Fritz Habers große Erfindung - wird Ammoniak heute noch synthetisch hergestellt?

Wie ging es mit der Ammoniaksynthese weiter? Welche Umweltschäden treten durch die Verwendung von Kunstdünger auf? Was machen die Erben heute im Fritz-Haber-Institut?

Bild 1. Ammoniak ist Ausgangsstoff für viele Produkte und hat einen ganz neuen industriellen Chemie- Zweig begründet.

Habers Forschungs- und Entwicklungsarbeit auf dem Gebiet der Ammoniak-Synthese hat sich als sehr nachhaltig erwiesen. Bis heute gibt es nichts Besseres. Die Weltproduktion von nach diesem Verfahren hergestellten Stickstoff-Dünger beträgt 100 Millionen Tonnen pro Jahr. 90% des weltweit produzierten Ammoniaks wird zur Herstellung von Düngemitteln verwandt. Das heißt, Ammoniak wird zu Ammoniumsalzen, d.h. Ammoniumsulfat und –nitrat weiter verarbeitet. Daneben ist Ammoniak Ausgangsstoff für die  Produktion von Kunststoffen und  Sprengstoffen. Ammoniak selbst kann als Kältemittel in Kühlanlagen eingesetzt werden und dabei die stark Umwelt gefährdenden Halogen-Kohlenwasserstoffe (FCKW und Chlorkohlenwasserstoffe) ersetzen.

Bild 2. Die Bauern, die mit Ammoniumsulfat düngen, erfreuen sich der dicksten Rüben und der saftigsten Birnen und werden dabei selbst dick und fett. Bauern, die ohne auszukommen glauben, sind dem Hungertod preisgegeben. Eine schöne alte Postkarte aus Frankreich.

Natürlich wird international laufend an der Verbesserung des Haber-Bosch-Verfahrens gearbeitet, das eine noch nicht abgeschlossene Geschichte ist.

Bild 3. So arbeitet der Katalysator (rot) bei der Ammoniaksynthese: Aus N2 und H2 wird in sechs (schematischen) Stufen NH3. Es bedarf einiger Anstrengung, die stabile Dreifachbindung der Stickstoffatome aufzubrechen.

Der Katalysator. Einem Katalysator kommt die Rolle eines Heiratsvermittlers zwischen zwei Partnern zu, die ohne dessen Anwesenheit nur langsam oder gar keine Verbindung miteinander eingehen würden. Bei einer chemischen Reaktion werden zwei Ausgangsverbindungen in ein Produkt umgewandelt. Hierfür muss eine Barriere überwunden werden, vergleichbar mit einem Berg, der zwischen Start (Ausgangsverbindungen) und Ziel (Produkt) liegt. Wilhelm Ostwald: Ein Katalysator ist ein Stoff, der die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion erhöht, ohne selbst dabei verbraucht zu werden und ohne die endgültige Lage des thermodynamischen Gleichgewichts dieser Reaktion zu verändern.

Viele Forschungsarbeiten konzentrierten sich auf die Optimierung des Katalysators, dessen Wirkung nach wie vor recht geheimnisvoll anmutet. Wie kann man die Katalyse beschleunigen? Bis heute hat man keinen wesentlich besseren Mischkatalysator gefunden als Habers Mitarbeiter 1910. Das Problem ist nach wie vor, dass die Reaktionsgeschwindigkeit der Vereinigung von Stickstoff und Wasserstoff drastisch abnimmt, wenn die NH3-Ausbeute zunimmt: So halbiert sich z.B. die Ausbeute in Vol% NH3, wenn die Reaktionsgeschwindigkeit verdoppelt wird. Demzufolge muss das Synthesegemisch häufiger den Kreis durchlaufen, d.h. mehr Energie verbrauchen.

Die Ausgangsstoffe. Zu Habers Zeiten wurde der Wasserstoff aus Koks gewonnen und das noch bis 1960. Heute arbeiten fast alle Ammoniakanlagen auf Erdgasbasis als billigstem Ausgangsstoff. Der Wasserstoff wird aus dem Erdgas CH4 durch das Dampf-Reforming-Verfahren gewonnen. Der Energieaufwand pro Tonne NH3 liegt bei Koks als Ausgangsstoff bei 90 GJ (Gigajoule), bei Erdgas bei ca. 30 GJ.

Die Anlagengröße. Die Verwendung von Erdgas erlaubte eine wesentliche Reduzierung der Anlagengröße. So wurde innerhalb von 30 Jahren (von 1940 auf 1970) bei einer 1000-tato-Anlage (Tagestonnen) die Zahl der Reaktoren von 21 auf 1 reduziert, der Platzbedarf von 35000 m2 auf 7500 m2 verringert und der Energiebedarf gedrittelt. Das theoretische Energieminimum liegt bei 23 GJ pro Tonne NH3. Hier wäre eine weitere Verbesserung nur durch eine grundsätzlich andere Technologie, die in den Sternen steht, möglich. Für eine Tagesproduktion von 1500 Tonnen Ammoniak setzt man einen Reaktor von 2,40 m  Durchmesser, 30 m Länge und einem Gewicht von ca. 400 Tonnen ein. Er fasst etwa 100 Tonnen Katalysator (heute meist Eisen mit Zusätzen von Oxiden des Calciums, Aluminiums und Siliziums sowie Kaliumcarbonat). Zur Zeit arbeitet in Deutschland nur noch eine Ammoniak-Anlage bei der BASF in Ludwigshafen, die auch nur deshalb halbwegs rentabel ist, weil sie in Bezug auf Prozessdampf und Kohlendioxid im Verbund mit anderen chemischen Produktionsanlagen im selben Werk arbeitet.

Die Probleme. Wenn die Weltbevölkerung, die 1976 4 Milliarden betrug, in den kommenden Jahrzehnten auf 8 Milliarden ansteigt, muss die Stickstoffproduktion entsprechend ausgeweitet werden. Das bedeutet einen entsprechend hohen Energieverbrauch, der letzten Endes aus fossilien Brennstoffen aufgebracht werden muss; Erdgas ist fossil, und die elektrische Energie zum Antrieb der Kompressoren stammt hauptsächlich aus fossilen Quellen. Der Haber-Bosch-Prozess ist energieintensiv, erhöht den CO2-Ausstoß und damit die Erwärmung der Atmosphäre. Er ist kapitalintensiv und technisch anspruchsvoll und damit hauptsächlich für die afrikanischen Entwicklungsländer sehr schwer zu verifizieren, wo sich obendrein die Kleinbauern den Stickstoffdünger kaum leisten können. Nach dem Ausbringen des Stickstoffdüngers bildet sich durch Einwirkung von Bakterien Nitrat, das von den Pflanzen direkt aufgenommen wird. Bei Überdüngung wird ein großer Teil des Nitrats in Flüsse ausgeschwemmt und verursacht erhebliche Umweltprobleme, z.B. Eutrophierung von Binnengewässern, das ist eine unerwünschte Zunahme an Nährstoffen im Wasser, die das ökologische Gleichgewicht stören. Das Nitrat gelangt ins Trinkwasser und kann krebserregende Nitrosamine bilden. Die denitrifizierenden Bodenbakterien emittieren Stickoxide und schädigen die schützende Ozonschicht.

Was kommt nach dem künstlichen Dünger? Es bestehen erhebliche Zweifel, dass die Erhöhung der Stickstoffdünger-Produktion die einzige Antwort auf die Welternährungsprobleme darstellt. Die andere Möglichkeit, auf die schon Haber in seiner Nobelpreisrede hingewiesen hatte, wäre die biologische Stickstofffixierung, d.h. der Versuch einer Nachahmung des Stickstoffkreislaufs, wie er in der Natur abläuft. Hier wird noch viel Arbeit notwendig sein, die für Biologen, Chemiker und Ingenieure dieser und der nächsten Generation eine sehr große Herausforderung darstellt. Um die globale Katastrophe zu vermeiden, ist die weltweite menschliche Gesellschaft aufgerufen, diese gewaltige Aufgabe zu lösen. Die Einsicht muss in die Gehirne eindringen, Probleme zwischen den Menschen niemals mit Gewalt lösen zu wollen. Wir müssen endlich, endlich aufhören, Kriege gegeneinander zu führen und endlich, endlich beginnen, den lohnenden Krieg gegen den Hunger in der Welt auf breiter Front voranzutreiben.

Bild 4. Fritz-Haber-Institut Berlin-Dahlem - Teil des "deutschen Oxford". In der Mitte des Rondells die "Haber-Linde", rechts am Rand die Haber-Villa. Bild 5. Der Lageplan: Von der physikalischen Chemie zur chemischen Physik, von der Molekülphysik zur Elektronen-Mikroskopie. K...Habers Dienstvilla ist heute Seminarraum.

Das Fritz-Haber-Institut heute. 1952 erhielt Habers Berliner Wirkungsstätte diesen Namen. 2011, zum 100-jährigen Jubiläum, war in den Medien eine Diskussion darüber entbrannt, ob das Institut, das zur Max-Planck-Gesellschaft gehört, den Namen zu Recht oder zu Unrecht erhielt. Einige Persönlichkeiten der Öffentlichkeit zeigten sich betroffen, weil es wohl nicht angehen könne, dass der Vater des Giftgaskrieges Namensgeber eines renommierten Instituts sei. Der bekannte deutsch-jüdisch-amerikanische Historiker Fritz Stern, Patensohn Fritz Habers, hielt den Festvortrag am 28. Oktober 2011. Er sagte: Selbstverständlich muss das Institut den Namen behalten. Gerade anhand der Problematik können wir den Studenten die ethische Verantwortung des Wissenschaftlers vermitteln. Mitentscheidend ist, wie man mit Haber 1933 umgegangen ist, und die Beibehaltung des Namens ist eine Wiedergutmachung nach der Vertreibung vieler jüdischer Wissenschaftler.

Bild 6. Das Gebäude der Physikalischen Chemie, im Hintergrund Fritz Habers einstige Dienstvilla.

