Bild 2. Gedenkmarke zum 100. Geburtstag.

Wer war Konrad Zuse? War er Träumer oder Realist? Techniker oder Künstler? Bauingenieur oder Informatiker? Hard- oder Softwarespezialist? Bastler oder Firmenboss? Philosoph oder Erfinder? Wer war dieser Mann eigentlich, dem wir die Jahrhundert-Erfindung „Computer“ verdanken, eines Gerätes, das unser Leben stärker als alles andere verändert hat? Wenn wir mal ein bisschen in das Leben von Konrad Zuse (*Berlin 1910, †Hünfeld 1995) und in seine Erfindung hineinschauen, werden wir merken, dass er das alles war, Multitalent, Universalgenie und Humanist.

In Berlin in eine preußische Postbeamtenfamilie geboren, wuchs er in Ostpreußen und Schlesien auf. Auf dem Realgymnasium in Hoyerswerda schweiften seine Gedanken, wie er selbst berichtet, während des Unterrichts oft vom Thema ab und beschäftigten sich mit technischen Basteleien mit seinem heißgeliebten Stabilbaukasten; in seinem Kopf entwarf er Phantasiestädte, und unter seinen Händen entstanden heimliche Karikaturen der Mitschüler und Lehrer.

Bild 3. Mathematikunterricht, wie Konrad Zuse ihn sieht und zeichnet.

Schon mit 17 legte er das Abitur ab, und trotz seiner künstlerischen Ader begann er 1935 an der TH Berlin-Charlottenburg mit einem Maschinenbaustudium. Er wechselte nach kurzer Zeit zum Bauingenieurwesen, weil ihm das als eine ideale Kombination von Ingenieur und Künstler erschien. Aber auch hier konnten alle seine Erwartungen nicht erfüllt werden. Es müsste doch einen Weg geben, die umfangreichen, geisttötenden statischen Berechnungen zu automatisieren, oder? Nebenbei knobelte er an technischen Lösungen im Transport, in der Fotografie, bei Verkaufsautomaten … und fand seine geistige Heimat in einer Studentenverbindung, die die schönen Künste und das Schauspielern pflegte, weil die Studenten hier einen Ausgleich für den nüchternen Hochschulbetrieb fanden. Ihrem Humor waren keine Grenzen gesetzt, sie spielten ohne Manuskript Szenen aus dem Zeitgeschehen oder aus der Geschichte. Konrad spielte z.B. den Kaiser Augustus, der von Varus die Legionen wiederhaben wollte. Während einer wehrtechnischen Übung bei der Reichswehr sah er erstmals ein Richtgerät der Fliegerabwehrkanone und war mächtig beeindruckt von den zahlreichen Kurvenwalzen, Spindeln und Getrieben.

Bild 4. Der Rechenschieber. Bis zur Erfindung des Computers war er DAS Recheninstrument des Ingenieurs.

Bild 5. Konrad Zuse im Alter von 25.

Nach dem bestandenen Diplomingenieur-Examen 1935 fand er seine erste Anstellung bei den Henschel-Flugzeugwerken in Berlin-Schönefeld. Er musste dort zusammen mit Heerscharen von Kollegen zeitraubende, monotone statische Berechnungen von Flugzeugteilen durchführen, mit Rechenschiebern und handkurbelbetriebenen mechanischen Rechenmaschinen, die nur die vier Grundrechenarten und Wurzelziehen verarbeiteten. Diese Tätigkeit, für die er nach eigenen Worten zu faul war, gab Zuse den entscheidenden Impuls, hierfür eine neuartige, vollautomatische Rechenmaschine zu entwickeln. Er kündigte nach ein paar Monaten, um in der Wohnung seiner zunächst fassungslosen Eltern 1936 einen frei programmierbaren Rechner zu konstruieren. So entstand in Berlin-Kreuzberg in der Methfesselstraße 7 seine „Erfinderwerkstatt“. Sachkenntnis für die neue Aufgabe hatte er nicht, dafür aber eine fundierte technische Ausbildung, Kreativität und die geistige Bereitschaft zum Forschen und Erfinden.

 

 

 

Bild 6. Binärzahlen, Bits und Bytes - keine Geheimwissenschaft.

