Der Brandenburger Oskar Barnack (*1879 Lynow, †1936 Bad Nauheim) ist der Erfinder der legendären Leica. Als Ernst Leitz in Wetzlar den Fotoapparat 1925 auf der Leipziger Messe ausstellte, wurde das kleine Ding als Spielzeug verspottet, war es doch die Zeit der schweren Plattenkameras, so groß wie eine Aktentasche, montiert auf Holzstativen. Die neue Kleinbildkamera wurde zu einem Verkaufsschlager, zum Handwerkszeug des modernen Bildjournalismus, zum Ferrari der Fotografen.

Wie war der Stand der Fotografie im Jahre 1913, dem Jahr der Erfindung der Kleinbildkamera? Oskar Barnack war ein leidenschaftlicher Fotograf. Er hatte eine Plattenkamera, dazu gehörte ein Satz Doppelkassetten und das schwere Holzstativ. Mehr als 5 kg musste man schon tragen, um zwölf Aufnahmen zu machen.

Bild 3. Typische Studio-Plattenkamera um 1900. Bild 4. Englische Plattenkamera für Bildformat 82x108 mm, ca. 1907. Die Gleitschiene auf dem Laufboden dient der horizontalen Verschiebung der Objektiv-Standarte, die mit einer Schraubkurbel fixiert wird. Der Lederbalg passt sich der Verschiebung an. Das Objektiv kann auch nach oben verschoben und gekippt werden, damit fliehende Linien bei Gebäudeaufnahmen ausgeglichen werden können, Fixierung durch Muttern in den senkrechten Gleitschienen. Die Kamera wurde bis in die 1960er benutzt.

Wie lief eine Aufnahme ab? Geeignetes Motiv suchen, Aufstellen des Stativs auf festem Untergrund, Aufschrauben der Kamera, Frontklappe mit der Führungsschiene öffnen, Objektivstandarte mit dem Balg herausziehen, diese anhand der Meterskala am Laufboden auf die Motiventfernung einstellen, Verschluss öffnen, Mattscheibe einschieben, Einstellung der Schärfe anhand des umgekehrten Mattscheibenbildes mit dem Kopf unter einem schwarzen Tuch, Schätzen der Belichtungszeit, Verschluss schließen, Einstellen der Belichtungszeit, Spannen des Verschlusses, Entfernen der Mattscheibe, Einschieben der Plattenkassette, Herausziehen des Abdeckschiebers der Kassette, Emulsionsseite der Platte jetzt gegen die Linse geöffnet, Verschluss auslösen, Abdeckschieber wieder einstecken, Herausnehmen der Kassette, Mattscheibe einschieben, Grundeinstellung der Kamera wiederherstellen, Abschrauben vom Stativ, Einpacken, neues Motiv suchen. 15 Minuten musste man für diese Prozedur schon aufwenden. Jede Kassette enthielt zwei Glasplatten mit der lichtempfindlichen Emulsion, durch Umdrehen und erneutes Einschieben konnte man noch eine zweite Aufnahme machen. Die Glasplatten gab es in lichtdichten Verpackungen, in der Dunkelkammer entnahm man zwei Stück und steckte sie in die Kassette. Die belichteten Platten nahm man in der Dunkelkammer aus der Kassette, um sie zu entwickeln.

 

Bild 5. Die Glasplattenkamera wurde durch die Planfilmkamera ersetzt. Der Planfilm bestand aus ebenem Zelluloid. Das Zinnfiguren-Männchen hat ein Tuch über dem Kopf, mit dem die Schärfe auf der Mattscheibe kontrolliert und mit dem waagerechten Rändelrad unten nachreguliert wurde. Im Bild eine Voigtländer-Planfilm-Kamera von 1925, Format 9x12, Objektiv Voigtar 1:4,5, F=13,5 cm. Der große Bügel ist ein Klapprahmensucher.

Von der Glasplatte zum Planfilm zum Rollfilm. Bis nach dem ersten Weltkrieg waren die Glasplatten als Schichtträger der Emulsion im Einsatz, aber für die Massenfotografie viel zu umständlich, auch die Handhabung mit dem Planfilm anstelle des Glases. In den USA bekam 1887 Hannibal Goodwin ein Patent auf den biegsamen 70-mm-Rollfilm auf durchsichtigem Zelluloid, den 1893 George Eastman (Kodak) zu einem 35-mm-Rollfilm halbierte und als Kinofilm einführte. Daraus entstand die Rollfilm-Fotokamera, die statt der Plattenkassette einen Vorrat von bis zu 16 Aufnahmen hatte, im Format 125x100 und 45x60 mm. Die Breite des Films betrug 140 und 70 mm. Die Fotoapparate glichen den Plattenkameras, hatten noch die Verschiebeoptik auf dem Laufboden und den Balg. 

Barnacks revolutionäre Idee. Der Erfinder der Leica entwickelt die neue Kamera nicht als Auftragsarbeit, sondern fast wie ein Hobbybastler. Er schrieb: Meiner Vorliebe für Ungewöhnliches und Neuartiges ließ ich völlig freien Lauf. Ich war nicht gebunden durch irgendeinen Auftrag oder in einer bestimmten Richtung, wie es in einem modernen Konstruktionsbüro üblich ist, sondern es war mehr private Liebhaberei. Indem ich so unbekümmert Althergebrachtes gehen ließ und fast nichts von dem verwandte, was bisher unbedingt zu einer guten Photo-Kamera notwendig war, entstand dieser neuartige Kamera-Typ. Das war 1913.

