Manfred Baron von Ardenne (*Hamburg 1907, †Dresden 1997) hatte mit 17 Jahren sein eigenes Forschungslabor für Elektronenphysik in Berlin-Lichterfelde gegründet, nachdem er das Gymnasium und später auch die Universität geschmissen hatte. 

Ausgangspunkt: Nipkow-Scheibe. Der Gedanke ließ ihn nicht mehr los, das bisherige optisch-mechanische "Fernsehen" mit der Nipkow-Scheibe durch das trägheitslose Verfahren mit der Braun´schen Röhre zu ersetzen. Es geht um Übertragung von stehenden und bewegten Bildern, auch Filmen von einem Sender zu einem Empfänger, der die Bilder für den Betrachter sichtbar machen soll.

Der Deutsche Paul Nipkow (1860 - 1940) hat das mechanische Fernsehen erfunden. Die zeilenweise Bildabtastung geschah mit je einer gelochten Nipkow-Scheibe auf der Sende- und auf der Empfängerseite. Die Scheibe wurde 1884 patentiert. Das mechanische Fernsehen erwies sich bereits Ende der 1920er Jahre als technische Sackgasse, was die Erhöhung der Bildauflösung betraf. Mit ca. 60 Zeilen war die Nipkowscheibe ausgereizt.

Bild 3. Das Prinzip des mechanischen Fernsehens mit der Nipkow-Scheibe.

Der schottische Erfinder John Baird sorgte in Großbritannien für eine weite Verbreitung von einfachen Fernsehgeräten mit 30-zeiligen Nipkow-Scheiben. Es gelang ihm, beide Scheiben synchron laufen zu lassen und eine leuchtstarke Flächenglimmlampe einzusetzen. Über einen Mittelwellensender der BBC konnten einfache grafische Informationen und grobkörnige Porträts empfangen werden. Die Sendungen nach dem Baird-System sind sogar in Berlin von Radioamateuren aufgefangen worden.

Bild 4. Ein Baird-Nipkow-Fernseher von 1932, oben das Gehäuse, unten ein Blick ins Innere, ganz rechts unten der Trichter zum Projektionsschirm. Bild 5. Paul Nipkow wird mit einer Briefmarke 1983 geehrt, Ardenne nicht – dafür gibt es sicherlich einige Gründe.

Wie ging es für Ardenne weiter? Das Prinzip des trägheitsbehafteten Abtastens mit der Nipkow-Scheibe müsste doch durch die trägheitslose Abtastung eines Elektronenstrahls in einer Braun´schen Röhre zu lösen sein! Dann fallen doch mechanische Teile ganz weg. Damit könnte man doch eine hohe Präzision der Bildauflösung und gleichzeitig eine viel höhere Helligkeit bei großer Bildfeinheit erreichen! Mit dieser Idee und der folgenden Umsetzung war das Fernsehen à la Nipkow ins Museum verdammt.

Die Braun´sche Röhre mit Lichtsteuerelektrode und Leuchtfleck-Abtaster.  1929 baute Ardenne in Lichterfelde seine erste abgeschmolzene Elektronenstrahlröhre mit Glühkathode und einer negativ vorgespannten Lichtsteuerelektrode für Anodenspannungen bis 3000 V. Damit erreichte er gegenüber bekannten Braun´schen Röhren eine 200-fache Fluoreszenzfleck-Helligkeit. Die Lichtsteuerelektrode war negativ vorgespannt, um die Elektronen zu richten; außerdem wurde an sie die Steuerspannung gelegt, die die Helligkeit des Fluoreszenzfleckes regelte oder modulierte. Dann kam der aufregende Augenblick, als nach Anlegung der Anodenspannung von 3000 V ein scharfer Leuchtfleck auf dem Fluoreszenzschirm erschien. Jetzt bewährte sich auch der von ihm schon 1925 erfundene Breitbandverstärker mit einer Bandbreite von 1 Mhz (ein von einer externen Energiequelle gespeister Strom wird vom Verstärker so geformt, dass der zeitliche Verlauf des Eingangssignals nachgebildet wird - nur eben auf einem höheren Stromstärke-Niveau. („Breitband“ heißt allgemein, dass für einen großen Frequenzbereich, z.B. 8 bis 860 MHz verstärkt wird). Ende 1930 entwickelte er noch den Leuchtfleck-Abtaster (Flying spot scanner), der das Bild auf dem Schirm der Senderöhre erfasst und auf den Leuchtschirm der Empfängerröhre überträgt. Voilá, das war es im Prinzip, was in der Presse als „Weltpremiere des elektronischen Fernsehens“ bezeichnet wurde. Alle seine Ideen und Pläne für die verschiedenen Formen der Röhren wären ohne die handwerklichen Fähigkeiten seines Glasbläsers Emil Lorenz nicht ausführbar gewesen. Er war über 40 Jahre einer seiner engsten Mitarbeiter. Hier wird wieder klar, wie sehr ein Wissenschaftler auf tüchtige Praktiker angewiesen ist; das war genau so, wie es Abbe mit Zeiss ging, Daimler mit Maybach, Haber mit Bosch… Eine Symbiose zwischen Theorie und Praxis, nicht nur in der sachlichen, sondern auch in der persönlichen Welt, ist in vielen Fällen der Erfinderwelt unerlässlich.

