Vom Handelsvertreter zum Motorenerfinder. Als sechstes Kind eines Bauern aus dem Taunus musste Nikolaus Otto (*1832 Holzhausen, †1891 Köln) trotz hoher Begabung jede Hoffnung auf ein Studium begraben. Nach nur zwei Jahren Realschulbesuch blieb ihm nichts übrig als Kaufmann zu lernen und als Handlungsreisender durch die Lande zu ziehen, obwohl seine Liebe von Jugend auf der Technik galt.

Bild 1: Nikolaus Otto - Erfinder des Verbrennungsmotors. Bild 2: Goldmedaille für den atmosphärischen Gasmotor von 1864. Bild 3: Viertakt-Gasmotor. Serienausführung von 1877. 1 Zylinder, Wasserkühlung, 2,9 kW, 18 U/min, Hubraum 8 l, Bohrung 160 mmm, Hub 400 mm.

Bei seinen Reisen konnte er beobachten, dass der industrielle Aufschwung nach 1850 geradezu nach (kleineren) Motoren dürstete. Die Erfindung des Gasmotors durch den Franzosen Étienne Lenoir faszinierte ihn derart, dass er sich 1861 eine kleine Modellmaschine bauen ließ, um das Wunderding zu studieren. Er war wie viele Gelehrte und Ingenieure von der Vision einer frei verfügbaren, von Wasser, Wind und Leitungsverbindungen unabhängigen Energie besessen, die flexibel eingesetzt werden und dem Menschen eine neue Bewegungsfreiheit zu Lande, im Wasser und in der Luft verschaffen könne. Ottos Idee erwies sich als tragfähig und machte ihn nach vielen vergeblichen Versuchen zum Erfinder des Benzinmotors, den wir heute Otto-Motor nennen.

James Watts Dampfmaschine, die Trägerin der industriellen Revolution, erfüllte diese Sehnsucht schon seit 100 Jahren, in der Industrie, im Bergbau und im Schienenverkehr –  nicht aber als Kraftfahrzeugantrieb, da sie mit Kohlenkessel und -behälter viel zu umständlich, zu schwer und daher völlig unbrauchbar war.

Der Lenoir-Motor verschwand vom Markt, weil der Gasverbrauch zu hoch und der Gang zu stoßhaft war. Das war die Stunde des Autodidakten Otto. Er erkannte den Lenoir-Motor als wichtigen Schritt zu „seinem“ Motor. Er experimentierte mit der kleinen Modellmaschine, gab seine Stellung als Kaufmann auf, brachte durch diverse Änderungen schließlich das Viertaktverfahren – Ansaugen, Verdichten, Arbeiten, Ausschieben – zum Laufen.   

Aber die heftigen Verbrennungsstöße zerstörten die Maschine. Die misslungenen Versuche und die Einrichtung einer eigenen kleinen Werkstatt hatten 1863 sein bescheidenes Vermögen aufgebraucht. Es ging nicht weiter, er war völlig am Ende. Man ist versucht, ihm zuzurufen: gib nicht auf, du schaffst es, halte durch, du bringst es zum Vater aller Kraftfahrzeugmotoren auf der Welt!

Bild 4: Gasmotorenfabrik Deutz 1887, rechts Wohnhäuser von Otto und Daimler.

Der erste stoßfrei laufende Motor der Welt. Da kam im wahrsten Sinne des Wortes der „Deus ex machina“ („der Gottt aus der Maschine“, die im antiken Theater unerwartet auftauchende Hilfe) in Gestalt des Sohnes einer wohlhabenden Kölner Familie, Eugen Langen, eines ausgebildeten Ingenieurs, der fest davon überzeugt war, dass Ottos Maschine bald verkaufsreif würde. Die von beiden 1864 gegründete Firma „N. A. Otto & Cie“ befasste sich ausschließlich mit dem Bau von Verbrennungskraftmaschinen. Die neuartige Schiebersteuerung und ein Freilauf machten den Gasmotor (noch nicht Benzinmotor!) stoßfrei. Auf der Weltausstellung 1867 in Paris erhielt der Motor die Goldmedaille, weil er nur ein Drittel der Gasmenge des Lenoir-Motors verbrauchte – endlich Lohn für harte Arbeit. Dieses war der erste Streich.

Bild 5: Der erste stoßfrei laufende Motor der Welt, die sog. atmosphärische Gaskraftmaschine. Die senkrechte Zahnstage treibt die Welle.

 

Es war noch die „atmosphärische (noch nicht Viertakt-) Gaskraft-Maschine“: die Explosion des unter dem senkrechten Zylinder gezündeten Luft-Gas-Gemisches schleudert den Kolben mit seiner Zahnstange nach oben nahe an den oberen Zylinderdeckel, die Zahnstange dreht das Zahnrad auf der Motorwelle über einen Freilauf entgegengesetzt zur Welle, der Atmosphärendruck drückt dann den Kolben infolge des darunter herrschenden Vakuums nach unten und leistet Arbeit, weil das Zahnrad jetzt mit der Welle verbunden ist. Der Motor läuft stoßfrei, da die heftige Explosion vom Triebwerk fern gehalten wird.