Barnacks Idee war nun, den 35-mm-Kodak-Rollfilm für seine Kleinbildkamera zu benutzen; dazu verdoppelte er das Kino-Einzelbild-Format von 18x24 mmm auf 24x36 mm. Er hielt das Seitenverhältnis von 2:3 für zweckmäßig und schön, da es dem goldenen Schnitt nahe kommt (goldener Schnitt: Die kleine Seite des Rechtecks verhält sich zur großen Seite wie die Große Seite zur Summe beider Seiten). Nach dieser Festlegung konnte er sich der eigentlichen Konstruktion der Handkamera zuwenden.

Bild 6. Aus dem Kinofilm-Format von Kodak machte Barnack das Kleinbild-Format 24x36, indem er die Filmbreite von 35 mm beibehielt. 25,4 mm = 1 Zoll (inch).

Es ist nun weit verbreitet, dass Barnack keinen fotografischen Apparat, sondern ein Belichtungsgerät für eine Kinokamera entwickeln wollte. Ulf Richter schreibt in seinem Buch "Oskar Barnack - von der Idee zur Leica", Wetzlar 2009, dass diese These sich nicht mit Barnacks eigenen Entwicklungsnotizen vereinbaren lässt. Die Eintragungen im Werkstattbuch sagen eindeutig, dass es eine unabhängige Entwicklungslinie war.

Wie soll der neue Apparat aussehen? Um den Fotoapparat klein, einfach, schnell und robust zu machen, setzte er sich folgende Vorgaben (heute sagt man "Spezifikation"): Bildformat 24x36 mm, 50 Bilder auf einem Film, Objektiv im Tubus herausziehbar, Schlitzverschluss (Der Schlitzverschluss befindet sich unmittelbar vor dem Film im Kameragehäuse und wird durch zwei waagerechte Verschlussvorhänge, gebildet. Nach der Auslösung gibt der erste Vorhang den Film zur Belichtung frei. Ist die gewünschte Belichtungszeit erreicht, deckt der zweite Vorhang den Film wieder ab, indem er dem ersten Vorhang in der Bewegung folgt). Ein Zentralverschluss zwischen den Linsen kam nicht in Frage, da er zu viel axialen Platz verbrauchen und ein Einschieben des Objektivs in den Kamerakörper unmöglich machen würde. (Der Zentralverschluss befindet sich typischerweise „zentral“ zwischen den Linsen des Objektivs und besteht aus mehreren konzentrisch um die optische gruppierten Lamellen, die nach dem Auslösen des Fotoapparates synchron aus dieser Achse zurückschnellen und den Weg des Lichts auf den Film freigeben).

Aus dieser Spezifikation resultierten durch Konstruktion von innen nach außen die Abmessungen der Kamera. Die Länge ergab sich aus dem Bildformat von 36 mm, den Durchmessern der zwei Schlitzverschlusswalzen, der Filmschaltrolle und der zwei Filmspulen, deren Durchmesser sich aus dem Spulenkern und dem aufgerollten Film von 1,9 m Länge (für 50 Aufnahmen bei 0,2 mm Filmstärke) errechnen ließ. Die Höhe ergab sich aus der Filmbreite von 35 mm (Bildformat 24 mm plus Perforation plus Randstreifen), Führungszapfen der Spulen und Platz für die Ratsche. Die Tiefe war durch die axiale Abmessung des vorliegenden Objektivs gegeben (ist nicht genau bekannt, wahrscheinlich das Summar 4,5/42mm von Leitz). Das Ganze in einem robusten Aluminiumguss-Gehäuse. Barnack ließ sich als Meister und Leiter der Versuchsabteilung das Gehäuse mit 2 mm Wandstärke nach seinen Maßangaben gießen. Und das waren die sich daraus zwangsläufig ergebenden Abmessungen der Ur-Leica von 1913: L=128 mm, H=53 mm, T=28 mm. Sie passte tatsächlich in eine Jackentasche! Quod erat demonstrandum.

Bild 7. Voilá, da ist sie, die allererste Kleinbildkamera der Welt, für das Format 24x36 mm, die Ur-LEICA von 1913, Schöpfung des genialen Oskar Barnack in Wetzlar. Der unförmige Klapprahmensucher stammt nicht von Barnack. Silbern: Bildzählwerk von 1 bis 50, darüber Rändelrad für die Drehung des Films. Fester Messingring mit Entfernungszahlen von 1,25 bis 10 m (sichtbar), danach noch unendlich; halbrunder Messingknopf stellt Objektiv auf Entfernung ein (steht auf ca. 7 m).

Bild 8. Eine schöne Replik der Ur-Leica, Baujahr unbekannt.

Gescheitertes Patent und Kriegsbeginn. Nach dem Werkstattbuch Barnacks ergibt sich eine Zeitspanne von Juni 1913 bis März 1914 für die Entwicklung der Ur-Leica. Ernst Leitz jun. (genannt Ernst Leitz II) meldet sie am 12. Juni 1914 zum Patent an. Er hatte mit einem weiteren Exemplar, dem "Prototypen 3" im Frühjahr 1914 eine USA-Reise gemacht, fünf Filmrollen zu je 50 Aufnahmen abfotografiert (die meisten Bilder sind erhalten), war sehr begeistert von dem kleinen Ding. Der Produktionsaufnahme stand nichts mehr im Weg. Oder doch? In Barnacks Werkstattbuch steht unter dem August 1914 lakonisch: KRIEG! Die europäischen Mächte setzten mal wieder auf Gewalt für die Lösung ihrer Probleme und versagten beim Krisenmanagement total. Dadurch musste die Serienfertigung des Wunderdings elf lange Jahre warten. Die Patentanmeldung wurde zurückgewiesen, weil sie nach Ansicht des Kaiserlichen Patentamtes ein Zeiss-Patent und ein französisches Patent berührte. Lediglich Gebrauchsmusterschutz wurde gewährt, der 1923 auslief. Nach Recherchen von Ulf Richter ist die Ablehnung des Patentes nicht gerechtfertigt, es handelt sich bei der Ur-Leica um eine ganz eigenständige Konstruktion. Der Erfolg spricht eine eindeutige Sprache: Von 1925 bis 1960 wurden 800 000 Leicas hergestellt und verkauft.