Bild 6. Oben: Die seit 1897 bekannte Braun´sche Röhre mit dem Wehneltzylinder zur Bündelung und den Ablenkplatten zur horizontalen und vertikalen Bewegung des Elektronenstrahls. Unten: Ardennes Prinzipschaltung von 1930: mit Sende- und Empfangsröhre, den für beide synchron operierenden Ablenkplatten (Kippgeräten), Lichtsteuerelektrode und der Leuchtfleckabtastung. Das war die Weltpremiere des elektronischen Fernsehens.

Sein Verfahren basiert auf der Abtastung mit der Braunschen Röhre: In der Röhre wird ein Kathodenstrahl erzeugt, in einem Wehneltzylinder fokussiert und in seiner Intensität gesteuert sowie durch vertikale und horizontale Ablenkplatten zeilenweise über den Fluoreszenzschirm gelenkt. Es entsteht ein Leuchtfleck, der die Aufnahmen eines Gegenstandes, eines Diapositivs oder auch eines Kinofilms abtastet und zu einer Fotozelle weitergeführt wird. Es wird also auf elektronischem Wege das Bild oder die Bildsequenz in die Ferne übertragen.

Bild 7. Das erste vollelektronische Fernsehbild am 14. Dezember 1930 im Labor in Berlin-Lichterfelde.

 

Der Praxis-Test. Am 14. Dezember 1930 war es dann soweit. Würde die so fein ausgetüftelte Theorie auch der Praxis standhalten? Zwei Elektronenstrahlröhren mit den Lichtsteuerelektroden, zwei Ablenkgeräte, trägheitsarme Fotozelle, Verstärker, Linse hoher Lichtstärke wurden aufgebaut, verkabelt, durchgeprüft. Die Anodenspannung von 3000 V wurde angelegt… die Spannung unter Ardenne und seinen Mitarbeitern steigt… würde das Ganze funktionieren? Ardenne hielt eine Schere vor den Leuchtfleck-Abtaster… und sie sahen tatsächlich die Kon turen der Schere am anderen Ende des Zimmers auf dem Leuchtschirm der Empfängerröhre! Sie wiederholten den Versuch mit einem Diapositiv und erzielten einen noch viel eindrucksvolleren Erfolg. Experimentelle Realisierung gelungen! Ardenne konnte das Heureka ausrufen.

Bild 8. Ardennes revolutionäre Erfindungn in der New York Times vom 31. August 1931. Der Einschub oben rechts zeigt das Gehäuse mit der Empfängerröhre mit ca. 10 cm Durchmesser. In der Mitte die Senderöhre mit dem Flying spot scanner vorn. Oben links der Behälter für die Kinofilmspule.

Jetzt wurde zügig weitergemacht, diverse Verbesserungen wurden eingeführt, die Mechanik des Kinoprojektors wurde abgeändert, neue Fotozellen und Breitbandverstärker ausprobiert. Im Frühjahr 1931  wurden 10000 Bildpunkte wie beim mechanischen Fernsehen erreicht, aber mit viel größerer Helligkeit. Im Herbst 1931 wurde die Anlage auf der Berliner Funkausstellung vorgeführt. Vorher, am 16. August brachte die New York Times die Erfindung auf der Titelseite: The Flying Spot Scanner –- Baron von Ardenne of Germany has been experimenting since 1928 – The images are seen on the end of the tube in the square aperture of the receiver.

Bild 9. 1933, Ardenne mit einer Elektronenstrahlröhre.

 

Das elektronische Fernsehen setzt sich durch. Während der Funkausstellung 1931 war Ardennes Anlage laufend in Bertrieb, wodurch schon die Überlegenheit der neuen Technologie bewiesen wurde. Die Demonstration hatte zur Folge, dass sämtliche interessierte europäische Firmen sich sehr schnell auf das elektronische Fernsehen umstellten. Ardenne gab allen Fachkollegen jeden gewünschten Einblick in die Methoden und Ergebnisse seiner Arbeit. Auch John Baird, der schottische Fernsehpionier, besuchte ihn 1932 in Lichterfelde und war beeindruckt von den hellen und scharfen Bildern auf dem Leuchtschirm. Die Fernseh-Elektronenstrahlröhre hieß nun kurz Bildröhre.

