Bild 3. Der innovative Flugzeug-Ingenieur – noch ohne Computer, aber mit Rechenschieber
Henrich Focke (*Bremen 1890, †Bremen 1979), der Querdenker, stellte den Propeller quer, baute damit den ersten funktionsfähigen, tatsächlich fliegenden Hubschrauber, der über das Experimentierstadium hinauskam. 1937 erreichte der Fw 61 2440m Höhe, 120 km/h Geschwindigkeit und eine Dauer-Flugzeit von 80 Minuten. Er entstand als Ergebnis langjähriger Forschungen und zeichnete sich durch gute Steuerbarkeit und Manövrierfähigkeit aus.
Henrich Focke fängt neu an. Aber der Reihe nach! Es hat ihn sehr hart getroffen, als er vom Nazi-Aufsichtsrat im Mai 1933 aus der von ihm und Georg Wulf gegründeten Flugzeugbau-Firma in Bremen ausgebootet wurde (mehr darüber im Abschnitt "Jugend und Werdegang"). Was nun machen? Als man ihm ziemlich rasch nach seinem Rauswurf den offiziellen Auftrag erteilte, einen Hubschrauber-Prototypen zu entwickeln, musste man ihm ja Arbeiter und Maschinen zur Verfügung stellen, und man beließ ihm auch die neun Leute, die zu ihm hielten und mit ihm schon länger an Windkanalversuchen mitgearbeitet hatten. Mit ihnen zog er ins Windkanalgebäude auf dem Focke-Wulf-Gelände am Flughafen Bremen.Henrich Focke hatte nun Mitarbeiter seines Vertrauens und auch die Freiheit zur Entwicklung seiner technischen Pläne, und er war bereit, ganz von vorn anzufangen, er war ja mit 43 Jahren noch im besten, kreativen Mannesalter. Bloß nicht unterkriegen lassen!
Der Hubschrauber – die Idee gab es seit 1907. Sein Interesse galt den vielen noch ungelösten Fragen der Flugkörper-Aerodynamik, besonders dem Problem des senkrechten Startens und Landens auf kleinstmöglichem Raum. Die Idee und ein paar erfolglose Versuche mit einem Hubschrauber gab es schon seit 1907, als der Franzose Breguet sich in seinem Apparat zwei Meter hoch erhob, aber mit den Händen seiner Monteure geführt werden musste. Ein anderer Franzose, Gornu, flog einige Sekunden frei einen halben Meter hoch. Etwas praktisch Verwertbares kam dabei nicht heraus. Alle Flugzeuge waren bisher unfähig sehr langsam zu fliegen oder gar in der Luft stillzustehen. Der Auftrieb einer Tragfläche kommt nur durch die Geschwindigkeit der anströmenden Luft zustande. Das Prinzip des Hubschraubers besteht nun darin, dass man die Tragflächen, die "Blätter", im Kreis herum laufen lässt. Damit haben sie immer eine Luftgeschwindigkeit gegen sich, entwickeln Auftrieb, obwohl ihre Welle mit dem Flugkörper sich nicht vorwärts zu bewegen braucht. Aber er kann auch das, wenn die Welle ein wenig nach vorn gekippt wird; dann entsteht eine Kraftkomponente nach oben und eine nach vorn, der Hubschrauber bekommt eine Reisegeschwindigkeit.Die Blätter mit der Nabe und der Welle heißen "Rotoren". 1923 flog in Frankreich Öhmichen mit seiner Maschine in einigen Metern Höhe einen Kilometer weit. Sein Apparat mit 4 Haupt- und 5 Hilfsrotoren war so kompliziert, dass er entnervt die Versuche aufgab.
Bild 4. Der Cierva-Tragschrauber – er stabilisiert das Flugzeug, er hebt den Flugkörper nicht.
Der Tragschrauber. Dann erschien aber auch 1923 ein anderes Fluggerät, das "Autogiro", oder Tragschrauber des spanischen Ingenieurs Juan de la Cierva. Er baute auf ein normales Flugzeug eine durch den Fahrtwind angetriebene, motorlose, senrecht stehende Luftschraube. Cierva ging es dabei um Flugsicherheit, nicht um Vertikalflug, weil das Gerät damit nicht mehr abkippen kann, auch wenn es überzogen wird. Cierva war für Focke ein richtig guter Anstoß, einen "richtigen" Hubschrauber zu entwickeln. Focke-Wulf baute 1932 einen Cierva-Tragschrauber in Lizenz. Mit dem Motor wurde der Rotor vor dem Start auf 1000 Umdrehungen pro Minute gebracht, dann vom Motor abgekoppelt, und so konnte der Tragschrauber auf kurzer Bahn starten.
Focke führte mit Cierva Gespräche, wie man aus dem Trag- einen Hubschrauber machen könne. Cierva erschien die Aufgabe zu kompliziert, Focke aber empfand sie als echte ingenieurtechnische Herausforderung. Cierva hatte in England seine Tragschrauberfabrik. 1936, jedoch, kam er bei einem normalen Linienflug in London ums Leben. Focke fühlte sich als sein geistiger Nachfolger, und, da er aus dem Londoner Werk keinerlei Unterstützung bekam, ging er daran, Ciervas Ideen weiter zu entwickeln und zum echten Hubschrauber vorzustoßen. Seine Meinung war, wenn das Autogiro auch nicht senkrecht starten und landen kann, so könnte doch allein die Tatsache, dass sein großer Rotor ein sicheres Tragorgan ist, einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung eines wirklichen Hubschraubers ergeben.