Unterbrechung für 6 Jahre. Es gab mit beginnendem Krieg andere Aufgaben. Die Firma Leitz wurde in die Kriegsproduktion einbezogen, hauptsächlich für Feldstecher und Artillerie-Messfernrohre. Erfahrene Facharbeiter wurden eingezogen, ungelernte Frauen mussten die Kriegsfertigung mehr schlecht als recht bewältigen. Barnack war wegen seiner labilen Gesundheit vom Wehrdienst befreit, hatte aber mehr als genug zu tun. Verbesserungen für seine Kleinbildkamera wurden von ihm auf viele Zettel notiert, immer mit Skizzen. Er dokumentierte das Kriegsgeschehen an der Heimatfront mit vielen Fotos, zuerst den Hurra-Patriotismus der ins Feld ziehenden Truppen, zum Schluss die geschlagenen heimkehrenden Soldaten. Das war Bildreportage in neuer Form mit Hilfe der handlichen, schnellen Kamera. Die Leica (noch hieß sie nicht so) wurde von Anfang an zum Maßstab.

Wie geht es nach dem Krieg weiter? Für die Fabrikationsreife mussten noch folgende Aufgaben gelöst werden: Konstruktion eines Entfernungsmessers (da die Mattscheibe entfallen ist), eines in der Schlitzbreite verstellbaren Rouleau-Verschlusses, von Kassetten, die Tageslichtwechselung des Films möglich machen, eines verbesserten Suchers und vor allen Dingen eines neuen Objektivs bester Qualität, das die 10-fache lineare Vergrößerung der Bildchen ermöglicht.

Bild 9. Der Abbildungsfehler "Astigmatismus" ist eine physikalische Eigenschaft einfacher Linsen.

Bild 10. Der Leitz-Anastigmat, 1920 patentiert, bestehend aus einem Paket von vier Linsen, die den Abbildungsfehler "Astigmatismus" beseitigten. Lichtstärke 1:3,5, Brennweite 50 mm. Lichtstärke eines Objektivs:  Quotient aus maximal möglichem Durchmesser der Eintrittspupille und der Brennweite. Eintrittspupille: reelle oder virtuelle Öffnung, die die in ein optisches System einfallenden Strahlenbündel begrenzt.

Das erste Objektiv für Barnacks neue Kamera. Ein erster wichtiger Schritt war die Entwicklung eines Objektivs speziell für die Leica. Das Summar war nur eine Behelfslösung, um überhaupt die Konstruktion der Kamera auf den Weg zu bringen. Barnack hatte schon auf die Mängel hingewiesen: mangelnder Kontrast, Randunschärfe. Dr. Max Berek (1886-1949), naturwissenschftlich gebildeter Optik-Spezialist entwarf und berechnete das Objektiv, genannt Leitz-Anastigmat, das die Leica-Kameras bis zur Serien-Nr. 279 ausrüsten sollte. Es ist ein Vierlinser, das den Astigmatismus ausschaltet, ein Triplet mit verkitteter Hinterlinse mit sechs Luft-Glas-Flächen; die optische Baulänge war kürzer als ein Drittel der Brennweite und konnte sehr gut mit dem Tubus in den Kamerakörper geschoben werden. Die Berechnung eines derartigen Objektivs war damals noch sehr aufwändig: Diverse Strahlengänge von Punkten nahe oder abseits der optischen Achse mussten für drei Wellenlängen und sieben brechende Flächen durchgerechnet werden, alles noch per Hand mit Hilfe von Logarithmentafeln. Optimierende Computer-Programme lagen noch in ferner Zukunft. Leitz erhielt das Patent Nr. 343086 auf den Anastigmat im Jahr 1920 zugesprochen. Er erhielt noch keinen Eigennamen, später wurden daraus das Elmax (nach Ernst Leitz, Max Berek) und das Elmar.

Soll die Kleinbildkamera in Serie produziert werden? Barnack bekam ein "Handmuster" mit dem neuen Objektiv. Er sammelte jede Menge Erfahrungen damit, führte Verbesserungen ein. Eine "Nullserie", d.h. Versuchsserie von 31 Stück wurde gefertigt. Hatte Barnack 1913 allein begonnen, so sind ab 1920 Ernst Leitz II und Max Berek mit im Boot. Ernst Leitz musste jetzt handeln. 1924 drohten die bisherigen Abnehmer seiner wissenschaftlichen Optik-Instrumente auszufallen. Sollte er das neue Wunderding als Serienfertigung einführen? Im Juni 1924 war die entscheidende Besprechung, die darüber Klarheit schaffen sollte. Anwesend waren Barnack, Betriebsdirektor Bauer, Berek, Verkaufsleiter Türk und Marketingleiter Becker. 1951, zu seinem 80. Geburtstag berichtete Ernst Leitz II über dieses Gespräch im Rundfunk: Ich sagte: Herr Barnack hat mehrere Apparate gebaut, kleine, immer besser, ich habe sie gesehen, habe sie mit nach Amerika genommen, um zu sehen, was man damit erreicht. Eines Tages mussten wir uns entscheiden, ob wir diese Apparate machen sollten. Die meisten der anwesenden Herren sprachen sich gegen die Serien-Fabrikation aus. Viele Argumente wurden ausgetauscht. Wir kamen zu keinem Resultat, zu keiner Einigung. Einige unterstützten mich. Da sagte ich: Wir machen jetzt Schluss, ich entscheide hiermit, es wird riskiert.

