Die Firma Ernst Leitz Wetzlar gibt es nicht mehr - was wurde aus der LEICA?

Mitte Januar 1944 wurde die Fertigung der Leica IIIc und IIId eingestellt. Schon drei Tage vor dem Kriegsende erfolgt der Wiederbeginn der Leica-Montage am 5.Mai 1945. Es werden IIIc- und IIc-Modelle gebaut; von beiden wurden insgesamt 141 000 Stück verkauft, die meisten davon nach der Währungsreform 1948, die die Umstellung von Reichsmark auf Deutsche Mark brachte.

Bild 1. Das weltberühmte Logo der Firma Leitz seit 1913. Heute ist der Name "Leitz" aus den Firmenbezeichnungen verschwunden. Bild 2. Der Oskar-Barnack-Gedenkstein in Wetzlar – Mahnung an Leitz und Wetzlar, in dem Bemühen, Neues zu wagen, nicht nachzulassen?

War die Firma Leitz nach dem Krieg weiter auf Erfolgskurs? Nach der Währungsreform 1948 ging es mit dem Familienbetrieb Ernst leitz II erfolgreich weiter. Leica-Kameras, Mikroskope, Diaprojektoren und Episkope waren die Produkt-Schwerpunkte. Um 1920 beschäftigten die Leitz-Werke rund 1400 und 1956 rund 6000 Mitarbeiter. Im Jahre 1953 wurde für die wissenschaftliche Linsenberechnung erstmalig der Computer eingesetzt. Die Optimierung eines einzigen Objektivs erforderte Tausende von Berechnungen des Strahlendurchgangs, eine Mammutaufgabe für ein Dutzend Techniker für mehrere Jahre, die Tischrechenmaschinen, Rechenschieber und Logarithmen-Tafeln benutzten. Der elektronische Rechner  Z5 von Konrad Zuse brachte da einen riesigen Fortschritt. Auch die Folgemodelle Z11, Z22 und Z23 fanden guten Anklang bei der optischen Industrie Mitteleuropas. Die sah aber im Computer nur einen Rechenknecht für den Strahlengang, sie machte nicht den zweiten Schritt der direkten Optimierung der Linsenform durch den Computer und büßte so ihren Vorsprung gegenüber der ausländischen Konkurrenz ein. Konrad Zuse hatte der Firma Leitz den Rat gegeben, seinen Computer für die Linsenoptimierung einzusetzen, da er weit mehr kann, als nur die manuellen Rechengänge nachzuvollziehen und „nur“ zu verkürzen. Aber sie wollten diesen radikalen Schritt nicht gehen, es waren sicher auch Kosten für die Software-Entwicklung aufzubringen. Hatten sie sich schon ein wenig vom Barnack´schen Geist, Althergebrachtes hinter sich zu lassen, entfernt?

Die Leitz-Söhne Ernst, Ludwig und Günther übernahmen gemeinsam die Leitung der Ernst Leitz GmbH nach dem Tod des Vaters im Jahr 1956. Ernst Leitz III war Kaufmann, Ludwig hatte schon 1936, im Todesjahr Barnacks, mit 29 Jahren in der Geschäftsführung die Bereiche Wissenschaft, Entwicklung und Konstruktion übernommen. Er hatte ein sehr gutes Verständnis für technische Arbeitsabläufe, war aber mit seinem sehr guten Formempfinden eher künstlerisch interessiert. Ob das reichte für die stürmischen Wirtschaftswunderjahre mit vielen ganz neuen Technologien?

Ab 1972 setzte ein wildes Kooperieren, Fusionieren, Umbenennen und Abspalten ein. Hatte die Firma keine Kraft mehr, aus sich selbst heraus zu bestehen? Waren ihr die Visionen der Gründerväter abhandengekommen? Hatte man nicht mehr den Drive, mit Innovationen im Geiste Barnacks der Konkurrenz immer eine Nase voraus zu sein?

