Die erste Elektrolokomotive der Welt. Er war schon 62 Jahre alt, als seine Firma Siemens & Halske in Berlin 1879 die erste kleine Elektro-Lokomotive der Welt mit der Werksnummer 1 für den Braunkohlenbergbau "Stadtgrube" in Senftenberg baute. Die Rede ist von Werner von Siemens (*1816 Lenthe, †1892 Berlin). Neben der Gewerbe-Ausstellung in Berlin wurde die Lok auch in Brüssel, London, Kopenhagen und Moskau gezeigt und ist seit 2007 in der Außenstelle Theresienhöhe im Deutschen Museum in München zu bewundern.

Die Entdeckung des dynamo-elektrischen Prinzips im Jahr 1866 war es, die Siemens auf die Idee brachte, dass der elektrische Strom anstelle des Dampfes als Lokomotiv-Antrieb benutzt werden könnte. Der Bergbau bot sich dafür zunächst am besten an: Der lästige und gefährliche Rauch der Dampfloks konnte vermieden werden, die zu verlegenden elektrischen Leitungen waren in ihrer Länge begrenzt, und die Energie stand auf Knopfdruck sofort zur Verfügung. Nach der Entwicklung des dynamo-elektrischen Prinzips schrieb Siemens: Die Technik hat jetzt das Mittel erworben, durch Aufwendung von Arbeitskraft elektrische Ströme jeder gewünschten Spannung und Stärke zu erzeugen. Dies wird für viele Industriezweige von großer Bedeutung werden.

Damit war das Tor zur erfolgreichen deutschen Elektrotechnik weit aufgestoßen. Werner von Siemens (1888 erhielt er vom Kaiser für seine Verdienste den erblichen Adelstitel) war Gelehrter und Techniker zugleich, und hat als einer der ersten mit erfindungsreichem Geist den elektrischen Strom der Menschheit dienstbar gemacht, so steht es auf der Erinnerungstafel in der Ruhmeshalle des Deutschen Museums in München.

Jugend und Werdegang. Werner, das vierte Kind eines Gutspächters in Niedersachsen, hatte noch neun Geschwister, die die Kindheit überlebten. Die Kinder mussten schon in frühester Jugend auf dem Hof mitarbeiten, da dem Vater in landwirtschaftlich sehr schwerer Zeit der Erfolg weitgehend versagt blieb. Werner wurde von einem tüchtigen Hauslehrer unterrichtet, der es sehr gut verstand, ihm erreichbare Ziele zu setzen, seine Tatkraft und seinen Ehrgeiz zu wecken und aus dem verwilderten, arbeitsscheuen Jungen einen eifrigen Schüler zu machen. So bestand er das Eintrittsexamen am Lübecker Gymnasium, das hohes Ansehen genoss. Werner war 23 Jahre alt, als die Eltern starben, so musste er für seine Geschwister schon als junger Mann Verantwortung übernehmen. Zu Werners Ärger setzte das Gymnasium den Schwerpunkt auf die alten Sprachen. Da sein Herz sehr für Mathematik, Physik und Chemie schlug, verließ er die Schule ohne Abschluss und machte sich zu Fuß auf den Weg über staubige Chausseen nach Berlin, um sich um einen Platz auf der Artillerie- und Ingenieurschule zu bewerben.

Der Weg zur Technik führt über das preußische Militär. Alle Plätze waren dort besetzt, kein Grund für Werner, die Flinte ins Korn zu werfen, denn er war von früher Jugend an gewöhnt, sich Schwierigkeiten mutig entgegen zu stellen. Frohen Mutes ging er weiter nach Magdeburg, um den notwendigen Militärdienst zu absolvieren; auch dort war der Andrang groß, doch er bestand das Examen bestens... und war damit Soldat in der preußischen Armee. Nach Ableistung des Rekrutendienstes erhielt er 1835 das ersehnte Kommando zur Artillerie- und Ingenieurschule in Berlin. Er beschreibt die Jahre bis 1838 als die glücklichsten seines Lebens: Endlich Mathe, Physik, Chemie, eine neue, interessante Welt eröffnete sich ihm. Die Liebe zu diesen Wissenschaften ist ihm ein ganzes Leben hindurch treu geblieben und bildete die Grundlage für die späteren Erfolge.

