Am 8. November 1895 experimentierte er auf der Uni Würzburg mit einer nahezu luftleeren Kathodenstrahl-Röhre aus Glas, um elektrische Entladungen zwischen Kathode und Anode bei hoher Spannung zu untersuchen. Vielleicht suchte er nach Strahlen, die das Glas der Röhre durchdringen und auf einem fluoreszierenden Schirm sichtbar gemacht werden könnten. Das Laboratorium war in ein geheimnisvolles Dunkel gehüllt, nur vom Leuchten der Röhre etwas erhellt. Ihn störte auch dieses Licht noch. Er umhüllte die Röhre mit schwarzem Karton. Zu seiner Überraschung leuchtete der Fluoreszenzschirm auf, obwohl kein Licht nach außen drang! Seine Hand geriet zwischen Röhre und Leuchtschirm. Er erschrak aufs heftigste: was war das? … Er sah etwas, was noch nie ein Mensch vor ihm gesehen hatte: die Knochen seiner Hand auf dem Schirm! Die Knochen sauber getrennt vom Gewebe!

Bild 1. Wilhelm Conrad Röntgen im Alter von 55 Jahren, fünf Jahre nach der großen Entdeckung. Bild 2. Sein Labor in der Uni Würzburg, hier geschah es 1895.

Bild 3. Der allererste Nobelpreis für Physik geht an Wilhelm Conrad Röntgen.

Die Wissenschaftsgemeinschaft würdigte diesen außerordentlichen Menschen auf vielerlei Weise. Er wurde aufgrund seiner Entdeckung 1901 der erste Nobelpreisträger für Physik. Die ins Körperinnere eindringenden Strahlen tragen seinen Namen; die physikalische Einheit der Ionendosis trug seinen Namen; Gießen, Remscheid und Berlin setzten ihm Denkmäler. Der Asteroid 6401 wurde nach ihm benannt, das 111. chemische (radioaktive) Element erhielt 2004 die Bezeichnung Roentgenium (Rg), und die Bundespost ehrte ihn mit einer Briefmarke. Die Rede ist von Wilhelm Conrad Röntgen (* 1845 Remscheid-Lennep, † 1923 München), der von der Schule flog, dem das Abitur verweigert wurde und der es trotzdem zum Professor und vielgerühmten Forscher und Erfinder brachte.

Bei seiner für die gesamte Medizin revolutionären Erfindung war Kommissar „Zufall“ mit im Spiel. Aber jetzt begann der analytische Geist Röntgens zu arbeiten. Schon sechs Tage später hatte er die erste Veröffentlichung der Testergebnisse fertig: Über eine neue Art von Strahlen, die er X-Strahlen nannte. Er beschrieb die Eigenschaften dieser kurzwelligen elektromagnetischen Strahlen [1] und die Apparatur so umfassend, dass die neue Diagnosemethode bereits ein Jahr später angewandt werden konnte.

Bild 4: So arbeitet die Röntgenröhre. Ua…Anodenspannung. Uh…Heizspannung

Die Röntgenröhre besteht aus einem evakuiertem (luftleer gepumpten) Glasrohr mit einer Kathode und einer räumlich davon getrennten Anode, die unter der Anodenspannung Ua stehen. Die Heizspannung Uh bringt die aus einer Heizwendel bestehende Kathode zum Glühen und damit zum Aussenden von Elektronen. Diese werden von der Antikathode, der vordersten Spitze der Anode, stark beschleunigt. Beim Aufprall auf diese schiefe Ebene aus Wolfram wird 1% der Geschwindigkeitsenergie der Elektronen in kurzwellige elektromagnetische Wellen, nämlich in Röntgenstrahlen umgewandelt, die die Glasröhre verlassen. 99% geht in Wärme über, heizt die Anode auf 2500 °C auf und muss daher gekühlt werden. Je höher die Anodenspannung (30 bis 400 kV), desto schneller die Elektronen, desto größer die Härte, d.h. die Intensität der Röntgenstrahlung und desto kürzer die Wellenlänge. Bei harter Röntgenstrahlung umgibt eine Bleiabschirmung die Röntgenröhre, um unerwünschte Abstrahlung in bestimmte Richtungen zu verhindern.