Das Unwahrscheinliche war eingetreten: Ein erst 23-jähriger Physiker wies den großen Konzernen den Weg in die Zukunft einer immens wichtigen Technologie. Lange ignorierten sie seine Fachveröffentlichungen zwischen 1925 und 1935, weil der alte Spruch galt und immer noch gilt: Not invented here. Eine frühe Anerkennung seiner Errungenschaften hätte sie ja nackt dastehen lassen.

Bild 10. Das Fernseh-Laboratorium Manfred von Ardenne in Berlin-Lichterfelde, Jungfernstieg 19. Originale im Deutschen Technikmuseum Berlin. Rechts die Messinstrumente, hinten Mitte die Filmrolle.

Bild 11. Vorn rechts das Holzgehäuse mit dem runden Schirm der Empfänger-Bildröhre.

Bild 12. So schön war das Fernsehen 1935 - das Kind auf Muttis Schoß. Einer der in der Vorkriegszeit sehr seltenen Fernseher: Typ FEB der Radio A.G. D.S. Loewe. Die Gesamtzahl der Fernsehapparate im Jahr 1938 wurde auf ca. 200 geschätzt.

Bild 13. 1935: Der Fernseher FEB von Loewe hat eine Bildröhre mit einem Durchmesser von 25 cm. Er kann wahlweise Bilder mit 180 oder 240 Zeilen empfangen.

Das Fernsehen begann in Deutschland gerade rechtzeitig, um 1936 über die Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin berichten zu können: Seit 22. März 1935 übertrug der Berliner Fernsehsender »Paul Nipkow« ein regelmäßiges Fernsehprogramm.

 

Bild 14. Modell des Fernsehstudios 1938, im Berliner Deutschlandhaus am heutigen Theodor-Heuss-Platz. Rundstudio von 300 m2, dessen verschiedene Bühnen den gleichzeitigen Aufbau mehrerer Dekorationen ermöglichten mit schnelle Szenenwechsel. Die Sendungen wurden mit 441 Zeilen produziert. Die anfangs unterhaltenden Sendungen wurden nach Ausbruch des Krieges mit immer mehr Nazi-Propaganda überfrachtet. In 15 Fernsehstuben und drei Großbildtheatern konnten die Berliner fernsehen.

Bild 15. Die „Goldene Kamera“, Nachbildung der amerikanischen Farnsworth-Kamera von 1936. Bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin wurden Wettkämpfe zum ersten Mal live übertragen. Gegenüber der Telefunken-Kamera machte sie bessere Bilder. Sie diente der Zeitschrift „Hörzu“ ab 1966 als Vorlage für Auszeichnungen an Medienschaffende. Bild 16. Wie das Geschützrohr einer Riesenkanone sieht die Fernsehaufnahme-Kamera im Berliner Olympia-Stadion 1936 aus. Briefmarke von 1985.

 Bild 17. Das Originalfoto von 1936. Das Nazi-Verbrecherkartell machte daraus eine riesige Propagandaschau, um die Welt einzulullen.

Ardennes Laboratorium wird zum Institut. Die stürmische Entwicklung des Fernsehens zwang Ardenne, sein privates Labor zu einem kleinen, aber richtigen Institut auszubauen. Seine Prinzipien beschreibt er in seinen Memoiren (Ein glückliches Leben für Technik und Forschung, Kindler, 1972 und Erinnerungen fortgeschrieben, Droste, 1997): Hohes Arbeitstempo; keine Arbeit, die heute getan werden kann, auf morgen verschieben; Briefe sofort nach dem Empfang beantworten; möglichst viele Standardteile auf Lager halten; unverzügliche Beschaffung benötigter Geräte; sofortige Bezahlung von Rechnungen; direkte Kontakte zu führenden Spezialisten; Speicherung aller relevanten wissenschaftlichen Informationen; alle Laboranlagen in betriebsbereitem Zustand halten; schnelle wissenschaftliche und wirtschaftliche Entscheidungen fällen; flexible Struktur des Instituts; Orientierung von Experiment und Theorie an der aktuellen Aufgabe; Einklang von Grundlagenforschung und Anwendung bringen; rasche Umsetzung der Ergebnisse in die Praxis; Wahl von Entwicklungsthemen, die Spitzenleistungen in Aussicht stellen. Die Bedingungen für seine Arbeit waren in Berlin sehr günstig. Spezialisten aller Fachrichtungen standen zur Verfügung, ausländische wissenschaftliche Literatur ließ sich oft im Laufe von Stunden beschaffen, Forschungsinstitute und Industriebetriebe befanden sich am Ort. Auf diese Weise konnten im Durchschnitt ein bis zwei Patente pro Woche angemeldet werden.