Er wurde nach Wittenberg versetzt und beschäftigte sich wissenschaftlich mit galvanischen Überzugsverfahren für Metalle. Er musste in einer vergitterten Gefängniszelle einsitzen, weil er bei einem unerlaubten Duell als Sekundant gedient hatte. Da benutzte er kurzerhand die Zelle als Chemielabor, und hier gelang ihm zu seiner größten Freude die elektrolytische Verwandlung eines Silberlöffels, dessen Oberfläche nach wenigen Minuten in schönstem Golde glänzte.

Wieder in Berlin, widmete er sich als preußischer Offizier wissenschaftlichen Studien, besuchte Vorlesungen an der Universität, schloss sich der Physikalischen Gesellschaft an und der Polytechnischen Gesellschaft. Er stellte fest, dass die meisten Wissenschaftler es nicht mit ihrer Würde vereinbaren konnten, in die Niederungen der Technik hinab zu steigen. Ihm wurde klar, dass technischer Fortschritt und damit die Industrialisierung nur durch Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse unter den Technikern erzielt werden kann.

Bild 2. Signalarme des optischen Telegrafen 1833, im Dienste der preußischen Armee. Wirksam über große Entfernungen...bei klarem Wetter.

Leutnant Siemens erfindet den Zeigertelegrafen. Beim Generalstab der Armee ging es jetzt um die Frage, ob man die optische Telegrafie durch ein elektrisches System ersetzen könnte. Siemens erblickte in der Aufgabe eine große Herausforderung, die doch lösbar sein sollte. Die optische Telegrafie war zwar besser als Rauch- und Feuerzeichen vergangener Zeiten und Völker, aber sie basierte auf der Zeichenübermittlung mit Hilfe von drei schwenkbaren, an einem hohen Mast angebrachten Signalarmen, womit je nach Position anhand eines Codes unterschiedliche Buchstaben bis zur nächsten sichtbaren Station signalisiert werden konnten. Bei Nacht und Nebel waren jedoch Nachrichtenübermittlungen unmöglich. Die militärische Operation musste also auf besseres Wetter hoffen.

 

 

 

Bild 3. Der Siemens-Zeigertelegraf von 1847, schnell wie Klaviertasten, hatte nur eine Leitung für die Übertragung. Beim Sende-Gerät wird eine Buchstaben-Taste gedrückt, automatisch werden soviele Stromstöße abgegeben, bis der Zeiger beim Empfangsgerät in der gleichen Position steht. Erster Einsatz auf der Leitung Berlin-Frankfurt 1849, um Infos über die erste deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche zu bekommen.

 

 

Bild 4. Der Mechaniker Johann Georg Halske wurde Siemens´ Partner, der seine Ideen ausführungsreif machte.

Siemens probierte erst mal den Wheatstone´schen Zeigertelegrafen aus... mit sehr unbefriedigendem Erfolg: Die von einer Handkurbel erzeugten Stromimpulse waren zu schwach und unregelmäßig. Er erfand den neuen selbsttätig laufenden Zeigertelegrafen, basierend auf einem Zeiger, der manuell eingestellt wird; eine Verstellung des Zeigers bei dem sendenden Apparat führt zu einer entsprechenden Verstellung des Zeigers bei dem empfangenden Gerät; so können unkompliziert die einzelnen Buchstaben eines Textes übermittelt werden. Nach jedem Tastendruck wird der Strom automatisch unterbrochen. Mein Telegraph gebraucht nur einen Draht, kann dabei mit Tasten wie ein Klavier gespielt werden und verbindet mit der größten Sicherheit eine solche Schnelligkeit, dass man fast so schnell telegraphieren kann, wie die Tasten nacheinander gedrückt werden, sagte Werner Siemens.