Seine Entscheidung hat sich als völlig richtig erwiesen, weil er gewagt hatte, große Mittel für die Realisierung der genialen Erfindung von Oskar Barnack einzusetzen. Erfinderbegabung und Unternehmergeist hatten sich in mustergültiger Weise zusammen getan. In der Fachpresse wurde die Produktionsentscheidung mit einem "Ritt über den Bodensee" bei trügerischem Eis verglichen. Produktionsleiter Bauer hatte gegen die Fabrikation gestimmt. Jetzt, da die Entscheidung gefallen war setzten er sich und die ganze Belegschaft mit Elan für das Gelingen des großen Vorhabens ein. Barnack hatte sich vorerst noch die Aufsicht über die letzten Schritte der Montage vorbehalten; mit großem Fingerspitzengefühl glättete er noch so manchen Schnitzer, und alles wurde gut.

Wie soll das Wunderding denn heißen? Der Name musste eingängig, einprägsam, leicht zu merken sein. "Barnack-Kamera" wurde verworfen, "Leca" brachte einen Konflikt mit dem französischen Apparat EKA, die Entscheidung fiel dann für den wohlklingenden Namen "LEICA". Bravo!, könnte man ihnen zurufen, der war wirklich gut.

Vorstellung und erste Erfolge. Auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1925 wurde die revolutionäre Kamera vorgestellt. Einige bezeichneten sie als Spielzeug, es gab Spott, Vorurteile und abfällige Bemerkungen, man konnte sich einfach nicht vorstellen, dass aus 24X36 mm großen Negativen vernünftige, brillante Vergrößerungen werden könnten. Die Kritiker sollten alle Unrecht haben. Die Leica wurde sofort ein einschlagender Erfolg.

Bild 11. Der Namensgebungsprozess dauerte fast drei Jahre. "LEICA" für LEITZCAMERA war sehr einprägsam. (Bild entfernt wg fehlender Genehmigung, 25.4.13). 1924 hieß die Kamera "Barnack-Kamera", 1925 "Leca" und 1926 dann endlich "Leica".

Schon 1925 betrug der Umsatz mit der Leica 5% vom Gesamtumsatz der Firma, 1927 10%, 1928 23%, 1930 46% und 1933 70%. Sie kostete 1928 zwischen 220 und 290 RM, je nach Ausstattung. Das Durchschnitts-Einkommen aller Deutschen betrug zu dieser Zeit 165 RM pro Monat. Bis 1931 waren schon 70 000 Stück verkauft, bis Ende 1935 183 000. Die Leica war ein einzigartiges fotografisches Werkzeug, eine echte technische Revolution. Sie eröffnete der Fotografie ganz neue Perspektiven. Die Bilddokumentation sagte mehr als jede wortreiche Beschreibung eines Ereignisses. Der Betrachter hatte sofort das Gefühl, selbst dabei gewesen zu sein. Ab etwa 1929 sah man die Leica überall, auch in der Hand von Engländern, Amerikanern, Franzosen ...man sieht sie bei allen touristischen Sehenswürdigkeiten, sie ist die ausgesprochene Reisekamera. 1925 war der Anteil des Exports am Gesamtfotoumsatz bereits 47%, 1930 46%, 1933 46%. Und die Fotografen, Amateure und Profis verlangten immer mehr und bessere Möglichkeiten bei schlechten Lichtverhältnissen, bei schnell bewegten Objekten, bei Sportereignissen, für Nahaufnahmen und Sternbeobachtungen, es war, als wenn die Menschen von einer Sucht ergriffen wurden. Die Kamera eröffnete den Fotografen völlig neue Perspektiven: die flexible Bildfindung, das Einfangen von Momenten. Es war eine grenzüberschreitende Revolution, die die Sicht auf die Dinge grundlegend veränderte. Sie bildete die Wirklichkeit ab und stieß somit gesellschaftliche Veränderungen an.

Dabei musste die Firma Leitz ganz neue, für sie ungewohnte Vertriebsmethoden anwenden. Die bisherigen Optik-Produkte wurden direkt an die Behörden, Institute oder Kliniken verkauft, es gab dafür keinen Einzelhandel. Der Leica-Werber Baumann hielt weltweit Lichtbildvorträge, um den Fotohandel zu überzeugen. In England gelang ein besonderer Coup. Man bat einen bekannten engluschen Pressefotografen ins Werk nach Wetzlar, schulte ihn mit der Leica und schickte ihn als "lecturer" zrück nach London. Dann gab es auf Londoner Doppeldeckerbussen Aufschriften wie: "How do you like a LEICA? See Wallace Heaton!" Der war ein großer Fotohändler in London. Die Folge war, dass der Absatz in England größer wurde als in den USA. Auch in Berlin funktionierte es auf ähnliche Weise. Sie schickten einem Fotochemiker eine Leica zur Begutachtung. Nach anfänglicher Zurückhaltung war er so begeistert, dass er schnell zu einem Multiplikator der Botschaft wurde.

Bild 12. Das sind sie, die Leica-Pioniere: ideenreicher Erfinder ... väterlicher Freund und Visionär ... Mann mit Unternehmergeist.

Bild 13. Die Leica I von 1925, damals schon eine schlichte, klassische Schönheit, mit Elmar-Objektiv.

Bild 14. Leica I, 1925, mit Elmax-Objektiv.

