Kochs Jugend und Werdegang

Käfer sammeln statt Lateinvokabeln pauken

Warum wird hier die Geschichte eines Arztes erzählt, zwischen lauter Ingenieuren und Naturwissenschaftlern ? Weil die Art und Weise, wie Robert Koch an die Lösung der Probleme geht, durchaus starke Züge von Ingenieurarbeit hat: Unkonventionell denken, Idee entwickeln, Planung machen, neue technische Verfahren ausprobieren, Alternativen durchspielen, Methoden verbessern, Lösungen prüfen, Unbrauchbares verwerfen ... in evolutiven Schritten dem Endziel näher kommen und dann das heureka! ausrufen. Mit technischen Mitteln ein biologisch-medizinisches Problem lösen. Das ist genau das, was man im Englischen unter "engineering" versteht, wenn auch im Deutschen der Begriff der Ingenieurarbeit viel enger gefasst ist. Daher ist der große Arzt und Forscher Robert Koch auch der "Engineer of the Bacteriology".

Jugend und Werdegang. Wie kam Koch dazu, sich mit Lebewesen zu befassen, die man nur unter dem Mikroskop sehen kann, wie wurde er zum unerbittlichen Detektiv und Jäger der Krankheitskeime? Im Gegensatz zu heutigen Zeiten, wo man Kindern aus armen Familien kaum Bildungschancen einräumt, stoßen wir hier wie bei vielen unserer großen Erfinder auf das genaue Gegenteil. Der Vater war hart arbeitender Bergmann in Clausthal im Harz und hatte äußerste Mühe, den Lebensunterhalt seiner Familie mit den elf Kindern zu bestreiten. Die Mutter arbeitete bis in die späten Nachtstunden, um die Kleidung der Kinder selber zu nähen. Schwarzbrot, Milch, Erbsen und Obst waren die Hauptnahrung der Familie. Diese Bescheidenheit prägte Robert Kochs ganzes Leben. Seine Kindheit war trotz aller Armut glücklich. Jedes Kind hatte Pflichten, Robert war Hühner- und Kaninchenmeister und erfüllte diese Aufgabe gewissenhaft.

Käfer sammeln statt Lateinvokabeln pauken. Der humorvolle und Natur verbundene Großvater hatte großen Einfluss auf ihn und gab ihm viele Anregungen. Roberts Liebe zur Naturkunde wurde leider im Gymnasium, das er seit seinem 7. Lebensjahr besuchte, nicht gefördert, da es gemäß der damaligen Auffassung sehr stark altsprachlich orientiert war. Nach dem ungeliebten Pauken von Lateinvokabeln lief er in die Natur, um ausdauernd Gräser und Insekten zu sammeln und sie zu Hause in seine Terrarien zu stecken. Als ihm Großvater ein Vergrößerungsglas schenkte, kannte seine Entdeckerfreude keine Grenzen. Natur und Bücher waren seine Welt (aber er war beileibe kein Stuben hockender Bücherwurm). Eine ganz große Anregung kam von seinem Onkel Eduard Biewend, Chemiker und Anhänger der um 1837 entwickelten Daguerreotypie, einer Vorstufe der Fotografie, die in einer Kasten-Kamera Bilder auf einer versilberten Kupferplatte aufnahm (anfangs mit 15 Minuten Belichtungszeit). Robert war begeistert, als der Onkel ihm solche Bilder zeigte. Die Liebe zu den Lebewesen, die Bücher, das Vergrößerungsglas und die Daguerreotypien ergaben zusammen die entscheidende Weichenstellung für den späteren Berufs- und Entdeckerweg Robert Kochs.

    

Bild 1. Gräser und Käfer sammeln: Robert als Schüler 1861.  Bild 2. Unter dem Mikroskop Lebenskraft im menschlichen Gewebe suchen: Robert als Student in Göttingen 1864.