Der erste Computer der Welt ratterte in einem Wohnzimmer in Berlin-Kreuzberg. Wie nun anfangen? Vorhandene Rechen-Maschinen studieren? Nein, zu kompliziert und zeitraubend! Das muss einfacher gehen! Warum eigentlich das Zehner-Zahlensystem benutzen, nur weil wir zehn Finger haben? Das binäre, also nur aus den Ziffern 0 und 1 bestehende Zahlensystem, von dem deutschen Naturwissenschaftler Leibniz schon 1679 erfunden und von dem englischen Mathematiker Boole 1854 auch für logische Verknüpfungen angewandt, schien Zuse besonders geeignet zu sein; denn null oder falsch konnten durch einen offenen und eins oder richtig durch einen geschlossenen Schalter abgebildet werden. Das traditionelle Dezimal-System abzuschaffen, völlig neue Wege zu gehen, dazu gehörte schon eine gehörige Portion Mut. Nach anfänglicher Skepsis unterstützten ihn seine Eltern so gut sie konnten, auch seine Schwester. Studienfreunde halfen auch mit Geld oder arbeiteten praktisch mit beim Zusammenbasteln der Maschine. Sie hatten großes Vertrauen in seine Fantasie und seinen Erfindergeist, der geniale konstruktive Lösungen am laufenden Band produzierte. An erster Stelle war es Helmut Schreyer, der ihn dazu bewegen wollte, von den mechanischen Schaltelementen auf elektrische Röhren umzustellen. Aber Zuse hielt noch zwei Jahre an seiner mechanischen Lösung fest, weil er der Meinung war, mit Röhren baue man Radios und keine Rechenmaschinen. Aber der Weg führte ihn zwangsläufig von der Mechanik zur Elektromechanik und zur Elektronik.

Bild 7a,b,c. Gedenktafel in der Methfesselstraße, Berlin-Kreuzberg. Im Haus hinter dieser Mauer stand der erste Computer der Welt, nicht im Silicon Valley.

Bild 8. So sah er aus, der erste Computer in Zuses Wohnzimmer, Originalfoto der Z1.

1936-1938 entstand das Versuchsmodell einer elektrisch angetriebenen, rein mechanischen Rechenmaschine. Die Z1 funktionierte nicht fehlerfrei, aber das war bei der unzureichenden Präzision der Bauteile auch nicht verwunderlich, bearbeitete Zuse doch Tausende von Blechen, die er für den Bau von Z1 benötigte, mit einer kleinen elektrischen Laubsäge. Aus Kostengründen verzichtete er zunächst auf Fernmelderelais und entwickelte ein aus gestanzten Blechen bestehendes mechanisches Schaltglied, das z.B. in der offen-Stellung die Null und in der geschlossen-Stellung die Eins realisieren konnte.

Bild 9. Das Gleitkomma-System - einfach erklärt.

In seiner darüberhinaus entwickelten Theorie der Datenverarbeitung kam er zu der Erkenntnis, dass sich sämtliche Rechen- und Denkoperationen in Elemente auflösen lassen, und dazu benötigte er: Eingabe-, Speicher-, Steuer-, Rechen- und Ausgabewerk. Z1 bestand aus diesen Einheiten, der Rechenablauf war eine Folge einzelner Programmschritte, Ziffern wurden ins binäre System übersetzt, die Zahlendarstellung erfolgte im Gleitkomma-System (Floating Point System), und, man höre und staune, er erfand „Plankalkül“, die wohl erste Programmier-Sprache zur Formulierung schematisch-kombinativer Aufgaben. Er steuert seinen Computer durch ein Programm, das er auf ausgemusterte Kinofilmstreifen aus den Babelsberger Filmstudios stanzt. Ein Loch bedeutet „1“, kein Loch „0“. Jeder Befehl besteht aus 8 Bits: eines für Eingeben, zwei für Speichern, vier für Rechnen und eines für Ausgeben des Resultats.

Entscheidend erwies sich das Speicherproblem, d.h. Einspeichern und Wiederablesen von Zahlen. Bei den bis jetzt bekannten Speicherwerken wurden die Dezimalziffern durch viele Rädchen mit je 10 Positionen repräsentiert, die durch Drehen einer großen Trommel in eine Position gebracht wurden, die Werteaustausch mit dem Rechenwerk erlaubte. Beim binären System gab es jetzt Elemente mit nur 2 Stellungen, die nur rechtwinklig zueinander bewegt wurden. So konnten 1000 binär nummerierte, vom Wählwerk angesprochene Speicherzellen auf einem Volumen von ½ m3 untergebracht werden.

Bild 10. Z1, der Urgroßvater aller Computer. Wie rechnet er mit Blechen? Modelle im "Zuseum" Bautzen.

