Ruska setzte eine Kausalkette in Gang

Es wurden noch andere Elektronenmikroskope entwickelt, alle auf dem Fundament von Ruskas Erfindung.

Neben den Transmissions-Elektronenmikroskopen gibt es Rastertunnel-, Rasterkraft-, Raster-Elektronen- und Raster-Ionen-Mikroskope, sowie einige Kombinationen und Abarten dieser Geräte.

Bild 1. Das Rastertunnel-Mikroskop, Aufbau und Arbeitsweise.

Bild 2. Das Rasterkraft-Mikroskop.

Bild 3. Die Cantilever-Messnadel des SFM und eine STM-Aufnahme.

Bild 4. Das Rasterelektronen-Mikroskop.

Bild 5. Eine spektakuläre REM-Aufnahme - Schneekristall bei -170°C.

Bild 6. Noch eine REM-Aufnahme: Verschiedene Pollen, nach der Aufnahme eingefärbt.

Bild 7. Das Rasterionen-Mikroskop, kombiniert mit einem Rasterelektronen-Mikroskop - eine Werkbank für den Nanomaßstab. Der FIB bearbeitet die Probe, das REM beobachtet das Ergebnis.

Bild 8: Die REM- und FIB-REM-Geräte.

Die Kausalkette der Mikroskopentwicklung – Licht, Elektronen, Durchstrahlung, Rasterung, Ionenstrahlen … Alle diese elektronenmikroskopischen Geräte fußen auf Ruskas Idee der praktischen Anwendung der Elektronenstrahlen. Von dem Erfinder des Lichtmikroskops, ob das nun Janssen, Galilei, Huygens oder Hooke gewesen ist (die Historiker streiten darüber) führt ein gerader Weg zu Ernst Abbe, der die physikalischen Grundlagen der Mikroskoplinsen schuf, zu Ernst Ruska, der "weiter nichts" tat, als die De Broglie-Theorie der Wellennatur der Elektronenstrahlen in die Praxis umzusetzen. Sein Gerät stieß noch viele Türen auf für die Weiterentwicklung der Elektronenmikroskopie. Das erste Elektronenmikroskop war ein Durchstrahlungs-Elektronenmikroskop und lieferte keine Bilder der Oberfläche, sondern „nur“ die Verteilung der Masse im Objekt. Das nahe liegend Mögliche war, das Prinzip auch für die Abbildung von Oberflächen zu benutzen, die Oberfläche „abzurastern“ (englisch scannen).

Das hochauflösende Rasterelektronenmikroskop, REM oder SEM (scanning electron microscope) wurde 1937 von Manfred von Ardenne erfunden. Von Abbe bis Ruska vergingen mehr als 60 Jahre bis die Zeit reif war für diesen Wechsel, die nächste Entwicklungsstufe kam sehr viel schneller. Die Objektoberfläche wird mit einem feingebündelten Elektronenstrahl im Hochvakuum abgetastet. Zwischen dem Elektronenstrahl und dem Objekt ergeben sich verschiedene Wechselwirkungen, deren Detektion Informationen über die Beschaffenheit des Objekts geben. Als meistgenutzte Informationsquelle dienen die Sekundärelektronen, die aufgrund ihrer niedrigen Energie nur aus den obersten Nanometern der Oberfläche stammen und somit die Topografie des Objektes abbilden. Die Detektion von vom Objekt zurückgestreuten Elektronen erlaubt Rückschlüsse auf die chemische Natur des Objektmaterials bzw. der Verteilung verschiedener Materialien. Des weiteren entsteht charakteristische Röntgenstrahlung, die Rückschlüsse auf die in der Probe enthaltenen Elemente liefert.

Das Rastertransmissionselektronenmikroskop, STEM (scanning transmission electron microscope) ist eine spezielle Variante des Transmissionselektronen-Mikroskops. Bei diesem Verfahren befindet sich der Detektor unterhalb der Probe. Es wird also die Streuung der Elektronen in der Durchstrahlung gemessen. Dazu muss die Probe sehr dünn sein (typischerweise zwischen 50 und 500 nm). Die mit einem Rasterelektronenmikroskop erzeugten Bilder sind Abbildungen der Objektoberflächen und weisen im Vergleich zu Bildern, die mit Lichtmikroskopen erzeugt werden, eine höhere Schärfentiefe auf. Die maximale theoretische Vergrößerung liegt etwa bei 1 000 000:1, während diese bei der Lichtmikroskopie bei etwa 2000:1 liegt.

Beim Rastertunnelmikroskop, RTM oder STM (scanning tunnel microscope) wird die Spitze zeilenweise über eine Oberfläche gerastert. Der Tunnelstrom ist die zentrale Messgröße. Die Ortskoordinaten x,y des Rasterfeldes sind ungeregelte Größen, während der Tunnelstrom von der z-Position und der angelegten Spannung abhängig ist. Der Abstand Spitze/Oberfläche ist dabei außerordentlich klein (Nanometer), aber nicht null. Die Potenzialbarriere zwischen ihnen wird nicht überwunden, wohl aber durchtunnelt, wodurch beim Anlegen einer kleinen Spannung ein Tunnelstrom entsteht. Dieser ist sehr empfindlich auf kleinste Abstandsänderungen. Die Höhe der Spitze über der Oberfläche wird mithilfe von Piezoelementen so geregelt, dass entweder der Abstand zur rauhen Oberfläche immer konstant, d.h. der Tunnelstrom konstant bleibt und das auf diese Weise gemessene Höhenprofil die Oberfläche im atomaren Maßstab darstellt. Oder es kann die absolute Höhe der Spitze konstant gehalten werden, wodurch der variierende Tunnelstrom eine Rekonstruktion der Oberfläche ermöglicht. Der Tunnelstrom beträgt 1 pA bis 10 nA, der Spitze/Probeabstand 0,5 bis 1 nm. Idealerweise fließt der Tunnelstrom nur über ein einziges, exponiertes Atom an der Spitze (!). Die Spitze besteht aus Gold, Platin oder Wolfram. Wenn die Probe nicht elektrisch leitend ist, muss sie mit einer sehr dünnen elektrisch leitenden Schicht bedampft werden, die am Rand der Probe Kontakt zur Probenhalterung hat. Im März 1981 haben die beiden Physiker Gerd Binnig (Deutschland) und Heinrich Rohrer (Schweiz), im IBM-Forschungslabor in Rüschlikon (CH) die ersten erfolgreichen Experimente durchgeführt. Sie haben das Rastertunnelmikroskop auch zum heute häufig benutzten Instrument gemacht und erhielten dafür 1986 den Nobelpreis für Physik, zusammen mit Ernst Ruska für dessen Erfindung des Elektronenmikroskops 1931.

