Der Vogel als Lehrmeister. Was hätte er denn machen sollen? Die Formel für die Auftriebskraft einer Flugzeugtragfläche gab es noch nicht, noch kannte man das Naturgesetz des Auftriebs einer leicht schräg geneigten Fläche in einer Luftströmung.

 

Bild1: Otto Lilienthal, 1888.  Lehrmeister Storch, drei flogen ihm davon

Man hatte auch den Vogelflug physikalisch noch nicht untersucht; warum können Raubvögel und Störche trotz ihres schweren Körpers lange kreisen und sogar an Höhe gewinnen, ohne einen einzigen Flügelschlag zu tun? Also machte er sich selbst an die Untersuchung, maß die Formen und die Querschnittsprofile der Vogelflügel genau aus und betrachtete die Vögel als unsere Lehrmeister im Fluge.

Bild 2: Uralt ist die Sehnsucht des Menschen, zu fliegen. Der griechische Mythos Ikarus kam der Sonne zu nah, die Wachsflügel schmolzen, und er stürzte ab.

 

Wir reden von Otto Lilienthal (* 1848 Anklam, † Berlin 1896), dem großen Flugpionier, Erfinder des Flugzeugs. Sein Buch über die Systematik der Flugtechnik von 1889, Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst,  erregte nur geringe Aufmerksamkeit, da die breite Öffentlichkeit die Luftfahrt nach dem Prinzip „leichter als Luft“, d.h. die Weiterentwicklung des Ballons zum Luftschiff, favorisierte. Lilienthal dagegen bezeichnete dies als Irrweg und betonte: Die Nachahmung des Segelflugs muss auch dem Menschen möglich sein. Er nahm einfach nicht hin, dass das Wissenschafts-Establishment ein für alle mal festgelegt hatte, dass der Mensch nicht fliegen könne.

Die Formeln gab es so wenig wie die Windkanäle zur Erforschung der Strömungsprofile, ganz zu schweigen von CFD, den „Computational Fluid Dynamics“ der heutigen mit riesigen Computer-Programmen arbeitenden Generation. Er war, wenn er mit seiner Vision des Menschenfluges „schwerer als Luft“ weiter kommen wollte, auf die „Versuch-und-Irrtum-Methode“ angewiesen: er hielt sich vier Jungstörche in seinem Garten, studierte ihre Flugübungen, ihr ausdauerndes Segeln, entdeckte, dass das vorn verdickte und hinten verdünnte gewölbte Flügelprofil den Auftrieb bewirkt. Drei Adebare widersetzten sich seinen Messungen an ihren Schwingen und flogen auf Nimmerwiedersehen davon. Die Ergebnisse und Schlussfolgerungen stehen in seinem Buch, das von Fachleuten im In- und Ausland positiv bewertet wird: Das Studium der Natur konnte praktisch anwendbare Resultate liefern. Das Verdienst gebührt dem Ingenieur Otto Lilienthal. Er selbst lässt in einem überschwänglichen, gefühlsbetonten Gedicht den hoch oben kreisenden Storch zum Menschen sprechen: Es kann Deines Schöpfers Wille nicht sein, Dich, Ersten der Schöpfung, dem Staube zu weih´n, Dir ewig den Flug zu versagen!

Bauernsohn - Abiturient - Maschinenbau-Ingenieur. Was war das eigentlich für ein Mensch, der solch eine wahnwitzige Vision hatte? Er stammte aus einem stattlichen Geschlecht pommerscher Landwirte mit einem Schuss Schwedenblut. Er wächst in der Ackerbürgerstadt Anklam auf, verdankt die technische Begabung dem Vater, die künstlerische der Mutter. Seine Umgangssprache Pommersch-Platt behält er noch als Erwachsener bei. Er entdeckte, dass das humanistische Gymnasium mit seinen starren Grundsätzen nicht nach seinem Geschmack war, zog Konsequenzen aus seinen schwachen Leistungen in Latein und bezog die Provinzial-Gewerbeschule in Potsdam, weil er schon als Junge wusste, dass er Maschinenbauingenieur werden wollte. Die Schule erweist sich als ausgezeichnete Wahl, seinen Wissensdurst in Physik, Mechanik, Maschinenbau, Konstruktionslehre zu stillen. Mit achtzehn erhält er das „Zeugnis der Reife“, Prädikat: „Mit Auszeichnung“ bestanden; das beste Examen, das jemals dort abgelegt wurde. Schon als Schüler macht er Luftwiderstandsmessungen an Flächen und stellt fest, dass die Formeln in den Büchern überhaupt nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen.