Ähnliche Ziele wie Fritz Haber verfolgen die Wissenschaftler des Instituts noch heute. Erstens schauen sie sich die Chemie aus physikalischem Blickwinkel an: Sie untersuchen die prinzipiellen Eigenschaften von Atomen, Molekülen und Elektronen, um das Verhalten dieser Teilchen in chemischen Reaktionen zu erforschen. Zweitens wollen sie besser verstehen, wie die Strukturen von Grenzflächen, z.B. die Oberfläche eines Katalysators, chemische Reaktionen beeinflussen, um leistungsfähigere Katalysatoren für die chemische Industrie zu entwickeln. Die Erforschung der geheimnisvollen Katalyse und der molekularen Vorgänge an Oberflächen ist dabei wie ein roter Faden seit Habers Zeiten.

 

Bild 7. Nobelpreisträger Gerhard Ertl - in der Tradition von Fritz Haber.

Besondere Verdienste erwarb sich Gerhard Ertl (*1936, Stuttgart), Physiker und Oberflächenchemiker, der von 1986 bis 2004 Direktor der Abteilung Physikalische Chemie des Fritz-Haber-Instituts war und im Jahr 2007 den Nobelpreis für Chemie erhielt. Er hat die Entwicklung auf dem Gebiet der Oberflächenchemie maßgeblich beeinflusst. Er sagte nach der Nobelpreisverleihung: Wenn man erklärt, von Goethe nichts zu wissen, wird man mit Verachtung gestraft; wenn man sagt, nichts von Physik zu verstehen, erhält man Beifall. Das ist schlimm!

Die Abteilung für Oberflächen- und Molekülforschung des FHI beherbergt den freien Elektronenlaser, eine technische Großanlage, die den Molekülphysikern ein neues Hilfsmittel an die Hand gibt, mit denen sie den Aufbau und das Verhalten kleinster Materieteilchen auf die Spur kommen wollen.

Die Weltbevölkerung wächst, wie soll sie ernährt werden? Der englische Nationalökonom Thomas Malthus hatte schon um 1800 vorausgesagt, dass die Lebensmittelproduktion nicht mit dem Wachstum der Menschheit Schritt halten kann. Seitdem bemühten sich Forscher wie Justus von Liebig (1803-1873), die Erträge der Landwirtschaft durch künstliche Düngung zu steigern. Zwar besteht die irdische Atmosphäre zu drei Vierteln aus Stickstoff, doch in dieser elementaren Form können ihn Pflanzen nur durch Umwandlung durch bestimmte Bodenbakterien verwerten. An dieser Aufgabe bissen sich die Chemiker seit mehr als hundert Jahren die Zähne aus - bis Fritz Haber kam. Ihm gelang 1908 der große Coup: die Stickstoffdünger-Erzeugung. Seit nunmehr hundert Jahren ist es möglich, Stickstoff in Dünger zu verwandeln. Die große Überschrift über Habers Lebensleistung lautet mit Fug und Recht: Deutscher Chemiker errettet die halbe Menschheit vor dem Hungertod.

 

Bildnachweis.

Bild 1: Eigene Skizze. Bild 2: Wikipedia, gemeinfrei, da Schutzfrist abgelaufen. Bild 3: Wikipedia, Urheber Invexis, CC-BY-SA 3.0. Bild 4: Copyright dpa picture alliance. Bild 5, 6: Eigene Fotos 2012. Bild 7: Wikipedia, Urheber Wolfram Däumel, CC-BY-SA 3.0. 

 

Fritz Haber (*1868 Breslau, †1934 Basel) stellte mit den Ausgangsstoffen Methan, Wasser und Luft nach der theoretisch sehr einfachen Formel

1 N2 + 3 H2 = 2 NH3

Ammoniak her, Ausgangsstoff für Stickstoff-Kunstdünger, der das Überleben der Hälfte der Menschheit sichert. Das ist eine der einfachsten Formeln der anorganischen Chemie. Praktisch jedoch waren die Schwierigkeiten fast unüberwindlich, weil in dem Reaktor 450°C und 300 bar Druck erforderlich sind. Aber nach erfogreicher Meisterung der Probleme sollte damit Brot aus Luft entstehen.

Bild 1. Haber im Karlsruher Labor, 1905.

 

Fritz Haber beginnt seine Arbeit in Karlsruhe. Aber der Reihe nach! Nach langen Lehr- und Wanderjahren war der 26-jährige Fritz Haber 1894 nun an der Technischen Hochschule Karlsruhe gelandet, als Assistent bei Professor Hans Bunte, der die Bedeutung der Gase für die chemische Technik lehrte. Die Zusammenarbeit der Chemie mit der Technik und der industriellen Anwendung wissenschaftlicher Ergebnisse - das war der Boden, den Haber in Karlsruhe betrat und der sich als sehr fruchtbar erweisen sollte. Die Kombination von Forschung und Technik und deren organisatorische Zusammenarbeit waren für Habers Zukunft entscheidend. Dem preußischen Schlesier Haber gefiel das Umfeld in Baden. Karlsruhe, Hauptstadt des Großherzogtums Baden, war ein Hort des Liberalismus mit fortschrittlicher Verfassung, mit Pressefreiheit, ohne Zensur und Leibeigenschaft. Zwei alte, renommierte Universitäten, Freiburg und Heidelberg und eine junge, aufstrebende Technische Hochschule in Karlsruhe kündeten von dem Wunsch des Landes, die Verwandlung von einem Agrar- zu einem fortschrittlichen Industriestaat zu meistern. Das war ganz nach dem Geschmack unseres Fritz Haber.

Es ging ganz langsam aufwärts mit ihm. Seine ersten Arbeiten über Olefin-Moleküle zeichneten sich durch Gründlichkeit und Ablehnung von nicht auf Wissen beruhenden Annahmen aus. 1896 habilitierte er sich und hielt Vorlesungen mit Erfolg ab, auch auf dem neuen Gebiet der Elektrochemie oder Elektrolyse, bei der eine chemische Reaktion mit elektrischem Strom verknüpft ist (ein modernes Beispiel ist die Brennstoffzelle). Erste Versuche auf diesem Gebiet wurden schon hundert Jahre früher von Luigi Galvani und Alessandro Volta in Italien durchgeführt. 1898 veröffentlichte er den "Grundriss der technischen Elektrochemie". Im selben Jahr wird er vom Großherzog Friedrich von Baden zum außerordentlichen Professor berufen.

Bild 2. Clara Immerwahr, Jugendliebe und Ehefrau.

 

Heiratete er die richtige Frau? Da sich nun seine finanziellen Verhältnisse gebessert hatten, konnte Fritz nun endlich daran denken, seine alte Jugendliebe Clara Immerwahr aus Breslau zu heiraten. Er hatte sie während seiner Militärzeit kennengelernt. Er schrieb 1901: Ich habe mich bemüht, Clara zehn Jahre lang erfolglos zu vergessen. Wir haben uns auf dem Kongress in Freiburg wiedergesehen, und Clara hat sich erbitten lassen, es mit mir zu versuchen (diesen Versuch hat sie später bitter bereut). Die promovierte Chemikerin Clara, die auch aus jüdischem Elternhaus stammte und sich taufen ließ, war auch die Tochter eines Chemikers. Sie fuhren wie Prinz und Prinzessin zum Vater nach Breslau und verkündeten den freudigen Entschluss. Geheiratet wurde 1901 in Breslau. Fritz Habers gesellschaftliches Leben veränderte sich jetzt. Man bezog in Karlsruhe eine geräumigere Wohnung, konnte Gäste empfangen und organisierte lustige Zusammenkünfte, traf sich zu Würstel- und Spätzle-Essen. Haber fand dankbare Zuhörer für seine Witze und Narreteien. Es wurde erzählt, dass Haber einmal wandermüde seinen Durst aus einem Trog stillte, aus dem gleichzeitig ein Ochse soff, und dabei sei es zur Vertauschung der Köpfe gekommen, was seine Hochschulkarriere beschleunigt hätte (die Story stammt wohl von ihm selbst). Doch hatte Clara die richtige Entscheidung getroffen? Sie war ein sehr empfindsamer Mensch mit einem Drang zur Wahrheit (ihr Geburtsname war verpflichtendes Programm) und Klarheit und unbeugsamen moralischen Grundsätzen. Diese Charaktereigenschaften deuteten schon an, dass 1915 das Verhängnis einen katastrophischen Verlauf nehmen musste.

Bilder 3, 4, 5. Eine kleine Geschichte des chemischen Labors vom Mittelalter bis heute. Fritz Haber konnte schon laborieren, um dann zu produzieren. Als Professor verbesserte er seine Experimentier-Methoden beträchtlich. Als das Haber-Bosch-Verfahren 1913 zu produzieren begann, war eine völlig neue Technik geboren: die Hochdrucktechnik, die die chemische Industrie bis heute prägt.

Im Jahr 1902, als sein Sohn Hermann geboren wurde, unternahm er eine dreimonatige USA-Reise, um sich über alle Aspekte der amerikanischen Elektrochemie, sowohl auf den Universitäten als auch in der Industrie zu informieren. Er zieht daraus Schlüsse, was auf diesem Gebiet in seinem Institut verbessert werden kann.