Bild 15. Die Bergsteiger mit ihrem schweren Gepäck; die kleine, schnelle, handliche Leica kam ihnen gerade recht. Ihnen gelangen faszinierende Bilder der Berge. V.l.n.r.: Der Bergkraxler; G.O. Dyhrenfurth, Himalaja 1934; Drei Zinnen; Piz Palü; Castor und Pollux; Wildspitze. Anmerkungen zu Dyhrenfurth: Das schlesische Bergsteiger-Ehepaar Hettie und Günter Oskar Dyhrenfurth bekam 1936 die Olympische Goldmedaille für herausragende alpinistische und wissenschaftliche Leistungen im Himalaja 1934. Doch die Nazis hatten ihnen übel mitgespielt: Sie mussten den Deutschen Alpen-Verein verlassen - weil sie Juden waren. Sie emigrierten in die Schweiz und wurden Schweizer Staatsbürger. Am 16.8.1936 wurden ihnen die Medaillen (in Abwesenheit von Frau Dyhrenfurth) im Berliner Olympia-Stadion überreicht. Sie sind jedoch weder im deutschen, noch im Schweizerischen Olympia-Buch verzeichnet.

Bild 16. Der große Ideenschmied Oskar Barnack in seiner Wetzlarer Werkstatt. Es ist der 19.3.1934. Die Leica III war ein Jahr alt.

Bild 17. Die technische Evolution der LEICA: Sucher, Entfernungsmesser, Verschluss und natürlich das Objektiv mit immer größerer Lichtstärke.

La Leica - capricieuse comme une jolie femme. Die Leica eilte also von Erfolg zu Erfolg. Lassen wir mal Oskar Barnack selbst erzählen, was sie ist (aus dem Heft "Die Leica", Mai-Juni 1931): Zunächst mal muss ich mich der Leica wegen entschuldigen (!). Ich denke an die vielen Plackereien und Scherereien, die so mancher Fotojünger mit dieser merkwürdigen Kamera erlebt hat. Der neuzeitliche Kram, der perforierte Film, der immer gleich einreißt (wenn man ihn falsch einlegt), die Kamera, die niemand verstehen kann, die Filmkassetten, die die Mitmenschen ärgern! Ich komme mir wie ein Übeltäter vor. Vorher war alles so schön geklärt und geregelt. Man hätte alles so lassen sollen. Einer wollte mir sogar in seinem Zorn die Kamera an den Kopf schmeißen. Die Leica ist nun mal ein etwas empfindliches Geschöpf. Ein Franzose bezeichnete sie als "capricieuse comme une jolie femme". Bei falscher Behandlung wird sie sofort renitent, und mit Gewalt ist bei ihr gar nichts zu erreichen. Die große Mehrheit jedoch hält die Gebrauchsanweisung nicht so ganz für überflüssig. Es gibt sogar Fälle, dass mit ein und derselben Leica über 100 000 Aufnahmen in einem Jahr geschossen wurden, ohne die geringste Störung.  Solch ein Leica-Besitzer meistert sein Handwerk. Die Leica ist die vielseitigste und die am universellsten verwendbare Kamera.

Wie hatte Barnack das Angebot aus Wetzlar im Jahre 1910 beantwortet? Es kann einem Geschäft nicht angenehm sein, wenn ein junger, sich in eine neue Materie einzuarbeitender Angestellter sich alle Jahre ein bis zwei Monate aus Gesundheitsgründen beurlauben lassen muss. So legte er seine persönliche Situation dar. In der Einschätzung der Folgen hat er sich total geirrt. Ernst Leitz I und Ernst Leitz II haben jedoch diese Offenheit belohnt, haben sich in ihrer Einschätzung der Fähigkeiten des jungen Mannes nicht geirrt und haben es nicht bereut, ihn eingestellt zu haben.

Bild 18. Der Erfolg der Leica lag auch an den parallel entwickelten Zusatzgeräten, wie z.B. Vergrößerungsgeräten, hier der Leitz-Focomat.

Die Entwicklung ging immer weiter. Um die Kamera zu einem universellen System auszubauen, mussten externe Zusatzgeräte, die es noch nicht gab, entwickelt werden: Entwicklungsgeräte für die kurzen Filmstreifen, Kopier- und Vergrößerungsapparate, Projektoren für Dias. Die schnelle Aufnahmebereitschaft der Kamera allein reichte eben nicht aus. 

Hinzu kamen die notwendigen Verbesserungen an der Kamera selbst. Lassen wir da einfach mal ein paar Patente sprechen, die Barnack zuerteilt bekam: Unokularer Basisentfernungsmesser 1921, Kupplung von Filmtransport m. Verschlussaufzug 1922, verstellbarer Schlitzverschluss 1924, Rollfilmkassette 1929, mit dem Objektiv gekuppelter Entfernungsmesser 1933, Schlitzverschluss mit ungleichzeitig ablaufenden Vorhängen 1933, Kupplung des Objektivs mit dem Entfernungsmesser 1931, Schlitzverschluss m. Langzeiteinstellung 1933, Betätigungsvorrichtung für die Rückwickelspule 1931, Berührungsfreie Filmführung in der Kamera 1932, Schnellrückspulung 1934, Schlitzverschluss m. Hemmwerk 1934, und noch viele mehr. Auf Barnacks Konto gehen insgesamt 56 Patente (nicht in allen wurde er als Erfinder benannt).

 

 

Bild 19. Die Konkurrenz schläft nicht. Die Contax I von 1932 war längst nicht so griffig wie die Leica und hatte viele Kinderkrankheiten. Bei Zeiss war eben kein Oskar Barnack zugange.