 

In Göttingen lernt er die Wissenschaft und wozu sie da ist. Auf dem Gymnasium war Robert fleißig und wissensdurstig, ohne ein selbstbezogener Streber zu sein, machte mit 19 das Abitur, erhielt in den altsprachlichen Fächern Dreien, in den Naturwissenschaften und Mathe Zweien. Die Familie musste sich sehr einschränken, um Robert das Studium in Göttingen zu ermöglichen. Er belegte medizinische und naturwissenschaftliche Vorlesungen. Besonders zogen ihn die wissenschaftlichen Leistungen seines Chemie-Professors Friedrich Wöhler in den Bann: Gute technische Vorbereitung des Experiments, Analyse des Entdeckten und Einordnung in den Gesamtzusammenhang, Überprüfung der Theorie in der Praxis ... und wissenschaftlichen Fortschritt in den Dienst des Menschen zu stellen, das war die Lehre, die auch für Kochs Werk bestimmend wurde. Der zweite akademische Lehrer, der ihn sehr beeinflusste, war der Anatomie-Professor Jacob Henle: Die Gewebearten des Menschen exakt unter dem Mikroskop untersuchen auf der Suche nach der "spezifischen Lebenskraft", damit hat Henle die mikroskopische Histologie begründet und diese Wissenschaft von den biologischen Geweben zum Wegbereiter der Bakteriologie gemacht, genau das wurde später Kochs eigentliches Arbeitsgebiet. Man war allerdings in dieser Zeit noch weit entfernt davon, bei schlimmen Krankheiten überall Bakterien am Werk zu sehen, weil man erst nach Kochs großen Entdeckungen von den giftigen Zersetzungsprodukten erfuhr, die von den Mikroben erzeugt werden.

Robert Koch wurde wissenschaftlich und menschlich in Göttingen geformt. Im Gegensatz zu seinen Kommilitonen, die in studentischen Verbindungen Zeit und Geld vergeudeten, vertiefte er sich in seinen Lernstoff, musste aber sehr, sehr bescheiden leben: An Frühstück und Abendbrot darf ich nicht denken, weil sonst mein Brot nicht ausreicht. 1864 gewann er einen Preis für eine medizinische Arbeit am Pathologischen Institut, an dem er während des Studiums eine Assistentenstelle innehatte. Da stand ein damals übliches Kennwort drauf, das dann zum Motto seines ganzen Lebens werden sollte: Nunquam otiosus (niemals untätig).

     

Bild 3. Hier wohnte die Familie Koch in Wollstein/Provinz Posen.   Bild 4. Und hier in diesem Haus forschte Koch und entdeckte den Milzbranderreger: Sein kleines Labor, mit einem Vorhang von der Arztpraxis abgeteilt, Gefäße mit schwarzem Blut und Kuhaugen-Flüssigkeit. Hier wurde die moderne Bakteriologie begründet.

 

Landarzt in der hintersten preußischen Provinz ... und Forscher. Da er völlig mittellos war, musste er seine geliebte wissenschaftliche Tätigkeit nach dem Staatsexamen und der Promotion leider aufgeben und sich um eine Stelle als praktischer Arzt bewerben, weil es für ihn jetzt ganz einfach um den Broterwerb ging. Nach Stellungen in Hamburg und Hannover landete er als Landarzt in Rakwitz, einer Kleinstadt in der Provinz Posen, und 1872, nach einer entsprechenden Prüfung, bekam er die Stelle als "Kreisphysikus" im benachbarten Wollstein. Neben der Landarzttätigkeit gehörte dazu die ärztliche Betreuung des Krankenhauses und die Überwachung der hygienischen Zustände im Amtsbezirk. Da er sich auch weiter als Forscher verstand, war das große Sprechzimmer durch einen Vorhang geteilt, in der ersten Abteilung war Koch Arzt und in der zweiten Forscher. Er forschte immer dann, wenn er von seinen anstrengenden, weiten Patientenbesuchen in einem Leiterwagen, auf einem Strohballen sitzend, nach Hause kam. Dann vergrub er sich in seine Forschung, die er nie als Selbstzweck oder aus Karrieregründen betrieb, sondern im Dienste der Gesundheit von Mensch und Tier.

 

Bakteriologie - die ganze Geschichte

 

Bildnachweis.

Bilder 1, 2, 4: Aus: W. Genschorek "Robert Koch", S. Hirzel Verlag Leipzig, 1982 (Verlag aufgelöst). Bild 3: Eigenes Foto Robert-Koch-Museum im RKI Berlin, 7.5.2012, lt. Pressestelle RKI 7/2012: Genehmigung nicht erforderlich.