Die Entwicklung beginnt 1932. Bei der Entwicklung des Hubschraubers kam Focke seine Erfahrung als Flugtechniker zugute, auf der er seine Erfindung aufbauen konnte; eine Erfindung ist ja nicht eine erdachte Einzelheit, die auf einen Schlag zum Erfolg führt. „Eine Erfindung ist zu 1% Inspiration und zu 99% Transpiration“, d.h. mühsame, geduldige, sorgfältige Berechnungen der Stabilität, Festigkeit, Aerodynamik mussten den Weg zum Erfolg bereiten.
Sechs Kriterien legte Focke als essentials fest: 1) Notlandemöglichkeit bei Motorausfall. 2) Sicherung der Steuerbarkeit und Flugstabilität. 3) Allgemeine Betriebssicherheit. 4) Einfachheit der Bedienung in Anlehnung an die Flugzeugführung. 5) Annehmbare Reisegeschwindigkeit. 6) Wartung im Umfang eines Normalflugzeugs. Das erforderte die Anwendung aller zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die Umsetzung der Berechnungen in der Konstruktion, Fertigung und Erprobung sollte jedoch der schwierigste Teil werden.
Er entschied sich für zwei Rotoren auf langen Auslegern; sie mussten gegenläufig drehen, um das Gesamtdrehmoment auszugleichen; bei nur einem Rotor würde sich der Flugkörper in entgegengesetzter Richtung drehen, gemäß dem physikalischen Gesetz, dass die Summe der Drehimpulse L=Q´w immer konstant ist (Q…Massenträgheitsmoment des drehenden Körpers in kgm2, w…Winkelgeschwindigkeit des drehenden Körpers in 1/s). Da die Masse und damit das Trägheitsmoment des Flugkörpers sehr viel größer ist als die Masse des Rotors, würde der Körper sich natürlich langsamer in Gegenrichtung drehen als der Rotor. Den Effekt kann man beobachten, wenn beim Einschalten des Stromes das Staubsaugergehäuse in Drehung geraten will, und zwar entgegen der Motordrehrichtung (es muss nur fest stehen oder festgehalten werden). Zwei gegenläufige Rotoren ergeben zusammen kein auf den Flugkörper wirkendes Drehmoment. Bei den heutigen Ein-Rotor-Hubschraubern wird das Drehmoment durch einen Heckrotor mit waagerechter Welle ausgeglichen.
Bild 5. Fockes Versuchsmodell hatte noch zwei Riementriebe für die Rotoren. Es wurden 2000 Versuche im eigenen und im Göttinger Windkanal mit Professor Prandtl durchgeführt.
Das zweite Problem war die Leistungsübertragung von dem in der Mitte liegenden schnell laufenden Motor zu den langsam laufenden Rotoren auf den Auslegern. Focke hatte nicht den Ehrgeiz, den gesamten maschinenbaulichen Teil selbst zu berechnen, zu konstruieren und zu bauen, das übertrug er dem Siemens-Flugmotorenwerk in Berlin-Spandau (heute BMW). Zunächst wurde ein freifliegendes, von einem kleinen Zweitaktmotor von 0,7 PS angetriebenes Modell gebaut, das 1934 die ersten Erfolg versprechenden Ergebnisse brachte. Das Original ist heute im Deutschen Museum München zu sehen. Die Rotoren wurden noch über Riemenscheiben angetrieben.
Bild 6. So sah er aus, der erste funktionsfähige, sicher steuerbare Hubschrauber der Welt, Fw 61, Henrich Fockes großartige Erfindung. Er erreichte am 26. Juni 1937 80 km Weite und 2439 m Höhe.
Der erste flugtaugliche Hubschrauber der Welt. Die Versuche waren ein voller Erfolg, so dass der Bau des Musterfluggeräts in Angriff genommen werden konnte. 1935 war die Maschine fertiggestellt und wurde in einem alten Kesselhaus gefesselt erprobt. Die Riementriebe waren jetzt durch Kardanwellen ersetzt. Seine Versuche wurden von der Leitung seiner Ex-Firma mit Spott und Häme bedacht, weil die Maschine zunächst, streng nach Fockes Planung, in nur 1 m Höhhe flog. Jeder Erprobungsstufe gingen genaue Berechnungen und Einzelversuche voraus. Am 26.Juni 1936 machte dann Testpilot Rohlfs den ersten Freiflug außerhalb des Gebäudes. Er schaffte 26 s in der Luft, beim vierten 16 Minuten in 20 m Höhe. Die am selben Tag erreichte Weite von 80 km und 2439 m Höhe brachte Focke aus dem Ausland den Vorwurf des Betruges ein, es sei nur ein Tragschrauber gewesen. Der Pilot hatte aber unter Zeugenschaft der Fédération Aéronautique Internationale (FAI) Start und Landung absolut senkrecht absolviert. Eine Zeit vorher war schon in 400 m Höhe der Motor abgestellt worden, und der Hubschrauber landete nach 2 Minuten im ruhigen Gleitflug. Die Flugsicherheit war somit nachgewiesen. Das Schreckgespenst des Absturzes bei Motorausfall war damit gebannt.
Bild 7. Die Rotorblätter des Fw 61 waren "elastisch" aufgehängt, d.h. über Gelenke begrenzt schwenkbar und nach oben begrenzt klappbar um Überlastung zu vermeiden, und sie waren um ihre Rollachse begrenzt drehbar, um den Anstellwinkel des Profils zu verändern. Beim Vorwärtsflug eilt bei jeder Umdrehung jedes Blatt einmal vor (Blattgeschwindigkeit plus Reisegeschwindigkeit) und einmal nach (Blattgeschwindigkeit minus Reisegeschwindigkeit); daher variiert die Auftriebskraft bei jeder Umdrehung.