Bild 5. Das erste Logo der neuen Firma, die einmal deutsche Elektrotechnik-Geschichte schreiben sollte. Heute 360 000 Mitarbeiter weltweit mit 73 Milliarden € Umsatz.

 

Die Ausführung übertrug er dem jungen Mechaniker Johann Georg Halske, der in Berlin eine kleine Werkstatt betrieb. Nach anfänglicher Skepsis war Halske begeistert und gründete am 1. Oktober 1847 mit Werner Siemens die neue Firma "Telegraphen Bau-Anstalt von Siemens & Halske" in Berlin, Schöneberger Straße 19.

 

Bild 6. Die Guttapercha-Presse zur nahtlosen Ummantelung des Telegraphendrahtes unter hohem Druck.

 

Der Leutnant verlegt Telegrafenlinien. Siemens gehörte der (militärischen) Kommission des Telegraphenwesens an, die jetzt die Entscheidung fällte, die Leitungen unterirdisch zu verlegen. Siemens entwickelte eine Presse für die nahtlose Ummantelung des Drahtes mit Guttapercha, dem eingetrockneten Milchsaft des malaiischen Guttaperchabaumes, einer Kautschuk ähnlichen Substanz, die bei 50° gut knetbar wird und eine gute Dauerisolierung des Kupferdrahtes ergab. Eine erste unterirdische Leitung zwischen Berlin und Großbeeren mit den patentierten Zeigertelegrafen arbeitete mit hoher Geschwindigkeit und großer Zuverlässigkeit. In einem Vortrag vor dem späteren Kaiser Friedrich setzte sich Siemens für die zivile Nutzung der Telegrafie ein, ihr stünde eine große Zukunft bevor, wenn man sie zum Allgemeingut des Volkes machte.

Zunächst musste er noch als preußischer Offizier im deutsch-dänischen Krieg eine tragende Rolle übernehmen. Er ließ sich 1848 vom Generalstab nach Kiel beordern, um den Hafen mit von ihm konstruierten Unterwasserminen gegen die dänische Flotte zu verteidigen. Dies gelang ihm auch, nachdem die Dänen die Wirkung einer unfreiwilligen Detonation einer Mine beobachtet hatten.

Nach dem Krieg wurde die Telegrafie dem Handelsministerium unterstellt, und Siemens & Halske bekam den Auftrag, eine Telegrafenlinie von Berlin nach Frankfurt zu bauen, wo die Nationalversammlung tagte. Es gab sehr große Schwierigkeiten technischer und politischer Natur (Deutschland war noch kein Staat!). Doch diese erste längere Leitung ganz Europas konnte im Winter 1849 in Betrieb genommen werden, und die in Frankfurt erfolgte Kaiserwahl war noch in derselben Stunde in Berlin bekannt.

Bild 7. Siemens im Jahr seiner Heirat mit Mathilde Drumann in Königsberg, 1852.

 

Um sich mit ganzer Kraft seinen wissenschaftlichen und technischen Aufgaben zu widmen, nahm er 1849 seinen Abschied vom Militär. Jetzt mit 33 Jahren beginnt das Erfindergehirn Siemens seine volle Leistung zu entfalten. Die Zahl der Mitarbeiter von Siemens und Halske beträgt 25. In den Jahren 1853-55 baut die Firma große Telegrafenlinien in Russland: Warschau-St.Petersburg, Moskau-St.Petersburg, Moskau-Kiew-Sewastopol.