Bild 11. Die Architektur des Rechners Z1

Bild 12. 30000 gestapelte Blechplättchen. Nachbau der Z1 im Technikmuseum Berlin (1989). V.r.n.l.: Speicher, Datenbus, links von Mittelkonsole Rechenwerk, Konvertiereinheit, links oben Eingabe- und Ausgabe-Einheit

Damit ist die Z1 der erste Programm gesteuerte, binäre Gleitkommarechner der Welt, der schon die Boolesche Schaltungslogik verarbeiten kann (und, oder, Negation, Antivalenz).

Und er funktionierte! Er hatte keinen Bildschirm, eine Handkurbel für Proberechnungen, das Rechenprogramm war auf Lochstreifen gestanzt. Aufgebaut auf einer genialen Theorie, hergestellt nach einer ebenso genialen Konstruktion, bestehend aus gestapelten Scharen von Blechstreifen mit Stahlzylinderchen dazwischen, wie von Geisterhand gesteuert von Löchern, die mit einem Handlocher in ausgemustertes Filmzelluloid-Band gestanzt wurden, angetrieben von einem Staubsaugermotor, der mit zig Stangen die Bleche in zuckende Bewegung brachte. Die Maschine, groß wie ein Esstisch für acht Personen, spuckte unter schlimmem Gerassel exakte Lösungen für komplizierte Aufgaben aus. Zuses himmelstürmende Ideen waren real! Er hatte mit dieser Rüttelmaschine die Leibniz´sche Revolution eines vom Normalen abweichenden Zahlensystems in die Praxis umgesetzt, und das alles auf Kosten seiner Eltern in deren Wohnzimmer, nicht in einer kalifornischen Garage. Der Mann, der nicht rechnen wollte, erfindet die universale Rechenmaschine. Es war ein einsamer Entschluss, er sagte: Ich habe entschieden, ich muss! Die Bezeichnung "Tüftler" wird Zuse nicht gerecht, seine Vorstellung vom Rechnen geht klar darüber hinaus.

 

Bild 13. Wie rechnet die Z3 mit Relais? Erregerspule unter Strom: magnetischer Anker angezogen, Kontakt geschaltet. Erregerspule ohne Strom: Feder stellt Anker in Ausgangslage zurück, Kontakt geschaltet. Glühbirne brennt, wenn eines der Relais eingeschaltet ist (auf 1 steht).

Nach zwei Jahren Arbeit an der Z1 musste Konrad Zuse feststellen, dass die rein mechanischen Schaltelemente zu träge, zu ungenau und nicht flexibel genug waren. Aber die Erfahrung mit den gleich bleibenden Grundgesetzen der Schalttechnik und der mathematischen Logik half ihm beim Übergang zur Elektromechanik und zur Elektronik. Für den 1939 fertiggestellten Rechner Z2 ersetzte er das mechanische Rechenwerk durch 200 elektrische Relais, konnte damit das Gewicht halbieren und die Takt-Frequenz verzehnfachen. Die Vorführung überzeugte die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt in Berlin-Adlershof, die daraufhin den Bau des Rechners Z3 teilfinanzierte. Der war 1941 fertig, hatte 600 elektromagnetische Relais im Rechenwerk, 1408 im Speicherwerk (1 Relais je Bit) und 300 im Wählwerk. Der erste voll funktionsfähige, vollautomatische, Programm gesteuerte, frei programmierbare Rechner der Welt mit binärer Gleitkommarechnung für 4 Grundrechenarten und Quadratwurzel, dezimale Ein-und Ausgabe, Mantisse 4 Ziffern, Exponent -8 bis +8, Addition 0,8 Sekunden,  Multiplikation 3 Sekunden.

Bild 14. Die Z3 im Deutschen Museum München, ein funktionsfähiger Nachbau von 1962.

Die Z3 sollte zur Berechnung der kritischen Schwingungsfrequenzen der Tragflügel von Jagdflugzeugen verwandt werden, wurde aber von den engstirnigen Offiziellen als Spielerei angesehen.

1942 begann die Arbeit an der Z4, jetzt in seiner eigenen Firma „Ingenieurbüro und Apparatebau Berlin“, erst mit drei, dann mit zwanzig tatkräftigen, begeisterten Mitarbeitern. Sie war die einzige, die in Deutschland Rechengeräte entwickeln durfte. „Zuse Ingenieurbüro und Apparatebau Berlin“, erst mit drei, dann mit zwanzig tatkräftigen, begeisterten Mitarbeitern. Sie war die einzige, die in Deutschland Rechengeräte entwickeln durfte. Sie waren schon stark vom Bombenkrieg behindert. Bei einem Bombentreffer konnte sich Zuse gerade noch unter einen Türrahmen retten, als hinter ihm das Treppenhaus in die Tiefe stürzte. Die Z4 musste dreimal innerhalb Berlins ihren Platz wechseln. Die Fehlersuche nahm den größten Teil der Energie der Erfinder in Anspruch; Zähigkeit und gute Nerven waren mehr gefragt als Intelligenz, und kurz vor dem Erfolg musste man schon wieder den Luftschutzkeller aufsuchen.