Die Konkurrenz erwacht. Der größte deutsche Kameraproduzent, die Zeiss-Ikon AG in Dresden sah mit Sorge den steigenden Erfolg der Leica. Die kleinsten Kameras im eigenen Sortiment hatten das Format 4,5x6 cm. 1930 brachte man die Baby-Ikonta heraus mit einem Format von 3x4 cm. Die wurde als Leica des kleinen Mannes angepriesen. Sie war noch eine „alte“ Kamera mit herausklappbarem Objektiv, weil man die Leica-Patente nicht verletzen konnte. Aber im Sommer 1932, als die Leica II vorgestellt wurde, erschien die Contax I, die in allen Details anders war. 1936 waren erst alle Kinderkrankheiten ausgemerzt, als die Leica IIIa herauskam und ihren Vorsprung ausgebaut hatte.

Der Weg ganz nach oben. Der Bruch mit alter Tradition, die völlig neuartige Konstruktion und die hohe Qualität – das waren die Gründe für den rasanten Aufstieg. Die Leica traf aber auch auf einen immer stärker werdenden Wunsch der Menschen, ohne Mühe das gerade ablaufende Ereignis sofort im Bild festzuhalten. Und für die Bildreporter wurde immer klarer, dass die fotografisch erzählte Geschichte die Wortreportage in der Beliebtheit ablöste. Es war etwas gänzlich Ungewohntes, die Kamera in der Jackentasche mitzuführen.

Die Beurteilungen in den Fachzeitschriften steigern sich sehr schnell von skeptisch, abwartend auf gut, sehr gut, ausgezeichnet; die leistungsfähigste Kamera (1931); Universalkamera, hervorragendes Werkzeug für den anspruchsvollen Fotografen; in jeder Richtung eine Neuschöpfung, verdrängte alle Vorläufer, in allen Einzelheiten durchgearbeitetes Präzisionswerk, ein neues Zeitalter der Fotografie einleitend (1938). Viele Plattenkamera-Fans stiegen auf die Leica um und wollten nicht mehr von ihr lassen. Erst die Leica machte es möglich, dass man das Bild selbst als Nachricht verwenden konnte. Den Reportern liegt sie in der Hand wie die Brille auf der Nase.

Bild 20. Sie versuchten es, schafften aber nur grobe Nachbauten, der Feinschliff des Oskar Barnack fehlte. Die Leica und etwas später auch die Contax prägten die Kleinbildfotografie weltweit, ihre effiziente Arbeitsweise war vorher nicht möglich. So entstand der Anreiz, Kopien und sogar Fälschungen herzustellen. Kosten und Zeit, eigene Prototypen anzufertigen, entfielen auf diese Weise. Ab 1934 bis in die 1970er wurden über 300 verschiedene Kopien, z.T. in großen Stückzahlen produziert. Nach 1945 begann man in vielen Ländern mit der Massenherstellung von exakten Kopien, die oft vom Original nicht zu unterscheiden waren. Die Japaner waren die ersten, die, ausgehend von der Kopie, eigenständige Kameramodelle mit vielen Weiterentwicklungen herstellten.

 

Bild 21. Plagiate der Leica III in Japan und China im Jahre 1951.

 

Bild 22. Auch die deutsche Contax von Zeiss Ikon war das Ziel von Plagiatoren in Japan und der UdSSR.

 

Bild 23. In der Ukraine stellte man 1960 eine Kopie der Contax III her.

 

Nachbauten. Man könnte auch Plagiate sagen. Die gab es schon seit 1932, z.B. in der Kommune F.E. Dzerzinski, die dann als sowjetische Leica, die FED propagiert wurde. Der Unterschied war greifbar, es fehlte die Präzision und die jahrzehntelange Erfahrung, das ganz besondere Barnack´sche Fingerspitzengefühl. Es soll 300 verschiedene nachempfundene Leicas gegeben haben.

Jubiläumsgeschenke. Ernst Leitz schenkte berühmten Leuten Jubiläums-Nummern der Leica: 1928 Nr. 10 000 Hugo Eckener, Luftschiffpionier. 1929 Nr. 25 000 Sven Hedin, Asienforscher. 1932 Nr. 75 000 August Piccard, Stratosphärenforscher. 1933 Nr. 125 000 Günter Dyhrenfurth, Himalajaforscher. Mit diesen ganz besonderen Geschenken würdigte Leitz nicht nur deren Leistungen, sondern ebenso das Lebenswerk des Oskar Barnack, der der Firma zu solchem Ruhm verholfen hatte. Aber es gehörten ja zwei dazu: Barnacks Erfindergeist und Leitz´ Unternehmergeist.

Oskar Barnacks Leben geht zu Ende. Anfang der 1930er hatte sich die Leica am Markt endgültig durchgesetzt. Aber der unermüdliche Werkmeister Barnack musste immer wieder aus Gründen seiner sehr schwachen Gesundheit eine Kur in Bad Nauheim oder Bad Ems machen. Er unternahm auch noch ein paar schöne Reisen, von denen er mit gestochen scharfen Leica-Bildern aus den bayrischen Alpen zurückkam. Er war auch ein Fotograf mit dem richtigen Blickwinkel. Ab Sommer 1935 ging es ihm immer schlechter. Er konnte seinen ersten Enkel noch mit seiner Wunder-Kamera fotografieren. Er feierte noch am 2. Januar 1936 sein 25-jähriges Betriebsjubiläum, war aber schon von einer Lungenentzündung schwer gezeichnet. Zwei Wochen danach hatte die Krankheit über ihn gesiegt. Er wurde nur 57 Jahre alt. Er ruht auf dem Alten Friedhof in Wetzlar, ein unbearbeiteter Feldstein … die Erinnerung bleibt an dieses große Erfindergenie. Ernst Leitz fasste seinen Dank so zusammen: Wir haben mit ihm gearbeitet in Kriegs- und Friedenszeiten. Wir haben uns erfreut an seiner Schaffenskraft. Wer je in seine Augen gesehen hat, erblickte einen Menschen besonderer Prägung und feiner Art, der durch seine Veranlagung fähig war, etwas Neues, Großes zu schaffen. Er hat damit der Fotografie, jener schönen Kunst der Menschen einen neuen Auftrieb gegeben, der sich auf alle Länder der Erde verbreitet hat; überall kennt man seinen Namen und sein Werk. Sein guter Geist wird auch fernerhin unter uns wirken. Sein Andenken wird stets in höchsten Ehren gehalten.