Trotz der gewaltigen Länge funktionierten die russischen Telegrafenlinien zur großen Zufriedenheit, da das Werk von Siemens & Halske in St. Petersburg auch für die Verwaltung und Wartung verantwortlich war (die sog. Remonte). Die Siemens-Leute erhielten das Recht, Uniformen und Rangabzeichen zu tragen, da die russische Bevölkerung nur die Träger von Uniformen respektiert, wie Siemens in seinen Erinnerungen schreibt. Siemens ließ in Berlin schöne Uniformen entwerfen mit auf den Achselklappen angebrachten goldenen Raupen. Der Zar genehmigte sie persönlich. Siemens versichert auch in seinen Erinnerungen, dass in Russland keine Bestechungen gezahlt wurden, da die Auftragsverhandlungen stets mit den höchsten Staatsbehörden geführt wurden.

Der große Wurf: das dynamo-elektrische Prinzip. 1866 erfindet Siemens das dynamo-elektrische Prinzip, das wie keine andere Erfindung die Stromerzeugung und die Antriebstechnik in der Industrie und im gesamten öffentlichen Leben revolutionieren sollte. Dahinter verbirgt sich "Die Umwandlung von Arbeitskraft in elektrische Ströme ohne Anwendung permanenter Magnete", wie seine der Königlichen Akademie der Wissenschaften vorgetragene Abhandlung lautete. 1867 wurde auf der Pariser Weltausstellung der erste Generator der Welt ausgestellt. Elektrische Ströme jeder gewünschten Spannung und Stärke und Rückverwandlung dieser Ströme in Arbeitskraft elektrischer Motoren ... das war die Grundlage der modernen Starkstromtechnik, aus der ein mächtiger Industriezweig erwuchs. Parallel zur Dampfmaschine war das die zweite Kraftmaschine, die der Industrie zu ungeahntem Aufschwung verhalf (die dritte, der Verbrennungsmotor kam ein paar Jahre später).

Bild 8. Siemens´ größte Erfindung: Das dynamo-elektrische Prinzip. Das Faradaysche Induktionsgesetz (Bewegung eines elektrischen Leiters in Magnetfeld erzeugt Strom) erhielt jetzt seine praktische Bedeutung. Wird der Anker gedreht, fließt sofort in der Wicklung ein Strom infolge des Restmagnetismus im Eisen der Polschuhe. Der erzeugte Gleichstrom wird durch die Wicklung des Elektromagneten geschickt, Restmagnetismus und in der Ankerwicklung induzierte Spannung werden erhöht bis zu einem Grenzwert, der von der Drehzahl des Ankers abhängt. In Selbsterregung schafft sich der Generator so sein eigenes Magnetfeld, ohne Verwendung eines besonderen Dauermagneten, dessen Leistung eng begrenzt ist und ohne dass für die Anfangserregung von außen elektrischer Strom zugeführt werden muss.

 

 

Bild 9. Nach 100 Jahren wird an die große Erfindung erinnert. Die gestrichelte Linie ist der Verbraucher.

 

Demonstration des dynamo-elektrischen Prinzips im Deutschen Museum München. Bild 10a (links): Der Generator treibt den baugleichen Motor. Bild 10b (rechts): Der Generator speist eine Glühlampe. Maschinen haben Trommelanker (statt Doppel-T-Anker).

Die Voraussetzungen für den Elektro-Großmaschinenbau waren geschaffen. Die Maschine funktionierte nicht nur als Generator, sondern auch als Motor. Legte man an die beiden Anschlussklemmen der Maschine eine Gleichspannung, so lief sie als Motor und konnte zum Antrieb von Arbeitsmaschinen verwendet werden. Die Fabriken erhielten mit dem Elektromotor endlich eine langersehnte Antriebsmaschine, die viel praktischer, bequemer und Energie effizienter war als die Dampfmaschinen. Es dauerte nicht lange, bis der Elektromotor die alten Wasserräder, Windräder und Dampfmaschinen verdrängt hatte und die führende Stellung unter den Antriebsmaschinen einnahm.