Beim Rasterkraftmikroskop, SFM oder AFM (scanning force microscope, atomic force microscope), wird während der Messung eine nanoskopisch kleine Nadel, die an einer Blattfeder befestigt ist, in einem definierten Raster über die Probenoberfläche geführt. Die Rauheit der Oberfläche zwingt die Feder zu unterschiedlich starker Auslenkung, die von optischen Sensoren gemessen wird und ein Maß für die zwischen der Spitze und der Oberfläche wirkenden atomaren Kräfte ist. Die setzen sich einerseits aus anziehenden van-der-Waals- und Kapillarkräften zusammen und andererseits aus abstoßenden Pauli- und Coulomb-Kräften (Pauli-Prinzip: Fermionen, also Protonen und Neutronen, können nicht am selben Ort existieren). Durch das punktweise Aufzeichnen der Auslenkungen lässt sich eine Abbildung der Probenoberfläche erzeugen. Jeder einzelne Bildpunkt repräsentiert dann eine bestimmte physikalische oder chemische Messgröße. Die mögliche Bildauflösung wird durch den Spitzenradius bestimmt, er beträgt in der Regel 10 bis 20 nm, was je nach Rauheit der Probenoberfläche Auflösungen von 0,1 bis 10 nm erlaubt. Dies reicht aus, um im Idealfall sogar einzelne Atome abbilden zu können. Damit hat das Rasterkraftmikroskop zusammen mit dem Rastertunnelmikroskop die höchste Auflösung aller mikroskopischen Techniken. Das SFM wurde 1986 von Gerd Binnig Deutschland), Calvin Quate (USA) und Christoph Gerber (Schweiz) entwickelt.

Das Arbeitsprinzip des Rasterionen-Mikroskops, FIB (focussed ion beam) besteht darin, dass ein Gallium-Ionenstrahl statt ein Elektronenstrahl benutzt wird. Eine Flüssigmetallquelle dient zur Erzeugung des Ionenstrahls, der, da er aus geladenen Teilchen besteht, von elektrischen Spulen fokussiert und von Quadrupolen geregelt werden kann. Der Ionenstrahl wird analog dem REM in einem Punkt fokussiert und zeilenweise über die Oberfläche geführt. Dabei treten Sekundärelektronen aus der Oberfläche aus, die detektiert werden und eine Abbildung der Oberfläche ermöglichen. Es ist ein Gerät zur Oberflächenanalyse und Oberflächenbearbeitung. Damit kann Material abgetragen werden oder, als bildgebendes Verfahren, die Oberfläche abgetastet werden. Große Stromstärken werden für den „groben“ Materialabtrag (ion milling) genutzt, kleine Ströme aufgrund der besseren Auflösung, zum Feinpolieren und zur Abbildung. Werden Prozessgase über die Probe geleitet, können auch Strukturen aufgebaut werden. Neben Platin scheidet sich Kohlenstoff auf der Oberfläche ab. Auch selektives Ätzen ist möglich in Verbindung mit bestimmten eingeleiteten Gasen. Zweistrahl-Anlagen ermöglichen das gleichzeitige Beobachten und Bearbeiten von Materialien. Hiermit kann man zielgenau Defekte (z. B. in einzelnen Transistoren) oder interessante Punkte an einer Probe präparieren.

Es gibt noch eine Reihe von Elektronen basierten Mikroskopen, z.B. Feldionenmikroskop (FIM), Fotoemissions-Elektronenmikroskop (PEEM) und andere.

Anwendungsgebiete. Die „Zentraleinrichtung Elektronenmikroskopie“ (ZELMI) der TU Berlin, die Alma Mater von Ernst Ruska, verfügt über TEM, REM, HR-REM und FIB-REM-Geräte und bearbeitet damit die Themenfelder: Materialwissenschaften (Metalle, Keramiken, Polymere, Katalysatoren), Nanotechnologie, Physik, Optik, Photonik, Halbleiter, Solarzellen, Umweltanalytik, Geologie, Mineralogie, Aquatechnik, Biotechnologie, Medizintechnik, Pharmazie. Bedient werden alle Naturwissenschaften der TU, öffentliche Forschungseinrichtungen und mittelständische Unternehmen.

Das Ruska-Füllhorn. Ernst Ruska hat mit seiner Erfindung des Elektronenmikroskops ein wahres Füllhorn, eine Quelle der Erkenntnis aufgemacht, aus der die Nachfolgeerfindungen und Weiterentwicklungen nur so herausströmten. Die Grundidee Ruskas, Elektronen zu vergrößerten Abbildungen zu benutzen, animierte viele Forscher, auf diesem Gebiet weiterzuarbeiten, seine Idee in alle denkbaren Richtungen auszuweiten. Der Vorstoß in den Mikrokosmos mit Rastertunnel- und Rasterkraft-Mikroskopen, bis hinunter auf atomaren Maßstab, der auf quantenmechanischen Prinzipien beruht, ist atemberaubend und eröffnet ungeahnte Forschungsmöglichkeiten im Reich der kleinsten Teilchen. Der Drang des Menschen ist ungebremst, erkennen zu wollen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Wer weiß, wo der uns noch hinführt?

 

Bildnachweis.

Bild 1, links: Wikipedia, UrheberFrank Trixler, CC-BY-SA 3.0. Bild 1, rechts, Bild 7: Eigene Fotos, Lange Nacht der Wissenschaften 2012, TU Berlin, Physikalisches Institut, eigene Ergänzungen. Bild 2: Wikipedia, Urheber Atomic_force_microscope_block_diagram.svg Twisp, gemeinfrei. Bild 3 links. Wikipedia, Urheber secret disc, CC-BY-SA 3.0. Bild 3 rechts und Bild 8: Eigene Fotos, Lange Nacht der Wissenschaften 2012, TU Berlin, ZELMI (Zentraleinrichtung Elektronenmikroskopie), TU Berlin, 2012. Bild 4: Wikipedia, Urheber Rainer Ziel, CC-BY-SA 3.0 und Wikipedia, Urheber Schmitz Metallografie, CC-BY-SA 3.0. Bild 5: Wikipedia, Urheber Brian0918, public domain. Bild 6: Wikipedia, Dartmouth College, color by William Crochot, public domain.

 

 

Ernst Ruska (*1906 Heidelberg; †1988 Berlin) hatte die Idee, Elektronenstrahlen ähnlich wie Lichtstrahlen abzulenken und damit ganz konsequent das Prinzip des Lichtmikroskops weiterzuentwickeln.

Bild 3. Ruskas erster erfolgreicher Versuch mit Magnetspulen, die die Wirkung von optischen Linsen haben. Das ist seine eigene Skizze vom 9.3.1931. Bild 4. Die TH Berlin-Charlottenburg, Ruskas Wirkungsstätte, Ort der Erfindung des Elektronen-Mikroskops.

Erste Versuche ergeben eine 17-fache Vergrößerung. Am 4. Juni 1931 hält Ruska an der TH Berlin einen Vortrag mit folgender zukunftsweisender Passage: Untersuchungen haben den experimentellen Beweis dafür erbracht, dass das Verhalten der Elektronenstrahlen in dem für Kathodenstrahl - Oszillographen hoher Leistung wesentlichen Gebiet zwischen 30 und 70 kV bei einem Vakuum von 10-3 bis 10-5 mm sehr genau den Gesetzen der geometrischen Optik entspricht. Es muss möglich sein, mit zwei Sammelspulen, also einer Linsenkombination, Bilder herzustellen. Die Anordnung umfasst Gegenstandsebene, erste Sammelspule, erste Bildebene, zweite Sammelspule, zweite Bildebene, optisch gesprochen, ist das ein Keplerfernrohr. Praktisch wurde der Versuch so ausgeführt, dass in beiden Bildebenen feinmaschige Netze angebracht waren und das erste Netz auf die Ebene des zweiten abgebildet wurde. Bei richtiger Einstellung der Sammelspulen erscheinen beide Netze gleich scharf auf dem Leuchtschirm, das eine in der Vergrößerung 4:1, das andere in der Vergrößerung 17:1.