Bombenhagel und Flucht nach Bayern, mit dem Computer.

Nach dem Krieg erfuhr Zuse, dass Professor Aiken von der Harvard-Universität 1944 den „sequence controlled calculator“ Mark I entwickelt hatte. 1947 konnte Zuse bei einem Besuch in den USA diesen Rechner besichtigen und feststellen, dass der Mark I noch mit dem Dezimalsystem und mit einer veralteten Schaltalgebra arbeitete. Zuse hatte also 1944 einen Entwicklungsvorsprung, in dem ein gewaltiger wirtschaftlicher Nutzen hätte liegen können, wenn man damals nicht ausschließlich militärische Ziele im Auge gehabt hätte. Noch kurz vor Kriegsende konnte die Z4, jetzt im Keller in der Oranienstraße 6, funktionsfähig fertig gestellt werden. Die Z1, die Z2 und die Z3 waren inzwischen unter Schutt und Trümmern versunken, auch alle Konstruktionspläne und Zeichnungen. Um der Z4 dieses Schicksal zu ersparen, lautete die Parole jetzt: die V4 muss aus Berlin in Sicherheit gebracht werden! Die Bezeichnung stand für Versuchsmodell 4, und der Gleichklang dieser Abkürzung mit der für die „Wunderwaffen“ V1 und V2 hat den Computer auf der 4-wöchigen Flucht ins Allgäu gerettet.

Zunächst wurden in der Aerodynamischen Versuchsanstalt Göttingen die ersten Programm gesteuerten Berechnungen unter den Augen des berühmten Professors der Aerodynamik Ludwig Prandtl durchgeführt. Als der Kanonendonner näher rückte, erhielten sie den Befehl, die V4 in die unterirdische Rüstungsfabrik im Kohnstein bei Nordhausen zu bringen. Konrad Zuse stand dort zum ersten Mal der unmenschlichen Grausamkeit des Dritten Reiches gegenüber; der Anblick von 20 000 KZ-Häftlingen, die unter unvorstellbaren Bedingungen in den Kilometer langen Stollen des Kohnstein zu Tode geschunden wurden, erschütterte ihn derart, dass er sich sagte: überall hin, nur nicht hierher! Ein Militärlastwagen mit 1000 Liter Dieselöl, besorgt von der Peenemünder Raketengruppe unter Wernher von Braun, brachte die Computergruppe ins Allgäu, schließlich handelte es sich um die V4! Für die V2- und die V4-Mannschaft gab es in den letzten Kriegstagen noch einmal äußerste Gefahr: es gab einen allerhöchsten Befehl, alle Wissenschaftler und Ingenieure zu erschießen, um den Aliierten kein deutsches Know-How in die Hände zu liefern. Es gelang in allerletzter Minute, den Führer der fanatischen SS-Einheit von dieser Wahnsinnstat abzuhalten.

Bild 15. Zuse, der Künstler - Hinterstein im Allgäu. Mit Holzschnitten, wie diesen ernährte er seine Familie nach dem Krieg.

Von Braun, dem Zuse den Computer vorstellte, hatte nicht den Weitblick, sich vorzustellen, welche Schlüsselstellung der Computer eines Tages in der Weltraumfahrt einnehmen würde. So fand es Zuse richtiger, sich in dem kleinen Alpendorf Hinterstein selbständig zu machen. Noch einmal gab es einen großen Schrecken, als sich das Gerücht verbreitete, in Hinterstein sei die Vergeltungswaffe V4 versteckt, die jederzeit explodieren könne. Englische Offiziere inspizierten das Gerät in einer Garage und fuhren sichtlich enttäuscht wieder ab.

Neuanfang und Erfolge nach dem Krieg.