Bild 8. So wird der Fw 61 gesteuert: aufwärts, abwärts, vorwärts, rückwärts, rechts, links. Das ist ziemlich ausgetüftelt, eine Taumelscheibe gab es noch nicht (in der Literatur ist die Beschreibung der Steuerfähigkeit nicht eindeutig und lückenhaft, Indizien sprechen für die hier gegebene Interpretation).
Damit hatte Henrich Focke den ersten flugtauglichen Hubschrauber der Welt berechnet, konstruiert und gebaut, vier Jahre vor Sikorsky, dem heute die Amerikaner diese Leistung zuschanzen wollen. So machten es unsere Freunde jenseits des Atlantiks öfter: Bell hätte das Telefon erfunden, nicht Reis. Ford hätte das erste Auto gebaut (sagte Präsident Obama 2009), nicht Benz. Aiken hätte den Computer erfunden, nicht Zuse. Goddard hätte die Rakete entwickelt, nicht von Braun, usw., usw. Sikorsky hat diesen Anspruch nie erhoben und Fockes Vorsprung ohne Vorbehalt anerkannt.
Bild 9. Hanna Reitsch im Hubschrauber Fw 61, im Oktober 1937.
Pilotin Reitsch wird Einfliegerin. Fockes Gegner in seiner Ex-Firma begleiteten die Versuche bis zum Schluss mit Schikanen und Nadelstichen und wollten das ganze Projekt hintertreiben. Focke fand jedoch in Ernst Udet, Kampfflieger im 1. Weltkrieg und jetzt im Luftfahrtministerium zuständig für die technische Ausrüstung der Luftwaffe, einen starken Unterstützer. Udet schlug als Einfliegerin und Vorführpilotin Hanna Reitsch vor, die im Oktober 1937 den ersten Flug absolvierte. Kurz danach war Charles Lindbergh in Bremen, Reitsch führte ihm das Gerät vor, und er war begeistert, dass vor seinen Augen eine junge Dame senkrecht in die Höhe ging. Er sah den Hubschrauber als Beginn einer neuen Ära öffentlicher und privater Fliegerei. Da hatte er nicht ganz Unrecht. Nachdem Reitsch die Maschine nach Berlin-Tempelhof geflogen hatte, führte sie sie vor, stieg zuerst ganz langsam hoch, blieb in der Luft stehen, landete senkrecht, um dann mit Tempo hochzuschweben, hielt die Höhe und ließ ihn um seine eigene Achse, mal links, mal rechts herum drehen. Die Presse überschlug sich vor Begeisterung. Die Attraktion startete dann im Februar 1938 in der Berliner Deutschlandhalle, als Hanna Reitsch 18 mal das Gerät in der Deutschlandhalle vorführte: Figuren vorwärts, rückwärts, quer die Halle entlang, an den Ecken stillstehend; der Beifall brauste auf.
Bild 10. Kunstflug-Ass Gerd Achgelis, Fockes neuer Partner ab 1937.
Neue Aufgaben in der neuen Firma „Focke-Achgelis“. Im April 1937 konnte Focke seine neue Firma „Focke Achgelis & Co. GmbH“ gründen. Vorstandsmitglied Focke hatte Geldgeber gefunden und eine Reihe guter Ingenieure und Facharbeiter. Und im Oktober 1937 wurde das neue Gelände in Hoykenkamp bei Delmenhorst bezogen mit einem 200 mal 300 m großen Hubschrauber-Flugplatz. Gerd Achgelis (1908-1991), Kunstflugmeister, der bei Focke-Wulf seine Flugausbildung gemacht hatte, wurde der Flugpraktiker der Firma. Udert schlug vor, die Fw 61 in Serie zu bauen. Das ging nur leider nicht, sie konnte weder eine größere Nutzlast tragen, noch als Schulflugzeug dienen, da sie nur einsitzig war. Focke erklärte sich aber bereit, ein stärkeres Gerät zu konstruieren, das sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendbar wäre. Ude ging auf den Vorschlag ein, und Focke bekam den Auftrag 1938 für folgende Spezifikation: 700 kg Zuladung, ein Pilot, ein Bordingenieur, vier Passagiere. Das bedeutete 800 PS, 3,5 t Fluggewicht, zwei Rotoren à 12 m Durchmesser. Die Schwierigkeiten, von der kleinen Fw 61 auf die große Fa 223 umzusteigen waren so gewaltig, wie sie sich Focke niemals vorgestellt hatte. Er musste das Risiko eingehen, das aber für ihn auch eine lockende ingenieurtechnische Herausforderung darstellte, der er sich gern stellte. Es ist ein in der Technik bekanntes Problem, dass bei der Vergrößerung eines Aggregats nicht immer das „Storchschnabelprinzip“ angewandt werden kann, d.h. dass einfach alle Dimensionen mit einem konstanten Faktor multipliziert werden können, weil die physikalischen Gesetze vieler Maschinenelemente „nicht linear“ sind. Die Erhöhung der Motorleistung von 160 auf 800 PS erhöht die Belastungen in vielen Bauteilen um viel mehr.
Die schwierige Entwicklung des großen Hubschraubers Fa 223. Daher wurde die Fw 61 zunächst noch in ein fliegendes Laboratorium umgewandelt, um alle technischen Parameter gründlich zu erfassen. In Göttingen wurde das zweite Exemplar der Fw 61 aerodynamisch vermessen, sowie die Statik und Dynamik der Rotorwelle, der Blätter und der Zelle. Im Siemens-Flugmotorenwerk wurde das Getriebe wissenschaftlich und experimentell untersucht, so dass man eine sichere Methode der Umrechnung auf die höhere Leistung hatte.