Ein Jahr Praktikum in der Maschinenfabrik Schwartzkopff in der Chausseestraße im Berliner Maschinenbauviertel schließen sich an. Arbeiten am Schraubstock, an der Drehbank, im Zeichenbüro bedeuten die Erfüllung geheimer Wünsche. Er mietete eine „Schlafstelle“, zusammen mit einem Droschken- und einem Rollkutscher, mit denen er das Bett teilen musste. Trotzdem war er von Berlin fasziniert und sein Optimismus war ein starker Verbündeter. 1867 begann er das Maschinenbaustudium an der Gewerbeakademie, der späteren TU Berlin. Bis zur Gewährung eines Stipendiums durch Fürsprache des Direktors Reuleaux war er ein Virtuose des billigen Lebens. Danach lebte er, nach seinen eigenen Worten, wie ein Fürst von der fabelhaften Summe von 300 Talern jährlich. In den Semesterferien in Anklam probieren sein Bruder Gustav und er den ersten Flügelschlagapparat mit aneinandergereihten Gänseschwungfedern aus; es wird ein totaler Fehlschlag. Nach sechs Semestern, im Jahr 1870 dann das Examen: die meisten Fächer „recht gut“ und „sehr gut“. Bei Ausbruch des deutsch-französischen Krieges zog er freiwillig gemeinsam mit 200 Kommilitonen als Gardefüsilier ins Feld. Als er dann ein Jahr später zurück war, sagte er zu seinem Bruder: Jetzt werden wir es machen! Er meint natürlich das Fliegen.

Als Soldat hatte er in Paris die französischen Ballons gesehen und gelangte zur Überzeugung, dass auch der lenkbar gemachte Ballon das Problem des Menschenflugs nicht wirklich lösen kann. Das hieß für ihn: weiterarbeiten mit einem Gleiter.

Bild 3: Lilienthals Theorie: Das erste wissenschaftliche Buch über das Fliegen, 1889. Bild 4: Lilienthal 1894 im Foto festgehalten: Abflug vom Fliegeberg Berlin-Lichterfelde. Bild 5: Sehr einfallsreich: So misst er den Auftrieb von Tragflügeln, sein Drehapparat.

 

Der Vogelflügel ist gewölbt. Die Aussage in den Büchern, dass die ebene, dünne Fläche den geringsten Widerstand in der Luftströmung bietet, muss er zurückweisen; nein, sagt er, die Bücherweisheit hat nichts mit der Natur zu tun, der Vogel hat gewölbte Flügel! Er befestigt zwei profilierte Flächen an den Enden einer rotierenden Stange, betreibt das Ganze, zusammen mit seinem Bruder, in einer Berliner Turnhalle und hat damit den Prototypen eines Windkanals erfunden! Er verändert Anstellwinkel und Profilform und kommt zum Resultat, dass die dem Vogelflügel ähnliche, schwach gewölbte, vorn dickere Fläche mit abgerundeter Nase den höchsten Auftrieb und geringsten Widerstand hat! Ja, auch die Segel der Schiffe entfalten die größte Kraft durch ihre Wölbung! Er probiert dann in Charlottenburg auf freiem Feld die gewölbten Flächen mit einem großen Drachen von vier Meter Spannweite aus und siehe: er schwebt sogar bei losgelassener Schnur frei zur Erde. Jetzt war er felsenfest davon überzeugt: der Segelflug ist nicht nur für Vögel da! Das war 1874.

Dann kam eine wissenschaftliche Kommission zur Prüfung aeronautischer Fragen unter dem Vorsitz von Prof. von Helmholtz, dem berühmten Physiker an der Berliner Uni wieder mit dem Totschlagargument: der dynamische Menschenflug ist nicht möglich. Das ist ein Naturgesetz! Wumms! Das Urteil wog schwer, das Todesurteil für alle Flugbestrebungen mit einem Gerät schwerer als Luft. Helmholtz meinte aber nur die „Flügelbewegung mit Muskelkraft“. Für die Öffentlichkeit jedoch war damit generell der Menschenflug mausetot.