Ardennes Freizeitbeschäftigungen. Sie geben doch ein wenig Auskunft, was für ein Mensch der Baron war. Er war leidenschaftlicher Autofahrer, leistete sich einen Mercedes vom Typ SSK mit 7 Liter Hubraum und 180 PS. Auf dem Dach seines Lichterfelder Hauses errichtete er eine Sternwarte mit einem 25 cm-Spiegelfernrohr und betrachtete nächtelang die Wunder des Sternenhimmels. Sein seit der Jugend intensiv betriebenes Tennisspiel ließ ihn 1936 seine künftige Frau, Bettina Bergengruen, eine Nichte des Schriftstellers Werner Bergengruen kennenlernen, 1938 wurde geheiratet.

Begegnung mit großen Persönlichkeiten. Ardenne hatte mit zahlreichen Wissenschaftlern und Ingenieuren Kontakt, der über das Fachliche hinausging. 1932 bekam er eine Einladung vom Verein für Raumschifffahrt, bei den ersten Raketenversuchen in Berlin-Reinickendorf mitzuwirken. Er lehnte ab, weil er sich auf seine Arbeit in Lichterfelde konzentrieren musste (s. den Beitrag „Die Weltraumrakete“ in dieser Website!). Wernher von Braun besuchte Ardenne 1943, um ihn nochmals für die Mitarbeit in der Raketentechnik zu gewinnen. Von Braun hatte ja seine erste A4-Rakete in Peenemünde am 3.10. 1942 erfolgreich starten können. Ardenne lehnte auch diesmal ab. Der englische Radarerfinder Robert Watson-Watt besuchte Ardenne mehrmals bis 1933, um von ihm Elektronenstrahlröhren zu beziehen. Er wurde durch seine überlegene Radartechnik zum Sieger in der Luftschlacht in England und konnte die deutschen U-Boote erfolgreich bekämpfen. Er entwickelte auch das System der Zielmarkierungen, die den britischen Bomberverbänden ermöglichten, die deutschen Städte in Schutt und Asche zu legen (s. den Beitrag „Das Radar“ in dieser Website!). 1940 besuchte Max Planck Ardennes Institut. Die Rede kam auf die Entdeckung der Kernspaltung durch Otto Hahn im Jahr 1938 (s. den Beitrag „Die Kernspaltung“ in dieser Website!). Plancks Meinung: Die Folgen werden unvorstellbar sein, wenn dieses Machtmittel in unrechte Hände gerät. Diese gewaltigste Energiequelle müsste zum Wohle der Menschheit eingesetzt werden. Aber es wird anders kommen. Hier noch mehr illustre Namen aus seinem Gästebuch, Klassiker der Naturwissenschaften: Otto Hahn, Werner Heisenberg, Max von Laue, Lise Meitner, Heinrich Hertz, Ernst Ruska, Carl Friedrich von Weizsäcker, Hans Geiger, Walther Nernst, Otto Warburg…

Militärtechnische Entwicklungen für den NS-Staat. 1933 löste Ardenne die Bindungen mit der Firma Loewe und fand in der Firma C.Lorenz AG einen neuen Partner. Damit war eine neue Finanzierungsgrundlage geschaffen, seine immer noch hohen Schulden zu tilgen. Der Vertrag sah vor, die Fernsehtechnik weiterzuentwickeln und wesentliche Beiträge für die kommende Radartechnik (die damals Funkmesstechnik hieß) zu leisten. Ardenne rutscht damit unmerklich in Zubringerdienste für die Deutsche Wehrmacht, für deren Luftwaffe und Kriegsmarine er das Polarkoordinaten-Elektronenstrahlrohr entwickelt und Oszillografen für deren Versuchsstationen. Auf der Fernsehausstellung der Deutschen Reichspost stellte der Postminister Ardenne dem „Führer“ vor. So erhielt er einen direkten Eindruck von diesem Mann. Ardenne wurde nahegelegt, in die NSDAP einzutreten; er lehnte ab. Auch sein ab 1937 entwickeltes Raster-Elektronenmikroskop wurde in der Materialprüfung eingesetzt, womit Erkenntnisse erzielt wurden, die sich für eine Reihe kriegswichtiger Arbeiten entscheidend auswirkten.