Nach diesen dramatischen Ereignissen hieß es, sich wieder auf die Entwicklungsarbeit zu konzentrieren. Nach der totalen erzwungenen Isolierung der deutschen Wissenschaftler im dritten Reich konnten sie jetzt Genaueres über den Stand von Wissenschaft und Technik außerhalb Deutschlands erfahren. Konrad Zuse zog schon 1945 Bilanz in der Computer-Technologie: Seine Geräte Z3, Z4 und das Prozess-Steuerungsgerät S2 hatten einen Vorsprung gegenüber den amerikanischen Rechenmaschinen Mark, Eniac und Bell, die entweder mit dem ungeeigneten dezimalem Festkommasystem rechneten oder einen viel zu hohen Konstruktions- und Bauaufwand erforderten. Obwohl die Industrie auch in USA gegenüber den neuen Supermaschinen sehr zurückhaltend war, wurde aber die Entwicklung dort von wissenschaftlichen Instituten gefördert, so dass auf breiter Basis und mit voller Kraft weiter gebaut werden konnte. So ging der Vorsprung in Deutschland in den Nachkriegsjahren weitgehend verloren, zumal bis zur Währungsreform 1948 die Entwicklungsarbeit nahezu völlig ruhte. Und, man mag es kaum glauben, das deutsche Patentamt teilte Zuse 1967, also 26 Jahre nach der Anmeldung, mit, dass seine Programm gesteuerte Rechenmaschine wegen mangelnder Erfindungshöhe nicht patentiert werden kann. Die größte Erfindung des Jahrhunderts! Ein unverständliches, krasses Fehlurteil, das seine Arbeit erschwerte, ihm die Anerkennung versagte und mit dazu beitrug, seiner Firma den Todesstoß zu versetzen. Bei einem Besuch in der Harvard-Universität in USA führte Prof. Aiken Herrn Zuse seine Geräte vor, zeigte aber kein Interesse an den deutschen Entwicklungen und war im übrigen der Meinung, der Computer sei eine amerikanische Erfindung. Mr. Zuse, zeigen Sie mir Ihre Computer! Wie sollte Zuse das können? Waren doch seine Geräte Z1, Z2 und Z3 dem Bombenhagel in Berlin zum Opfer gefallen, einschließlich aller Konstruktions-Zeichnungen, und Fotos gab es keine! Aikens Rechner lief erst 1944, drei Jahre später als Zuses Z3.

Bild 16. Konrad Zuse 1950. Seine Z4 läuft an der TH Zürich als Arbeitspferd.

1948 gelang es ihm, für sein „Zuse-Ingenieurbüro in Hopferau bei Füssen“, wohin er umgezogen war, zwei Kunden an Land zu ziehen, einmal die Firma Remington-Rand aus USA, die ihm einen Entwicklungsauftrag für einen speziellen Zusatzrechner für Lochkartengeräte erteilte und zum anderen die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, die seine schadhaft gewordene und überholte Z4 gegen gutes Geld mietete, nachdem Zuse den Test bestanden hatte, nämlich eine ihm diktierte Differentialgleichung zu programmieren und mit der Maschine auf Anhieb zu lösen. Fünf Jahre lang bis 1955 erwies sich die Z4 als das Arbeitspferd an der ETH; sie arbeitete so zuverlässig, dass man sie nachts unbewacht durchlaufen ließ. Beide Aufträge verschafften ihm die Basis für einen Neuaufbau der Firma, und so konnte er 1949 nach Hünfeld in Hessen umziehen und dort die „Zuse KG“ ins Leben rufen.

Noch Mitte der 1950er hatte die große deutsche Elektroindustrie nicht erkannt, welche enormen Möglichkeiten in elektronischen Rechengeräten steckten – mit schlimmen Folgen für die gesamte deutsche Wirtschaft; denn die Entwicklung und Herstellung von Computern erwies sich als die wichtigste Industrie der Welt. So bauten die Hochschulinstitute ihre eigenen Computer, so in München, Göttingen, Darmstadt und Dresden. Das Verhältnis der Industrie zu dem von den Journalisten geprägten Schlagwort „Elektronengehirn“ war durch Desinteresse und mangelnden Geschäftssinn gekennzeichnet. Zuses ganze Energie galt seiner Firma; seine Haupttätigkeit war es, Märkte zu erschließen. Er machte Vorschläge, seine Maschinen für Betriebsführung einzusetzen, Flugbuchungen und Webstuhlsteuerungen zu automatisieren, mathematische Modelle für anthropologische und medizinische Analysen zu erstellen – sie wurden alle in Bausch und Bogen abgelehnt mit der Begründung: nicht durchführbar, unpraktikabel, auf den Menschen keine Rücksicht nehmend, usw. usw. Alles Argumente der verpassten Gelegenheiten; was hätten die Deutschen mit Zuses Jahrhundert-Erfindung alles machen können! Aber er hatte auch schöne Erfolge, z.B. bei Leitz in Wetzlar. Die Optimierung eines einzigen Objektivs erforderte Tausende von Berechnungen des Strahlendurchgangs, eine Mammutaufgabe für ein Dutzend Techniker für mehrere Jahre, die Tischrechenmaschinen, Rechenschieber und Logarithmen-Tafeln benutzten. Die Z5 brachte da einen riesigen Fortschritt. Auch die Folgemodelle Z11, Z22 und Z23 fanden guten Anklang bei der optischen Industrie Mitteleuropas. Die sah aber im Computer nur einen Rechenknecht für den Strahlengang, sie machte nicht den zweiten Schritt der direkten Optimierung der Linsenform durch den Computer und büßte so ihren Vorsprung gegenüber der ausländischen Konkurrenz ein.