1848, drei Jahre nach Wilhelm Conrads Geburt, war die Familie Röntgen aus wirtschaftlichen Gründen nach Apeldoorn in den Niederlanden ausgewandert. Wilhelm Conrad blieb das Abitur versagt. Ein Mitschüler hatte eine Karikatur eines Lehrers gezeichnet. Röntgen, in die Betrachtung der Darstellung vertieft, wurde von jenem Lehrer überrascht und für den Übeltäter gehalten. Da er seinen Schulkameraden nicht verraten wollte, wurde er 1863 von der Utrechter Schule verwiesen (wie hat das eigentlich der Täter mit seinem Gewissen abgemacht?). Röntgen fand am Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich doch noch Zugang zu einem ordentlichen Studiengang; dort kam es nicht aufs Abitur, sondern auf eine Aufnahmeprüfung an – und die wurde ihm wegen seiner exzellenten Schulnoten auch noch erlassen. Er betrieb das Studium des Maschinenbaus mit großem Ernst und Interesse und besuchte nebenher zur Weiterbildung Vorlesungen über Kunst, Literatur und Geschichte. Nach glänzend bestandener Diplomprüfung begann er dort noch Physik zu studieren und promovierte 1869 mit einer bemerkenswerten Arbeit über Probleme aus der Thermodynamik. Seinem Doktorvater Kundt folgte Röntgen als Assistent an die Universität Würzburg, die ihm aber wegen fehlenden Abiturs die Habilitation, d.h. die Lehrbefugnis verweigerte. Dieses Hemmnis konnte in Straßburg mühelos überwunden werden. Professuren in Straßburg und 1879 in Gießen waren die nächsten Schritte. Er war in der Fachwelt längst durch seine hohe wissenschaftliche Qualifikation bekannt. Er zählte zu den besten Experimentatoren seiner Zeit, besonders auf dem Gebiet der Maxwellschen Theorie des Elektromagnetismus. Die Universität Würzburg, die früher seine wissenschaftliche Laufbahn verhindert hatte - man höre und staune - bot ihm nun 1888 das Ordinariat für Physik an! Er war nicht nachtragend und nahm den Ruf an! Und sechs Jahre später wurde er dort sogar Rektor. Würzburg wurde die Uni seines größten Triumphes.

Was machte er unmittelbar nach der Entdeckung? Von Hause aus zurückhaltend, introvertiert, vergrub er sich für Wochen fast rund um die Uhr in seinem Labor, aß und schlief sogar dort. Nachdenken, Analysieren, Nachprüfen, Fehlersuchen, Forschungsbericht verfassen; er war nicht ansprechbar, auch von seiner Frau nicht. Seine Ergebnisse mussten wasserdicht, seine Schlussfolgerungen unanfechtbar sein.

Bild 5. Original-Röntgenaufnahme von Köllikers Hand, 1896. Ovationen für Professor Röntgen.

Nach dem ersten Bericht tauchten schon Zeitungsmeldungen in Deutschland, Österreich, England, USA über die sensationellen Zauberstrahlen auf. Ende Januar 1896 stellte er seine Entdeckung der Physikalisch-Medizinischen Gesellschaft in Würzburg vor: die Natur läßt oft staunenswerte Wunder selbst an den gewöhnlichsten Dingen hervortreten. Er bat den berühmten Mediziner von Kölliker aufs Podium und durchleuchtete dessen Hand. Das überzeugte auch Kritiker. Von Kölliker schlug vor, die neuen Strahlen nach ihrem Erfinder zu bezeichnen, und das Publikum reagierte darauf mit stehenden Ovationen. Röntgen aber zog die Bezeichnung »X-Strahlen« vor. Er verzichtete auf eine Patentierung; denn er war der Meinung, dass die Entdeckung der Allgemeinheit gehöre und nicht durch Patente, Lizenzen und dergleichen einzelnen Firmen vorbehalten bleiben solle, und sie sollte den Medizinern ohne Umschweife zur Verfügung stehen. Er wurde mit Ehrungen regelrecht überschüttet, aber er selbst betrachtete die X-Strahlen nur als eines von vielen Forschungsthemen, mit denen er sich beschäftigte. Obwohl es sich um eine kaum zu durchschauende physikalische Entdeckung handelte, verbreitete sich die Nachricht in der Öffentlichkeit sehr schnell, denn die Nützlichlichkeit der X-Strahlen in der Medizin leuchtete auch dem Laien unmittelbar ein.

 

 

Bild 6-9: Wohlverdiente Ehrungen für die große Leistung - Briefmarken 1951, 1939, 1995, 1965.

Am 10. Dezember 1901 – dem 5. Todestag des Stifters Alfred Nobel – wurde ihm der allererste Nobelpreis für Physik verliehen. Er reiste nach Stockholm und nahm den Preis aus der Hand des schwedischen Kronprinzen entgegen, aber die Bitte, einen Nobelvortrag zu halten, erfüllte der Wissenschaftler nicht, weil er die Selbstdarstellung verabscheute und ihm die ganze Öffentlichkeit zu viel war. Die 50.000 Kronen Preisgeld stiftete er der Universität Würzburg. Bescheidenheit, Gerechtigkeitssinn, Selbstlosigkeit, Eintreten für Andere, starke Ader für das Gemeinwohl … das war der Mensch Wilhelm Conrad Röntgen.

 

Bild 10-13. Internationale Ehrungen: Indien, Mexico, Tschechien, Belgien.

 

Bild 14-15. Auch Münzen gibt es zu seiner Erinnerung.