Focke-Achgelis war jetzt ein offizieller Lieferant des Reiches. Nun folgten auch die äußeren Ehren: Udet verlieh Focke die Goldene Lilienthal-Gedenkmünze, und von der TH Hannover bekam er den Dr.-Ing. e.h. Von einer hohen Wehrmachtsstelle wurde er zu einem Wehrwirtschaftsführer ernannt, und man akzeptierte es, dass er keinerlei politische Verpflichtungen einzugehen bereit war. Aber nach dem Krieg bekam er wegen dieses Titels Schwierigkeiten mit der Entnazifizierung.
Bild 11. Der große Hubschrauber Fa 223 von 1940, im Bückeburger Hubschraubermuseum.
Im August 1939 verließ die Fa 223 die Werkshalle. Da setzten dann die nicht vorhergesehenen Schwierigkeiten ein. Der Hubschrauber hatte zum ersten Mal die noch heute gebräuchliche über dem Kardangelenk angeordnete kugelgelagerte Taumelscheibe, mit der die Anstellwinkel der Rotorblätter zyklisch und kollektiv gesteuert wurde (mehr dazu unter: Was wurde daraus?). Sie lässt sich entlang des Rotormastes verschieben und quer zu ihm neigen. Das Fluggerät wird dadurch zum Muster an Gelenkigkeit. Die Antriebswelle für den Rotor verlief innerhalb der Gitter-Ausleger vom Getriebe schräg nach oben und endete in einem Kardangelenk, dessen zweite Gelenkwelle mit der Rotornabe verbunden war. Die Steuerstange für die Taumelscheibe verlief ebenfalls schräg, aus der Zelle kommend, zur Taumelscheibe. Als erstes musste man voller Entsetzen feststellen, dass beim Start die Anstellwinkel so stark vergrößert wurden, dass die Auftriebskräfte die Blätter steil nach oben auslenkten, während die Zentrifugalkräfte nicht ausreichten, die Blätter zu strecken. Der Umbau nahm Wochen in Anspruch. Danach gab es ungewöhnliche Schwingungserscheinungen, die ein Rotorblatt durch die Gegend schleuderten. Die Gegner des Hubschraubers feixten. Ab Juni 1940 ging es jedoch rasch vorwärts: freies Schweben in zwei Meter Höhe, danach 300 m Höhe, 11-minütiges Fliegen und weiche Landung des dreieinhalb Tonnen schweren Geräts. Zufriedene Gesichter, Glückwünsche, Schulterklopfen. Es folgte die behördliche Abnahme auf dem Flugplatz Rechlin an der Müritz und in Lemwerder/Weser.
Hier sind die technischen Daten dieses ersten, wirklich leistungsfähigen Hubschraubers der Welt, Fa 223: Crew: 2 plus 4 Passagiere. L/B/H: 12/25/4,5 m. Startmasse: 4,3 t. BMW Bramo 323D-2, 9-Zylinder-Sternmotor. Max/Reisegeschwindigkeit: 186/134 km/h. Reichweite: 437 km. Flugdauer: 2 h 20 Min. Rotordurchmesser: 2 x 12 m.
Sie bauen von der Fa 223 siebzehn Stück – dann wird alles zerbombt. Der Auftrag der Lufthansa wurde in einen Serien-Auftrag des Reichsluftfahtministeriums von 100 Stück Militärtransportern umgewandelt. 1942 wurde eine „Nullserie“ von 3 Stück fertiggestellt und nach allen Regeln der Kunst erprobt. Aber dann ging es los: Ein englischer Bombenangriff zerstörte Fockes Werk in Hoykenkamp, so dass sie nach Laupheim/Württemberg umziehen mussten; aber auch dort waren sie in Reichweite alliierter Bomber. Trotzdem gelang es, 1943 die Produktion aufzunehmen. Sie kamen bis zur Serien-Nr. 17, als im Juli 1944 fast das ganze Werk zerstört wurde. Die Produktion war schon sehr erschwert worden, weil Fockes Fachleute als Soldaten dringender benötigt wurden, als für die Herstellung eines exotischen Fluggeräts; denn es gehe jetzt um den Endkampf, zu dem das Verbrecherkartell aufgerufen hatte, in dem auch Frauen und Kinder mit der Pistole in der Hand antreten müssten, obwohl ihnen längst klar war, dass der Krieg verloren war. Trotzdem schickten sie noch Millionen von Menschen in den Tod. Eine sinnvolle und zuverlässige Arbeit war im Werk nicht mehr möglich. Die Schließung des Werks wurde angeordnet.
Die Fa 223 wird auf dem Obersalzberg vorgeführt. In Laupheim erschien eines Tages eine Kommission, die erfahren wollte, ob der Hubschrauber in 300 m Höhe stillstehend dauernd verharren könne, mit einer Abweichung von 5 m. Man wollte ihn zum Artillerie-Einschießen benutzen und ihn mit diversen Peilmessgeräten bestücken. Aber ja, der Hubschrauber kann das, und das wurde sofort vorgeführt, auch nochmals in Berlin, in Adlershof und Staaken. Das Resultat war eindeutig, und sofort wurde Focke mitsamt seinem Fa 223 und dem Piloten nach Berchtesgaden auf den Obersalzberg beordert, um das Gerät dem „Führer“ vorzuführen. Die Fa 223 wurde am 12. Juni 1943 am Berghof platziert und mit Last vorgeführt, auch in 1000 m Höhe, bei der verminderten Leistung, klappte das reibungslos. Der GröFaz war offensichtlich beeindruckt, ließ sich von Focke alles erklären und sagte, dass das für den Gebirgskrieg sehr wichtig sein kann. (Ach, ihr Verbrecher, hättet ihr mal wenigstens soviel Grips in euren kleinen Hirnen gehabt, zu begreifen, dass weder mit diesem Hubschrauber, noch mit der Flugbombe V1, noch mit der Überschallrakete V2, noch mit dem Düsenjäger Me 262, noch mit Hahns Kernbrennstoff-Waffe der Krieg nach 1943 noch gewonnen werden konnte. Das hätte Millionen Menschenleben gerettet und die deutschen Städte vor dem Schutt-und-Asche-Schicksal bewahrt! War in euch kein Funken von Rest-Menschlichkeit vorhanden?).