Die rechnerische und experimentelle Nachprüfung der Busch'schen Theorie über die Wirkung des Magnetfeldes einer stromdurchflossenen Spule als Elektronenlinse war erbracht. Ruska hat im Alter von 25 Jahren nach dem Lichtmikroskop das zweite Tor zum Mikrokosmos ganz weit aufgestoßen.

Wie werden Elektronen im Magnetfeld abgelenkt? 1924 hatte Louis de Broglie postuliert, dass massebehaftete Teilchen, also auch Elektronen Wellencharakter haben, der dann 1927 nachgewiesen wurde. Diese Entdeckung führte nun logischerweise zur Erfindung des Elektronenmikroskops. Lichtwellen werden bekanntlich an Grenzflächen, z.B. Luft/Glas, gebrochen, aber wie werden Elektronenstrahlen, also Wellen gebrochen? Die physikalische Erklärung liefert die Lorentz-Kraft, die eine bewegte Ladung, z.B. ein Elektron, in einem magnetischen oder elektrischen Feld erfährt. Sie wirkt immer senkrecht zur Bewegungsrichtung der Ladungen und den Magnetfeldlinien und ist am größten, wenn die Bewegungsrichtung der Ladungen senkrecht zu den Magnet-Feldlinien verläuft; bei Parallelbewegung ist sie Null. Nun werden Elektronen nicht abrupt um einen bestimmten Winkel beim Eintritt in das Magnetfeld einer stromdurchflossenen Spule "gebrochen" wie das Licht, sondern immer stärker "abgelenkt", je tiefer sie in das Feld eindringen. Die "linke-Hand-Regel" gibt die Richtung der Ablenkung an: Der senkrecht vom Zeigefinger abgespreizte Daumen zeigt die Elektronenbewegung an, der Zeigefinger die Feldlinien-Richtung, der zu beiden senkrecht abgewinkelte Mittelfinger die Richtung der Lorentz-Kraft. Hier sind die physikalischen Grundlagen:

Bild 5. Die Ursachen der Elektronenablenkung - Grundlage der Erfindung des Elektronen-Mikroskops. Die Elektronen treten senkrecht in die Bildebene der Skizze links unten ein und treffen zwischen dem Spulenpaar auf ein homogenes Magnetfeld, dessen Linien weitgehend parallel verlaufen. In der Grafik rechts unten treten sie von links nach rechts in den Kolben ein und werden gemäß der Lorentz-Kraft in eine Kreisbahn gezwungen, die in der Bildebene liegt.

Bild 6. Die Geburtsstunde der Elektronenoptik. Beim Elektronenmikroskop durchstrahlen die Elektronen die kurze Spule koaxial. Sie treffen auf ein axialsymmetrisches, d.h. total inhomogenes Magnetfeld, werden dadurch nicht kreisförmig, sondern schraubenförmig, spiralig abgelenkt, weil ihre Bahnen nicht senkrecht auf den Feldlinien stehen, wie beim homogenen Feld. Sie erzeugen ein scharfes, aber verdrehtes Bild des Objekts.

Was ist ein Elektronenmikroskop? Im Elektronenmikroskop werden die aus einer Glühkathode in das Vakuum austretenden Elektronen durch Hochspannung beschleunigt und gebündelt. Mit der Kondensor-Spulenlinse werden sie auf das Objekt gesammelt und dieses durchstrahlt. Die kurzbrennweitige Objektiv-Spulenlinse bildet das Objekt sehr stark vergrößert als Zwischenbild ab, das mit einer Projektions-Spulenlinse nochmals vergrößert auf den Leuchtschirm abgebildet wird. Das Leuchtschirmbild kann direkt oder durch eine seitlich angesetzte Optik beobachtet werden oder nach Hochklappen des Leuchtschirms auf einer Fotoplatte oder einem Sensor aufgenommen werden. Weil die Wellenlänge einer Elektronenstrahlung 12 500 mal kleiner ist als die Wellenlänge sichtbaren Lichts, ist ein Elektronenmikroskop sehr viel leistungsfähiger als ein Vergrößerungssystem, das normales Licht benutzt. Ein Lichtmikroskop vergrößert das Objekt 2000-fach, ein Elektronenmikroskop 1 000 000-fach.

Bild 7. Ein Vergleich zwischen Licht- und Elektronen-Mikroskop - ganz ähnlicher Aufbau; hier Brechung, dort Ablenkung der elektromagnetischen Strahlen; hier Linsen, dort Spulen. Die sehr viel kleinere Wellenlänge der Elektronenstrahlen erlaubt eine zig tausendmal höhere Vergrößerung.

Bild 8. 1933: 12 000-fache Vergrößerung. 1939: industrielle Herstellung bei Siemens, 30 000-fache Vergrößerung.

Die physikalischen Daten der Elektronenoptik. Die Wellenlänge einer Elektronenstrahlung ist sehr viel kleiner als die Wellenlänge sichtbaren Lichts, daher ist ein Elektronenmikroskop sehr viel leistungsfähiger als ein Vergrößerungssystem, das normales Licht benutzt. Ein Lichtmikroskop vergrößert das Objekt 2000-fach, ein Elektronenmikroskop 1 000 000-fach. Die Elektronen-Wellenlänge hängt von deren Geschwindigkeit ab, und die steigt mit der Beschleunigungsspannung in der Elektronenquelle: Die Wellenlänge ist λ= 1220xU-0,5 in pm, mit der Spannung in V. So ist λ=5 pm für U=50 kV und λ=4 pm für U=100 kV. Die Licht-Wellenlänge ist 380 000 bis 780 000 pm, also ca. 150 000 mal größer als von Elektronen-Strahlen. Die erreichbare Auflösung (d.h. der erkennbare Minimalabstand zweier Strukturen) eines Elektronenmikroskops ist ca. 1000 mal größer als die Wellenlänge, aber die Auflösung ist etwa 1000 mal besser als die eines Lichtmikroskops. Das Auflösungsvermögen ist hauptsächlich durch Linsenfehler (Aberration) begrenzt. Für biologische Untersuchungen wird eine Beschleunigungsspannung von 80 bis 120 kV gewählt, für Materialuntersuchungen 200 kV.

Als nächstes ging es darum, die noch sehr mäßige Vergrößerung von 17:1 zu verbessern. Da die Weiterentwicklung sehr stark von der Beschaffung von Geldmitteln abhing, musste sich unser Elektroingenieur erst mal in die Niederungen der Kostenberechnungen begeben. Er kam auf eine Endsumme von 2155,- Mark, aufgebracht von den Freunden der TH. Das Gerät war 1933 fertig, hatte mit seinen drei Elektronenlinsen schon eine Vergrößerung von 12 000:1, die mit einer Spannung zwischen Kathode und Anode von 75 kV erreicht wurde. Damit war die Auflösung des Lichtmikroskops bereits übertroffen.