Da der Absatz der Elektronenstrahlröhren und Oszillografen ab 1934 stark anstieg, musste diese Produktionssparte von der Forschung und Entwicklung abgetrennt werden. Es kam zur Gründung der „Leybold und von Ardenne-Oszillographen-Gesellschaft, die 1937 an Siemens & Halske angegliedert wurde.

Bild 18. Die Möglichkeiten des REM von Manfred von Ardenne: Untersuchung der Oberfläche, der Materialzusammensetzung, der enthaltenen Elemente.

Das hochauflösende Rasterelektronenmikroskop, REM oder SEM (scanning electron microscope) wurde 1937 von Manfred von Ardenne erfunden. Die Objektoberfläche wird mit einem feingebündelten Elektronenstrahl im Hochvakuum abgetastet. Zwischen dem Elektronenstrahl und dem Objekt ergeben sich verschiedene Wechselwirkungen, deren Detektion Informationen über die Beschaffenheit des Objekts geben. Als meistgenutzte Informationsquelle dienen die Sekundärelektronen, die aufgrund ihrer niedrigen Energie nur aus den obersten Nanometern der Oberfläche stammen und somit die Topografie des Objektes abbilden. Die Detektion von vom Objekt zurückgestreuten Elektronen erlaubt Rückschlüsse auf die chemische Natur des Objektmaterials bzw. der Verteilung verschiedener Materialien. Des weiteren entsteht charakteristische Röntgenstrahlung, die Rückschlüsse auf die in der Probe enthaltenen Elemente liefert. Die Erfindung dieses Mikroskops führte zu einem Vertrag mit der Firma Siemens, die in Zusammenarbeit mit Ernst Ruska, dem Erfinder des Durchstrahlungs-Elektronenmikroskops, TEM (transmission electron microscope), eine neue Abteilung aufbaute. Ardenne erhöhte aber auch das Auflösungsvermögen eines selbst entwickelten TEM. Da Siemens dadurch die Marktführerschaft verlieren konnte, bekam Ardenne einen Zusatzvertrag, der seinen technologischen Vorsprung in die Siemens-Konstruktion einbezog.

1943 wurde sein Institut durch Bomben schwer beschädigt, 1944 brannte es ab, bei Kriegsende war es mit bombensicherem Betondach und verstärkten Zwischendecken wieder aufgebaut. Er rettete den größten Teil seiner Laboreinrichtung, indem er sie vorher in dem schon 1941 gebauten Laborbunker untergebracht hatte.

Internierung in der Sowjetunion. Daneben bastelte er an Urananreicherung zur Herstellung nuklearer Sprengsätze mit einem 60-Tonnen-Zyklotron – allerdings als Außenseiter. Seine Arbeiten wurden vom Postminister Wilhelm Ohnesorge, der allen Ernstes sein eigenes Vorhaben zum Bau einer deutschen Kernwaffe unterhielt, finanziert. Wie das andere deutsche Atomprojekt kam auch dieses nicht weit. Die einrückenden sowjetischen Truppen fanden Ardennes Labor so bemerkenswert, dass sie es demontierten und zusammen mit Ardenne und Mitarbeitern und seiner Familie nach Suchumi in Georgien im Kaukasus transportierten. Dort bedeutete man Ardenne, er solle dort in dem „wiederaufgebauten“ Institut in einem ehemaligen Sanatorioum genau so weiterarbeiten, wie er es von Berlin gewohnt war, hauptsächlich aber an der Uran-Isotopentrennung, d.h. an dem sowjetischen Atombombenprojekt zur Gewinnung nuklearen Brennstoffs. Er schreibt im Jahr 1997, ganz zum Schluss seiner Erinnerungen, dass diese Arbeit aus ethischen Gründen gerechtfertigt war, weil sie das atomare Gleichgewicht zwischen den Supermächten herzustellen half, das 1949 dann auch Wirklichkeit wurde, womit der nukleare Friede erhalten blieb.

Ardenne wird zum „roten Baron“. Ardenne war also jetzt schon der Diener des zweiten diktatorischen Herrn. Er hatte offensichtlich keine Probleme damit, dass es schon wieder um militärische Forschung ging. Er beschreibt in seiner Biografie das Leben im Kaukasus in den leuchtensten Farben. Die guten Arbeitsbedingungen für die Gruppe der deutschen Spezialisten, die zwar hinter Stacheldraht leben mussten, aber sonst Annehmlichkeiten und Privilegien genossen, die den normalen Sowjetmenschen verschlossen waren. Er beschreibt die freundliche Aufgeschlossenheit und Fachkundigkeit seiner russischen Wissenschaftlerkollegen, den zügigen Aufbau des Instituts, die georgischen Feste mit reichlichem Essen und Wein, sein Tennisspiel auf selbst angelegtem Platz, die Ausflüge in die großartige Landschaft, Bergexpeditionen in das Elbrusgebiet, harmonische Stunden mit klassischer Physik... Es klingt alles sehr nach einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Und auf Seite 219 seiner Memoiren von 1972 heißt es dann plötzlich: Ich habe den Krieg tief verabscheuen gelernt, bin der festen Überzeugung, dass nur ein von Arbeitern und Bauern geführtes System wahrhaft für den Frieden sein konnte. Deswegen stellte ich meine Forschungen dem Aufbau des Sozialismus zur Verfügung. Die Verhältnisse in der Sowjetunion beschleunigten meine innere Hinwendung zum Sozialismus.