Bild 12. Die Fa 223, nach dem Krieg in Frankreich und der Tschechoslowakei nachgebaut.
Mit der Fa 223 wurde gezeigt, dass ein notgelandeter Fieseler Storch am Seil abgeschleppt, ein Motor aus einem Sumpfloch geholt, ein Volkswagen über hohe Bäume gehievt, ein Pionier-Ponton aus dem Wasser gehoben und ein Ertrinkender aus Seenot gerettet werden konnte. Im September 1944 wurde eine Gebirgserprobung von Mittenwald aus durchgeführt. 30 Tage lang verrichtete die Fa 223 unglaubliche Aufgaben. Lasten bis 1000 kg wurden in große Höhen geschleppt, an der Dresdner Hütte in 2300 m Höhe am Stubaier Gletscher wurde gelandet, simulierte Verwundete wurden ins Tal gebracht, der Hubschrauber bestand auch die starken Böen zwischen den Bergen. Die Gebirgsjägertruppe verlangte sofort eine größere Anzahl von Fa 223; denn damit könne ja ein Gebirgsgeschütz in sieben Minuten auf 2000 m Höhe gebracht werden. Das war alles Illusion, der Ring um Deutschland zog sich immer enger zusammen.
Das Ende des Krieges – auch das Ende der deutschen Luftfahrtindustrie. Das Ganze wurde noch grotesker, als die Firma im Herbst 1944 den Auftrag erhielt, 400 Stück Fa 223 pro Monat zu produzieren. Unter den bestehenden Verhältnissen ein papierener Wahnsinn! Und diese sollten in Berlin-Tempelhof gefertigt werden! Die erste Maschine dieser Serie verließ im Frühjahr die Werkstätte, sie wurde nach Ainring bei Salzburg geflogen, wo die Amerikaner sie in Empfang nahmen. Den Rest der dreißig halbfertigen Hubschrauber erbten die Russen.
Verhaftung im Allgäu. Zum Schluss suchten die Familie Focke und seine Mitarbeiter in der Nähe von Laupheim nur noch den zahlreichen Bombenangriffen zu entkommen. Das Werk, oder was davon übrig war, wurde noch nach Obermaiselstein bei Oberstdorf verlagert, die Familie Focke wohnte in einer Notunterkunft in Fischen. In Gesprächen ging es nur noch darum, wie man heil aus dem Schlamassel rauskäme und wie man die Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnisse der deutschen Luftfahrttechnik in eine weitergehende Zukunft retten könne, nicht mehr gegen, sondern mit der übrigen Welt zusammen. Am 11. Mai wurden Henrich Focke und seine übrig gebliebenen Mitarbeiter von den Franzosen in Obermaiselstein verhaftet. Focke und seine Mitarbeiter mussten sich in einer Reihe aufstellen, durften sich nicht rühren, Maschinenpistolen waren im Anschlag. Alles Material, Zeichnungen, Berechnungen wurden auf Wagen geladen und abtransportiert. Es folgten unendliche Verhöre, sie nahmen ihnen nicht ab, dass sie Flugtechniker waren, vermuteten in Ihnen verkappte SS-Leute. Focke wurde gefragt, ob er mit mehreren seiner Mitarbeiter in den Dienst des französischen Luftfahrtministeriums treten wolle. Seine Antwort: Im Prinzip ja, aber niemals als Kriegsgefangener und nur wenn seine Familie und die Angehörigen der Mitarbeiter anständig behandelt werden. Er wurde nach Laupheim gefahren, in den Windkanal geführt und einem technischen Verhör unterzogen, da immer noch der Verdacht bestand, dass die Gruppe getarnte SS-Mitglieder seien. Nach langem hin und her kam es im Juli 1945 in Paris zu einem ersten Gespräch über einen Vertrag für Focke und 20 Mitarbeiter, eine Hubschrauberentwicklungs-Abteilung aufzubauen. Focke bestand darauf, die verantwortliche Leitung zu haben ohne Dreinreden der Franzosen.