Bild 9. 1928 an der TU Berlin. Die ersten Arbeiten an der stromdurchflossenen Spule als Elektronenlinse führten unmittelbar zur Erfindung des Elektronenmikroskops.

Ruskas Sprung in die Industrie. Die Grundlagen waren geschaffen. Jedoch konnte die technische Weiterentwicklung von Elektronenmikroskopen nicht die Aufgabe eines Hochschulinstituts sein. So arbeitete Ruska zunächst in der Industrie und zwar auf elektronenoptischem Gebiet weiter. Von 1933 bis 1937 war er bei der Fernseh-AG in Berlin-Zehlendorf verantwortlich für die Entwicklung von Fernseh-Empfangs- und Senderöhren sowie von Photozellen. 1934 erhielt er von der TH Berlin den Doktor-Titel für seine Arbeit über Elektronenlinsen kurzer Brennweite. 1936 gelang es ihm, Siemens & Halske von der großen Bedeutung der Weiterentwicklung von hochauflösenden Elektronenmikroskopen zu überzeugen. In dem 1937 neu geschaffenen Siemens-Laboratorium für Elektronenoptik in Berlin-Spandau entwickelte er dort bis 1939 das erste serienmäßige Elektronenmikroskop ("Siemens-Übermikroskop"). Seine Aufgabe bestand in der Entwicklung und Fertigung der Elektronenmikroskope, mit denen bis Anfang 1945 etwa 35 Institute ausgestattet werden konnten. Parallel zur Entwicklung dieser Geräte befaßten sich damals sein Bruder Dr. med. Helmut Ruska und dessen Mitarbeiter mit ihrer Anwendung, besonders auf medizinischem und biologischem Gebiet. 1944 erhielt Ernst Ruska seine Habilitation an der TH Berlin (höchstrangige Hochschulprüfung für die Lehrbefähigung in einem wissenschaftlichen Fach).

Bild 10. Querschnitt des Elektronen-Mikroskops Siemens ÜM 100d, von Ruska 1949 entwickelt (ÜM = "Übermikroskop", damals gebräuchliche Bezeichnung). Objekte, Linsen, Schirme befinden sich im Vakuum, weil die Elektronenstrahlung durch Luftmoleküle gestört wird. Die x,y-Verschiebung des Objekts erfordert eine Genauigkeit von 10 nm. Polschuhe ermöglichen eine kurze Brennweite. Präparate müssen getrocknet, in ultradünne Schichten geschnitten, die Oberfläche oft im Vakuum mit Metall bedampft werden.

Der Elektro-Ingenieur Ruska hatte während der vergangenen Jahre seine Fähigkeit bewiesen, sich mit Leichtigkeit zwischen den Welten der modernen Physik und der Elektrotechnik zu bewegen. Seine Tätigkeit brachte ihn nahe an die Grenzen der Quantenphysik, die ja die theoretische Basis für die Elektronen-Mikroskopie geschaffen hatte. Die Erfindung des Elektronen-Mikroskops konnte nur von jemandem erfolgreich betrieben worden sein, der ein tiefes Verständnis der theoretischen und praktischen Aspekte der Elektrizität hatte. De Broglies Theorie der Wellennatur der Elektronen, die bisher nur als Körperchen angesehen wurden, bedeutete die Initialzündung für die Entwicklung dieses Übermikroskops. Sie bedurfte aber eines Ingenieurgenies Ernst Ruska, um die Physiker-Idee ins technisch Machbare zu überführen. Der Ansporn dazu war sicherlich die von de Broglie angegebene ultrakurze Wellenlänge der neu definierten Elektronenstrahlung, die damit ein zweites, breites Tor zur Erforschung des Mikrokosmos geöffnet hatte.

Das erste Tor hatte Ernst Abbe mit seiner wissenschaftlichen Linsenberechnung für das Lichtmikroskop aufgetan. 1876 formulierte er eine bemerkenswerte Vision: Nach allem, was im Gesichtskreis unserer heutigen Wissenschaft liegt, ist der Tragweite unseres Sehvorgangs durch die Natur des Lichtes selbst eine Grenze gesetzt, die mit dem Rüstzeug unserer Naturerkenntnis nicht zu überschreiten ist. Es bleibt natürlich der Trost, dass zwischen Himmel und Erde noch so manches ist, von dem sich unser Unverstand nichts träumen lässt. Nur glaube ich, dass diejenigen Werkzeuge, welche dereinst vielleicht unsere Sinne in der Erforschung der letzten Elemente der Körperwelt wirksamer als die heutigen Mikroskope unterstützen, mit diesem kaum etwas anderes als den Namen gemeinsam haben werden.

55 Jahre später war es soweit. Der natürliche Sehvorgang wurde in einer Weise erweitert, von dem Abbe nicht im entferntesten zu träumen gewagt hätte: Das Werkzeug der Elektronenstrahlen, geboren aus der geheimnisvollen Welt der Quantenmechanik, erhöhte die Auflösung des Lichtmikroskops auf das 1000-fache! Das zweite Tor war geöffnet. Es war das Instrument geschaffen für die fortgeschrittenen Forschungsinstitute der Biologie, Medizinwissenschaft, Metallurgie und Kritallografie. Es wurde unverzichtbar für die Untersuchung der Zellstrukturen der Lebewesen.

So ging es weiter mit der Entwicklung der Transmissions-Elektronenmikroskope (TEM: Elektronen durchstrahlen das Objekt, das zu diesem Zweck entsprechend dünn sein muss):

Bild 11. Ein kleiner Gang durch die Entwicklungsgeschichte der TEMs von 1949 bis heute - die kleinste Auflösung liegt heute bei 0,1 nm. Die Amerikaner sind heute führend. Das Titan-Gerät hat neben der TEM-Funktion zusätzlich eine Scanning-Funktion STEM (Scanning Transmissions-Elektronen-Mikroskop).

Die Auflösung von 0,1 nm ist gleichbedeutend mit 1 Angström = 10-10 m. Das ist der Durchmesser eines Atoms mit Elektronenhülle, d.h. dass man mit dieser Auflösung in die atomare Struktur der Materie hineinblicken kann.

Bild 12. Der Durchmesser eines Atoms beträgt ca. ein Angström. Diese Auflösung wird heute mit den besten Geräten erreicht.

Nach dem Krieg ging es zügig weiter. Bis Anfang 1945 wurden von Siemens etwa 35 Institute mit den neu entwickelten Elektronenmikroskopen ausgestattet. In den Jahren nach 1945 baute Ruska die durch Demontage aufgelöste Abteilung für Elektronenoptik zum großen Teil mit neuen Mitarbeitern in Berlin-Siemensstadt wieder auf, so dass seit 1949 wieder Elektronenmikroskope, Typ ÜM 100, geliefert werden konnten. Eine neue Entwicklungsphase führte 1954 zum Elmiskop I, das von über 1200 wissenschaftlichen Instituten vieler Länder benutzt wurde. Es war Siemens´ erfolgreichste Entwicklung. Von diesem Instrument, das ein Auflösungsvermögen von 0,8 Nanometern besaß, verkaufte Siemens bis 1965 rund 1000 Exemplare. Danach aber ließ das Unternehmen auf dem Gebiet der Elektronenmikroskopie kaum noch forschen. Offenbar reichte es den Verantwortlichen, die bisher entwickelten Geräte zu verkaufen.