Oje, jetzt hatte ihn aber seine Intelligenz und seine scharfe naturwissenschaftliche Beobachtunggabe total im Stich gelassen, blickte er nicht mehr durch  oder war es schleimige Anbiederung bei den Herrschenden? Hatte er die Stalin´schen Säuberungen mit den Abermillionen Toten und das unmenschliche, wenig friedfertige System „Gulag“ völlig aus den scharfen Strahlen seiner Elektronikaugen verloren? Wo war sein unbestechlicher Wissenschaftlerblick geblieben? Und dann nahm er auch noch 1953 den „Stalinpreis“ ohne Skrupel an! Er überschlug sich geradezu im Lob des sozialistischen Wirtschaftssystems (Memoiren 1972, S. 235): In der Sowjetunion, wie allgemein in der ausgereiften sozialistischen Gesellschaft, wird eine Selektionsmethode realisiert, welche die leistungsfähigsten, charakterstärksten, aktivsten Menschen an die Spitze von Staat, Industrie und Wissenschaft bringt, so dass die Energieströme der Verantwortlichen, getragen vom Gedankengut des Marxismus-Leninismus, das gewaltige Land steil aufwärts führten und auf wesentlichen Gebieten von Wissenschaft und Technik die Weltspitze einnehmen ließen. Es folgt eine Lobeshymne auf den Staatsdirigismus, der ein menschenwürdigeres und harmonischeres Leben ermöglicht, weil nur die wirkliche, persönliche Leistung zählt. Hatte der Baron jeden Sinn für das Erkennen der Realität eingebüßt, was in diesem Paradies wirklich ablief, hatte er eine Gehirnwäsche durchgemacht? Er hatte sich jetzt tatsächlich zum „Roten Baron“ gewandelt. Ein wenig schien ihm sein getrübter Sinn später peinlich gewesen zu sein: In seinen Memoiren von 1990 bzw. 1997 Erinnerungen fortgeschrieben, hat er die peinlichsten Lobhudeleien weggelassen; er hätte sie folgerichtig Erinnerungen umgeschrieben nennen sollen.

Als die Russen 1949 ihre erste Kernwaffe gezündet hatten, war die Arbeit der deutschen Spezialisten beendet. Dies hieß jedoch nicht, dass sie nun nach Deutschland zurückkehren konnten. Es ging ihnen genauso wie den deutschen Raketenforschern um Helmut Gröttrup und Werner Albring, die auf der Insel Gorodomlia der sowjetischen Sputnik-Mission zum Erfolg verhalfen oder den Düsenflugzeugspezialisten von Heinkel und Junkers, die die russischen MIG´s in der UdSSR entwickelten. Für Ardenne & Co begann eine mehrjährige Periode, in der ihr kernphysikalisches Wissen "abkühlen" sollte und in der sie sich mit wissenschaftlichen Fragen ihrer Wahl beschäftigen konnten. Ardenne entwickelte in dieser Zeit unter anderem das sogenannte Duoplasmatron, eine Hochstromionenquelle, die bis heute in der Beschleunigertechnik, aber auch als Korrekturantrieb in der Weltraumtechnik Anwendung findet. Zehn Jahre blieb Manfred von Ardenne in der Sowjetunion.

Nach 10 Jahren Entlassung in die DDR. 1955 durfte er nach Deutschland zurückkehren, natürlich entschied sich der gewandelte adlige Sozialist für das „bessere Deutschland“, die DDR. Er durfte seine Laborausstattung zum großen Teil mitnehmen und dazu ein beträchtliches Rubel-Vermögen, das er zu einem günstige Wechselkurs in Ostmark umtauschen durfte. Über diese goldene Brücke ging er nach Dresden in den Stadtteil Weißer Hirsch und errichtete dort mit dem Wohlwollen der DDR-Führung sein privates „Forschungsinstitut Manfred von Ardenne“ in großen, von ihm gekauften Gebäuden auf ausgedehnten Grundstücken. Nun also diente er mit seiner Forschung der dritten Diktatur, ohne dass ihm irgendwelche Bedenken kamen.