Witze und schwarzer Humor, so unterrichtete er. Seine Vorlesungen waren immer sehr impulsiv und temperamentvoll, und er konnte über alles interessant reden, auch über Kunst und Literatur und über das Weltgeschehen. Er hatte eine unglaubliche Denkgeschwindigkeit und hatte immer den richtigen Punkt getroffen. Persönlich war Haber geradezu aufopfernd für seine Studenten tätig und immer gerne mit Rat und Tat bei der Hand. Im Kolloquium war er großartig und genussreich, temperamentvoll sprudelte er nur so über, hatte so gar nichts von der Würde eines Professors an sich, würzte seine Ausführungen oft mit erheiternden Witzen. Er hatte die Angewohnheit, bei seinen Vorträgen hinter dem Katheder hin und her zu gehen. Wenn er seine Ratschläge im Labor erteilte, rannte er in angestrengtem Nachdenken ruhelos auf und ab, den Oberkörper vorgebeugt, die Hände auf dem Rücken, eine dicke Zigarre zwischen den Zähnen. Als Prüfer war er keineswegs streng und gab mehr auf Verständnis, als auf auswendig gelerntes Wissen. Er legte einen sehr schwarzen Humor an den Tag: Wenn beispielsweise ein Student einen dicken Fehler machte, sagte er: Sie Verbrecher, gleich stoße ich ihnen ein im Griffe aufrecht stehendes, rostiges Messer in den Bauch. Gleich darauf ging er mit dem Verbrecher auf und ab und gab ihm eine Privatvorlesung.

Jetzt folgt SEIN großes Forschungsvorhaben, die Stickstofffixierung. Was ist darunter zu verstehen? Alle Lebewesen, Tiere und Pflanzen, brauchen Stickstoff, da er Bestandteil der Aminosäuren in Proteinen und der Nukleinsäuren ist, d.h. lebensnotwendigen chemischen Stoffen aller lebenden Organismen. Da die Moleküle des Luftstickstoffs N2 aus je zwei über eine Dreifachbindung gekoppelten Stickstoffatomen bestehen, ist diese Bindung sehr stabil und reaktionsträge, N2 wird daher auch als Inertgas bezeichnet. N2 kann daher weder von Tieren noch Pflanzen direkt aus der Luft für die Bildung von Proteinen aufgenommen werden. Lebewesen sind daher auf Stickstoffverbindungen, wie Ammonium NH4 und Nitrat NO3 angewiesen.

Bild 6. Der natürliche Stickstoff-Kreislauf - die faszinierende Umwandlung von freiem Luftstickstoff in Nitrat, das von den Pflanzen aufgenommen werden kann. Von der Pflanze und vom Tier findet der lebensnotwendige Stickstoff auch zum Menschen. (+) und (-) bedeutet: positiv und negativ geladene Ionen. Reduktion ist eine chemische Reaktion, bei der Elektronen von einem Molekül aufgenommen werden, Assimilation: Aufnahme des Stickstoffs durch die Pflanze. Die Ausscheidungen der Lebewesen werden durch zersetzende Bodenbakterien zu Ammonium. Stickstofffixierung: Umwandlung des chemisch inerten, molekularen Stickstoffs N2. Denitrifikation: Umwandlung des im Nitrat NO3   gebundenen N2 zu molekularem Stickstoff N2 durch Bakterien.

Die Fixierung des Stickstoffs, d.h. Bindung an Sauerstoff war schon bekannt, Haber hatte sie auf seiner USA-Reise in Niagara Falls im Lichtbogenverfahren kennengelernt. Das Verfahren führte aber in die Sackgasse wegen mangelnder ökonomischer Rentabilität. Zunächst aber verwandte Haber mit seinen Mitarbeitern vergeblich sehr viel Zeit für die Oxydierung des Stickstoffs; durch den Einsatz großer Strommengen war diese Art der Fixierung unwirtschaftlich. Ab 1904 arbeitete er parallel an den theoretischen Grundlagen der Ammoniaksynthese, d.h. wie den Luftstickstoff mit dem Wasserstoff direkt zusammenbringen? Wenn das gelänge, könnte aus dem gewonnenen Ammoniak zusammen mit Salpetersäure der hochwirksame Stickstoffdünger Ammoniumnitrat hergestellt werden, der direkt von den Pflanzen aufgenommen wird. Ab 1907 wurde ganz klar, dass die Synthese nur bei hohen Drücken und Temperaturen gelingen würde. Seine Berechnungen ergaben, dass Erfolg nur bei den damals völlig unrealistischen Bedingungen von 600°C und 200 bar möglich sein würde. Das Budget der TH war viel zu schmal, um diese Apparaturen zu bezahlen. Im nahen Ludwigshafen fand er einen Kooperationspartner in der BASF, die in zukunftsträchtige Technologien investieren wollte, aber auch mit der Stickstoffoxydation im Lichtbogen Schiffbruch erlitten hatte. Nicht nur, dass unter diesen Bedingungen noch niemals großtechnische Verfahren durchgeführt wurden, sondern es gab praktisch keinen Katalysator (einen Stoff, der die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion erhöht, ohne dabei selbst verbraucht zu werden), der bei 500°C funktionierte.

Bild 7. Das NH3-Gleichgewicht, wie von Haber in Laborversuchen ermittelt - der Schlüssel zur effizienten Synthese. Bild 8. Habers erster Versuchsapparat zur Ammoniaksynthese an der TH Karlsruhe.

Haber hatte in seinen langwierigen Versuchen und Berechnungen herausgefunden, dass die chemische Reaktionsformel 1N2+3H2 = 2NH3 keine Einbahnstraße ist, die zwangsläufig auf das Ammoniak NH3 hinausläuft. Nein, dazu ist der Stickstoff mit seiner internen Dreifachbindung zu reaktionsträge. Das gebildete NH3 zerfällt auch immer wieder teilweise in Stickstoff und Wasserstoff zurück. Seine Versuchs-Ergebnisse: Je höher der Druck und je niedriger die Temperatur im Reaktor, desto mehr Ammoniak wird gebildet, desto wirtschaftlicher ist das Verfahren. So weit, so aber nur teilweise gut. Denn: je tiefer die Temperatur, desto niedriger die Reaktions-Geschwindigkeit, die kein Katalysator erhöhen kann. Wenn die Ausbeute bei jedem Kreislauf aber nur sehr klein ist, muss die Zahl der Kreisläufe erhöht werden, wodurch das Verfahren unwirtschaftlich wird. Also kam er zu dem Schluss, dass 400 bis 500°C und ca. 300 bar einen guten Kompromiss zwischen Chemie, Technik und Wirtschaftlichkeit darstellen.

Das erste Ammoniak - in der Versuchsanlage, nach seinem Synthese-Verfahren. Es war eine enorme Herausforderung für Haber und seine Mitarbeiter, riesige Probleme türmten sich auf. Im TH-Institut bauten sie mit finanzieller Hilfe der BASF eine Hochdruckapparatur, für die alle Komponenten speziell konstruiert und gebaut werden mussten, der Kompressor, die Wärmetauscher, der Reaktor samt Katalysator, die Dichtungen und Ventile. Die Apparatur, ausgelegt für 250 bar, arbeitete nach dem Kreislaufverfahren, d.h. das gebildete Ammoniak musste aus dem umlaufenden Synthesegas N2+H2 in der Weise abgetrennt werden, dass das Synthesegas nicht wieder entspannt werden musste, und auf der anderen Seite wurde die Abwärme des Ammoniaks dazu benutzt, das in den Prozess eintretende Frischgas zu erwärmen. Sie machten noch eine entscheidende Entdeckung, nämlich dass der Katalysator aus dem Edelmetall Osmium die Reaktionsgeschwindigkeit beträchtlich erhöhte. Im März 1909 war es so weit mit ihrer kleinen Versuchsanordnung. Methan, Stickstoff und Wasser waren eingefüllt, der Kompressor schnurrte, brachte das Gasgemisch auf beispiellose 175 bar Druck, der Reaktor mit dem Kontaktmaterial wurde auf 550°C hochgeheizt. Alles wartete mit äußerster Hochspannung, was wird passieren? Fliegt der Reaktor bei diesem außergewöhnlichen Zustand auseinander? Nein, es gelang! Haber platzte vor Freude, eilte zu seinen Kollegen Mayer und Staudinger: Kommt, es gibt Ammoniak, ihr müsst sehen, wie das flüssige Ammoniak herausläuft! Es ist phantastisch! Zum ersten mal eine Ammoniakausbeute von 8% vom umlaufenden Synthesegas. Fritz Haber konnte voller Erleichterung nach so vielen Jahren sein "heureka" ausrufen!

Bild 9. Dr. Carl Bosch - er sprach das erlösende Wort: Der Reaktor kann im Großmaßstab gebaut werden.

Vom Labortisch zur Chemiefabrik. Bisher war alles nur im Kleinmaßstab des Labors an der TH Karlsruhe gelungen. Wie würde es nun als Großanlage umzusetzen sein? Professor Habers Erfolgsmitteilung an die BASF wurde dort mit äußerster Skepsis aufgenommen. Bei den hohen Drücken und Temperaturen ist doch kein noch so dickes Stahlrohr in der Lage, derartige Belastungen auszuhalten! Und das Katalysatormaterial aus dem viel zu teuren Osmium! Das geht so nicht, wie der sehr geehrte Herr Professor sich das vorstellt! In einer Besprechung auf höchster Ebene fragte der Generaldirektor von Brunck den Chemiker und Techniker Dr. Carl Bosch, seit 1899 in der BASF, nach seiner Meinung. Er sprach das mutige und erlösende Wort: Ich glaube, es kann gehen. Ich kenne die Leistungsfähigkeit der Stahlindustrie. Man sollte es riskieren.

Brunck gab so viel auf dieses Urteil, dass er grünes Licht gab. Als erstes mussten Haber und seine Leute nach einem in der Großindustrie verwendbaren Katalysatormaterial suchen. Das bedeutete weitere Laborversuche mit Eisenoxid, Palladium, Nickel, Kobaltoxid, Uran usw. 1909 fand bei der BASF ein Versuch mit einem Osmium-Uran-Katalysator statt... mit vollem Erfolg. Carl Bosch erhielt außergewöhnliche Vollmachten, um das Verfahren in Ludwigshafen zur technischen Reife zu entwickeln. Der junge Ingenieur Franz Lappe, Absolvent der TH Stuttgart auf dem Gebiet der Festigkeitslehre, machte sich an die Spannungs- und Dehnungsberechnungen des Reaktors; die waren das A und O bei diesem Herzstück der Anlage. Es kam jetzt zu einer einzigartigen Symbiose zwischen dem Wissenschaftler Haber und dem Ingenieur Bosch. Man fand nun auch eine sehr praktikable Lösung des Katalysatorproblems: Überraschend stellte sich Eisen, mit geringen Mengen von Tonerde verschmutzt, als gutes Kontaktmaterial heraus. Reines Eisen tat es nicht, aber verunreinigtes, da staunte selbst Professor Haber.