Er verwand den Tod seiner Frau nicht und starb 1923 im Alter von 77 Jahren an Darmkrebs in München, wo er von 1900 bis 1920 seine letzte Professur innehatte. Sein Vermögen vererbte er der Stadt Weilheim in Oberbayern, wo er ein Jagdhaus besaß. Er verfügte weiterhin in seinem Testament, dass seine gesamten wissenschaftlichen Aufzeichnungen zu vernichten sind. Diesem Wunsch kamen seine Freunde nach, sodass von ihm nur noch wenige Dokumente existieren.

Bild 16. Moderner Röntgenapparat in der Medizin.

Die Medizin ist bis heute das wichtigste Anwendungsgebiet der Röntgenstrahlen geblieben. Die Strahlenbelastung konnte mit der Zeit immer weiter vermindert werden, die Aufnahmen wurden immer detailreicher. Mathematische Modelle in Verbindung mit bildgebenden Verfahren, wie Computertomografie, ermöglichen dreidimensionale Abbildungen des Körperinneren, und Tumore werden mit Röntgenstrahlen behandelt.

Röntgenmikroskope dienen  der Vergrößerung mittels Röntgenstrahlung mit einer Auflösung von 200 nm. Röntgen-Spektrographen ermöglichen die Bestimmung der chemischen Zusammensetzung von Stoffen deren emittierte Röntgenstrahlen im Spektrum die charakteristischen Linien der vorhandenen chemischen Elemente aufweisen.

Die Satelliten basierte Röntgenastronomie untersucht mit einem Radio-Teleskop die Strahlung von Neutronensternen, Supernova-Überresten, Galaxien, Quasaren im Röntgenwellenbereich und ist damit ein wichtiger Zweig der Erforschung des Weltalls.  

Bild 17 und 18. Der große Entdecker - von Künstlern bewundert.

Die Entwicklung von Röntgenquellen geht auch heute unvermindert weiter. Physiker haben 2009 das erste kompakte Gerät, das einen laserartigen Röntgenstrahl mit einer Wellenlänge von einem Nanometer erzeugt, entwickelt. Damit sind sie dem Traum vieler Radiologen und Biologen von einer kompakten "Lichtquelle", die ultrakurz gepulste Röntgenstahlen von fünf Femtosekunden (Trillionstel Sekunden) in einer Richtung wie Laserlicht aussendet, ein Stück näher gekommen. Röntgenbilder mit weit höherer Auflösung bei gleichzeitig stark reduzierter Strahlendosis gegenüber der heutigen Bilderstellung werden damit möglich. Das neue "Werkzeug" wird auch völlig neue Perspektiven auf anderen Gebieten der Physik, Biologie und Materialwissenschaften schaffen.

Ein weiteres wichtiges Anwendungsgebiet ist die Werkstoffprüfung, wo sich z. B. Fehlstellen in Metallteilen oder fehlerhafte Schweißnähte mit Hilfe der Röntgentechnik auffinden lassen.

 

Bild 19. Der ICE "Wilhelm Conrad Röntgen" - furchtbares Unglück in Eschede 1998. Radreifen schadhaft - nicht geröngt, 101 Menschen müssen sterben.

Als eine Ironie des Schicksals muss es daher erscheinen, dass ausgerechnet der ICE "Wilhelm Conrad Röntgen" im Jahr 1998 bei Eschede aufgrund eines Materialfehlers verunglückte und 101 Menschen in den Tod riss. Haben die etwa den stählernen Radreifen nicht geröntgt?

 

 

Bild 20. Nachtrag November 2013: Dieses schöne Gemählde von Wilhelm Conrad Röntgen wurde in der Röntgen-Abteilung des Dominikus-Krankenhauses Berlin-Hermsdorf entdeckt.

[1] Wellenlängen: Röntgenstrahlen bilden einen Teil im Spektrum der elektromagnetischen Wellen: Der Bereich ihrer Wellenlänge beträgt 5 pm bis 10 nm. 1 pm (Pikometer) = 1 Billionstel Meter. 1 nm (Nanometer) = 1 Milliardstel Meter. 1 pm = 1/1000 nm.

Medizinische Röntgen-Diagnostik: Wellenlänge 30 bis 0,06 nm.

Röntgen-Materialprüfung: Wellenlänge 10 bis 3 pm.

Sichtbares Licht: Wellenlänge 780 bis 380 nm.

 

 

 

Bildnachweis.

Bild 1-3: Copyright expired. Bild 4: eigene Zeichnung. Bild 5: Copyright expired. Bild 6-14: Public domain. Bild 15: DDR-Münze 1970, Creative Commons Lizenz CC-BY SA, Quelle: Eigenes Werk Scan, 11.1.11. Bild 16: aus Siemens-Katalog. Bild 17: aus Website Marie-Curie-Gymnasium Düsseldorf. Bild 18: Urheber inundart, Download für privat gestattet. Bild 19: NDR. Picture-Alliance/dpa Fotograf Ingo Wagner. Bild 20: eigenes Foto 11/2013.