Bild 19. Die Villa des roten Barons mit Sternwarte in Dresden,Weißer Hirsch, Zeppelinstraße 7. Beste Lage, herrliche Aussicht auf Dresden und das Elbtal.

Ardenne, der Agitator. In seinen Erinnerungen von 1972 geht er zur unqualifizierten Hetze über: Während sich die DDR dem Aufbau des Sozialismus widmet, treibt die Bundesrepublik die Remilitarisierung voran und will mit allen Mitteln dem aggressiven imperialistischen Bündnissystem, das sich Europäische Verteidigungsgemeinschaft nennt, beitreten. Dieses Kapitel streicht er in seinen zweiten Erinnerungen von 1990. Voller Hochachtung spricht er von dem Vorsitzenden des Staatsrates Walter Ulbricht (der ja bekanntlich die große Lüge verkündete: Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen), der ihn gleich 1955 im Labor in Dresden besuchte und Ardenne eine große russische SIS-Limousine schenkte. Naja, er kam ja als Stalinpreisträger, was dem Stalinisten Ulbricht sicher sehr gefallen hat. Ardenne über ihn: ein Mann der Tat, eine große Persönlichkeit. Auch Otto Grotewohl, dem Ministerpräsidenten bescheinigte er liebenswürdige, menschliche Wärme. Alles Friede, Freude, Eierkuchen, wunderbare Menschen, die nur das Beste wollten und bewirkten, er fühlt sich bestens aufgehoben im Land der Mangelwirtschaft, der Bevormundung, der manipulierten Wahlen, der Willkürurteile der „roten Hilde“, des Stacheldrahts, der Mauer, der flächendeckenden Bespitzelung, der Stasi-Folter von Andersdenkenden, der Hinrichtung der Mauerüberkletterer… von alledem kein Wort in seinen Memoiren, sondern nur davon, wie reich ihn das Leben beschenkt hat (s. 287). 1958 sprach er auch mit dem dritten großen Gewaltherrscher Mao Tse-tung in Beijing…. enge Verbundenheit der sozialistischen Länder, blablabla… Um noch besser der Entwicklung der DDR zu dienen, nahm er 1963 das „ehrenvolle“ Amt eines Volkskammerabgeordneten an, das er bis 1990 innehatte. Er behauptet in seinen zweiten Memoiren, dass er durch mehrere Reden in diesem Haus mit Reformvorschlägen zur politischen Wende beigetragen habe. Man mag es dem sozialistischen Bannerträger kaum glauben: Nach eigener Auffasung wurde er also auch Wegbereiter der Wiedervereinigung. Rechtzeitig stellte er seine Fahne wieder in den richtigen Wind.

Bild 20. Manfred von Ardenne, 1986 während einer Rede in der DDR-Volkskammer.

Unverständnis und Hochachtung. Man kann nur den Kopf schütteln über diesen schillernden Baron mit seiner willfährigen Haltung gegenüber den Unterdrückern. Andererseits kann man aber auch die größte Hochachtung vor den wissenschaftlichen Leistungen des Manfred von Ardenne haben. Das private "Forschungsinstitut Manfred von Ardenne" entwickelte sich mit dem Wohlwollen der SED-Führung zu einem der renommiertesten und effektivsten wissenschaftlich-technischen Entwicklungslaboratorien Ostdeutschlands. Seine Mitarbeiter - in den letzten Tagen der DDR waren es 500 Personen - waren in einer Art Sonderwissenschaftszone tätig. Der Schwerpunkt ihrer Forschungsarbeiten lag auf den Gebieten der Elektronen- und Plasmaphysik sowie der Elektronenmikroskopie. Mit dem Elektronenstrahl-Mehrkammerofen und dem Plasmastrahlbrenner zum Schneiden von Metallen wurde hier Pionierarbeit geleistet. Zum Schluss seines wissenschaftlichen Lebens entwickelte er noch eine Krebstherapie, die er „Mehrschrittverfahren“ nannte, alle medizinischen Geräte eingeschlossen. Bis heute ist diese Therapie umstritten.

Sein größtes Verdienst ist und bleibt jedoch die Erfindung des weltweit ersten vollelektronischen Fernsehens im Jahre 1930, das seitdem das gesamte private und öffentliche Leben derartig verändert hat, dass nach 1930 nichts mehr so war wie vor 1930. Die logische Weiterentwicklung der Braun´schen Röhre zu einem Gerät zur Übertragung von stehenden und bewegten Bildern war die entscheidende Idee, die er mit großer Zielstrebigkeit erfolgreich in die Praxis umsetzte. Dafür schulden wir ihm Respekt und Dank.