 

 

Bild 13. Knepsche drücke derfe nur mir, die Experte…Ernst Ruska justiert 1949 das ÜM 100 im Siemens-Labor.

Siemens gibt die Marktführerschaft ab. Jetzt passierte genau das, was überhaupt nicht passieren darf: Sich auf den Lorbeeren ausruhen und die Weiterentwicklung aufgeben. Die Entwicklung von technischen Geräten geht immer weiter, vom Gewinn muss ein Teil dafür abgezweigt werden, nur so ist man immer eine Nasenlänge vor der Konkurrenz. Das große HaSi (Haus Siemens) hat auf diese Weise leichtfertig und ohne Not die Marktführerschaft anderen überlassen. Warum? Sie hatten doch durch Ernst Ruska einen unglaublichen Vorsprung. Diese, nur durch allzu ängstliche und zögerliche Geschäftspolitik der Manager zu erklärende Haltung, ist bei HaSi auch an zwei anderen Entscheidungen abzulesen: Konrad Zuses Computer, der erste Programm gesteuerte, frei programmierbare Rechner der Welt mit binärer Gleitkommarechnung, spielte ihnen einen Vorteil in die Hand, den sie einfach so aus der Hand gaben, obwohl ihnen die Firma gehörte. Der Siegeszug des PC ging am HaSi vorbei und ebenso die Großrechner. Und Rudolf Hells Fernkopierer und Farbscanner erachteten sie nicht für wert, obwohl ihnen auch dessen Firma gehörte. Auf allen diesen Geschäftsfeldern gaben sie die Marktführerschaft auf – und die Massenvermarktung gelang den Konkurrenten aus Fernost und den USA. In Deutschland erfunden, großer Wissensvorsprung – dann vernachlässigt die Großindustrie den erforderlichen Innovationsprozess – und hechelt jetzt dem selbstverschuldeten Rückstand hinterher. Bei diesen zukunftsträchtigen Erfindungen - Computer, Elektronenmikroskop, Fernkopierer und Scanner - hatten sie nicht die Marktführerschaft im Kopf, sondern nur die Exit-Strategie. Verschenkte Chancen auf Hightech-Gebieten, Ausweichen auf Nicht-ganz-Hightech-Technologien, wieviele Arbeitsplätze wurden dadurch verschenkt? Stattdessen immer wieder Massenentlassungen nach Elefantenhochzeiten, obwohl großsprecherisch Synergieeffekte versprochen werden. Im statistischen Mittel vernichtet die Großindustrie Arbeitsplätze, während der Mittelstand Arbeitsplätze schafft.

Ruska kehrt zur Grundlagenforschung zurück. Ernst Ruska war die Geschäftspolitik von Siemens zu zögerlich. Er wollte ein Elektronenmikroskop mit atomarer Auflösung konstruieren – und suchte dafür ein Institut, das sich auf die Grundlagenforschung spezialisierte. Das Berliner Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft lag da nahe, da er dort schon seit 1948 eine Arbeitsgruppe leitete, die sich mit Grundlagenforschung zum Elektronen- Mikroskop befasste. Die Max-Planck-Gesellschaft traute einem höchstauflösenden Elektronenmikroskop großes Potenzial in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zu. 1954 wurde Ernst Ruska zum wissenschaftlichen Mitglied am Fritz-Haber-Institut für Elektronenmikroskopie. Seit 1949 war er schon Privatdozent an der TU Berlin und Honorarprofessor an der FU Berlin und 1959 wurde er außerplanmäßiger Professor an der TU.

Bild 14. Ernst-Ruska-Bau Berlin-Dahlem. Zwei riesige Türme für die Pendelfundamente, um vibrationsfreie Messungen am Elektronenmikroskop zu erreichen.

1963 erhielt Ruskas Institut auf dem Gelände des Fritz-Haber-Instituts ein eigenes Gebäude, das seit 1986 Ernst-Ruska-Bau heißt und von zwei hohen Türmen begrenzt wird. In ihnen konnten Ruska und seine Mitarbeiter Elektronenmikroskope wahlweise auf einem hängenden oder stehenden Pendelfundament installieren. Auf diese Weise schirmten die Wissenschaftler das Elektronenmikroskop gegen Erschütterungen ab, die vom Verkehr verursacht werden. Denn lange hatten sie die höchste Auflösung nur zufällig erreicht, wenn ihr Gerät gerade nicht vibrierte. 1969 wehrte Ruska einen ernst gemeinten Vorschlag seiner Kollegen ab, mit dem hochauflösenden Gerät in den Schwarzwald zu ziehen, fernab von Verkehr und Industrie, weil er der Meinung war, dass das Problem unter realistischen Bedingungen in normal gestörter Umgebung gelöst werden müsse. Die Wissenschaftler schafften es. 1974, im Jahr seiner Emeritierung wurde der Neubau eingeweiht. Darin baute seine Gruppe nun Mikroskope mit 800 000-facher Vergrößerung und erprobte sie erfolgreich auf den Pendelfundamenten. Die Erhöhung des Auflösungsvermögens war ein harter Brocken. Die Forscher optimierten unter anderem die Form der Magnetlinsen, erhöhten die Leuchtkraft der Elektronenkanone, verstärkten die Lumineszenz des Bildschirms und verbesserten die magnetische Abschirmung gegen Streufelder. Damit war eine Auflösung im atomaren Bereich in greifbare Nähe gerückt.

Der verspätete Nobelpreis. 1986 erhielt Ernst Ruska den Nobelpreis für Physik, 54 Jahre nach seiner epochalen Erfindung. Die mussten aber lange überlegen! Dabei war die weitreichende Wirkung seiner Erfindung schon in den 1930ern offensichtlich. Er bekam den Preis zusammen mit Gerd Binnig und Heinrich Rohrer, den Erfindern des Raster-Tunnel-Mikroskops. Binnig von der Uni Frankfurt und der Schweizer Rohrer hatten 1981 am Forschungslabor der IBM in Zürich das Gerät erfunden.

Hier ein paar Sätze aus seiner Nobelpreis-Rede in Stockholm am 10.12.1986 (übersetzt und sinngemäß abgeändert): Majestäten, Königliche Hoheiten, Damen und Herren, das Ziel meiner Arbeit war es, den Aufbau der Materie zu erforschen. Ich wollte nicht die Elektronenmikroskopie revolutionieren. Ich war mit der technischen Entwicklung des Kathodenstrahloszillographen beschäftigt. Dabei traf ich bei dem Nebenproblem der Elektronenstrahlbündelung eher zufällig auf die Möglichkeit der Bilderzeugung mit Elektronenstrahlen. Ich war sehr enttäuscht, dass meine Kollegen die größten Zweifel hegten. Das hatte aber den Vorteil, dass dieses Forschungsfeld noch nicht überlaufen war, weil es als absurd galt, dass man mit Elektronen Vergrößerungen in ungeahntem Ausmaß erreichen könnte….