Tiefsee-Telegrafenkabel. Wenn die unterirdischen Telegrafenkabel so gut funktionierten, müsste doch die unterseeische Verlegung ebenso klappen! Das Guttapercha war jedenfalls schon Seewasser tauglich befunden worden. Die Engländer fingen damit 1850 an und fielen zunächst auf die Nase mit dem Kabel zwischen Dover und Calais. Sie wollten das Hauruck-Verfahren anwenden, obwohl die wissenschaftlich-technischen Grundlagen dafür noch nicht feststanden. Auch der Versuch, ein schweres Kabel von Sardinien nach Algerien zu verlegen ging schief, da die Bremseinrichtungen der Kabeltrommel beim Eintritt in tiefes Wasser nicht ausreichten und das ganze Kabel unaufhaltsam in die Tiefe rollte. Es war eben nicht ausreichend, die Praxis von mal zu mal zu verbessern, ohne die physikalische Theorie zu beachten. Sie kamen an einen Punkt, wo es so nicht weiter ging. Das Kabel riss zweimal. Da riefen sie den deutschen Ingenieurforscher um Hilfe. Werner entwickelte seine Theorie und Technik, wie man Seekabel zu verlegen habe, präzise, logisch, rasch und einfallsreich, ganz in der Art eines technischen Genies. In den Grundzügen sind seine Anweisungen aus dem Jahr 1857 heute noch gültig. Die Fa. Newall & Co. schloss mit Siemens & Halske einen Vertrag. Werner stellte zuallererst die physikalischen Grundlagen sicher. Meerestiefe, Kabelgewicht im Wasser, Schiffsleistung, Schiffsgeschwindigkeit, Bremskraft ... alle Parameter mussten miteinander in Beziehung gebracht werden. Die Bremskraft muss so groß sein wie die Gewichtskraft eines senkrecht zum Meeresboden hinabreichenden Kabelstücks im Wasser, das war die Quintessenz seiner Seekabellegungstheorie. Auch seine Methode der Suche von Kabelfehlern mit Hilfe von Widerstandsmessungen war "wasserdicht". Und damit ging die Verlegung im Mittelmeer bei 3000m Wassertiefe zur Freude aller über die Bühne. Die pragmatisch-sachbezogene Arbeitsweise der Angelsachsen und die wissenschaftliche Methodik der Deutschen... sicherlich ein starker Gegensatz, die Kombination beider führt zu optimalen Ergebnissen.

Bild 11. Siemens-Erdtelegrafenkabel, Rheinlandkabel Berlin-Köln, Abschnitt Berlin-Hannover, 52 Doppeladern, 1912. Ummantelt mit eingetrocknetem Milchsaft des malaiischen Guttaperchabaumes.

Bild 12. So sahen die Unterwasserkabel aus, 1853 bis 1863. Länge 40 bis 600 km, zwischen England und Frankreich, Belgien, Deutschland.

Bild 13. Die 10000km lange Telegrafenlinie der Gebrüder Siemens von London nach Kalkutta, gebaut 1867-69.

 

Die Indo-Europäische Telegrafenlinie. Mit diesen und noch vielen anderen gesammelten Erfahrungen fassten 1867 die Brüder Werner, Wilhelm und Carl den kühnen Plan, eine Telegrafenlinie von London nach Kalkutta zu planen und zu bauen, um eine schnelle und sichere Korrespondenz zwischen Großbritannien und seiner indischen Kolonie zu ermöglichen. Die Linie verlief von London durch die Nordsee über Berlin, Warschau, durch Russland, zur Krim, teilweise durchs Schwarze Meer, durch den Kaukasus, über Teheran, durch den Persischen Golf, Karachi, quer durch den indischen Subkontinent bis Kalkutta. Es erübrigt sich hier, von den unzähligen vertraglichen, rechtlichen, politischen und technischen Schwierigkeiten zu berichten. Das Siemens´sche Kabel- und Apparatesystem löste die Aufgabe vollständig, und es erregte in London ein gewaltiges Aufsehen, als bei den ersten offiziellen Versuchen London mit Kalkutta so schnell miteinander sprechen konnte wie zwei benachbarte englische Telegrafenstationen.