Im Kölner Vorort Deutz wurde die ansehnliche „Gasmotorenfabrik Deutz AG.“ gebaut (die spätere Klöckner-Humboldt-Deutz AG.). Otto wurde kaufmännischer, Daimler technischer Direktor und Maybach Chefkonstukteur; Langen war ebenfalls Vorstandsmitglied, griff aber, eine weise Entscheidung, nicht in die täglichen Geschäfte ein. Mit dieser geballten Kompetenz konnte der Erfolg nicht ausbleiben; innerhalb von zehn Jahren, also bis 1877 wurden 2640 Motoren für Industrie und Handwerk verkauft. Filialfabriken in Wien, Philadelphia, Paris und eine Lizenzvergabe in Manchester sorgten für eine sehr weite Verbreitung des atmosphärischen Otto-Gasmotors in den Industrieländern. Endlich waren für Nikolaus Otto gute Jahre gekommen; er wohnte neben der Fabrik in einem Neubau mit großem Garten, von dem sein Blick über den Rhein zu den Türmen des Kölner Doms schweifte.

    

Bild 6: Die "Geburtsurkunde" des Otto-Motors, 9.5.1876. Das Indikatordiagramm. Druckverlauf aufgetragen über dem Hub.

 

Bild 7: Ein Otto-Gasmotor (ganz hinten) in einer Werkstatt treibt über viele Transmissionsriemen viele Maschinen an.

 

1876, der Gasmotor mit innerem Überdruck. Der Atmosphärendruck konnte dem Motor nur 1 PS entlocken; daher blieb die Weiterentwicklung zu einem Motor mit innerem Überdruck und interner Zündung Ottos eigentliches Ziel und gestattete kein Ausruhen auf den Lorbeeren. Die größte Aufgabe sah er darin, die bei hohem Druck wieder auftretende schlagartige Explosion des Luft-Gas-Gemischs zu bändigen und damit eine stoßfreie, stetige Wirkung auf den Kolben zu erreichen. Durch einen sich zum Gemischeintritt verjüngenden Brennraum erzielte er eine dichtere Gemischbildung an der Einströmstelle und eine dünnere in weiterem Abstand. Resultat: eine mit zunehmender Entfernung vom Einlassschieber langsamer werdende Verbrennung! Eine kleine Menge brennendes Gas, kurzzeitig vor die Mündung des Brennraums geschoben, bewirkte die Zündung des angesaugten Luft-Gas-Gemisches. Das war die Lösung des Problems, der Motor mit liegendem Zylinder lief rund bei dreifacher Leistung! Das p,V-Diagramm vom 9.Mai 1876 zeigt einen einwandfreien Verlauf, charakteristisch für alle Verbrennungsmotoren bis heute. Dieses war der zweite Streich.

   

Bild 8: Nikolaus Otto, 1865. Bild 9: Gedenktafel in der Ruhmeshalle im Deutschen Museum München

 

Aus dem Stoßen und Klopfen ist der gleichmäßige Pulsschlag des Verbrennungsmotors geworden, der zum Rhythmus von Abermillionen von Verbrennungskraftmaschinen zu Lande, in der Luft und auf dem Wasser wurde. Eine kleine Werkstatt im Schatten des Kölner Doms wurde zur Geburtsstätte einer Maschine, die das Leben aller Völker zutiefst verändert hat. Die Motorentechnik der Welt war begründet. In den folgenden zehn Jahren wurden 7250 Viertakt-Gasmotoren von ½ bis zu 50 PS (mit mehreren Zylindern) verkauft. Die Fertigung des atmosphärischen Motors wurde 1879 eingestellt. Der Hochdruckmotor war viel kleiner, brachte eine vielfache Leistung und schnurrte wie ein Uhrwerk. 

Das Genie Nikolaus Otto hatte den Motor in einem halben Jahr geschaffen. In 20 Jahren musste keine wesentliche Änderung an der Konstruktion vorgenommen werden. 1930, als Henry Ford in stiller Ehrfurcht vor Ottos Viertakt-Versuchsmotor in Köln-Deutz stand, hatte er Mühe zu glauben, dass die Serienausführung so rasch ohne Übergang auf den Prototypen folgen konnte.