In Otto Lilienthals Experimenten tritt eine lange Pause ein. Hat er etwa die Segel gestrichen? Er heiratet, bekommt vier Kinder, arbeitet in verschiedenen Maschinenfabriken, erhält verschiedene Patente; eines auf einen „Schlangenrohrkessel“, der die Grundlage für eine eigene kleine Maschinenfabrik in Berlin-Kreuzberg bildet, die auch Dampfmaschinen, Dampfheizungen, Transmissionen liefert. Seine Tätigkeit als Fabrikherr ist durch soziales Engagement gekennzeichnet. Er führt 1890 eine 25%ige Gewinnbeteiligung für seine Arbeiter ein (!), in der Überzeugung, dass durch regen Fleiß das Arbeitseinkommen und damit die Gesamtleistung der Fabrik gesteigert gesteigert werden kann.

1888 nimmt er seine Profilmessungen mit einem verbesserten Drehapparat wieder auf. Sie bestätigen die früheren Untersuchungen vollständig. Alles wird in seinem Buch „Der Vogelflug“ veröffentlicht. Dann heißt es für ihn: planvoller und schrittweiser Übergang von der Theorie zur Praxis! Er unterliegt nicht der Illusion, nun gleich eine Flugmaschine fix und fertig zu bauen.

Bild 6: Lilienthals Flugzeug Nr.1, die "Möwe". Bild 7: Und das Flugzeug Nr. 11, der "Normalsegelapparat.

Von der Theorie zur Praxis - Flugversuche. 1889: Erste manntragende Flügelpaare, 10 m2 groß, dem Vogel nachempfundern, aus biegsamen, doch festen Weidenruten mit leichter Stoffbespannung, Wölbung 8% der Flügeltiefe, Fläche im vorderen Drittel verdickt. In Stehversuchen, mühsam das Gleichgewicht suchend, weist er die Hebewirkung des Windes bereits nach, trägt den beim ersten Windstoß zertrümmerten Apparat nach Hause. Das war die „Möwe“, Flugzeug Nr.1. Das verbesserte Flugzeug Nr.2, 1890, trägt das Körpergewicht bereits bei neun Meter pro Sekunde Windgeschwindigkeit, das Gleichgewicht zu halten ist sehr schwierig.

Bild 8 u. 9: Sein Einfallsreichtum scheint unbegrenzt.

 

Mit Flugzeug Nr.3, 1891, macht er luftgetragene Gleitflüge von 7 m aus 2 m Höhe. Weidenholz, Bespannung aus mit Lack überzogenem Baumwollgewebe, Lilienthal hängt mit den Unterarmen am Gestell in zwei Griffen, erstmalig hat der Vogel eine horizontale und eine vertikale Schwanzflosse. Er verlegt seine Versuche von Berlin-Lichterfelde nach Derwitz, auf den 60 m hohen Spitzen Berg westlich von Potsdam, erreicht mit Nr.3 25 m Weite bei einer Absprunghöhe von 6 m. Er  f l i e g t ! Abgehoben, losgelöst von der Erde! Die Flüge sind durch fotografische Momentaufnahmen dokumentiert. Er steuert den Apparat durch Veränderung seiner Körperhaltung, hat aber noch große Schwierigkeiten bei Windstößen und Seitenböen. Der französische Flugpionier Ferdinand Ferber (1909 tödlich abgestürzt) sagt ein paar Jahre später: das Jahr 1891 fasse ich als den Augenblick auf, an dem die Menschheit das Fliegen gelernt hat.

Bild 10: Denkmal an der Abflugstelle auf dem Gollenberg in Stölln/Brandenburg. Bild 11: Lilienthals Blick beim Abflug, 90 m über der Ebene des Rhinower Ländchens. Unbeschreibliches Vergnügen bei 250 m Flugweite.

 

Bild 12: Abflug 1891 in Derwitz mit Flugzeug Nr. 3

Flugzeug Nr.5 von 1892 bringt es  auf eine Spannweite von 11 m und eine Tragfläche von 16 m2. Es hat nach oben gebogene Flügelenden (damit hat Lilienthal die „Winglets“ heutiger Flugzeuge vorweggenommen!). Es erreicht 80 m Weite beim Absprung von einer 10 m hohen Stechwand einer Sandgrube in Berlin-Steglitz.