Ernst Leitz II hat ihn um 20 Jahre überlebt. 1950 hielt er die Leica Nr. 500 000 in den Händen. Seine Entscheidung im Juni 1924 war aus damaliger Sicht ein großes Wagnis; aber sie war gut vorbereitet. Die Produktionszahlen beweisen, dass die Entscheidung richtig war. Die Kamera hat die Fotografie im 20.Jahrhundert wie keine andere beeinflusst. Sie hat den Standard gesetzt. Die Fantasie des Erfinders und der Unternehmergeist seines Direktors überwanden die Grenzen und Schranken des Althergebrachten.

Bild 24. Eine sehr schöne Erinnerungsmedaille.

Ehrungen. Die American Society of Magazine Photographers verlieh ihm 1969 The Special Posthumous Award for developing the concept of the Leica Camera, the first 35mm miniature camera capable of fulfilling professional requirements (ganz stimmt die Aussage nicht; er hat nicht nur das Konzept der Leica entwickelt, sondern sie auch gebaut). Die Firma Ernst Leitz ließ zum 100. Geburtstag Barnacks eine schwere Gedenkplakette gießen. Frau Elsie Kühn-Leitz ließ ihm zu Ehren Anfang der 1980er in dem kleinen Wetzlarer Park gegenüber dem Verwaltungsgebäude der Firma einen Gedenkstein aufstellen. Recherchen haben ergeben, dass es leider nur ein Postwertzeichen gibt: von den Federated States of Micronesia, 2000. Warum eigentlich nicht von der Deutschen Post?

 

 

 Bild 25. Die einzige Leica-Briefmarke kommt aus den Föderierten Staaten von Mikronesien.

Ernst Leitz sagte 1936: Sein guter Geist wird auch fernerhin unter uns wirken. Hat er das wirklich? Erwuchs der Firma ein neuer Oskar Barnack, der mit Althergebrachtem brach, als es um Spiegelreflex-Technik ging oder als das digitale Zeitalter auch die Fotografie erneut zu revolutionieren begann? Hat die Firma diese neuen Entwicklungen verschlafen? Wo waren die Firmenchefs, die wie Ernst Leitz II im Jahr 1924 entschieden: Wir riskieren es?

 

 

 

 

 

 

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Bild 26. So wird uns Oskar Barnack in Erinnerung bleiben. Bild 27. Das Oskar-Barnack-Museum in Lynow, seinem Geburtsort, Gemeinde Nuthe-Urstromtal/Brandenburg.

 

Ein Nachruf auf Ernst Leitz II. Viele Erfinder- und Entdeckergeschichten sind durch wunderbare Symbiosen charakterisiert, d.h. durch Zusammenarbeit verschiedener Personen zum gegenseitigen Nutzen. So konnte Haber seine Ammoniaksynthese nicht ohne Bosch verwirklichen, Hahn brauchte Lise Meitner, Abbe konnte ohne Zeiss nichts ausrichten, Daimler war ohne Maybach hilflos, und Benz wäre wahrscheinlich ohne seine Frau Bertha gescheitert. 

Auch im Falle Barnack und Ernst Leitz II kann man von solch einer Symbiose sprechen. Die große Erfindung der Kleinbildkamera ist eine Sache, doch ohne die unternehmerische Entscheidung, das Wunderding in die Serienfertigung zu übernehmen, wäre Barnacks Innovation im Sande verlaufen. Und ohne die großartige Erfindung wäre Leitz in der Wirtschaftskrise Ende der 1920er bankrott gewesen. Leitz´ unternehmerische Fähigkeiten sind bekannt, seine Visionen und seine Bereitschaft, große Risiken einzugehen. Aber was für ein Mensch war er? Wie tickte er? Die nachfolgende Geschichte, veröffentlicht im SZ-Magazin 5/2007, ist geeignet, die menschlichen Eigenschaften dieses Mannes zu beleuchten und wert, hier angefügt zu werden.