Woran arbeiteten die Wissenschaftler mit Ernst Ruska am Fritz-Haber-Institut noch? Die immer höher werdenden Beschleunigungsspannungen bis 1000 kV (um eine höhere Auflösung zu erreichen) brachten Probleme mit deren Konstanthaltung; die damit verbundene kleinere Wellenlänge machte einen Strahlenschutz für das Bedienungspersonal notwendig. Die höhere Energie schadete aber auch einigen Objekten durch chemische Veränderung, die nur durch das „Kryomikroskop“ verhindert werden konnte, d.h. es musste die Technik geschaffen werden, die Objekte sehr stark zu unterkühlen, z.B. bis auf -269 °C. Diese 4° über dem absoluten Nullpunkt machten die Präparate weniger anfällig für höhere Strahlendosen (die Kryotechnik wurde in USA entwickelt).

Bild 15. Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Paraffinkristalls: Links das verrauschte Bild, bedingt durch eine minimale Strahlendosis, rechts das im Computer mit Hilfe von Bildauswertungsverfahren erzeugte Endbild (1980er).

Bild 16. TEM-Aufnahme eines Goldkristalls - atemberaubende Einblicke in die Bausteine der Materie.

In vielen Fällen können nur sehr schwach belichtete Aufnahmen gemacht werden. Ein solches Einzelbild ist dann stark verrauscht, enthält aber noch genügend viel periodische Informationen. Dieses wird mit Hilfe eines Computers digitalisiert, justiert und ergibt zum Schluss ein sehr gutes Bild, z.B. eines Kristallgitters. Diese Bildauswertungsverfahren sind heute sehr weit verbreitet. Die Weiterentwicklung und Vervollkommnung der Elektronenmikroskope war ein Kampf gegen die unerwünschten Folgen der Eigenschaften von Elektronenstrahlen, die die sublichtmikroskopische Auflösung erst ermöglicht haben. Es ist letzten Endes doch fast ein Wunder, dass alle Schwierigkeiten bisher so weit gelöst werden konnten, dass die Elektronenmikroskopie für so viele naturwissenschaftliche Disziplinen derart fruchtbar geworden ist.

Die Grenzen des menschlichen Sehens. Unserem Sehvorgang ist durch den Bau des menschlichen Auges und durch die Natur des Lichtes selbst eine Grenze gesetzt – ja das stimmt, doch hat der erfinderische Mensch mit technischen Mitteln diese Grenze immer weiter hinausgeschoben. Der deutsch-niederländische Brillenmacher Hans Lipperhey erfand 1608 das Fernrohr, mit dem Galileo Galilei in die Tiefen des Weltraums blicken konnte. Christian Hülsmeyers Radarstrahl durchdringt seit 1905 Nacht und Nebel und macht weit entfernte Objekte sichtbar, Ernst Abbes wissenschaftlich berechnetes Mikroskop drang in die Welt der Bakterien  vor – und seit 1931 gibt es Ernst Ruskas Elektronenmikroskop, das sogar bis in die atomaren Baupläne der Materie hineingucken kann. Die Naturwissenschaften als noch recht junge und merkwürdige Betätigungsfelder haben unsere Welt drastisch verändert. Sie haben uns ermöglicht, über die uns von der Evolution auferlegten Grenzen hinauszustreben, indem wir Werkzeuge erfinden, die unser Leben verlängern, die uns schneller und klüger machen und die uns weiter sehen lassen durch dunkle Nacht, in unendliche Ferne und in die schier unbegreifliche Tiefe unseres Mikrokosmos.

Bild 17. Die Ausweitung eines menschlichen Sinnesorgans mit technischen Mitteln - von Lipperdey über Abbe, Hülsmeyer zu Ruska.

Bilder 18, 19. Ehrungen Ruskas  auf Postwertzeichen.

 

Ehrungen. Die Wertschätzung Ruskas zeigte sich in vielen Ehrungen. Er war Ehrenmitglied renommierter Gesellschaften in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan. Er erhielt zwischen 1958 und 1978 Ehrendoktortitel aus Kiel, Modena, Berlin und Toronto, dazu die Leibniz-, Diesel- und Robert-Koch-Medaille, den Paul-Ehrlich-Preis, diverse ausländische Preise und natürlich den höchsten Physik-, den Nobelpreis, obwohl er „nur“ Ingenieur war. Er war nur Ingenieur und hat doch die Grenzen unserer Erkenntnis weit hinausgeschoben, so weit, wie es kein Mensch zuvor für möglich gehalten hatte. Er hat damit vielen Wissenschaftlern das Werkzeug an die Hand gegeben, weiter zu forschen, die Geheimnisse des Lebens und der Materie zu enträtseln und Krankheiten zu besiegen. Er hat wirklich einen Ehrenplatz in den Heureka-Stories verdient.

 

Nachtrag

Ein Besuch im Institut für Optik und atomare Physik der TU Berlin am 13.6.2018 aus Anlass der Langen Nacht der Wissenschaften erbrachte ergänzende Erkenntnisse zum Thema Ablenkung der Elektronenstrahlen. Herr Wagner, Doktorand bei Professor Lehmann, hatte ein komplettes Elektronenmikroskop ganz in den Spuren von Ernst Ruska nachgebaut, das es erlaubte, die einzelnen Komponenten anzusehen, anzufassen und deren Funktion zu verstehen. 

 

Bild 20. Der Autor am Elmiskop, einem Original von 1960 - ein besonderer Moment im Institut für Optik und Atomare Physik der TU Berlin.

 

Bild 21. Zum Verständnis der Elektronenablenkung: Die Elektronen treten aus der Kathode aus, werden in einem Wehnelt-Zylinder gebündelt und fokussiert. Nach Durchströmen der Anodenblende treten sie axial in die kurze Spule ein. Eine axial lange Spule hätte ein homogenes Magnetfeld zur Folge, d.h. mit parallel laufenden Feldlinien. Eine Ablenkung der Elektronen setzt jedoch einen Winkel ungleich Null zwischen der Elektronenbahn und der Feldlinie voraus, um eine Lorenz-Kraft, d.h. eine Ablenkung quer zur Trajektorie des Elektrons zu erzeugen. Die von Ruska verwendete kurze Spule erzeugt ein mehr oder weniger gekrümmtes Magnetlinienfeld, hauptsächlich durch den Ringspalt im starken, die Spule umschließenden Eisenmantel, der das Feld auf den zylindrischen Hohlraum im Zentrum der Spule konzentriert. So verlaufen die Elektronenbahnen in der optischen Achse parallel zum Feld, während am Rand des Hohlraums wegen der Feldlinienkrümmung eine starke Ablenkung eintritt und damit eine Vergrößerungsmöglichkeit, fast genau so wie bei einer Glaslinse. 