Bild 10. Die Kesselformel - damals das wichtigste "Instrument" der Berechnungsingenieure für Festigkeit. Sie gilt nur für dünnwandige Rohre, d.h. für den 2-achsigen Spannungszustand. Dickwandige Rohre unterliegem dem 3-achsigen Spannungszustand, bestehend aus Tangential-, Axial- und Radialspannungen, die nach einem bestimmten Verfahren addiert werden und die "Vergleichsspannung" ergeben. Heute werden für diese komplexen Berechnungen "Finite-Elemente-Verfahren" angewandt, die die Rohrleitungen in viele kleine miteinander verbundene Elemente aufteilen. Unlegierte Stähle haben kleinere Streckgrenzen und würden zu größeren Wanddicken führen.

Bilder 11, 12. Der Schlesier Fritz Haber und der Rheinländer Carl Bosch, ein einzigartiges, nicht immer spannungsfreies Zusammenspiel zu gegenseitigem Nutzen und für die deutsche Industrieentwicklung - der geniale Professor und der begnadete Ingenieur.

Am 18. März 1910 hielt Haber vor der Naturwissenschaftlichen Vereinigung den Vortrag Die Nutzbarmachung des Stickstoffs. Die direkte Zusammenfügung von Stickstoff und Wasserstoff im Hochdruckverfahren ist gelungen, die Landwirtschaft in aller Welt darf nun ihre Hoffnungen auf Ertragssteigerungen setzen und Nutzpflanzen können nun auch auf unfruchtbaren Böden wachsen. Jetzt besteht begründete Aussicht, dass die Nahrungsmittelproduktion mit dem rasanten Anstieg der Weltbevölkerung Schritt halten könne. Die Meldung schlug in Fachkreisen wie eine Bombe ein. Haber und BASF konnten sich vor Anfragen nicht retten. Aber die BASF wollte so wenig wie möglich an weiteren Informationen verteilen, um nicht unliebsame Konkurrenten auf den Plan zu rufen. Die Badische Anilin- und Sodafabrik, der Haber das Verfahren rechtlich ganz und gar übertragen hatte, verlangte Geheimhaltung, Sperrung des Ammoniaklabors an der TH für Unbefugte usw.

Bild 13. Das industrielle Haber-Bosch-Verfahren heute. Was in der Natur winzige nitrifizierende Bodenbakterien bei Atmosphärendruck, Umgebungstemperatur und Feuchte mühelos fertigbringen, ist in der technischen Synthese ein langer und mühevoller Weg, die Stickstofffixierung - hohe Drücke, hohe Temperaturen in den Reformern, Konvertern, Waschkolonnen, Reaktoren, Kompressoren, Wärmetauschern. Hohe Investitionskosten, großer Energieverbrauch, aber die Chemiker und Ingenieure haben es mit dem Einsatz von viel Gehirnschmalz und jahrelanger Ausdauer zustandegebracht. Ist die Natur doch der bessere Baumeister, der mit viel weniger Aufwand die große Metamorphose der Elemente schafft? Trotzdem: bravo, Haber und Bosch!

Bild 14. So sieht es aus, das Herzstück der Ammoniaksynthese-Anlage, der Hochdruck-Reaktor, hier ein Exemplar von 1921, auf dem Gelände des Karlsruher Instituts für Technologie. 300 bar und 450°C - damals eine große Herausforderung für die Stahlindustrie und die Berechnungsingenieure.

 

Auf zu neuen Ufern! Die Beschränkungen, die durch den BASF-Vertrag in seinem Institut entstanden, auch die Weigerung der Chemiefirma, weiteren Veröffentlichungen zuzustimmen, waren nicht so ganz nach Fritz Habers Geschmack, lebt doch ein Wissenschaftler von der Bekanntgabe seiner Forschungsergebnisse. So sah sich der Schöpfer der Ammoniaksynthese nach einem neuen Betätigungsfeld um. Mit seinen 42 Jahren war er ja noch voller Energie und Schaffenskraft. 1911 wurde die Gründung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin-Dahlem beschlossen, 1912 eingeweiht, und Fritz Haber wurde sein Gründungsdirektor. 1911 erledigte Haber in Karlsruhe noch die letzten Entwicklungsarbeiten, übertrug sein Patent auf die BASF und wehrte noch eine Patentanfechtung der Firma Hoechst ab, und dann ging es ab nach Berlin.

Carl Bosch und die BASF. Wer war Carl Bosch (*1874, Köln; † 1940 Heidelberg)? Abitur in Köln, Maschinenbaustudium in Berlin-Charlottenburg, danach Chemie-Studium in Leipzig, 1898 Abschluss mit der Promotion zum Dr. rer nat., 1899 Eintritt in die BASF und Beginn einer steilen Karriere. 1909 beauftragte die BASF Bosch damit, die zuvor von Haber erfundene Ammoniaksynthese auf das Niveau einer Industriefertigung zu bringen. Bosch entwickelte daraufhin zusammen mit Haber das 1910 patentierte Verfahren. 1910 produzierte der erste Versuchsreaktor Ammoniak, 1913 zweite Ammoniakfabrik in Ludwigshafen, 1916 Neubau des Ammoniak-Werkes in Leuna-Merseburg, 1916 Unternehmensvorstand der BASF, 1919 Vorstandsvorsitzender der BASF,  1925  Vorstands-Vorsitzender bei den neu gegründeten I.G. Farben.

Als Bosch 35 Jahre alt war, wurde er vom technischen Direktor von Brunck, der auch Chemiker war, mit der technischen Entwicklung der Ammoniaksynthese betraut. Bosch war dafür bekannt, eine glückliche Hand bei der Auswahl der Mitarbeiter zu haben, ideenreich zu sein, bürokratische Hemmnisse zu überspringen, vielseitige und gründliche Kenntnisse auf sich zu vereinigen. Mit einem Wort: der richtige Mann für diese Riesenaufgabe. Er bekam außergewöhnliche Vollmachten für die beschleunigte Realisierung. Er baute zunächst eine Anlage im Labormaßstab nach, machte alle notwendigen Versuche, besonders um die richtige Stahlsorte für den Reaktor zu finden, da der normale Stahl durch Wasserstoff versprödet und seine Festigkeit verliert. Es gelang durch eine Art Sandwich-Bauweise - innen weiches Eisen, außen Stahl. Die ganz neue Hochdrucktechnik verlangte neue Dichtungen, die aus den Flanschen nicht herausgequetscht wurden, neue Hochdruckflansche, neue physikalisch-chemische Messmethoden für die Überwachung des Prozesses. Diese Entwicklungen bedeuteten einen ungeheuren technologischen Fortschritt und Vorsprung gegenüber Konkurrenten, so dass die deutsche Großchemie auch nach dem ersten Weltkrieg in der ersten Liga mitspielte.

Das Haber-Bosch-Verfahren trat einen beispiellosen Siegeszug um die ganze Welt an. Das überwiegende Motiv dieser industriellen Entwicklung war, dem Hunger in der Welt entgegenzuwirken. Das Militär hatte leider auch andere Ziele im Auge, wie später noch ausgeführt wird. Das vorherrschende Ziel: Düngemittelproduktion, Erhöhung des Bodenertrags. Nachdem 1911 eine erste kleinere Anlage für mehrere Wochen in Betrieb war, ohne dass der Reaktor platzte, wurde die ganze finanzielle Kraft der BASF für den Bau einer Großanlage in der Nachbargemeinde Oppau eingesetzt. 1913 ging sie in Betrieb, erzeugte eine Tagesmenge von 20 t gebundenen Stickstoffs. Sie wurde laufend ausgebaut: Noch 1913 wurden die Reaktoren von 4 auf 8 m Höhe gebracht, ihr Durchmesser stieg von 29 auf 68 cm, 1915 betrug die Höhe schon 12 m und der Durchmesser 1 m, Tagesproduktion 25 t (25 tato). Als der erste Weltkrieg ausbrach, verlangte das Kriegsministerium dringend nach Ammoniak, weil daraus (leider) auch Sprengstoff hergestellt werden kann. Die Produktion konnte nur durch den Bau eines neuen Werkes erhöht werden; aus strategischen Gründen entschloss man sich für den Standort Leuna bei Merseburg (weg von der französischen Grenze!). 1917 wurde die für 350 tato gebundenen Stickstoff ausgelegte Anlage angefahren. 1925 lag die BASF-Produktion an beiden Standorten schon bei 950 tato, 1928 bei 1700 tato.

Habers Weg nach Berlin. Die Verhandlungen Habers in Berlin im Jahre 1910 waren nicht einfach. Das zu gründende Kaiser-Wilhelm-Institut für Physikalische Chemie und Elektrochemie sollte als Stiftung ins Leben gerufen werden mit dem deutsch-jüdischen Bankier Leopold Koppel als Stifter, der ein großer Förderer der Wissenschaften und Künste war. Haber stellte (fast) unannehmbare Bedingungen für seinen Direktorenposten in Bezug auf Stellung, Gehalt, Betriebsmittel, Freiheit der Forschung, Übernahme von Karlsruher Mitarbeitern usw., so dass es sehr lange dauerte bis alles unter Dach und Fach war. Er pokerte auch, indem er betonte, dass es ihm schwer fallen würde, aus einem Dienst (in Karlsruhe) zu scheiden, in dem er alles Glück und alle Befriedigung gefunden habe. Er brachte aber seine Vorstellungen durch. Im Juli 1911 zog Haber mit seiner Familie nach Berlin. Große Abschiedsfeier in Karlsruhe, Verabschiedung aus dem Badischen Staatsdienst, und in der Ernennungsurkunde des Kaisers heißt es u.a.: Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König, tun Kund, dass wir allergnädigst geruht haben, Professor Fritz Haber zum Direktor des Instituts für Physikalische Chemie und Elektrochemie zu ernennen. Wir vertrauen darauf, dass er Uns in unverbrüchlicher Treue ergeben bleiben und die Pflichten des Amtes stets mit regem Eifer erfüllen werde. Haber dachte noch oft mit Wehmut an Karlsruhe, an seinen Aufstieg vom kleinen Assistenten zum anerkannten Wissenschaftler. Es war die Glanzzeit seines Lebens.