Die Firma Leitz auf ganz anderen Wegen. Was jetzt folgte, verschlägt einem fast den Atem. Die Leitz-Familie zieht sich aus der Firma zurück. Es fehlte jetzt der Familiensinn, Manager hatten jetzt freie Hand im großen Monopoly-Spiel des Kaufens und Verkaufens. 1972 wurde ein Kooperationsvertrag mit dem Schweizer Optikunternehmen Wild Heerbrugg zur Entwicklung und zum Bau von Mikroskopen geschlossen. Wild übernahm 25 % von Leitz und 1974 weitere 26 % von der Familie Leitz, so dass sie also das Sagen hatten. 1987 wurde der WILD-LEITZ-Konzern mit Sitz in Zürich gegründet, 1989 wurde das Unternehmen Wild Heerbrugg AG in Wild Leitz AG umbenannt. 1990 fusionierten WILD LEITZ und Cambridge Instruments zur LEICA Gruppe. 1990 wurde die Sparte Industrielle Meßtechnik (IMT) als Leitz Meßtechnik GmbH ausgegliedert. Neuer Eigentümer waren Brown & Sharpe. 2003 gehörte das Unternehmen fortan zum schwedischen Hexagon-Konzern und firmierte wieder unter Leitz Meßtechnik GmbH. Mit Wirkung vom 1. Januar 2005 wurde die Leitz Meßtechnik GmbH in Hexagon Metrology GmbH umbenannt. Der Produktname Leitz blieb erhalten.

1990 fusionierte die Wild Leitz Holding AG mit der Cambridge Instruments Gruppe. Zu dieser Gruppe gehörten Cambridge Instruments selbst, der Heidelberger Mikrotom-Hersteller Jung, der Wiener Optikfabrikant Reichert sowie die Mikroskopiebereiche der nordamerikanischen Optikunternehmen Bausch & Lomb und American Optical.  Der neue Konzern wurde Leica Plc genannt und umfasste damit u.a. die gesamte nordamerikanische Mikroskopindustrie. 1996/97 wurde die Leica Gruppe aufgelöst: 1996 ging Leica Camera mit Sitz in Solms westlich von Wetzlar an die Börse. Das verbleibende Unternehmen wurde 1997 in Leica Geosystems mit Sitz in der Schweiz und Leica Microsystems aufgespalten. Leica Microsystems erhielt die Rechte an der Marke Leica, die beiden anderen Firmen erhielten Lizenzrechte an der Marke. Ab 2013 sollen die Kameras von Leica wieder im Wetzlarer Leitzpark auf der Spilburg produziert werden.

Aus dieser doch recht verwirrenden und kaum nachzuvollziehenden Fusionitis und Separatitis haben sich drei Firmen unter dem Namen „Leica“ herauskristallisiert:

Die Leica Camera AG ist ein deutsches Unternehmen der optischen Industrie mit Sitz in Solms. Das Unternehmen hat sich auf die Fertigung von Fotoapparaten und Ferngläsern spezialisiert, 1100 Mitarbeiter.

Bild 3. Die neuesten Produkte der Leica Camera AG: Leica S und Leica M (2012 vorgestellt).

 

Leica Geosystems AG ist einer der weltweit führenden Hersteller von Präzisionsmessinstrumenten für die Bauvermessung, Geodäsie, Luftbildfotografie und Photogrammetrie mit Sitz in Heerbrugg im Kanton St. Gallen, 3500 Mitarbeiter.

Bild 4. Das Tachymeter von Leica Geosystems: Gerät, mit dem man Horizontalrichtungen, Vertikalwinkel und die schräg gemessene Entfernung zum Zielpunkt ermitteln kann. Es dient zur raschen Auf- und Einmessung von Punkten, benutzt beim Bau des Gotthard-Basistunnels. Bild 5. Das Mikrotom von Leica Microsystems: Schneidegerät, mit dem man sehr dünne Schnittpräparate erstellen kann. Es dient zur Herstellung mikroskopischer Präparate, die später durchstrahlt werden sollen.

Leica Microsystems GmbH ist einer der weltweit führenden Hersteller von Lichtmikroskopen, Geräten für die Erstellung mikroskopischer Präparate, z.B. Mikrotome. Sitz Wetzlar mit zehn Produktionsstätten in acht Ländern sowie Vertriebs- und Serviceorganisationen in 19 Ländern, 4000 Mitarbeiter.

Wie ging es mit der LEICA weiter, Barnacks genialer Erfindung? Außer der Ur-Leica und den Prototypen der Null-Serie (31 Exemplare) gab es zu Barnacks Lebzeiten ca. 18 verschiedene Typen von der Leica I bis zur Leica III, jeweils mit verschiedenen Varianten. Die Weiterentwicklung betraf die Objektive (vom Anastigmaten zum Elmax, Elmar und Hektor), die Verschlüsse (es gab auch einen Compur-Verschluss zwischen den Linsen), die Sucher, die Verkürzung der Verschlusszeiten bis 1/1000 Sekunde, gekuppelte Entfernungsmesser und Wechselobjektive. Von 1936 bis vor Kriegsende gab es nochmal vier Modelle von der Leica IIIb über IIIc bis IIId, nach 1945 bis 1957 11 Modelle, Leica If, IIf, IIIf, IIIg, Ic, Ig, IIc. 