 

Bild 14. Der große Saal des Haupt-Telegrafenamts Berlin in der Französischen Straße, 1908, Gemälde von Otto Antoine. Es war das Nervenzentrum der Kommunikation über die Telegrafenlinien.

 

Bild 15. Der Kabeldampfer "Faraday" der Gebrüder Siemens, 5000 BRT, geplant und gebaut nach ihren Ideen, legt 1874 das erste Unterseekabel von Irland in die USA. Stapellauf in Newcastle, im Einsatz bis 1922, verlegte insgesamt 60000 km Kabel.

 

Bild 16. Das erste Kraftwerk der Welt. Die Generatoren von 1878 im Schloss Linderhof - Siemens-Technologie nicht für die Industrie, sondern für die Lichtinstallationen des abgehobenen Märchenkönigs. Ankerwellen, Polschuhe und zylinderförmige Wicklungen der Elektromagnete sind deutlich zu erkennen, außerdem die Transmissionswelle (oben im Hintergrund) der antreibenden Kraftmaschine mit den Riemenantrieben für jeden einzelnen Generator.

 

Bild 17. Berliner Erinnerungstafel für das erste öffentliche Kraftwerk 1885.

 

Bayerns Märchenkönig betrieb das erste Elektrizitätswerk der Welt - im Schloss Linderhof. Die Erfindung des dynamo-elektrischen Prinzips war die Initialzündung für den Bau von Kraftwerken. Man mag es kaum glauben: Am Anfang stand die Vision eines Märchenkönigs. 24 Generatoren im Maschinenhaus von Schloss Linderhof erzeugten nach dem Siemens´schen Prinzip ab 1878 elektrischen Strom für die von Ludwig II. erträumte, sagenhaft strahlende Farbenpracht in der Venusgrotte. Die Gesamtanlage ist damit das erste fest installierte Kraftwerk der Welt, wenn auch nur für einen "Kunden", König Ludwig II. Im Mai 2011 beging die Firma Siemens dort einen Festakt zur Erinnerung an diese Pioniertat. Das erste öffentliche deutsche Elektrizitätswerk ging 1885 in Berlin in Betrieb. Es folgten München, Darmstadt bis 1888. In den Folgejahren entstanden viele E-Werke, die bis zur Jahrhundertwende ganz Deutschland versorgten.

 

Bild 18. 1879 - das Geburtsjahr der Elektrolokomotive, Vorführung auf der Gewerbeausstellung in Berlin. Der Fahrer reitet die Lok wie ein Pferd.

 

Der Querdenker Siemens erfindet die Elektrolokomotive. Mit dem Dynamo lassen sich nicht nur Beleuchtungen sondern auch Elektromotoren betreiben, überall dort, wo bisher Dampfmaschinen im Einsatz waren. Ein wahres Füllhorn von Anwendungen öffnete sich in Industrie, Landwirtschaft und zuallerst im Verkehrswesen. Die "Ideenschmiede Werner Siemens" lief auf vollen Touren. Im Alter von 63 baut er die erste Elektrolokomotive der Welt, eine kleine Grubenlok für den Senftenberger Kohlebau, die mit ihren 2 kW Leistung einige Loren ziehen konnte. Der Strom von 100 Volt Spannung wurde über die beiden Schienen zugeführt. Zunächst wurde die Bahn auf der Gewerbeausstellung 1879 in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt; dort beförderte sie während der Ausstellung 100 000 Fahrgäste auf drei mit Sitzbänken versehenen Wagen. Das Ereignis war eine Sensation, die noch hundert Jahre später gewürdigt wird.

Bilder 19-22. So wird nach 100 Jahren der revolutionären Erfindung in aller Welt gedacht. Das Foto (Bild 18) wurde auf Briefmarken übernommen.