Im Oktober 1912 fand die Einweihung des Instituts unter Anwesenheit des Kaisers statt. Emil Fischer, Chemiker und Nobelpreisträger hielt die Festrede: ...sich den großen Wundern der Natur nähern und in ausdauernder Arbeit ihre Rätsel zu lösen hoffen, wir erwarten glänzende Entdeckungen und nutzbare Erfindungen, der Wissenschaft und dem Vaterland zur Ehre. Fischers Erwartungen erfüllten sich. In den nächsten 20 Jahren versammelten sich hier junge Wissenschaftler, die forschten, lernten, aber auch lehrten und später bedeutende Lehrstühle in den deutschen Universitäten einnahmen. Haber bezog seine prächtige Dienstvilla neben dem Institut.

 

Bild 15. Fritz-Haber-Institut, Berlin-Dahlem, Faraday-Weg, alter Eingang, historische Inschrift: "Kaiser Wilhelm Institut für Physikalische Chemie und Elektrochemie". 

 

Bild 16 (unten). Direkt neben dem Institut liegt Habers schöne Dienstvilla. Auf diesem Rasen an der Hofseite erschoss sich 1915 Clara Haber mit dem Armeerevolver ihres Mannes.

Haber hatte klare Vorstellungen für das Konzept des Instituts und mischte seit 1910 schon ordentlich bei den Bauplänen mit. Er studierte die verschiedensten Institute im In- und Ausland, beriet sich mit Kollegen und BASF-Leuten. Anordnung der Arbeitsräume, nicht nur Labors, sondern auch eine Versuchshalle für die technische Umsetzung der Forschungsergebnisse und Möglichkeiten zum Austausch von Ideen, das war sein Programm.Der Hofarchitekt des Kaisers, der Geheime Oberhofbaurat Ernst von Ihne wurde mit dem Bau beauftragt, der die beiden Institute für Physikalische Chemie und Elektrochemie sowie die Dienstvilla für Haber umfasste. Die Baukosten wurden erheblich überschritten (das scheint in Berlin schon immer so gewesen zu sein). Leopold Koppel stockte den Stifterbetrag auf, verlangte aber eine Verkleinerung der Gebäude, war aber für eine Einsparung bei Apparaten nicht zu haben. Er stellte auch eine jährliche Betriebskostenpauschale zur Verfügung. 1913/14 begannen fünfzehn wissenschaftliche Mitarbeiter und 13 unbezahlte (!) Kräfte mit der Arbeit. Haber stellte sich den wissenschaftlichen Fragen seiner Zeit, ruhte sich nicht auf alten Lorbeeren aus, teilte seine Interessen mit der neuen jungen Wissenschaftsgeneration. Seine ersten Arbeiten in Berlin: Kristalleigenfrequenzen, elektrochemische Reaktionen beim Stromdurchgang, Messung von Grubengasen mit einem handlichen Gerät für Bergleute.

Vom Frieden zum Krieg - quo vadis, Fritz Haber? Und dann kam der Krieg und unterbrach alle schönen begonnenen Forschungen, die erst 1919 wieder aufgenommen werden konnten. Geheime kriegswichtige Arbeiten - das war jetzt die Devise im Haber´schen Institut. Was waren jetzt seine Denkart und Handlungsweise? Es war eine vom Nationalpathos getragene Zeit, es klang schon an während der Institutseinweihung: ...dem Vaterland zur Ehre und: dass er Uns in unverbrüchlicher Treue ergeben bleiben und die Pflichten des Amtes stets mit regem Eifer erfüllen werde, d.h., der Kaiser erwartete jetzt von jedermann die vaterländische Pflicht, die darin bestand, alle Anstrengungen auf den Gewinn des Krieges zu richten. Die Forschung war jetzt ausschließlich Waffenforschung. Und Fritz Haber war strammer deutscher Patriot! Er sagte: Der Gelehrte gehört im Krieg seinem Vaterland, im Frieden gehört er der Menschheit.

Albert Einstein kommt nach Berlin. Haber war aber zunächst noch daran beteiligt, den größten Physiker aller Zeiten, Albert Einstein, von Zürich nach Berlin zu holen. Auch Max Planck und andere Große der Wissenschaft legten sich dafür ins Zeug. Einstein sollte nach Gründung des Kaiser-Wilhelm-Instituts (KWI) für Physik dessen Direktor werden, sollte frei von Verwaltungsverpflichtungen sein, so viele oder so wenige Vorlesungen halten, wie ihm beliebte und sollte sich frei der reinen Forschung widmen können. Das Wunder geschah. Der Individualist und Demokrat, der den unbedingten Gehorsam für König und Vaterland ablehnte, wurde preußischer Staatsbeamter und zog 1914 nach Berlin! Trotz der Verschiedenheit beider Wissenschaftler kam es zu einer engen, freundschaftlichen Verbindung.

Vom Menschenretter zum Menschenvernichter. Der im Juli 1914 beginnende 1. Weltkrieg führte Fritz Haber nun auf ein ganz anderes Terrain. Der deutsch-jüdische Chemiker, der mit seiner Kunstdünger-Erzeugung über die Ammoniaksynthese die halbe Menschheit vor dem Hungertod rettete, sollte jetzt zum Menschenvernichter durch eine fürchterliche chemische Waffe werden. Es rätseln noch heute viele ihm gut gesinnte Menschen über diesen radikalen Bruch, und Psychologen zermartern sich das Gehirn mit einer ihm gerecht werdenden Charakterdeutung. Zum 100. Geburtstag des Fritz-Haber-Instituts in Berlin-Dahlem tobte eine vehemente Diskussion, ob das Institut den Namen seines Gründers beibehalten solle. Man entschied sich dafür, weil die Namensgebung eine Wiedergutmachung nach der Vertreibung jüdischer Wissenschaftler im Jahr 1933 gewesen sei.

Haber, der Verantwortliche des chemischen Krieges. Die beginnende Sesshaftwerdung der Menschen vor 11000 Jahren ist auch der Beginn der immer mörderischer werdenden Kriege zwischen immer größer werdenden Stämmen, die zu Völkern wurden. Die Erfindungsgabe der Menschen richtete sich seit dieser Zeit auch immer wieder darauf, die Waffen zur gegenseitigen Vernichtung immer zerstörerischer zu gestalten. Dazu gehörte immer schon die Chemie: Vom Pfeilgift über die Brunnenvergiftung zum gefürchteten antiken "griechischen Feuer", bestehend aus Schwefel, Salpeter, Pyrit, das eine erstickende und brandstiftende Wirkung entfaltete. Im amerikanischen Bürgerkrieg wurden Chlorgasgranaten empfohlen, im französischen Kolonialkrieg wurde giftiger Nebel eingesetzt. Der Mensch hat seine chemischen Kenntnisse leider auch immer dazu verwandt, neue Waffen zu erfinden. Der allerschlimmste, perverseste Auswuchs war, dass die von einem deutschen Chemiker entdeckte Kernspaltung von den Amerikanern zur hunderttausendfachen Tötung von japanischen Zivilisten eingesetzt wurde, bevor sie zur friedlichen Energieerzeugung gebraucht wurde. Die US-Militärs waren der Meinung, dass ohne den Einsatz der Atombombe noch mehr Menschen getötet worden wären. Genau dieser Ansicht war auch Fritz Haber: Seine Chemiewaffen würden den Krieg schneller beenden. Der "chemische Krieg", von dem im folgenden die Rede ist, bezeichnet den Einsatz hochgiftiger Substanzen als Ergebnis naturwissenschaftlicher Forschung und deren Massenherstellung. Durch Habers Entwicklung in Berlin-Dahlem (einen Steinwurf entfernt von Otto Hahns Entdeckung der Kernspaltung 23 Jahre später! Siehe auch den Beitrag in dieser Website.) wurde der so definierte chemische Krieg Wirklichkeit. Er selbst hat nie geleugnet, dass er der Spiritus Rector des chemischen Krieges in Deutschland war.

Die chemischen Stoffe sollten: Den Gegner töten oder schädigen, schnell durch Kleidung und Haut eindringen, möglichst viele menschliche Organe lahm legen, schwerer als Luft sein und mit dem Wind auf die feindlichen Stellungen zutreiben. Chemiker, Physiker, Physiologen, Meteorologen, Ingenieure mussten eine Organisation bilden, um diese Aufgabe zu lösen, an der Haber den Hauptanteil hatte. Er entwickelte auch hier großes Organisationstalent und Überzeugungskraft, war selbst am Kriegsschauplatz und beriet die Militärs. In Köln-Wahn wurden die Feldversuche gemacht, Stahlflaschen je mit 20 kg Chlor wurden in 1m Abstand schräg gegen die feindlichen Stellungen aufgebaut, bei günstigem Wind auf Kommando geöffnet, und schon wälzte sich eine gelbgrün-weißliche Wolke auf die gegnerischen Unterstände zu.

Bild 17. Deutsche Infanterie während eines Gasangriffs 1916 in Flandern. Bild 18. Die Gasflaschen sind auf Kommando geöffnet worden. Das Tod und Verstümmelung bringende Gas schleicht mit "günstigem" Wind auf die feindlichen Stellungen zu.