 

 

 

 

Bild 22. Die einzelnen Komponenten des TEM-Nachbaus von 1931. In der Demonstration wurde, nach zweistufiger Vergrößerung über ein Zwischenbild, das in der Ebene der Kassette erzeugte Endbild auf einen modernen Flachbildschirm übertragen. Die Anodenspannung betrug bei der Demonstration ca. 15 kV.

Bild 23. Das Elmiskop von 1960 war das erfolgreichste Elektronenmikroskop der Fa. Siemens, Auflösung 0,8 nm. Gezeigt im Institut für Optik und Atomare Physik der TU Berlin während der Langen Nacht der Wissenschaften.

 

 

Die Geschichte ist nicht zu Ende

 

 

Bildnachweis

Bild 1, 3, 10, 16: Eigene Fotos, Lange Nacht der Wissenschaften 2012, TU Berlin, Physikalisches Institut. Bild 4: Wikipedia, gemeinfrei, Schutz abgelaufen. Bilder 5, 6: Eigene Zeichnungen und Foto 2013. Bilder 7, 8, 10: Eigene Fotos am 1./2.8.2011 im Deutschen Museum München, Gestattungsvertrag für Bildaufnahmen vom 12.7.2011. Bild 9: Deutsches Museum. Bild 11,1, 4, 5: Eigene Fotos, Lange Nacht der Wissenschaften 2012, TU Berlin, Physikalisches Institut. Bild 11,2: Wikipedia, Urheber Stahlkocher, CC-BY-SA 3.0. Bild 11,3: Eigenes Foto am 1./2.8.2011 im Deutschen Museum München, Gestattungsvertrag für Bildaufnahmen vom 12.7.2011. Bild 12: Wikipedia, Urheber Cweiske, CC-BY-SA 3.0. Bild 13: aus div. Websites. Bild 14: Aus der Website des FHI Berlin. Bild 15: Aus: Nobelvortrag, gehalten am 8. 12. 1986 von Ernst Ruska, veröff. in Phys. Bl. 43 (1987), S. 271ff. Bild 17: aus Wikipedia, Nutzungsrechte abgelaufen, 17,4: div. Bilder im Web. Bild 18, 19: public domain. Bilder 20, 22, 23: Eigene Fotos 13.6.2018, mündliche Genehmigung für Veröffentlichung vom Institut für Optik und Atomare Physik. Bild 21: Eigene Skizze.

 

Ernst Ruska - Jugend und Werdegang

schon früh war er vom technischen Fortschritt fasziniert

Eine Wissenschaftlerfamilie. Er wurde 1906 in Heidelberg als das fünfte von sieben Kindern des Julius Ruska und seiner Frau Elisabeth geboren. Sein Vater war Historiker der Naturwissenschaften, sein Onkel Astronom, beide in Heidelberg. Sein Patenonkel war Direktor des astronomischen Recheninstituts der Uni Berlin, ein weiterer Onkel war Psychiatrie-Professor in Freiburg, und sein Großvater war evangelischer Theologe in Gießen. Also alles in allem eine in den Wissenschaften sehr bewanderte Familie. Der Astronom zeigte Ernst die Fernrohre auf dem Königsstuhl bei Heidelberg. Diese und auch das große Zeiss-Mikroskop seines Vaters mit mineralogischen und botanischen Präparaten machten einen riesigen Eindruck auf ihn. Man erwartete von Ernst wie selbstverständlich, dass er sich um einen akademischen Grad in einer „reinen Wissenschaft“ bemühen werde. Ernst hatte aber schon in frühester Jugend andere Pläne. Er war derart fasziniert vom technischen Fortschritt des beginnenden 20. Jahrhunderts, dass er sich den Ingenieurwissenschaften verschrieb, eine Entscheidung, die nicht so ganz in das Weltbild seiner Familie und seiner engsten Verwandten hineinpasste.

Bild 1. Die lebendigen Erzählungen von 1899 aus der Welt der Technik des begeisterten Ingenieurs Max von Eyth gaben den Ausschlag – das wollte Ernst Ruska auch.

Physik wunderbar – Technik großartig. Auf dem Gymnasium verstand der Physiklehrer, Ernsts Interesse für die Bewegung der Elektronen um den Atomkern zu wecken. Staunend nahm er auch zur Kenntnis, dass die Wellenlänge des Lichts die mikroskopische Auflösung des Bildes begrenzt. Im Gegensatz zu den Naturwissenschaften konnte er den Sprachen Latein, Griechisch und Französisch nichts abgewinnen. Sein Griechischlehrer erkannte seine Abneigung und schenkte ihm zur Konfirmation das Buch „Hinter Pflug und Schraubstock“ des Schriftsteller-Ingenieurs Max von Eyth (1836-1906). Das war etwas für unseren Ernst. Er war so beeindruckt von den Kapiteln über Luftschiffe und Flugzeuge, dass er sich endgültig für ein Ingenieurstudium entschloss. Für seine Familie war war eine Technische Hochschule nicht vollwertig. Sein Vater bot ihm ein Physik-Probesemester auf einer Universität an. Ernst lehnte ab, weil er das deutliche Empfinden hatte, dass ihm Technik mehr zusagte als Physik. Nach dem Abitur am humanistischen Gymnasiums in Heidelberg begann er 1925 zunächst ein Studium der Aeronautik an der Technischen Hochschule in München, wechselte dann aber in die Elektrotechnik, ab 1927 dann an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg.

Bild 2. Ernst Ruska als Diplomand an der TH Berlin. Bild 3. Aufbau der Apparatur zur Vergrößerung mit magnetischen Linsen 1929/30 in der TH Berlin.

Wechsel nach Berlin – gute Arbeitsbedingungen an der TH. Sein Vater wurde 1927 Leiter des Instituts für Geschichte der Naturwissenschaften in Berlin. So kam auch Ernst nach dem Vordiplom zur TH Berlin, wo er sich für das Hauptdiplom auf Hochspannungstechnik und elektrische Anlagen spezialisierte. Sein Industriepraktikum machte er in den damals schon sehr renommierten Firmen Brown-Boveri in Mannheim und Siemens & Halske in Berlin. 1928 wurde am Hochspannungsinstitut der TH Berlin unter der Leitung des Assistenten Max Knoll eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich mit der Entwicklung eines leistungsfähigen Kathodenstrahl-Oszillographen befasste, der auch Ernst Ruska angehörte. Mit dem Gerät sollten schnell verlaufende elektrische Vorgänge in Kraftwerken und Hochspannungsfreileitungen untersucht werden. Ernst hatte schon in München experimentelle Arbeiten im physikalischen Praktikum mitgemacht.

Bild 4: Ernst Ruskas Alma Mater, die TH Berlin, Stätte seines Heureka-Erlebnisses – ein Postwertzeichen von 1949.