 

 

 

 

Lilienthal Lichterfelde A

Bild 13: Abflug vom Fliegeberg 1895 in Berlin-Lichterfelde.

Er ist damit an die Grenze der Flügelgröße gekommen, die sich durch Schwerpunktverlagerung des Körpers noch steuern lässt. Die Stabilität des Gerätes ist ein schier unlösbares Problem, und er sollte es niemals lösen. Bei starkem Wind ist es ein Spielball seiner Launen. Es wird hochgeschleudert, seitlich abgekippt, droht hinten überzuschlagen und stürzt im nächsten Augenblick zur Erde. Lilienthal ist nicht angeschnallt, weil er wilde, dynamische Körperbewegungen machen muss, um all das auszugleichen. Mit Mitte vierzig ist er noch ein konditionsstarker Sportsmann.

Das Vergnügen des Fliegens. Flugzeug Nr.6 von 1893 hat schon ein passives, nach oben ausschwingendes „Höhenleitwerk“, ist zusammenlegbar und wird patentiert. Er hat jetzt sein ideales Trainingsgelände im Rhinower Ländchen bei Stölln, 100 km nordwestlich von Berlin gefunden. Der Gollenberg, der ihm zum Schicksal werden sollte, ist nur mit Gras und Heidekraut bewachsen und erhebt sich 90 m aus den umliegenden flachen Äckern und Wiesen und kann in jeder Richtung zum Abflug benutzt werden. Er nennt es ein unbeschreibliches Vergnügen, hoch über den Wiesen dahinzuschweben (mit Hut und schwarzer Hose!), den Apparat sicher auch in Kurven zu lenken und nach 250 m Flugweite ohne Probleme zu landen. Die Schönheit des Fliegens hat ihn gepackt.

Bild 14: Sein Patent von 1893, erweitert 1895, auch in England und USA erteilt.

Ja, wenn die große Entfernung nach Stölln nicht wäre! So lässt er sich 1894 auf eigene Kosten (seine Maschinenfabrik ermöglicht das alles) einen 15 m hohen kegelförmigen Wunschhügel aus einer Abraumhalde in Lichterfelde, den Fliegeberg  aufschütten; der wird sein häufigster Übungsplatz. Die Berliner sind in ihrer Meinung geteilt: die einen erblicken darin etwas ganz Neues, die anderen sehen in dem fliegenden Mann nur eine Jahrmarktsensation. Eine Zeitung schrieb: wer einen Verrückten sehen wolle, der sollte nach Lichterfelde kommen! Flugtechniker aus aller Welt besuchen seine Vorführungen: Prof. S. Langley von der Smithsonian Institution in USA, G. Curtis aus USA flog selbst mit Lilienthals Erlaubnis in Lichterfelde, ebenso P. Pilcher aus England (1899 tödlich abgestürzt), der nach Lilienthals Vorbild sein Flugzeug „Hawk“ baute, bereits mit Fahrgestell, P. Preobrashenski und N. Shukowski aus Russland. Ihre Aussagen: Lilienthals Flugapparat ist die wichtigste Erfindung auf dem Gebiet der Luftfahrt.

1994 experimentiert er mit dem Flugzeug Nr.11. Es ist seine erfolgreichste Konstruktion, der "Normalsegelapparat". Es hat ein steuerbares Höhenleitwerk und wird in mehreren Exemplaren auch nach Österreich, Böhmen, Frankreich, England, Irland, Russland für jeweils 500 Mark verkauft. O. Chanute, der in Chicago ein Ingenieurbüro unterhält, macht Lilienthals Flugzeuge in USA bekannt, indem er dessen Aufsätze übersetzen und in dem Magazin „Aeronautics“ veröffentlichen lässt. Er ist auch die Brücke von Lilienthal zu den Gebrüdern Wright, die von 1900 an in Dayton mit Gleitflugzeugen experimentieren und 1903 ihr erstes Motorflugzeug zum Abheben bringen.

Unermüdlich arbeitet der phantasievolle Erfindergeist Lilienthals: abklappbare Vorflügel (heute hat sie jeder Verkehrsflieger), drei verschiedene Doppeldecker (waren lange Zeit gängige Typen), motorgetriebener Flügelschlagapparat (war eine Sackgasse). Bis Nr.18 reicht die eindrucksvolle Reihe seiner Flugzeugtypen. Er nannte 28 Patente sein eigen.