 

Bild 23. Einblick in die erste E-Lok. Oben die Motorwelle mit der Ankerwicklung. Zahnräder übertragen das Drehmoment auf die Radwellen. Die seitlich herausstehenden Elektromagnete sind ebenfalls zu sehen. Der Verstellhebel regelt die Geschwindigkeit und ist gleichzeitig Bremse.

 

Die Technik der ersten Elektrolok. Die Motorachse liegt in Längsrichtung. Deswegen ragen die beiden Elektromagnetwicklungen an beiden Seiten quer aus der Lokomotive heraus. Die Übertragung der Motorkraft auf die Räder erfolgte über Zahnräder. Das Getriebe war ein Wendegetriebe. Siemens wusste damals noch nicht, dass sich die Drehrichtung durch Vertauschen der Stromanschlüsse am Kommutator umkehren ließ. Der Motor wurde mit dem Stellhebel bedient. Durch langsames Zurücklegen des Hebels wurden die Vorwiderstände allmählich kurzgeschlossen. Wurde der Hebel ganz nach vorne gedrückt, drückte er den hölzernen Bremsklotz an die Lauffläche des Rades. Geschwindigkeit 13 km/h ohne Wagen, mit drei Wagen und 18 Passagieren 7 km/h.

 

Bild 24. 1881: Die erste elektrische Straßenbahn der Welt - in Berlin-Lichterfelde.  Bild 25. Berlin Alexanderplatz 1903 - neben der Straßenbahn fährt noch die alte Pferdebahn.

Warum widmet Werner von Siemens in seinen ab 1889 verfassten, 300 Seiten umfassenden Lebenserinnerungen gerade mal drei Seiten der dynamo-elektrischen Maschine und warum erwähnt er die Elektrolokomotive fast gar nicht? Warum befasst er sich über hunderte von Seiten mit seiner Telegrafie und der Telegrafenkabelverlegung? Es steht zu vermuten, dass er die 1887 von Heinrich Hertz entdeckte Ausbreitung der elektromagnetischen Wellen durch den freien Raum, ohne an metallische Drähte gebunden zu sein, in seinen letzten Lebensjahren nicht mehr richtig realisierte. Danach müsste es ihm eigentlich klar geworden sein, dass die Übermittlung von Informationen über Kabel früher oder später der drahtlosen Funktelegrafie weichen müsste. Sah er nicht, dass sein dynamo-elektrische Prinzip viel größer in seiner Bedeutung war, dass mit der Elektrifizierung der gesamten Industrie, des Handwerks, der Infrastruktur, der Privathaushalte die nachhaltige Grundlage für Deutschlands Aufstieg in die Riege der entwickelten Länder geschaffen war?

1880 führte Siemens den ersten elektrischen Fahrstuhl auf der Mannheimer Industrieausstellung vor. 1881 baute er die erste elektrische Straßenbahn der Welt; sie fuhr auf einer 2,4 km langen Strecke in Berlin-Lichterfelde. 1882 beleuchtete er mit seinen Bogenlampen den Potsdamer Platz; der Strom kam von einer Zentrale in der Wilhelmstraße, wo vier Dynamomaschinen von einem Otto-Gasmotor angetrieben wurden. 1882 wird die erste elektrische Grubenbahn nach Sachsen geliefert. 1883 wird ein Vertrag zwischen der Deutschen Edison-Gesellschaft und Siemens & Halske geschlossen; daraus geht vier Jahre später die AEG hervor. 1887 nimmt die auf Werners Vorschlag und mit seiner Hilfe gegründete Physikalisch-Technische Reichsanstalt ihre Tätigkeit auf. 1888 wird Werner von Kaiser Friedrich III geadelt. 1890 übergibt er die Leitung seiner Firma seinem 13 Jahre jüngeren Bruder Carl und seinen Söhnen Arnold und Wilhelm. Am 6.12.1892 stirbt der große deutsche Erfinder in Berlin-Charlottenburg; seine letzte Ruhe findet er auf dem Südwestfriedhof Stahnsdorf bei Berlin. Ein Mann, der wahrlich unser aller Leben bis in die kleinsten Einzelheiten verändert hat.