Zurück zum Anfang der Geschichte. 1943, beim 90. Geburtstag von Ardennes Großmutter, Elisabeth Baronin von Ardenne, der „Effi Briest“ des Theodor Fontane, lenkte Manfred das Gespräch auf die dramatischen Ereignisse des Duells und ihrer Scheidung. Er sagte zu ihr: Ich hätte damals genau so gehandelt wie du. Danach schickte sie ihm ein Päckchen mit den besagten Briefen Hartwichs von 1883-1885, die der Auslöser des tragischen Geschehens wurden. Manfred solle die Briefe als Beweise ihres damaligen Glückes aufheben und als besonderen Schatz bewahren. Elisabeth war eine besondere Frau mit einer noch im hohen Alter edlen Schönheit. Mit 50 begann sie mit dem Bergsteigen, mit 60 lernte sie skilaufen und mit 80 radfahren. Sie starb mit 99 in Lindau am Bodensee als älteste Bürgerin dieser Stadt.

 

Nachtrag. Ein Besuch im Februar 2015 in der Villa Ardenne in Berlin, Lichterfelde-Ost (heute Kinderheim Villa Folke Bernadotte), Jungfernstieg 19. Am 14. Dezember 1930 gelang hier Manfred von Ardenne weltweit die erste vollelektronische Fernsehübertragung mit einer Kathodenstrahlröhre, die er 1931 auf der Funkausstellung in Berlin vorrführte. Im Haus umweht einen der genius loci, der Geist des Ortes.

Bild 21-26. Das stattliche Bürgerhaus, von Ardenne 1928 erworben; Umbaupläne 1940; sein Labor im Haus; hochherrschaftliches Wohn- und Büro-Zimmer; Foto von 1997, als von Ardenne in der Villa zu Gast war; das Café im Kinderheim heute.

Bild 27. Die erste vollelektronische Fernsehanlage der Welt von Manfred von Ardenne in Berlin-Lichterfelde 1930, ausgestellt im Deutschen Technikmuseum Berlin.

Bild 28. Das Prinzip der ersten Fernsehanlage von Manfred von Ardenne,dargestellt im Deutschen Technikmuseum Berlin.

 

 

Bildnachweis

Bilder 1, 4, 10-14: Eigene Fotos im Deutschen Technikmuseum Berlin, 8/2013. Freundliche Genehmigung für heureka-stories.de vom 2.9.2013 von Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin, Abt. Presse- und Oeffentlichkeitsarbeit, http://www.sdtb.de/. Auch rückwirkende Genehmigung für früher gemachte eigene Bilder. Bild 2: Wikipedia, Bundesarchiv, Bild Nr. 183-K0917-500, CC-BY-SA Unported 3.0. Bild 3: eigene Skizze nach Anregungen von Movie College; Wikipedia, Urheber hzeller, CC-BY-SA Unported 3.0.; Wikipedia, Urheber EckhardEtzold, CC-BY-SA Unported 3.0. Bild 5: gemeinfrei. Bild 6: oben: Wikipedia, Urheber Ulfbastel, CC-BY-SA Unported 3.0. Unten: Website Deutsches Museum München. Bild 7: aus Web vonardenne.biz. Bild 8: Wikipedia, Schutz abgelaufen. Bild 9: Wikipedia, Bild 183-K0917-501, Bundesarchiv, CC-BY-SA Unported 3.0. Bild 15: Wikipedia, Urheber HBR, CC-BY-SA Unported 3.0. Bild 16: gemeinfrei. Bild 17: aus „Die Olympischen Spiele 1936“, Band 2, Cigaretten-Bilderdienst Altona-Bahrenfeld, Schutz abgelaufen. Bild 18: Wikipedia, Urheber Rainer Ziel, CC-BY-SA 3.0 und Wikipedia, Urheber Schmitz Metallografie, CC-BY-SA 3.0. Bild 19: Wikipedia, Urheber Steffen Müller, CC-BY-SA Unported 3.0. Bild 20: Wikipedia, Bundesarchiv_Bild_183-1986-0617-038 Volkskammertagung, Urheber Rainer Mittelstädt, CC-BY-SA Unported 3.0.  Bilder 21-26: Eigene Fotos 25.2.2015, Villa Folke Bernadotte, Berlin. Bilder 27-28: Eigene Fotos im Deutschen Technikmuseum Berlin, 6/2015. Freundliche Genehmigung für heureka-stories.de vom 2.9.2013 von Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin, Abt. Presse- und Oeffentlichkeitsarbeit, http://www.sdtb.de/.

 

Was wurde daraus?