 Bild 17. Die Steuerung des Computers von 1936 bis heute: Mechanische SchaltgliederRelaisElektronenröhrenTransistorenintegrierte Schaltkreise.

 

Die Z22 markiert 1958 den Übergang zur Elektronen-Röhre, bei der der von einer Kathode ausgehende Strahl von Elektronen zur Steuerung der Ja-Nein-Befehle benutzt wird. Damit wurde die Multiplikation 200mal schneller als mit elektromagnetischen Relais. Die Z22 war ein großer finanzieller Erfolg für die Firma. Es wurde eine Serie von 56 Rechnern ausgeliefert, wie z.B. an die Betriebswirtschaft, Bautechnik, Elektrotechnik, Ballistik, Vermessungstechnik, Optik, Aerodynamik, den Maschinenbau, Kernreaktorbau, Bergbau. 1961kam dann mit der Z23 schon der Übergang auf die Transistortechnik, bei der die Elektronen vom Emitter zum Kollektor durch ein extrem dünnes Halbleiterkristall geschickt und von einem Strom durch ein eingebettetes Metallblech gesteuert werden.

Finanzielle Schwierigkeiten und Pleite.

1962 kam dann, was kommen musste. Im Gegensatz zur amerikanischen Firma IBM, deren Computerentwicklung vom Staat mitfinanziert wird, muss die Firma Zuse die Entwicklungskosten durch den Verkauf ihrer eigenen Rechner aufbringen, staatliche Förderung gibt es so gut wie nicht. Der Kostenaufwand für die Programmierung, also für die Software, wurde inzwischen so hoch wie die der Geräte, also der Hardware. Die Software umfasst ja nicht nur die Anwenderprogramme, sondern auch die interne Organisation des Computers, das Betriebssystem. Die Verzögerung und dann Ablehnung der Patenterteilung ließen die erhofften Lizenzeinnahmen ausfallen. Die Vertriebskosten wurden immer höher und der Konkurrenzdruck von IBM immer größer. Das Ausscheiden und die Auszahlung zweier Teilhaber war ein harter Schlag für die Firma, und zu allem Überfluss gab es Schwierigkeiten mit der Z25, deren (zugekaufte) neue Transistor-Typen Kinderkrankheiten aufwiesen. Ja, für alle diese Schwierigkeiten fehlte der Firma die notwendige Eigenkapital-Reserve, und für Bankkredite konnte Herr Zuse keine Sicherheiten bieten. Er musste sich den Vorwurf gefallen lassen, schwere Management-Fehler begangen zu haben. Vielleicht ist es ja so, dass ein Vollblut-Ingenieur immer nur ein Halbblut-Kaufmann sein kann, der von finanziellen Dingen wenig Ahnung hat. Jeder kann verstehen, wie unendlich schwer es ihm fallen musste, die Fabrik, die sein Lebenswerk, den Groß-Computer,  produziert hatte, und zwar 250 davon, zu verkaufen. Über zwei Stationen hinweg landete die Firma 1967 in den Armen des Großkonzerns Siemens, der aber das ruhmreiche Erbe des Erfinders und Pioniers im Kampf gegen US-Konzerne und auch später beim Siegeszug des PC nicht zu nutzen verstand. Hier gibt es, wie in vielen Großfirmen, eine Überheblichkeit gegenüber einer fremden Idee; Zuses Wundermaschine ist ja nur zugekauft und nicht im eigenen Haus erfunden worden, kann daher nicht funktionieren! Man verteidigt eben seine Erbhöfe. Schade! Deutschland hat wieder mal eine große Chance verpasst und musste daher Anderen das Feld überlassen.

Bild 18. Konrad Zuse in den 1980ern.  Bild 19. Seine Hochhäuser - Ähnlichkeiten zur Z1 sind kein Zufall.