Bild 15 und 16: Lilienthal-Flugzeug Nr.11, sein Todesflugzeug und der Nachbau im Technik-Museum Berlin.

Das Verhängnis. Doch dann kommt es zum Verhängnis. Am 9. August 1896, einem schönen Sommertag, fliegt er mit seinem Erfolgsmodell Nr.11, dem von ihm so genannten Normal-Segelapparat. Der erste Flug vom Gollenberg klappt wunderbar, ist weit und dauert eine halbe Stunde. Sein Assistent Beylich ist authentischer Augenzeuge beim zweiten Flug: Wie er ein Stück abgeflogen war, steht er oben in der Luft vollständig still, ich sehe, wie er mit den Beinen hin und her schlenkert, um den Apparat in Bewegung zu bringen, er kippt plötzlich nach vorne und saust runter und schlägt auf. Wahrscheinlich hat eine heftige Thermikblase, damals sagte man „Sonnenbö“, Lilienthal überrascht. 

Bild 17 und 18: 1896: Absturz am Gollenberg in Stölln/Brandenburg, er lebte noch einen Tag, Skulptur auf dem Flughafen Berlin-Tegel. Und Gedenkstein an der Absturzstelle: Der Schöpfer kann doch dem Menschen den Flug nicht versagen!Sie entsteht durch eine plötzliche Ablösung erwärmter Luft in Bodennähe, ruft eine örtliche Turbulenz hervor, drohte den Apparat nach hinten überzuschlagen, der Pilot warf sich nach vorn, da war die Bö schon vorbei, er kippte vornüber und stürzte aus 15 m Höhe ab. Er wird im Gasthof in Stölln, der heute „Zum ersten Flieger“ heißt, untersucht, dann nach Berlin transportiert. Bevor er das Bewusstsein verlor, sagte er noch: Opfer müssen gebracht werden! Am nächsten Tag starb der große deutsche Flugpionier. Er hatte sich den dritten Halswirbel gebrochen.

Anerkennung und Würdigung. Professor Müllenhoff in der Gedenkrede: Er hat als Mathematiker und Physiker die entscheidenden Beiträge zur Theorie des Fluges mit gewölbten Tragflügeln geleistet, er war als Ingenieur imstande, die erdachten Apparate zu konstruieren und zu bauen und er besaß Wagemut und Gewandtheit sie zu erproben.

1909 weckte Orville Wright die Erinnerung an Lilienthal, als er auf dem Tempelhofer Feld sein Motorflugzeug vorführte. In einem Vortrag vor dem Flugtechnischen Verein hob er hervor, wieviel er und sein Bruder Wilbur den Experimenten und Erkenntnissen Lilienthals verdanken auf der Suche nach der Lösung des Flugproblems, und er fügte hinzu: von allen Forschern in der Welt hat er den größten Beitrag zur Verwirklichung des Menschenflugs geleistet. 1911 legt Wilbur Wright am Grabe Lilienthals in Lichterfelde einen Kranz nieder, besucht Agnes Lilienthal und sagt zu ihr: Ihr Mann war einer der Großen der Menschheit. Und 1912 schreibt er in seinem letzten Aufsatz: Lilienthal hat das Flugproblem aus der Studierstube herausgeführt und die Lösung im freien Wind gesucht. Keiner seiner Zeitgenossen war ihm ebenbürtig.

Bilder 19, 20, 21: Die physikalischen Grundlagen des Fliegens:

Zusammenfassung: Der Anfahrwirbel erzeugt um das Tragflügel-Profil herum eine Zirkulationsströmung. Diese addiert sich zur Luftgeschwindigkeit oberhalb des Profils und subtrahiert sich unterhalb des Profils. Das Profil wird oben schneller umströmt als unten (dies wird außer im Experiment auch durch eine Strömungs-Simulation mithilfe von CFD = computational fluid dynamics bewiesen). Dadurch ergibt sich oben  Unterdruck und unten Überdruck. Es entsteht eine nach oben gerichtete Kraft, der Auftrieb. Kurzgefasst: Flugzeugstart → Anfahrwirbel an Abströmkante → Luftzirkulation um Tragflügelprofil → Geschwindigkeitsunterschied oben/unten → Druckunterschied oben/unten → Auftrieb → Flugzeug ist luftgetragen.

 Bild 22-29: Die Stadt Berlin, die Post und das Museum Stölln ehren einen großen Flugpionier.