Fockes Arbeit in der französischen Hubschrauber-Entwicklung. Auf mehreren Militärflugplätzen wurden die erbeuteten deutschen Hubschrauber wieder instandgesetzt. Der Beginn von Fockes Arbeit zog sich unendlich lange hin, sie wussten nicht richtig, wie sie ihn behandeln sollten: als zu melkende technologische Kuh, als feindlichen, verhassten Kriegsgefangenen oder von Mensch zu Mensch. Zugleich fürchteten die Franzosen, dass die Hubschrauber-Technologie in amerikanische Hände fallen könne, versuchten alle Gespräche zwischen den Deutschen und den noch anwesenden Amerikanern strikt zu unterbinden. Erst als Focke drohte, dass er jegliche Zusammenarbeit verweigere, wenn er nicht bald mit seiner Familie zusammen geführt würde. Das wirkte. Im August wurde ihm der Entschluss Frankreichs mitgeteilt, dass er zehn Fa 223 nachbauen und sofort eine Weiterentwicklung in Angriff nehmen solle. Er und seine Familie wurden vom französischen Militär in einer Ju 52 von Deutschland nach Paris geflogen, vorbei an der Einwanderungspolizei. Die wollte in jedem Fall den Import dieser Deutschen verhindern. Focke musste mehrmals auf sein ihm zugestandenes Recht pochen, die alleinige Leitung und Werkkontrolle in der Firma Aérosudest über das Vorhaben zu behalten. Sein Prinzip der strikten Qualitätskontrolle wollte den Franzosen überhaupt nicht einleuchten. On ne le fait pas comme ca en France. Er blieb hartnäckig, weil jede Panne den Deutschen angekreidet werden würde. Jedes gebaute Fluggerät musste zuverlässig sein. Sie verlachten ihn, als er penibel jede Einzelheit bei der Abnahme überprüfte: Il a toujours peur. Seine Antwort: Mais de cette sorte de peur est venue le succès. Von da an ließ man ihn in Ruhe.
Focke verlässt Frankreich im Zorn. Die Zusammenarbeit mit den Franzosen war immer spannungsgeladen. Der Chefkonstrukteur hatte null Ahnung vom Flugzeugbau, und die Kommunisten in der Belegschaft agitierten aufs heftigste gegen die Deutschen. Die Franzosen wollten schon bald einen kleinen Hubschrauber in Eigenverantwortung bauen, machten aber so haarsträubende Fehler, dass Focke immer wieder seine Alleinverantwortung einfordern musste. Ging die verloren, würde ihm jeder Misserfolg aufgehalst und jeder Erfolg auf französisches Konto gehen. Da es nicht möglich war, Verantwortlichkeit und Weisungsbefugnis klar zu definieren und durchzusetzen, nahm Focke Kontakte zu England auf. Auch die hatten ja einen Hubschrauber Fa 223 über den Ärmelkanal ins United Kingdom geflogen und waren offensichtlich an einer Produktion interessiert. Da Focke einen Privatvertrag mit den Franzosen hatte, besaß er auch (auf dem Papier) die Freiheit, sich einen anderen Arbeitgeber zu suchen. Aber es gab einen fürchterlichen Kampf; denn im Flugwesen herrschte zwischen beiden Ländern größte Rivalität. Focke wurde beschattet, wurde zur Firmenleitung einbestellt, mit Vorwürfen überschüttet, er verhandle mit den Briten. Er bejahte. Nach dem Grund befragt, antwortete er, dass seinen Wünschen für die Arbeitsmethode überhaupt nicht entsprochen werde und dass er und seine Mitarbeiter das Arbeitsverhältnis lösen wollen. Es gab Drohungen, dann wieder höfliche Gespräche, eine Deputation von Arbeitern bestürmte ihn, doch bei Aérosudest zu bleiben, zumindest bis die SE 3000 fliege, so hieß die Fa 223 jetzt (SE steht für Sud-Est). Er stellte bei der Generaldirektion zum letzten Mal die Forderung nach der Alleinverantwortlichkeit für die technische Entwicklung und Kontrolle der Fertigung (per Vertrag besaß er sie ja). Er bekam die kategorische Antwort, dass man die einem Deutschen nicht geben könne.
Als die Verträge der Briten ankamen, kündigten er und seine Mitarbeiter fristgemäß. Was jetzt folgte, war ein Spießrutenlaufen. Büro von der Polizei umstellt, Wohnungsdurchsuchung, Abführen auf die Präfektur, Einsperrung in einen Raum, Verhöre, Verbot, Paris zu verlassen, Anschuldigungen. Sie ließen ihren ganzen Zorn an den Deutschen aus. Vier seiner Mitarbeiter wurden eingekerkert unter fadenscheinigen Beschuldigungen, Zeichnungen gestohlen zu haben. Focke war aufs äußerste erbost und enttäuscht, und, nachdem er wieder frei war, reiste er 1947 ab, nach einer kalten Verabschiedung in der Firma und im Ministerium. Er hat Frankreich nie wieder betreten. Schade, dass sich die Franzosen so bockbeinig angestellt haben, es hätte eine von Anfang an gute Zusammenarbeit bei der Hubschrauberentwicklung geben können. Wahrscheinlich waren die Untaten der Deutschen an den Franzosen nicht so schnell aus der Welt und nicht aus den Köpfen zu schaffen.
Bild 13. Der Hubschrauber SE 3101, Vorläufer der Alouette, von Focke entwickelt. Nur ein Haupt-Rotor, zwei Heckrotoren.
Der einsitzige Hubschrauber SE 3101, der von den Focke-Fachleuten in Frankreich entwickelt wurde (nach Fockes Weggang blieben noch einige deutsche Konstrukteure bei Sudest), machte im Juni 1948 seinen Jungfernflug. Er war der Vorläufer der erfolgreichen Alouette. Er hatte nur einen Rotor, zum Drehmomentausgleich dienten zwei Heckrotoren auf V-förmigen Auslegern.
Die Verhandlungen mit England zogen sich sehr in die Länge. Dann kam im September 1948 die Absage. Die Briten hatten sich entschieden, keinen eigenen Hubschrauber zu entwickeln. Alle Deutschen, die Verträge abgeschlossen hatten, bekamen als Entschädigung ein Jahresgehalt.