1969 scheidet er aus der Zuse KG. aus … und ist wieder frei für die Wissenschaft, für Ehrungen, für einen Blick in die Zukunft und für seine geliebte Malerei. Frei auch, über seine Erfolge und über sein Scheitern nachzudenken. Im Rückblick bezeichnet er sich als weltberühmten Unbekannten, der viel unbekannter als Karajan ist und der doch unser aller Leben viel stärker verändert hat, der als verkannter Weltverbesserer die Mitmenschen von der Qual des stumpfsinnigen Rechnens befreit hat – aus Faulheit. Von der Uni Göttingen wird er zum Professor berufen, erhält insgesamt vierzehn Doktortitel ehrenhalber, bekommt den Werner-von-Siemens-Ring, die Dieselmedaille in Gold, das Große Bundesverdienstkreuz, den Bayerischen Maximiliansorden, usw. usw. Baut für das Technikmuseum Berlin die Z1 in allen Einzelheiten nach. Zwei Schulen und sechs Straßen in deutschen Städten sind nach ihm benannt (warum eigentlich in Berlin nicht, ist Karajan wichtiger als Zuse?). 1999 erst wurde ihm auch in den USA die Anerkennung zuteil, die er verdiente: vier jahre nach seinem Tod wurde er "Posthumous Fellow, Computer History Museum, Stanford University" in Kalifornien: Inventor of world´s first general-purpose, program-controlled, electromechanical computer.

Der Computer heute - ohne ihn geht nichts mehr.

Der Computer ist aus dem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken. Er sorgt für Verkehrsregelung, steuert Züge, Flugzeuge, Schiffe, Raketen, Raumfahrzeuge, ermöglicht Satelliten gestützte Navigation, stellt Rechnungen und Bankauszüge aus, hat das Büro revolutioniert, überwacht den Produktionsablauf, steuert Werkzeugmaschinen und Roboter, hat in den Konstruktionbüros das Zeichenbrett abgelöst und erlaubt über das Internet einen (fast) unbegrenzten Zugang zu Praktischem und Wissenswertem, besser als es jedes 25-bändige Lexikon kann. Und er analysiert objektiv und unbestechlich die riesigen Datenmengen, die bei der Erforschung des Weltraums, des menschlichen Erbgutes DNA, der Elementarteilchen, Strömungsmechanik im Fahrzeugbau, Klima- und Ozeanberechnungsmodelle, Kernfusion, Materialforschung anfallen.

Bild 20. Die Großcomputer am Zuse-Institut Berlin. Steigerung der Rechenleistung.

Bild 21. Die Großcomputer am Zuse-Institut Berlin. Weltweit werden immer mehr und immer schneller Hochleistungs-Computer aufgestellt: Der Rechner SGI ICE am ZIB war 2008 an 73. Stelle, ein Jahr später an 199. Stelle in der Leistung.

 

Ausgewählte Supercomputer (weltweit):

 

Bild 22. Die größten der Welt bis November 2016.

 

Bild 23. Begriffe und Definitionen.

 

Bild 24. Die rasante Steigerung der Rechengeschwindigkeit der Computer: In 11 Jahren jeweils um das 1000-fache! Maximum im Juni 2011 beträgt 8,1 Pflops, 2012 liegt die Spitze bei 16,3.  In 2020 wird 1 Eflops erreicht sein. flops... floating point operations per second. k...kilo=1000, M...Mega=1Million, G...Giga=1Milliarde, T...Tera=1Billion, P...Peta=1Billiarde, E...Exa=1Trillion. Achtung: Die y-Achse hat logarithmischen Maßstab, d.h. eine Gitterlinie Faktor 10.

Die Rechenleistung eines Computers wird heute in "Flops" gemessen, d.h. floating point operations per second, Gleitkommaoperationen in einer Sekunde. Der Z1 benötigte für eine Operation, z.B. eine Addition 5 Sekunden, d.h. 0,2 Flops, der Z3 hatte eine Rechenleistung von 0,3 Flops, und der Z23 schon 15 000 Flops, ein heutiger Laptop liegt mit seiner Rechenleistung je nach Ausstattung ungefähr zwischen 0,5 und 15 GFlops (Giga-Flops, Milliarden Rechenschritte pro Sekunde).

Bild 25. Anzahl der Schaltkreiskomponenten auf einem Computerchip: 1971 2300, 1990 1 Million, 2011 2,6 Milliarden, 2016 > 10 Milliarden. Moore´s Law: Verdopplung alle zwei Jahre.