Ernst Leitz, NSDAP-Mitglied, der Oskar Schindler der Fotografie, rettete Juden vor den Nazis, und keiner wusste es. Und das kam so: Die Firma Leitz galt als nationalsozialistischer Musterbetrieb. Er lieferte Steuerungssysteme für die V2-Rakete, Leicas für Armee und Luftwaffe. Propaganda-Minister Goebbels ließ mit Leicas ausgestattete Einheiten 1939 in Warschau Aufnahmen von den „entarteten Juden“ machen, die dann den Fotos der blonden Herrenmenschen gegenübergestellt wurden. Trotzdem verlieh die amerikanische „Anti-Defamation-League" posthum im Februar 2007 ihren „Courage to Care Award" an Ernst Leitz, der 1956 starb. Die Begründung dazu lautete: „Deutscher Gründer des Leica Camera-Freedom Train wird geehrt für die Rettung hunderter Juden vor den Nazis“. In der US-Presse hieß es: The greatest invention of the Leitz family: The Leica Freedom Train. Nach Hitlers Machtübernahme benutzte der Firmenpatriarch einen einfachen Trick, um jüdische Menschen zu retten. Er engagierte in seinem Betrieb in Wetzlar Juden als Lehrlinge, die er dann nach erfolgter Ausbildung nach New York in die Leica-Filiale schickte oder in assoziierte Betriebe in USA. Er bezahlte die Reisekosten und stattete sie mit Empfehlungsschreiben leitender Angestellter aus. Norman Lipton, 1938 bis 1940 Angestellter bei Leica New York, sah alle paar Wochen, wenn die Bremen oder Europa am Pier anlegte, 20 bis 30 müde Männer und Frauen im Büro sitzen, mit Gepäck und einer Leica um den Hals. Die wurden dann ins Hotel verfrachtet, bis man für sie eine Stelle bei Leica oder anderen Fotobetrieben gefunden hatte.

Bild 28. Ernst Leitz II, der Oskar Schindler der Fotografie. Nicht nur großer Unternehmer, sondern auch Gutmensch.

1967 machte sich Lipton daran, seine ehemaligen jüdischen Kollegen zu suchen, um deren Geschichte zu veröffentlichen. Er interviewte auch Günther Leitz (1914-1969) in Wetzlar, den jüngsten Sohn von Ernst Leitz II. Der gab ihm aber eine überraschende Antwort: Ich möchte nicht, dass die Geschichte zu meinen Lebzeiten veröffentlicht wird. Mein Vater tat, was er konnte, er fühlte sich für seine Angestellten verantwortlich. Lipton beugte sich diesem Verdikt widerstrebend. Aber er recherchierte weiter, sammelte diverse Belege, Briefe und zeigte sie (er war jetzt 80) 1997 dem Rabbi Frank Dabba Smith.

Smith besuchte den 70-jährigen Knut Kühn-Leitz, den Enkel von Ernst II. Sein Großvater hatte ihm nie etwas über die Flucht der jüdischen Lehrlinge erzählt. Er hatte ein Motto: Tu Gutes, aber rede nicht darüber. Das passte sehr gut zu dem streng protestantisch erzogenen Großvater aus Baden. 1942 zog sich die Schlinge um seinen Hals immer weiter zu. Die SA hatte er als braune Affen bezeichnet. Den Nazis war er schon lange ein Dorn im Auge, weg mit diesem widerlichen Demokraten! Seine Tochter Elsie und sein Verkaufsleiter Alfred Türk wurden von der Gestapo verhaftet, weil sie von einem Denunzianten im Werk verraten wurden. Ernst bekam sie in Berlin nur mit Mühe frei. Als er kurz vor der Enteignung stand, sah er nur eine Möglichkeit, das Schlimmste zu verhindern: den Eintritt in die Nazi-Partei 1942. Die Recherchen ergaben, dass er über die gesamten 1930er-Jahre hinweg Juden in seiner Fabrik eingestellt und ihnen zur Flucht ins Ausland verholfen hatte. Dass Leitz seine Taten nur so unzureichend dokumentierte, hat für Smith nur einen Grund: Er wollte kein Held werden.

 

Was wurde aus der Leica?

 

Bildnachweis

Bild 1:  Wikipedia, Urh Leica Microsystems CC-BY-SA 3.0. Bild 2:  Selbstportrait Barnack, ca. 1914, Schutz abgelaufen. Bild 3:  Wikipedia, Urheber  Janez Novak, CC-BY-SA 3.0. Bild 4: aus dem Web, Urheber Martin H. Evans, 2010. Bild 5: Foto Hans Bejenke, Sattelpeilnstein, 1995, Erlaubnis erteilt. Bild 6: Eigenes Foto mit Skizze. Bild 7: Wikipedia, Urheber Leica Microsystems, CC-BY-SA 3.0. Bild 8, 14, 24, 26, 27: eigene Fotos 6-2013, mit freundlicher Genehmigung Barnack-Museum, Lynow, Landkreis Teltow-Fläming. Bild 9: Wikipedia, Urheber der Skizze Michael Schmid, CC-BY-SA 3.0, eigene Ergänzungen. Bild 10: eigene Skizze.  Bild 11: gelöscht. Bild 12, 13: Aus div. Websites. Bild 15,1: Die Bergkraxler, München 1916. Bild 15,2: aus Zuehlke-Kruckenhauser: Das Bergbild mit der Leica, Rother, 1938. 15,3, 4, 5, 6: aus: Die Alpen, Hrsg. H. Schmithals, Wasmuth 1926. Bild 16: aus Camerapedia u.a. Schutz abgelaufen. Bild 17,1, 2 und 19: Wikipedia, Urheber Rama, CC-BY-SA 3.0. Bild 17,3: Wikipedia, Urheber Holger.Ellgaard, CC-BY-SA 3.0. Bild 17,4: Wikipedia, Urheber Rshino, CC-BY-SA 3.0. Bild 18: Wikipedia, Urheber Magnus Manske, CC-BY-SA 3.0. Bild 25: public domain. Bild 28: Auf div. Websites veröffentlicht. Schutzfrist abgelaufen. Bilder 20, 21, 22, 23: Eigene Fotos im Deutschen Technikmuseum Berlin, 8/2013. Freundliche Genehmigung für heureka-stories.de vom 2.9.2013 von Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin, Abt. Presse- und Oeffentlichkeitsarbeit, http://www.sdtb.de/. Auch rückwirkende Genehmigung für früher gemachte eigene Bilder.