle) aus ständig wiederkehrenden Bausteinen (den Monomeren) zusammen gesetzt sind. Ihre künstliche Herstellung, d.h. Polymerisation, wird durch Energie oder chemische Starter eingeleitet und läuft als Kettenreaktion ab.
Wer war dieser Paul Schlack, dem eine derart wichtige Erfindung gelang? Er besuchte das Gymnasium in Stuttgart und machte sein Abi mit 17 Jahren. In seinem großen Interesse für Chemie gab es dann eine lange Zwangspause: Er musste zwischen 1915 und 1918 seinen Wehrdienst im Ersten Weltkrieg ableisten. Anschließend konnte er dann doch noch Chemie an der TH Stuttgart studieren und legte dort 1921 seine Diplomprüfung ab. 1921/22 arbeitete er in einem wissenschaftlichen Privatlabor in Kopenhagen über synthetische Eiweißfasern, kehrte dann aber nach Stuttgart zurück. Er wechselte 1924 zur Kunstseidefabrik Wolfen (später Agfa Wolfen), und, als 1926 die Aceta G.m.b.H. gemeinsam von I.G. Farben und Glanzstoff gegründet wurde, zog er an deren Standort nach Berlin und entwickelte als Laborleiter Methoden zur Färbung von Acetatfasern. Ganz nebenbei beschäftigte er sich mit der Polymerisation von Caprolactam, und siehe da: das gelang im Januar 1938, obwohl Carothers dies kategorisch bestritten hatte. Er erhielt dafür ein Patent, musste dies aber geheimhalten, weil das Nazi-Regime das Material für kriegswichtig erklärte. 1939 lief eine Anlage für grobe Fäden, 1940 eine Versuchsfabrik, und die Großproduktion begann 1943. Die Damen in Deutschland mussten jedoch auf die sehnlichst erwarteten Perlon-Strümpfe verzichten (im Gegensatz zu den Amerikanerinnen); denn Hitler befahl die Herstellung von Fallschirmen aus dem neuen reißfesten Material. Der IG-Farbenkonzern hatte mit dem Perlon ein dem Nylon des Konzerns Du Pont, USA gleichwertiges Erzeugnis anzubieten. Nach dem Krieg war Schlack Leiter der Faserstoffforschung beim Hoechst-Konzern in Bobingen. Er wurde 1961 Professor für Textilchemie an der TH Stuttgart.
Die meisten Polyamide werden für Textilien verwendet, wie Strümpfe, Dessous, Regenbekleidung, Turnhosen, Trainingsanzüge, Fliegerjacken. Aber es gibt noch viel mehr Anwendungen: Angelschnur, Kletterseile, Förderbänder, Schiffstaue, Seile, Spanndrähte, Schwämme, Sprungtücher, Tennissaiten, Gitarrensaiten, Teppiche, Dübel, Schrauben, Isolierteile in der Elektrotechnik, Kraftstoffleitungen, Gleitlager, Zahnräder, Laufrollen, Maschinenteile, Zahnbürsten, Kellen, Löffel, usw., usw. Einsatzbereich bis ca. 150°C. Heutige Produktion: 6,4 Mio. t, und zwar 67% PA6 und 33% PA66, also mehr von Schlacks als von Carothers Erfindung.
Paul Schlacks Jugend und Werdegang
Das Perlon - die ganze Geschichte
Was wurde aus Schlacks Erfindung?