  

 

 

 

Bilder 30-34: So ging es weiter: Gebrüder Wright 1909: Vorführung in Tempelhof und Kranzniederlegung am Grab Lilienthals. Grade Eindecker 1909. Rumpler Taube 1910. Dornier Wal 1922. Logo Grade Motorenwerke Magdeburg.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bild 35-37. Am Anfang war Lilienthal. Über den Wolken mag die Freiheit wohl grenzenlos sein... die Romantik des Fliegens. Werbeplakate der 1950er. Die Lockheed Super Constellation mit ihren drei Seitenleitwerken war der technische Höhepunkt des Langstreckenflugzeugs mit Propellerantrieb. Bild 36: Im Anflug auf Manhattan.

 

Nachtrag. Im Februar 2015 Besuch der Lilienthal-Gedenkstätte in Berlin-Lichterfelde-Ost mit dem Fliegeberg, den Lilienthal 1894 aus dem Abraum der dortigen Tongruben aufschütten ließ. Der Geist dieses großen Luftfahrtpioniers umweht einen beim Betreten des Geländes. Er war der erste, der mit einem gewölbten Tragflügel die theoretischen Grundlagen des Fliegens "schwerer als Luft" schuf und erfolgreich in die Praxis umsetzte - und mit dem Leben bezahlte. Über 2000 Gleitflüge unternahm er mit seinen insgesamt 18 Flugapparaten. Die Gebrüder Wright bauten auf seinen aerodynamischen Erkenntnissen auf und konstruierten das erste Motorflugzeug - das war der zweite logische Schritt in der Luftfahrt.

Bilder 38-43. Eingang zur Gedenkstätte; der innovative Eigentümer der Maschinenfabrik; Fliegeberg mit "Karpfenteich", der ehemaligen Tongrube; seine Flugversuche veränderten die ganze Welt, die bronzene Kugel symbolisiert die friedliche, weltumspannende Luftfahrt, so wie die Flugpioniere es sich vorgestellt hatten; der Grasberg mit dem weithin sichtbaren, würdevollen "Ehrenkranz" für den großen Erfinder; der Blick von oben, wie ihn Lilienthal hatte (damals war hier Brachland ohne Häuser, s. Bild 13 mit dem Gebäude der Ziegelbrennerei).

Bild 44. Ein Irrtum kommt selten allein.

 

Nachtrag

 

Bild 45. Nachbau des Lilienthal-Flugzeugs Nr.11 von der DLR, ausgestellt auf der ILA 2016. Bild 46. Ein schönes Gemälde von Lilienthals Flug in Berlin-Lichterfelde. Bild 47. Die Gebrüder Wright ehrten Otto Lilienthal, erkannten seine Urheberschaft der aerodynamischen Theorie an.

 

 

Bildnachweis.

Bild 1, 3-9, 12-14, 29: Eigene Fotos, Lilienthal-Museum, Stölln, 2011. Bild 2, 15, 16, 34: eigene Fotos, Technik-Museum Berlin, 2011 (Skulptur, Bild 2 steht auf dem Grab des Flugpioniers Edmund Rumpler auf dem Stahnsdorfer Friedhof). Bild 10, 11, 18: Eigene Fotos, auf dem Gollenberg, 2011. Bild 17 Creative Commons Lizenz, CC-BY SA, Jochen Jansen, Lilienthal-Skulptur Flughafen Berlin-Tegel, 2005. Bilder 19, 20, 21: eigene Zeichnungen, davon Strömungssimulation: Creative Commons Lizenz CC-BY SA, Kraaiennest 2009. Bilder 22-28, 30-33 public domain. Bilder 35-37: Eigene Fotos auf der Ausstellung "Safety, Speed, Comfort", Werbung für Fernreisen, Zeitlos, Berlin, Kantstraße 17, 18.10.2012. Bild 38-43: Eigene Fotos am 25.2.2015. Bild 44: Texte links: eigene Fotos, Technik-Museum Berlin, 6/2015, freundliche Genehmigung für heureka-stories.de vom 2.9.2013 von Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin, Abt. Presse- und Oeffentlichkeitsarbeit, http://www.sdtb.de/. Bild 45: Eigenes Foto, ILA 2016. Bilder 46 und 47: Eigene Fotos, Lilienthal-Museum, Stölln, 2011.