Es sträuben sich die Finger beim Schreiben auf dem Laptop, wie systematisch der Menschenretter Haber jetzt an diese widerlichen, ungeheuerlichen und haarsträubenden Arbeiten der systematischen Menschenvernichtung heranging, und jederzeit in der vollen Überzeugung, genau das Richtige zu tun. Im April 1915 wurde bei Ypern in Flandern/Belgien der erste Gasangriff der Geschichte durch die deutschen Militärs durchgeführt. Auf einer Breite von 6 km wehte das Tod bringende Gas mit dem passenden Wind auf die Briten, Franzosen und Kanadier zu. Es gab 7000 Vergiftete und 350 Tote. Prompt wurde Haber durch den Kaiser vom Vize-Feldwebel zum Hauptmann befördert. Das Haber´sche Institut arbeitete jetzt nur noch für das Militär: Gasschutzgeräte, Gaskampfmittel, Toxikologie, Produktionsüberwachung.

Bild 19. Ein Gemälde des Amerikaners John Singer Sargent - tote, verwundete, erblindete Briten - das war Fritz Habers Saat. Der Tod war qualvoll, die Verätzungen schrecklich und die Erblindung unumkehrbar.

Die Alliierten schlugen nach gewisser Zeit mit gleicher Waffe zurück. War ja auch nicht anders zu erwarten. Man setzte jetzt "Lost" ein, einen Thioether, benannt nach den Anfangsbuchstaben des Herrn Lommel, der bei Bayer für die Produktion und des Herrn Steinkopf, der im Haber-Institut für die Überwachung der Gasmunition zuständig war. Lost, auch Senfgas genannt, ist ein Haut- und Lungengift und führt auch zur Erblindung. Herr Haber hatte sich geirrt, der Gaseinsatz hat den Stellungskrieg nicht verkürzt, das Hinschlachten der Jugend ging unvermindert weiter bis zum bitteren Ende 1918. Die "Urkatastrophe" Europas hatte sehr lang anhaltende Wunden geschlagen bis hin zum 2. Weltkrieg, der aus dem ersten folgen musste. Von den 10 Millionen Toten des 1. Weltkrieges sind hundert Tausend dem Giftgas geschuldet. Von den 25 Millionen Verwundeten gehen eine Million auf das Konto der Gasangriffe. Die Haager Landkriegsordnung von 1907, die den Einsatz chemischer Waffen verbietet, wurde von Großbritannien, Frankreich, Russland und auch von Deutschland unterschrieben, hat aber nicht deren Einsatz verhindert. 

Habers Ehefrau begeht Selbstmord. Das Glück in Habers Ehe währte nur kurz. Clara, selbst promovierte Chemikerin, musste ihre vielversprechende Karriere seinem Beruf opfern, für den er lebte und dem er alles unterordnete, auch sein Familienleben. Sie litt sehr darunter und hatte zunehmend Probleme mit dem, was ihr Mann im Kriege tat. Sie war wahrheitsliebend und stellte hohe moralische Ansprüche. Sie missbilligte daher in aller Öffentlichkeit seine Unternehmungen als Perversion der Wissenschaft. Es kam in der Nacht vom 1. auf den 2. Mai 1915 zum tragischen Höhepunkt und schicksalhaften Ende. Während der Abendgesellschaft in der Dienstvilla in Berlin-Dahlem, die heute noch steht, als Haber wegen seiner "Erfolge" in Ypern zum Hauptmann befördert wurde, ging Clara in den Garten, gab mit dem Armeerevolver ihres Mannes einen Probeschuss ab, der zweite ging direkt in ihr Herz. Langes Zerwürfnis, und der Hauptmannstitel für das Morden - der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte? Sie zerbrach an der Dominanz ihres Mannes. Ihre Meinung: Wissenschaft muss lebenserhaltend, nicht lebensvernichtend sein. Man kann ihr nur zustimmen. Der 13-jährige Sohn Hermann fand sie. Sie soll noch einige Zeit gelebt haben. Fritz fuhr noch am nächsten Tag an die Front, um weitere Giftgaseinsätze vorzubereiten. 

Bild 20. Die Königliche Schwedische Akademie der Wissenschaften verleiht Fritz Haber den Nobelpreis für Chemie 1918, ausgehändigt 1920. Für die Synthese des Ammoniaks aus dessen Elementen.

Der Nobelpreis. In der Laudatio heißt es: In Anerkennung Ihrer großen Verdienste bei der direkten Verbindung des Stickstoffs aus der Atmosphäre mit Wasserstoff. Sie waren der Erste, der eine industrielle Lösung lieferte. Er sagte in seiner Dankesrede: Die Stickstoff-Bakterien haben eine viel bessere Methode der Stickstofffixierung entwickelt als wir, man sollte versuchen, sie nachzuahmen! Liegt da vielleicht die Lösung, wie wir mit den nachteiligen Auswirkungen der Kunstdüngung auf die Umwelt fertigwerden könnten? Auf auf, ihr jungen, ideenreichen Forscher, das wäre doch ein weites Feld!

Die Wellen der Beschuldigung gegen das Nobelpreis-Komitee schlugen hoch, besonders von englischer Seite. Zeitungs-Zitat: Ein Kriegsverbrecher wird ausgezeichnet, das wollen wir nicht glauben, das ist eine ungeheure Beleidigung der ganzen Menschheit. Nach dem Krieg sah er sich großen Anschuldigungen ausgesetzt, wurde auf die Liste der Kriegsverbrecher gesetzt, im Jahre 1920 enthielt sie jedoch nicht mehr den Namen Haber. So konnte er, ohne eine Anklage zu fürchten, seine Arbeit wieder aufnehmen.

Neuanfang nach dem Krieg. Für Haber war ein Kapitel seines Lebens beendet. Er startete einen neuen Anfang mit seinem Institut. Seine Kriegswissenschaften versuchte er in ein Friedensprogramm umzuwandeln. Zunächst, um die Zusammenarbeit zwischen Physik, Chemie und Biologie zu fördern, richtete er Kolloquien ein, die neue Impulse geben sollten. Vortragende von hohem Rang sprachen und diskutierten dann mit Leidenschaft, so Einstein, Bohr, von Laue, Hahn, Nernst.

Bild 21. Das sind sie, die diskussionsfreudigen Wissenschaftler in Berlin-Dahlem, dem "deutschen Oxford" im Jahr 1920. Fritz Haber (3. von rechts, mit Glatze).

Haber moderierte und offenbarte dabei seine Fähigkeit, mit erstaunlicher Klarheit die wesentlichen Punkte und ihre Bedeutung herauszustellen. Neue Ideen, konstruktive Kritik, Anstoß vieler neuer Arbeiten in der Kapillar-, Kolloid-, Faserstoffchemie, Schädlingsbekämpfung - ein verheißungsvoller Anfang war gemacht. Dann jedoch die finanzielle Krise, die durch die Inflation dahinschmelzenden Stiftunggelder, fehlende Staatshilfe, weil die Reparationszahlungen nach dem Versailler Vertrag so hoch waren - Haber schaffte es, das Institut mit viel Tatkraft über Wasser zu halten, aber hochfliegende Pläne waren nicht drin.

Haber, der Goldsucher. Ende 1922 nahm die Inflation derartige Ausmaße an, dass der Staat auf die Katastrophe zusteuerte. Auch Habers Institut kam in äußerste finanzielle Not. Da hatte er eine Wahnsinnsidee: Goldgehalt des Meeres untersuchen und bei ausreichendem Vorkommen eine Extraktionstechnik entwickeln! Bis 1925 arbeitete er die Gold-im-Meerwasser-Theorie aus. Er war durch und durch deutscher Patriot, der das Vaterland retten wollte. Seine Entgoldungstheorie: "Adsorbtion und Reduktion des Goldes an kolloidem, von Natriumpolysulfid abgespaltenem Schwefel und Filtration der koagulierenden Suspension mit feinkörnigem Sand", uff, uff! Er rechnete mit etwa 5 mg/m3 aufgrund früherer Messungen. Im Sommer 1923 bestieg die Goldsucher-Crew das Passagierschiff "Hansa" der Hapag, auf dem ein Labor eingerichtet war. Es waren noch 920 Passagiere an Bord, davon 520 Auswanderer auf dem Weg von Hamburg nach Amerika mit 17 Knoten Geschwindigkeit. Auf hoher See begannen die Probenentnahmen, die nicht unbemerkt blieben, und die die wildesten Gerüchte in Umlauf brachten. Bei der Ankunft in New York schrieb eine US-Zeitung: German Scientists explore mysterious force to drive ships. Im Herbst gleichen Jahres zweite Goldsucherseefahrt nach Buenos Aires, um auch die wärmeren Gewässer zu analysieren. Die Ergebnisse aller Untersuchungen waren niederschmetternd. Statt 5 mg fanden sie nur 0,01 bis 0,05 mg/m3, also zwei Tausendstel bis ein Hundertstel der erwarteten Menge. Große Enttäuschung für Haber, der Schatzsucher und Vaterlandsretter war um eine Illusion ärmer. Den Gesichtsverlust steckte er weg.

Das Institut sah zwischen 1926 und 1933 eine großartige Entwicklung auf folgenden Gebieten: Elektrisch angeregte Gase, Drehung der Polarisationsebene, stimulierte Lichtemission (Vorläufer der viel später entwickelten Laser-Technologie), Spaltung von Gasmolekülen durch Elektronen, Massenspektroskopie, Kristallphysik, Katalyse, Lumineszenz. Haber war befasst mit der materiellen und organisatorischen Fürsorge und hielt die scheinbar so unterschiedlichen Richtungen im Institut souverän zusammen. Er gab den Mitarbeitern volle Forschungsfreiheit und behielt trotzdem die geistige Führung des Ganzen in der Hand.