1884, der erste Motor mit flüssigem Kraftstoff. Es musste nun noch die letzte Aufgabe gelöst werden: aus dem mit Leuchtgas betriebenen Motor, der ja an Leitungen gebunden war, einen Benzinmotor zu machen. Erst dann wäre die Maschine für Fahrzeuge einsatzbereit. Seit 1877 befasste sich Otto mit einer Glührohr- und einer elektrischen Zündung eines zerstäubten Benzin-Luft-Gemisches – ohne Erfolg. 1884 nahm er einen neuen Anlauf – mit Erfolg. Die Lösung: ein zwischen den Polen eines Magneten drehender Anker erzeugt einen Strom, der zu einem im Zylinderkopf liegenden Kontakthebel geleitet wird. Zum Zündzeitpunkt wird der Anker beschleunigt, der Hebel abgehoben und der entstehende Lichtbogen entflammt das Gemisch. Das Ganze ist mit der Drehung der Motorwelle über ein Gestänge synchronisiert. Der Oberflächenvergaser, der eigentlich ein Zerstäuber ist, besteht aus einem halb mit Benzin gefüllten Behälter, durch den die Luft über eine eingetauchte Brause angesaugt und dadurch mit Benzintröpfchen angereichert wird. Dieses war der dritte Streich.

Bild 10: So arbeitet der Otto-4-Takt-Motor.

 

Ottos Zerstäubungs- und Zündsystem war betriebssicher und allen anderen Verfahren überlegen. Deutz ließ sich den Apparat nicht patentieren, so dass Robert Bosch ihn unbehindert nachbauen und weiter entwickeln konnte. Diese neue magnet-elektrische Zündung war für Bosch das Eingangstor zu seinem eigenen Welterfolg.

Nach 25 Jahren stand Otto am Ziel des Weges, den er 1860 eingeschlagen hatte, einen Motor zu finden, der ortsfest und auf Fahrzeugen eingesetzt werden konnte. Und der Ottomotor verdrängte auf seinem atemberaubenden Siegeszug über die ganze Welt die von Tieren angetriebenen Göpel, die Windmühlen, die Kolbendampfmaschinen, die Gaskraft- und Heißluftmaschinen. Jetzt war die Zeit reif für Benz´ und Daimlers erste Automobile.

Bild 11: Nikolaus August Otto, 1880

 

Mit dem Otto-Motor steht die Kraft allen zur Verfügung. Mit Ottos Maschine ist die Zeit endgültig vorbei, als die „Kraft“ nur den Herrschern zur Verfügung stand, in Form von Dienern, Leibeigenen, Pferden, Kriegern, Galeerensklaven. Der Verbrennungsmotor war nicht mehr wie die Dampfmaschine an Kessel und Schornstein oder an Schienen gebunden, sondern er gelangte in die Hand der Bürger, einsetzbar an jedem Ort und mit einem Handgriff ein- und auszuschalten. Er war daher sogar Wegbereiter der Gleichheit der Menschen in einer demokratischen Gesellschaft, in der schon ein bescheidener Wohlstand genügt, sich diese mechanische Kraft zueigen zu machen. Überall steht uns Ottos Kraft zur Verfügung – der Traum von Jahrtausenden ist in Erfüllung gegangen.

Die Leidenschaft für die praktischen Anwendungen der Naturwissenschaften, der Geist fürs Tüfteln und Forschen, der unruhige Kopf, dem der ausgetretene Pfad seines Kaufmannsberufs nicht mehr genügte, das Durchhaltevermögen und der unternehmerische Tatendrang – das waren die Elemente im Charakter des Bauernsohns Nikolaus August Otto, die uns die weltumspannende Erfindung der nach ihm benannten Verbrennungskraftmaschine bescherten.

Bild 12: Die Thermodynamik, d.h. Energieumsetzung des Otto-Motors. Typische Daten: Verdichtungsverhältnis 1:7 (min. Zyl.-Volumen/max. Zyl.-Volumen); Verdichtung auf 8-18 bar u. 400 bis 600°C; nach Fremdzündung: ca. 35 - 60 bar, Verbrennungstemp. ca. 2000°C; Abgastemperatur ca. 800 °C.

 

Wie geht es weiter? Jetzt erst, 130 Jahre nach der epochalen Innovation, nach einer kaum noch hinnehmbaren Umweltverpestung, dämmert etwas Neues hinter dem Horizont. Michael Moore, der streitbare amerikanische Regisseur und Schriftsteller sagt im Jahr 2009: vor 120 Jahren überzeugten die Erfinder des Autos die Menschen, ihre Pferde, Sättel und Reitpeitschen aufzugeben und eine neue Art von Transportmittel auszuprobieren. Nun ist es Zeit, den Verbrennungsmotor zu verabschieden.

 

Bildnachweis

Bilder 1, 2: public domain. Bild 3, 7, 9: Eigene Fotos am 1./2.8.2011 im Deutschen Museum München, Gestattungsvertrag für Bildaufnahmen vom 12.7.2011. Bilder 4, 6, 8, 11 aus: Gustav Goldbeck "Gebändigte Kraft", die Geschichte der Erfindung des Otto-Motors, Heinz Moos Verlag München 1965. Bild 5: eigenes Foto, Carl-Benz-Museum Mannheim, 5/11. Bilder 10 u. 12: eigene Zeichnungen