Bilder 26-28. Die Deutsche Post ehrt Werner von Siemens - 1952, 1966, 1992.

Bild 29. Werner von Siemens´ Grabrelief auf dem Stahnsdorfer Friedhof.  Bild 30. Auszeichnung in der Ehrenhalle des Deutschen Museums in München.

Was bleibt vom Menschen Werner von Siemens und vom Vollblutingenieur, der noch nicht mal ein akademisches Studium absolvierte? Er selbst sah sich in seinem Wesenskern als Forscher, seine Zeitgenossen mehr als einfallsreichen Techniker und großen Unternehmer mit hohem sozialen Verantwortungsgefühl für die ihm anvertrauten Menschen, mit der Gabe, das jeweils Richtige und Zukunftssichernde zu tun. Die Art, wie er Probleme anging, hat uns auch heute noch sehr viel zu sagen. Er selbst warnte vor der Überschätzung der reinen Erfindungsidee. Ihre Durchführung ist die eigentliche Leistung, und dazu gehören in erster Linie Geduld und Charakter. Und den hatte er. Als er 1874 in die Preußische Akademie der Wissenschaften aufgenommen wurde, sagte sein Freund Du Bois-Reymond: Die Liebe zum Phänomen, die Treue zum Experiment, die Unbefangenheit zur Theorie, die Begeisterung für die reine Wissenschaft... das stempelt ihn zum wahren Akademiker.

 

Nachtrag

Optischer Telegraf auf dem Marienberg in der Stadt Brandenburg

Bild 31, 32, 33. Gut erhaltener optischer Telegraf, sechs Seilrollen steuern die drei Doppel-Signalarme.

Bild 34, 35. Eine ausdrucksvolle Siemens-Büste im Brandenburg-Preußischen Museum Wustrau/Brandenburg.

 

Bildnachweis.

Bild 1: Werner Siemens, preußischer Seconde-Leutnant, der Vater der Elektrotechnik, 1843, und Bild 7: Aus den "Nachrichten der Familie Siemens" 1992. Bild 2: Public domain. Bild 3: Eigenes Foto im Deutschen Technikmuseum Berlin, 8/2013. Freundliche Genehmigung für heureka-stories.de vom 2.9.2013 von Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin, Abt. Presse- und Oeffentlichkeitsarbeit, http://www.sdtb.de/. Auch rückwirkende Genehmigung für früher gemachte eigene Bilder. Bild 4, 5: Urheberrecht abgelaufen. Bild 6, 8, 13, 15, 24: Aus W. v. Siemens "Lebenserinnerungen", Prestel Verlag München, 1956, mit eig. Ergänzungen. Bild 9: Public domain. Bild 10a,b, 30: Eigene Fotos am 1./2.8.2011 im Deutschen Museum München, Gestattungsvertrag für Bildaufnahmen vom 12.7.2011. Bild 11, 12, 14: Eigene Fotos 10.8.2012 im Museum für Kommunikation Berlin, Zustimmung für Veröffentlichung in heureka-stories.de erteilt. Bild 16: Pressebild Deutsches Museum München/ Bayerische Schlösser- und Seenverwaltung​, Reference Number: SOAXX201117-05. Bild 17: Wikipedia, GNU free Licence, Urheber OTFW. Bild 18: Wikipedia, Urheber WHell, Schutzfrist abgelaufen. Bild 19-22:Public domain. Bild 23: Schutzfrist abgelaufen. Bild 25: Schutzfrist abgelaufen. Bilder 26-28: Public domain. Bild 29: Wikipedia, Urheber Membeth, gemeinfrei. Bild 31-33: Eigene Fotos Marienberg/Brandenburg, Aug. 2015. Bild 34, 35: Eigene Fotos im Brandenburg-Preußischen Museum Wustrau/Brandenburg, Aug. 2015