Das Nazi-Verbrecherkartell übernimmt die Macht. Das Jahr 1933 trieb Haber in schwere Konflikte. Das von den Nazis eingeführte "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" zwang ihn, engste jüdische Mitarbeiter zu entlassen, eine Welle von Terror gegen Juden ging durch Berlin. Haber fühlte sich zum ersten mal wirklich als Jude als er sah, wie Juden auf der Straße angepöbelt und bedroht wurden. Habers Institut war ein besonderes Ziel der Nazihetze gegen jüdische Wissenschaftler. Eine Zeitschrift schrieb: Die Gründung der Kaiser-Wilhelm-Institute in Dahlem war der Auftakt zu einer Judenanschwemmung in der physikalischen Wissenschaft. Die Forschung war fast ausschließlich den Juden vorbehalten. Die deutsche Kultur- und Wissenschaftsnation wird zerstört. Haber konnte unter diesen Umständen nicht weiterarbeiten und traf eine schwer wiegende Entscheidung: Er trat von seinen Ämtern zurück: Von der Leitung des Instituts und von seiner Vizepräsidentschaft der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaften, die 1920 gegründet wurde und von seinem Professorenamt. Er fühlte sich gedemütigt, verbraucht, einsam und voller Bitterkeit.

Der Tod in Basel. Im August 1933 verließ Haber Berlin. Wohin sollte er gehen? Nach Frankreich zu seinem Sohn, nach Spanien, nach Cambridge, von wo er eine Einladung bekam? Da seine Gesundheit schwer angeschlagen war, ging er zunächst in die Schweiz, um Erholung zu suchen. Das war genau das Falsche, da die große Höhe in Zermatt ihm einen schweren Herzanfall zufügte. Während der Erholung am Bodensee erhielt er eine ehrenvolle Einladung aus Cambridge, obwohl es noch Vorbehalte wegen seiner Giftgaswaffen gab. Sein Aufenthalt in England sollte aber nur zwei Monate dauern, da seine Gesundheit nicht mehr mitmachte. In London stand Haber mit Chaim Weizmann, dem späteren Staatspräsidenten Israels in Verbindung, der für ein zu gründendes Wissenschaftsinstitut in Rehovot Haber und andere deutsch-jüdische Wissenschaftler nach Palästina holen wollte. Obwohl schon alles für den Empfang von Haber in Palästina vorbereitet war, musste er im Januar 1934 diese Pläne endgültig begraben, da es sehr, sehr schlecht um seine Gesundheit bestellt war.

Am 29. Januar 1934 fuhr er zusammen mit seiner Schwester wieder in die Schweiz, um sich gründlich zu erholen. Sein Sohn, der ihn in Basel im Hotel empfing, war entsetzt über sein Aussehen. Zwei Ärzte kümmerten sich sofort um ihn, konnten ihm aber nicht mehr helfen. Ein schwerer Herzanfall und ein Lungenödem ließen ihn das Bewusstsein verlieren. In wenigen Stunden war er tot.

Bild 22. Die 1952 eingeweihte Gedenktafel im Fritz-Haber-Institut in Berlin-Dahlem.

Was bleibt? Nobelpreisträger Max von Laue, 1952 anlässlich der Einweihung einer Gedenktafel im Fritz-Haber-Institut in Berlin-Dahlem, unter Anwesenheit des Regierenden Bürgermeisters Ernst Reuter und der alliierten Stadtkommandanten: Fritz Haber wird in die Geschichte eingehen als der geniale Erfinder desjenigen Verfahrens, Stickstoff mit Wasserstoff zu verbinden, das der technischen Stickstoffgewinnung aus der Atmosphäre zugrundeliegt, als der Mann, der auf diese Weise, wie es bei der Überreichung des Nobelpreises an ihn hieß, ein überaus wichtiges Mittel zur Hebung der Landwirtschaft und des Wohlstandes der Menschheit schuf, der Brot aus Luft gewann und einen Triumph errang im Dienste seines Landes und der ganzen Menschheit.

Retter der Menschheit, Kriegsverbrecher, Nobelpreisträger, Goldsucher, Vertriebener - was bleibt von dem großen Mann Haber? Seine Arbeit als Entwickler der chemischen Kampfstoffe liegt wie ein schwerer Schatten über seiner sonst so großartigen Lebensleistung. Das Wort des Sokrates stimmt auf jeden Fall, dass die Unwissenheit das größte Übel der Menschen und dass das größte Gut der Menschen die Wissenschaft ist. Ohne Zweifel ist sie für das Überleben, den Fortschritt, den Wohlstand notwendig, aber noch nicht hinreichend. Wissenschaft darf nur dem Wohle des Menschen dienen, und der Mensch muss allen dunklen Trieben widerstehen, sie auch zum Verderben seiner Mitmenschen einzusetzen. Es ist ungeheuerlich und kriminell, um weitere Opfer zu vermeiden, Massenvernichtungswaffen einzusetzen, die unendliches Leid verursachen und letzten Endes keine Verkürzung des Stellungskrieges brachten. Damit hat Haber tausendfach gegen das ethische Menschheitsgesetz verstoßen. Seine Frau Clara hatte das unverbogene Wertesystem: Wissenschaft muss lebenserhaltend, nicht lebenszerstörend sein. Haber ließ es während des ersten Weltkrieges für sich zu, dass sein Menschsein von seinem fanatischen Nationalismus überdeckt wurde. Am Ende hatte er alles verloren: seine Gesundheit, seine Frau, sein Vermögen, seine Mitarbeiter, sein Institut und schließlich sein deutsches Vaterland, dem er seine Forschung und sein Leben gewidmet hatte.

Mit Sicherheit bleibt von Fritz Haber bestehen, was Max von Laue sagte: Der Mensch, der aus Luft Brot machte; Richard Willstätter schrieb in seinem Nachruf: Fritz Habers Eigenart war Sammlung und Steigerung der Kräfte für hohe Ziele, Eindringen in die Tiefe und bis auf den Grund der Probleme, Erfassen der Zusammenhänge und Auswirkungen, Einfallsreichtum und Weitblick, Geradheit und Klarheit.

 

Nachtrag

Bild 23. Haber-Bosch-Verfahren, stark vereinfachtes Schema. Aus Erdgas, Wasser und Luft wird Ammoniak. Im Primär- und Sekundärreformer werden Stickstoff, Wasserstoff und Kohlenmonoxid erzeugt, Katalysatorgifte Kohlenmonoxid und Kohlendioxid werden im Konverter bei 500°C bzw. im Waschturm entfernt, Hauptverdichter komprimiert Stickstoff und Wasserstoff, es entsteht eine bestimmte Ausbeute an Ammoniak, Rest Stickstoff und Wasserstoff werden durch einen Kreislaufverdichter in den Reaktor zurückgeführt.

 

Nachtrag. Besuch des Fritz-Haber-Instituts und der Haber-Villa, am 10.Mai 2014

Bild 24. Wandtafeln in der Haber-Villa in Berlin-Dahlem - Vergleich mit Themistokles.

Bild 25. Die bedrückende und tragische Geschichte von Habers Ehefrau.

 

Bild 26. Ein sehr schönes Modell im Institut erklärt die Funktionsweise der ersten Versuchsanordnung Habers für die Ammoniaksynthese.

 

Was ist aus Habers Erfindung geworden?

 

Bildnachweis

Bild 1: Wikipedia, Bundesarchiv_Bild 183-S13651, CC-BY-SA 3.0. Bild 2: Wikipedia, public domain, Schutzfrist abgelaufen. Bilder 3, 4, 5: Eigene Fotos in der Sonderausstellung des Carl-Bosch-Museums Heidelberg, an der TU Berlin, 6.9.2012, Veröffentlichung wurde gestattet. Bild 6: Eigene Grafik. Bild 7: Eigene Grafik. Bild 8: Archiv Deutsches Museum München. Bild 9: Aus Borsig-Werkszeitung 1928. Bild 10: Eigene Grafik und Text. Bild 11, 12: Wikipedia, gemeinfrei, Schutz abgelaufen. Bild 13: Wkipedia, CC-BY-SA 3.0, Urheber Sven, eigene Ergänzungen, eigener Text. Bild 14: Wikipedia, CC-BY-SA 3.0, Urheber Drahkrub. Bilder 15, 24, 25, 26: Eigene Fotos, Lange Nacht der Wissenschaften, Berlin, Mai 2014. Bild 16: Eigenes Foto Juli 2012. Bild 17: Wikipedia, Bundesarchiv, Bild 183-R05923, CC-BY-SA 3.0. Bild 18: Wikipedia, 1916, Bundesarchiv, Bild 183-F0313-0208-007, CC-BY-SA 3.0. Bild 19: John Singer Sargent, Wikipedia, gemeinfrei. Bild 20: Wikipedia, gemeinfrei, Schutzfrist abgelaufen. Bild 21: Eigene Fotos, Lange Nacht der Wissenschaften, Phys. Institut der FU Berlin, 2010. Bild 22: Eigenes Foto 2012. Bild 23: eigene Skizze.

 

 

Fritz Haber - Jugend und Werdegang

Er lernte gerne Gedichte auswendig

Bild 1. Das früheste Foto vom kleinen Fritz.

Schon früh nervt er mit kniffligen Fragen. Seine Mutter überstand seine Geburt nicht. Da sein Vater viel Arbeit in seinem erst gegründeten Farbengeschäft hatte, kümmerten sich mehrere Tanten um den kleinen Fritz. Er verblüffte sie schon in früher Kindheit mit verzwickten Fragen, die sie ihm nicht beantworten konnten. Daher war das aufgeweckte Kind oft im Hause seines Onkels Hermann. Die Familie war jüdisch, wenngleich nicht sehr religiös. In Breslau besuchte er das Johanneum, eine Vorschule zum Gymnasium. Es war eine sehr fortschrittliche, der Toleranz verpflichtete Schule, wo katholische, evangelische und jüdische Schüler dazu erzogen wurden, einander auf Augenhöhe zu begegnen. Verständnisvoller Umgang, liberaler Geist und fehlender preußischer Drill an dieser Schule prägten den Schüler Haber. 1879, also mit elf Jahren wechselt er auf das humanistische Elisabeth-Gymnasium. Er war ein wilder, übermütiger, sportlicher Schüler, der gerne lief, Ball spielte und ruderte. Groß geschrieben wurde an der Schule die Beschäftigung mit Griechisch und Latein sowie die deutsche Klassik. Bei soviel schöngeistigem Lernen ist es doch sehr verwunderlich, wie er seine Vorliebe für die Naturwissenschaften, die Mathematik und besonders die Chemie entdeckte, obwohl es im Unterricht keine chemischen Experimente gab. Die machte er dann zu Hause, oftmals unter viel Gestank und mit versengter Kleidung. Vater verbot ihm das, aber Onkel Hermann gestattete ihm Versuche in einem Lagerraum. Die Weichenstellung vom Trojanischen Krieg zur Chemie blieb einigermaßen rätselhaft.