Ende Oktober 2010 hat China den bisher schnellsten Computer der Welt, den amerikanischen XT5 Jaguar von Cray überrundet: Der chinesische Supercomputer Tianhe-1A erreicht 2,2 Peta-Flops (PFlops=1015 Rechenschritte, d.h. Billiarden pro Sekunde). Er verwendet Intel- und Nvidia-Chips, aber das Kommunikationssystem der 21000 Chips ist rein chinesisch. Der Jaguar erreicht 1,75 PFlops. Im Juni 2011 hat der japanische Superrechner K Computer den Chinesen überholt, mit 8,1 PFlops. Der schnellste deutsche Rechner steht im Forschungszentrum Jülich und bewältigt 0,825 PFlops. Wie rasant die Entwicklung fortschreitet zeigt dieser Vergleich: der schnellste Rechner im Zuse-Institut Berlin, ein SGI ICE mit 0,16 PFlops war 2008 der 73. der Weltrangliste, ein Jahr später der 199.!

Bild 25a. Technologie-Knoten, Entwicklung. Meilenstein f. Herstellung eines Chips. Halber Abstand zweier elektrischer Leiterbahnen, z.B. heute 14 nm.

Bild 26. Zuses Vorbild - Ada Augusta Byron, eine englische adlige Mathematikerin aus dem 19. Jahrhundert.

Zuses Vorbild - eine englische Mathematikerin aus dem 19. Jahrhundert.

1994 passierte etwas Ungewöhnliches: dem Literaturwissenschaftler Friedrich Christian Delius gibt Konrad Zuse ein langes Tonband-Interview. Der durfte es erst nach Zuses Tod in Buchform veröffentlichen: F.C. Delius: "Die Frau, für die ich den Computer erfand", Roman, Rowohlt Berlin, 2009. Da erfahren wir voller Staunen, dass Zuse eine leidenschaftliche Fernliebe zu Ada Augusta Byron, Countess of Lovelace (1815 -1852), der Tochter Lord Byrons gehabt hat. Sie war Mathematikerin und legte einen Plan vor, wie man Zahlenreihen mit der vom Erfinder Charles Babbage erdachten Maschine berechnen könne. Dies brachte ihr den Ruhm ein, das erste Computer-Programm geschrieben zu haben. Sie war die Frau, zu der er in Bewunderung aufblickte, die ihm half, den Computer zu erfinden, die ihn tröstete, wenn er Misserfolge hatte, die ihn vorwärts peitschte, wenn er abschlaffte, die ihm beistand, Durststrecken zu überwinden. Da sie seine mathematische Lebensgefährtin, seine Muse der Naturwissenschaft, seine Schutzpatronin war, widmete er ihr seinen Computer, nannte er insgeheim für sich seine Rechner nicht Z1, Z2, Z3…., sondern der fernen Ada zu Ehren A1, A2, A3… Sie war die Frau, für die ich den Computer erfand, bekennt er auf dem Tonband. Oder hat sich Delius diese Geschichte nur ausgedacht und lediglich die Biografie Zuses auf diese unterhaltsame Weise geschrieben? Nun, lieber Leser, streng dich ein bisschen an und finde es heraus, ist es Dichtung oder Wahrheit?

 

 

 

Bilder 27, 28, 29, 30. Ehrungen für den Erfinder des Computers: Wie der Künstler ihn sieht...und Denkmäler in Hünfeld und Bad Hersfeld, Münze 2010.

 

 

Bildnachweis

1, 2, 3, 4: eigene Fotos. 12, 18, 19: eigene Fotos Technik-Museum Berlin. 8, 20, 21: eigene Fotos Zuse-Institut Berlin. 6, 9, 11, 13, 17: eigene Zeichnungen. 7a,b,c: Eigene Fotos 2015. 10: Website Zuseum Bautzen. 14: User Teslaton, GNU-Lizenz für freie Dokumentation. 5: Spiegel online 2010. 24: Urheber Geek1337, GNU-Lizenz für freie Dokumentation. 25: Wgsimon, CC BY SA 3.0. 25a: Cmglee, CC BY SA 3.0, unported. 26: Wikipedia, public domain, copyright erloschen. 15: Aus: Zuse, Konrad: Der Computer - mein Lebenswerk, 2. Aufl. Berlin, Springer, 1986. 22, 23: Lizenz: Wikipedia, Creative Commons Attribution/Share Alike. 16: Website Horst Zuse. 28: Urheber profiler 1888, GNU free documentation licence. 29: Public domain. 27:Computerwoche 6/2010. 30: Eigenes Foto 2011.