Max Knolls Persönlichkeit schuf in der Gruppe ein kameradschaftliches Verhältnis, und in der nachmittäglichen gemeinsamen Kaffeestunde war eine offene Unterhaltung über die wissenschaftlichen und technischen Probleme der Arbeiten jedes Einzelnen üblich. Ruska hatten es insbesondere Theorie und Praxis des optischen Verhaltens von Elektronenstrahlen angetan. Er untersuchte die Fokussierung des Elektronenstrahls, entscheidend für Durchmesser und Energiedichte des Schreibflecks des Oszillografen, die wiederum Messgenauigkeit und Schreibgeschwindigkeit beeinflussen. Er entwickelte in diesem Kontext eine elektronenoptische Anordnung zur vergrößerten Abbildung von Objekten. Die im Februar 1931 in seiner Diplomarbeit zusammengestellten experimentellen Ergebnisse beweisen, dass sich eine Anodenblende vergrößert darstellen lässt. 1925 hatte Louis de Broglie die Idee vertreten, dass sich Teilchenströme auch als Wellen beschreiben lassen, daraufhin hatte Hans Busch die Hypothese einer geometrischen Elektronenoptik zur Fokussierung und Abbildung von Elektronenbündeln mit Magnetfeldern aufgestellt. Daran hatten nun Knoll und Ruska angeknüpft.

Ernst Ruska schafft den Durchbruch. Die Wirkung des axialsymmetrischen, also inhomogenen Magnetfelds der Spulen auf das längs ihrer Achse verlaufende Elektronenbündel wurde noch nicht verstanden, obwohl Hans Busch die Bahnen der Elektronen in einem solchen Elektronenbündel berechnet und dabei gefunden hatte, dass das Magnetfeld der kurzen Spule auf das Elektronenbündel wie eine Lichtlinse auf Lichtbündel einwirkt. Die Brennweite dieser "magnetischen Elektronenlinse" lässt sich dabei mittels des Spulenstroms kontinuierlich verändern. Busch wollte seine Theorie im Experiment prüfen, konnte damals jedoch aus zeitlichen Gründen keine neuen Versuchsreihen durchführen. Er zog aus seiner Theorie auch nicht die praktische Folgerung, mit einer solchen Spule mit axialsymmetrischem Magnetfeld irgend etwas abzubilden.

Ruska prüfte nun mit einer axial kurzen Spule Buschs Linsentheorie unter besseren experimentellen Bedingungen. Die für die Linsenwirkung ausschlaggebende kurze Brennweite erzielte er mit einer Eisenummantelung, die nur im Innendurchmesser einen kleinen Spalt ließ. 1929 konnte er in seiner Studienarbeit die ersten stark vergrößerten, scharfen Bilder einer Anodenblende von 0,3 mm Durchmesser nachweisen. Das waren die ersten elektronenoptischen Abbildungen der Welt.

Anfang 1931 waren die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland so schlecht, dass Ruska froh war, dass er nach seinem Diplom seine unbezahlte Tätigkeit als Doktorand fortsetzen konnte. Für ihn ging es jetzt darum, ob man wie in der Lichtoptik eine zweite Elektronenoptik dahinterschalten könne, um damit die Bilder weiter zu vergrößern. Ruska stand nun kurz vor der Erfindung des Elektronenmikroskops.

1931 erhielt er den Beweis, dass dies genau wie in der Optik möglich war. Er erreichte mit der ersten Spule eine Vergrößerung von 3,6 und in der zweiten von 4,8, macht zusammen 17,3. Ein noch bescheidener Wert, aber diese Apparatur gilt mit Recht als das erste Elektronenmikroskop der Welt. Der erste Nachweis, daß man außer mit Licht und Glaslinsen auch mit Elektronenstrahlen und Magnetfeldern Abbildungen durchstrahlter Objekte, zudem in mehr als einer Abbildungsstufe machen kann, war  nun geführt. Der erste Beweis war erbracht, aber es gab noch so viele Probleme zu lösen: Die Vergrößerung war noch völlig unzureichend (kann man sie überhaupt steigern? Und auf welche Weise?). Die durchstrahlten Objekte wurden selbst bei 17-facher Vergrößerung viel zu heiß, so dass sie schmolzen. Schon 1933 übertraf Ruska dennoch mit seinem neuen Elektronenmikroskop die Vergrößerung des Lichtmikroskops.

 

Das Elektronenmikroskop - die ganze Geschichte

Die Geschichte ist nicht zu Ende

 

 

Bildnachweis

Bild 1: Wikipedia, Urheber Thomoesch, freies Nutzungsrecht. Bild 2: Eigenes Foto, Lange Nacht der Wissenschaften 2012, TU Berlin, Physikalisches Institut. Bild 3: Eigenes Foto am 1./2.8.2011 im Deutschen Museum München, Gestattungsvertrag für Bildaufnahmen vom 12.7.2011. Bild 4: gemeinfrei.

Das Elektronenmikroskop - Kurzinfo

Ernst Ruska (*1906 Heidelberg; †1988 Berlin) war ein deutscher Elektroingenieur und Erfinder des Elektronenmikroskops. Für diese Erfindung erhielt er 1986 den Physik-Nobelpreis. Er machte sein Abi in Heidelberg, studierte dann ab 1925 Elektrotechnik an der TH München und Berlin und schrieb dort 1933 seine Doktorarbeit über Ein magnetisches Objektiv für ein Elektronenmikroskop. Der Erfindung liegt die Idee zugrunde, dass Elektronen nicht nur kleine Körperchen, sondern auch Wellen sind, die wie Lichtwellen durch Linsen abgelenkt werden. Hier sind es jedoch keine Glaslinsen, sondern elektronenoptische Bauelemente, die elektrische und magnetische Felder erzeugen, die die schnellen Elektronen ablenken und dadurch Vergrößerungen ermöglichen. Die mögliche Vergrößerung, d.h. das Auflösevermögen hängt von der Wellenlänge der Strahlen ab. Bei Lichtmikroskopen können daher Objektpunkte von weniger als 200 Nanometer (Milliardstel Meter) nicht mehr getrennt beobachtet werden.  Elektronenstrahlen ermöglichen wegen ihrer kleineren Wellenlänge ein Auflösevermögen von derzeit etwa 0,1 Nanometer.

Im März 1931 gelang Ernst Ruska in der Berliner Fernseh AG. zusammen mit seinem Kollegen Max Knoll,  die erste elektronenoptische Vergrößerung, das war die Geburtsstunde des Elektronenmikroskops, das man damals Übermikroskop nannte. Im Dezember 1933 hatte er mit einer 12000-fachen Vergrößerung das Lichtmikroskop übertroffen. Ab 1937 arbeitete er als Entwicklungsleiter bei Siemens & Halske in Berlin, wo das Gerät ab 1938 serienmäßig hergestellt wurde.

Das Elektronenmikro ist ein enorm wichtiges Hilfsmittel in Physik, Chemie, Technik, Biologie. Durch Überlagerung vieler mit dem Mikroskop erzeugter Einzelbilder mit einem Computer können einzelne Moleküle und sogar Atome abgebildet werden. Material- und Kristallforschung und Sichtbarmachung von Viren sind weitere hochwichtige Anwendungsgebiete. Ernst Ruska hat mit seiner bahnbrechenden Erfindung tatsächlich das Leben auf der ganzen Welt verändert.

 

Ruskas Jugend und Werdegang

Das Elektronenmikroskop - die ganze Geschichte

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