Abitur in Breslau und dann ab nach Berlin! Nach dem Abitur mit 17 Jahren, das er zu seiner Enttäuschung nur mit einem "cum laude" abschloss (weil der Latein-Aufsatz daneben ging), bummelte er noch ein Weilchen in Breslau herum, wollte dann aber auf die Berliner Uni. Dem widersetzte sich sein Vater, der einen Nachfolger in seinem Geschäft sehen wollte. Fritz musste daher erstmal als Volontär nach Hamburg. Nach drei Monaten waren seine Eindrücke derart negativ, dass er nach Hause zurückfuhr. Mit Hilfe des Onkels und der Stiefmutter gelang es tatsächlich, den authoritären Vater umzustimmen. Also auf zur Friedrich-Wilhelm-Universität nach Berlin! Mit dem Wintersemester 1886/87 ging es los. Die Institute von Emil Fischer und Hermann von Helmholtz, dem Universalisten, die Verbindung zwischen Lehre und Experiment waren sehr wohl nach Fritz Habers Geschmack.

Bild 2. Mit dem Doktor-Titel in der Tasche, Fritz Haber 1891.

Seine humanistische Vorbildung weckte auf der Uni weiterhin ein starkes Interesse für die Philosophie. Kants Kritik der reinen Vernunft, Fichtes Dialektik, Schellings Kunstphilosophie... diese Vorlesungen besuchte er mit wachem Geist, gaben sie ihm doch die Gewissheit, dass er sich ganzheitlich formte (Anmerkung des Website-Autors: Auf der TU Berlin nach dem Krieg waren vier humanistische Prüfungen zum Vordiplom vorgeschrieben, das verhinderte eine verengte Weltsicht der späteren Ingenieure. Leider haben die 1968er diese schöne Regel wieder abgeschafft). Heute ist eine Verbindung zwischen einem Ingenieur- und einem geisteswissenschaftlichen Studium die ganz große Ausnahme.

Zwischenspiel in Heidelberg, Militärdienst in der Mark Brandenburg, Doktorarbeit. Schon nach einem Semester ging Haber nach Heidelberg, wo der berühmte Robert Bunsen eine mächtige Anziehungskraft auf Chemie-Studenten ausübte. Neben Chemie und Mathematik besuchte er wieder viele Philosophie-Vorlesungen, nahm intensiv am studentischen Leben teil, an anregenden literarischen, philosophischen Diskussionen. Sein freundliches Wesen, seine Hilfsbereitschaft anderen gegenüber beeindruckte seine Freunde und Kommilitonen. Drei Semester Heidelberg, dann wieder zurück nach Berlin, diesmal an die Technische Hochschule Charlottenburg. 1889 dann ein einjähriger, freiwilliger Militärdienst. Er hatte einen Hang zum Soldatischen, aber die Langeweile des Soldatenlebens zerrte mächtig an ihm. 1891 promovierte er auf dem Gebiet der Indigo-Synthese, verdarb sich jedoch seine Abschlussnote, weil er die Frage nach der Bestimmung des Widerstandes von Elektrolytlösungen nicht beantworten konnte. Also war wieder etwas daneben gegangen. Die Prüfung fand in der philosophischen Fakultät der Berliner Uni statt (die TH hatte noch kein Promotionsrecht); daher wurde er auch in Philosopie geprüft mit einer Note "sehr gut". Der Dr. phil. wurde im Freundeskreis ausgiebig gefeiert.

Adé, du schöne Studentenzeit! Er ist 22, das freie, unabhängige Leben ist zu Ende.Er ist wieder zu Hause in Breslau. Sein Vater: Lieber Sohn, du hast nun auf meine Kosten all die schönen Theorien studiert, nun wird es Zeit, sich der Praxis zuzuwenden, schau dir in Chemiefirmen die betrieblichen Abläufe an, erwirb dir Kenntnisse, die du als mein Nachfolger bitter nötig hast! Was sollte Fritz machen? Er verdiente ja nicht eine Mark. Aber er fand die schlecht bezahlten Volontär-Stellen, die ihm Vater vermittelt hatte, gar nicht so unattraktiv, er kannte zwar Kant und Fichte, hatte aber von chemisch-technischen Verfahren keinerlei Ahnung. Erste Station: Eine Brennerei in Budapest, in der Pottasche hergestellt wurde. Zweite Station: Eine österreichische Ammoniaksoda-Fabrik in Galizien. Dritte Station: Eine Zellstofffabrik in Deutschland. Haber stellte fest, dass er keine Kenntnisse über technische, betriebswirtschaftliche und finanzielle Abläufe hatte und dass es nötig sei, eine chemisch-technische Lehranstalt zu besuchen.

Zwischen Vater und Sohn stimmt die Chemie nicht - Fritz` Entscheidung für die Forschung in der Chemie. Sein Vater stimmte einem Semester an der Polytechnischen Schule (der späteren ETH) in Zürich zu. Haber lernte dort von erstklassigen Professoren die industrielle Chemie. Danach musste er in die väterliche Firma zurück. Er war mit dem Einkauf der Waren befasst und sah, dass der Markt für die Farbstoffchemie sehr starken Schwankungen unterworfen war, so dass man flexibel reagieren musste. Es blieb nicht aus, dass er öfter mit seinem Vater aneinander geriet, da die Charaktere doch zu unterschiedlich waren. Vater und Sohn sahen ein, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit im Geschäft nicht weiter möglich war. Der Sohn fällte die endgültige Entscheidung für eine akademische Laufbahn. So ging er nach Jena und wurde dort Mitarbeiter im chemischen Institut der Universität, die in beträchtlicher Weise von Ernst Abbe und seiner Carl-Zeiss-Stiftung finanziell unterstützt wurde (s. Kap. "Die moderne Optik" in dieser Website). Sein Hauptthema wurde die Physikalische Chemie. Die Professoren Knorr und Straube waren seine Lehrmeister, von denen er sehr viel profitierte. Und noch eine Entscheidung traf er in Jena, den Übertritt zum evangelischen Glauben. Es gab um 1900 herum viele ausgezeichnete deutsch-jüdische Wissenschaftler, denen aber höchste akademische Karrieren wegen ihrer Glaubenszugehörigkeit verwehrt blieben. Es gab auch schon Beleidigungen und krasse Ungerechtigkeiten. Eine innere Überzeugung lag diesem Schritt sicherlich nicht zugrunde, man muss aber Verständnis haben für diesen aufstrebenden jüdischen Wissenschaftler, der sich diesen Beschränkungen durch eine wahnwitzige Rassenideologie nicht unterwerfen wollte.

1894 brach er seine Zeit in Jena ab und versuchte sich an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Es war schwer, zuerst eine Assistentenstelle zu bekommen, dann ein passendes Arbeitsgebiet, dann eine Habilitationsschrift, die ihm weitere Sprünge nach oben ermöglichte. Aber er biss sich durch, und der Bewegliche sollte dort nach den Wanderjahren seinen Platz in der physikalischen Chemie finden, ohne Hilfe von außen, ohne Lehrer - als Autodidakt. Die Bahn war frei für seine große Erfindung, die Ammoniaksynthese, die nach langen Entwicklungsjahren für die Hälfte der Weltbevölkerung Brot aus Luft machen sollte.

 

Die Ammoniaksynthese - die ganze Geschichte

 

Bildnachweis

Bild 1, 2: Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin.

Fritz Haber (*1868 Breslau, †1934 Basel) entwickelte von 1904 bis 1908 zusammen mit Carl Bosch die Ammoniaksynthese, erhielt 1910 darauf das Patent und legte damit die Grundlage für künstlich hergestellten Stickstoffdünger, der für die Ernährung der Hälfte der Weltbevölkerung unerlässlich ist. Er bekam dafür 1919 den Nobelpreis für Chemie. Heute werden 100 Millionen Tonnen Stickstoffdünger nach dem Haber-Bosch-Verfahren hergestellt. 1 Teil Stickstoff aus der Luft und 3 Teile Wasserstoff aus Methan ergeben 2 Teile Ammoniak; das Ganze in einem Reaktor bei 450°C und 300 bar Druck. Da sieht man schon, dass die technische Realisierung der bahnbrechenden Idee von Haber für den praktisch begabten Maschinenbauer Carl Bosch eine riesige Herausforderung darstellte.

Fritz Haber war aber auch eine widersprüchliche Persönlichkeit. Er entwickelte im ersten Weltkrieg die teuflischen Giftgaswaffen, mit deren Hilfe die Deutschen den festgefahrenen Stellungskrieg an der Westfront für sich entscheiden wollten. Eindeutig wurde dadurch gegen die Haager Konvention verstoßen. Haber vertrat die Auffassung, dass eine Verkürzung des Krieges zahlreiche Menschenleben rettete. Wenige Tage nach dem ersten deutschen Giftgas-Einsatz 1915 in Belgien beging seine Frau Selbstmord mit der Dienstwaffe Habers.

Nachdem die Nationalsozialisten 1933 am Kaiser-Wilhelm-Institut alle jüdischen Mitarbeiter entließen, wanderte Haber, der selbst Jude war, nach England aus, wo er einen Ruf aus Cambridge erhielt. Kurz danach starb er im Jahr 1934.

 

Fritz Habers Jugend und Werdegang