Was nun tun? Flugzeugbau in Deutschland war untersagt. Also ganz was Neues mit 60 Jahren! Im März 1950 bekam er bei den Norddeutschen Fahrzeugwerken die Stelle eines Konstrukteurs für Omnibus-Leichtbau. Es war für ihn eine leichte Arbeit, einen Leichtbau-Omnibus fertigzubringen, unter strikter Anwendung der Prinzipien des Flugzeugbaus. Willy Messerschmitt machte es ja so ähnlich und baute einen Messerschmitt-Kabinenroller, der aussah wie eine Flugzeugkanzel. Fockes Omnibus sah aus wie ein Zeppelin-Luftschiff, er hatte 17% mehr Sitzplätze, war 700 kg leichter und hatte eine Höchstgeschwindigkeit von 100 statt 85 km/h.
Von Bremen an den Zuckerhut. Da kam eine Anfrage vom brasilianischen Luftfahrtministerium, ob Herr Focke frei sei und ob er sich vorstellen könne, in brasilianische Dienste zu treten. Im März 1952 wurde er eingeladen, das Land kennenzulernen und das Centro Technico da Aeronáutico in Petropolis zu besichtigen. Das ist eine Kombination von Technischer Hochschule, Luftfahrtforschungs- Versuchs- und Erprobungsanstalt. Focke, der große Luftfahrtpionier, ging auf den ersten Transatlantik-Flug seines Lebens mit einer Douglas DC 6, wurde in Rio mit südamerikanischer Herzlichkeit empfangen, vom Minister eingeladen und als willkommener Gast des Landes behandelt, ganz anders als in Frankreich. Focke verliebte sich sofort in dieses Land und die freundlichen Menschen. Er genoss die Luxus-Suite im Hotel direkt an der Copacabana mit Blick auf den Atlantik und den Zuckerhut. Besichtigungen, Unterredungen, Flüge ins Landesinnere, er wurde gebeten, selbst zu fliegen, obwohl er gar keine Fliegerlizenz hatte, was man ihm nicht geglaubt hätte. Im Centro waren zu seinem Empfang alle Professoren und Militärs angetreten, die Forschungslabors, Windkanäle und Wohnkolonien der Professoren wurden ihm gezeigt. Er zeigte seinen Film über die Fa 223. Die paradiesische Landschaft mit der tropischen Vegetation und Vogelwelt tat ein übriges, Naturfreund Focke davon zu überzeugen, lieber hier in Brasilien seine technischen Hubschrauber-Ideen zu verwirklichen, als zu Hause Autobusse und Schnellboote zu bauen, zumal die Brasilianer ein starkes Interesse für die technische Weiterentwicklung zeigten. Ihm war schon klar, dass es ein Sprung in eine andere Welt sein würde, mit anderer Kultur, anderer Arbeitsauffassung, doch damit würde er schon fertigwerden. Er unterschrieb den Vertrag am 1. April 1952. Im Juli zog die Familie um.
Die Arbeit an dem „Heliconair“, einer Kombination von Flugzeug und Hubschrauber mit vier von der Senkrechten in die Waagerechte schwenkbaren Rotoren, ging gut voran. Der Bau der Zelle gelang, aber auf dem Prüfstand versagte der amerikanische 3200-PS-Motor von Curtiss-Wright durch Bruch des Untersetzungsgetriebes. Der Kolbenmotor mit einem Auflade-Turboverdichter mit Abgasturbine wurde in die USA geschickt und kam aus völlig undurchsichtigen Gründen niemals zurück. Wahrscheinlich lag ein so gravierender Konstruktionsfehler vor, der nicht behoben werden konnte. Die Amerikaner bequemten sich auch nicht, stichhaltige Erklärungen abzugeben. Die Verwendung eines anderen Motors hätte eine Neukonstruktion der Zelle notwendig gemacht. Also blieb der Heliconair ohne Motor als Industriedenkmal in der Halle stehen.
Inzwischen arbeitete Fockes Mannschaft an einem kleineren zweisitzigen Hubschrauber, namens „Beija-Flor“, d.h. Kolibri, der ganz in Brasilien gebaut sein sollte. Bei diesem gelang es, mit einem Rotor, Eigenstabilität in allen Flugzuständen zu erreichen, ohne die üblichen elektronischen Regelgeräte, deren Kosten bei kleinen Hubschraubern so hoch sein können wie der des Hubschraubers selbst. Er war 1958 fertig und wurde im Januar 1959 eingeflogen. Er wurde in kleinen Stückzahlen bis in die 1970er hinein gebaut.
Zum Professor berufen. Das Klima in Brasilien bekam Henrich Focke gar nicht. Als er von der TH Stuttgart den Ruf als Ordinarius für Flugzeugbau erhielt, sah er darin die Gelegenheit, während des deutschen Sommers in Brasilien und während unseres Winters in Deutschland zu arbeiten. 1954 erhielt er ohne Schwierigkeiten den neuen Vertrag, da es einsichtig war, dass beide Seiten von dem Zusammenspiel von Theorie und Praxis profitieren könnten. Die Arbeit mit jungen Menschen machte ihm Freude, und seine Studenten genossen seine Vorlesungen, die durch seine reichen praktischen Erfahrungen sehr lebendig waren. Das Kultusministerium tat sich aber mit seinem Halbjahresvertrag sehr schwer, verhedderte sich in seiner eigenen Bürokratie, kam nicht weiter mit dem offiziellen Berufungsverfahren, ließ ihn mit dem Ausbau des Instituts hängen. Nach vielen vergeblichen Gesprächen gab Focke entnervt auf, dankte dem Ministerium kalt und verzichtete auf den Lehrstuhl. Sie hatten durch eigene Schuld einen guten Hochschullehrer, der in idealer Weise Theorie und Praxis verband, verloren.
Hubschrauberbau bei Borgward. Eine Möglichkeit, wieder in Deutschland auf dem Gebiet der Hubschrauberentwicklung zu arbeiten, bot sich 1956 bei Borgward in Bremen. Die berühmte Automobilfirma wollte einen Hubschrauber, namens „Kolibri“ entwickeln und ein eigenes Werk dafür errichten. So kam es, dass Focke künftig zwei Arbeitsgruppen betreute, die 10 000 km voneinander entfernt waren. Das ging so bis 1960, als er seinen letzten Brasilienaufenthalt hatte. In diesem Jahr sah er „seinen“ Beija Flor in der Luft, den Erfolg seiner Arbeit in dem Land, das ihm so viel gegeben hatte. Der Heliconair blieb eine Industrieruine. Die vereinbarte Verlängerung seines Vertrages in Brasilien blieb in den Wirren eines Regierungswechsels auf der Strecke. Fockes Rückfragen wurden nicht mehr beantwortet.
Die Pleite. Der Borgward-Hubschrauber sollte zwei Passagiere aufnehmen können, schneller als die Borgward-Autos und für Privatkäufer erschwinglich sein, also ganz ähnliche dem Beija Flor. 1956 fing Focke in dem schon fertig eingerichteten Konstruktionsbüro an. Carl F.W. Borgward wollte unbedingt einen seiner Auto-Motoren und auch Zahnräder für den Hubschrauber verwenden. Focke musste ihm diesen Zahn ziehen, das Masse/Leistungsverhältnis passte einfach nicht. 1958 flog Testpilot Rohlfs, der schon den Fw 61 vor 22 Jahren geflogen hatte, den Kolobri I zum ersten mal. Ein zweites Exemplar wurde 1960 fertig. Die Besornis erregende Menge von Borgward-Autos sagte 1961 den Mitarbeitern schon, dass Borgward in eine finanzielle Schieflage gekommen war, alle Gelder für die Flugerprobung wurden gesperrt, damit waren alle Flüge eingestellt und auch die Gehaltszahlungen. Borgward war pleite. Henrich Focke verlor zum vierten Mal seine Arbeit und Lebensaufgabe und auch den materiellen Ertrag seiner technisch-wissenschaftlichen Bemühungen, und mit ihm verloen es auch die Mitarbeiet, die ihm durch alle Etappen treu gefolgt waren. Was ihm blieb, waren Nachrichten 1964 über den erfolgreichen Beija-Flor, den brasilianischen Kolibri. Seiner großen Lebensaufgabe war ein Ende gesetzt. Es gelang ihm auch nicht, den Hubschrauberbau bei den Vereinigten Flugtechnischen Werken (VFW), dem Nachfolgeunternehmen von Weserflug, Focke-Wulf und Focke-Achgelis unterzubringen und damit zu retten. Er wurde von den „Wirtschaftssachverständigen“ grob und herablassend behandelt. Die schöne „Borgward-Isabella“ und der „Borgward-Kolibri“ gehörten damit der Vergangenheit an und waren nur noch eine Fußnote in der Technologie-Geschichte.
Im Unruhestand. Mit 71 Jahren fühlte er sich noch geistig frisch, baute sich ein privates Fluglabor und einen Windkanal und wurde „Beratender Ingenieur“ bei VFW, der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt und bei den Rheinischen Flugzeugwerken. Mit 75 legte er alle Ämter nieder. Aber er wurde dann doch noch Vorstandsmitglied bei VFW in Bremen, und 1976 wurde er „tätiger Pensionär“ der VFW. Er wurde mit zahlreichen Ehrungen bedacht, ganz besonders freute ihn die Howard-H.-Potts-Goldmedaille des Franklin-Instituts in Philadephia als Beweis der Freundschaft Igor Sikorskys; sie wurde ihm vom Sohn des Hubschrauberpioniers überreicht als Anerkennung seiner Verdienste um den ersten flugfähigen, steuerbaren Hubschrauber der Welt. Diese Ehrbezeigung gab ihm die Gewissheit, dass die Anstrengungen seines Lebens doch nicht ganz vergeblich gewesen sind.
Professor Dr.-Ing. e.h. Henrich Focke starb am 25. Februar 1979 in Bremen. Die Nachwelt verdankt ihm sehr viel, wenn an die vielen, vielen nützlichen Anwendungen des Hubschraubers gedacht wird, und sie schuldet ihm ein ehrendes Angedenken. Er gehört zu den Erfindern, die ihre Vision unter schweren Umständen, gegen die Bedenkenträger und Spötter durchgesetzt haben. Chapeau, Herr Focke!
Was wurde aus Fockes Erfindung?
Bildnachweis
Bild 1: gemeinfrei. Bild 2: aus dem Focke-Familienarchiv. Bild 3: Bild 4: Wikipedia, by NASA, daher gemeinfrei. Bild 5: Eigene Fotos am 1./2.8.2011 im Deutschen Museum München, Gestattungsvertrag für Bildaufnahmen vom 12.7.2011. Bild 6: Wikipedia, Urheber emoscopes, CC-BY-SA Unported 3.0 CC-BY-SA Unported 3.0. Bild 7: eigene Zeichnung, links Wikipedia, Urheber emoscopes, rechts Wikipedia, Urheber Ulrich Heither, CC-BY-SA Unported 3.0. Bild 8: Eigene Zeichnung, links Wikipedia, Urheber emoscopes, rechts Wikipedia, Urheber Silberwolf, CC-BY-SA Unported 3.0. Bild 9: Wikipedia, Urheber ADL, CC-BY-SA Unported 3.0. Bild 10: aus der Website Flugplatz Hatten. Bild 11: Wikipedia, Urheber Mathias Stäblein, CC-BY-SA Unported 3.0. Bild 12, 13: aus der Website aviastar.org.