Bild 6. Von der Ur-Leica 1913 über die Leica I bis zur Leica III (Ausschnitt). Diese Reihe, die insgesamt ca. 33 Typen umfing, ging bis 1957. Dann kam etwas Neues.

 

Die neue Reihe der Messsucherkameras. 1954 wurde mit der Leica M3 die neue durchgängige Reihe der Messsucherkameras begründet, und die gibt es bis heute. Eine Messsucherkamera ist ein Fotoapparat, dessen optischer Sucher eine Scharfeinstellhilfe hat, die mit der Entfernungseinstellung des Objektivs gekoppelt ist. Dieser Entfernungsmesser ist meist als Schnittbildentfernungsmesser oder Mischbildentfernungsmesser ausgeführt. Das Messsuchersystem wurde von Zeiss-Ikon erfunden und 1936 bei der Contax II zum ersten Mal verwendet.

Bild 7. Die Welt der Leica wird mit der Messsucher-Serie "M" 1954 begründet und 1965 um eine für Leitz ganz neue Reihe, die Spiegelreflex-Serie "R" erweitert. Der Leica-Stammbaum hatte jetzt zwei starke, parallel nebeneinander wachsende Äste (Ausschnitt). Insgesamt gab es damit seit 1925 ca. 112 verschiedene Leica-Modelle und zusätzlich noch Sonderausgaben, Designerexemplare, Hightech im Safari-Look usw.

 

Die neue Reihe der Spiegelreflexkameras. 1965 wurde mit der Leicaflex Typ 1 die neue durchgängige Reihe der Spiegelreflexkameras begründet. Eine einäugige Spiegelreflexkamera, verkürzt SLR-Kamera (single lens reflex) ist ein Fotoapparat, bei dem sich zwischen Objektiv und Bildebene ein wegklappbarer Spiegel befindet. Das Bild wird vor der Aufnahme auf einer in der Regel horizontal liegenden Mattscheibe seitenverkehrt abgebildet, oder mit einem Prismensucher seitenrichtig betrachtet. Digitale Spiegelreflexkameras werden kurz als DSLR (digital single-lens reflex) oder DSR bezeichnet. Die erste Kleinbild-Spiegelreflexkamera der Welt war die Kine-Exakta der Firma Ihagee in Dresden, vorgestellt auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1936.

Bild 8. Das Prinzip der Spiegelreflex-Kamera. Schon 1936 erfunden, von Leitz erst 1965 eingeführt.

Bild 9. Schon 1936 stellte die Firma Ihagee in Dresden die erste einäugige Spiegelreflex-Kamera Kine-Exakta 1 vor.

Warum Spiegelreflex? Warum stellte Leitz neben der bewährten Reihe der Messsucherkameras nun Spiegelreflexkameras her? Warum blieb der Schuster nicht bei seinen Leisten?

Messsucher vs. Spiegelreflex:

Das originäre Messsucherprinzip ist die angestammte Leica-Domäne, die sie bei der M-Reihe zur Perfektion geführt haben. Es besteht aus zwei optischen Systemen, dem Objektiv und dem davon separaten Sucher, d.h., dass grundsätzlich zwei verschiedenen Bilder wahrgenommen werden. Das Sucherbild ist parallel und in der Perspektive verschoben. Der sog. Parallaxenausgleich versucht diesen Effekt durch Verdrehen des Suchers oder Verschieben der Bildbegrenzungsmarken im Sucher zu verringern, kann aber den Unterschied zwischen Sucherbild und Foto nur minimieren. Ein vollständiger Ausgleich ist physikalisch unmöglich. Der Parallaxeneffekt ist umso größer, je geringer der Abstand der Kamera zum Objekt ist. Wird das Objektiv gewechselt, werden im Sucherbild verschiedene brennweitenangepasste Leuchtrahmen eingeblendet. Bei Verwendung von Teleobjektiven wird das leuchtrahmenbegrenzte Bild im Sucher so klein, dass eine exakte Fokussierung sehr schwer wird. Generelle Vorteile: Exakte Fokussierung auch bei ungünstigen Lichtverhältnissen, geringer Platzbedarf (kleinere und leichtere Kameras, wie Barnack es sich wünschte), leiser Verschluss (d.h. weniger störend bei Personenaufnahmen und Veranstaltungen), kleiner Abstand zwischen Objektiv und Filmebene (d.h. flachere Bauweise). Aufgrund dieser Vorteile ist das Konzept der Messsucherkamera auch heute noch bei professionellen Reportage-Fotografen äußerst beliebt.

Das Spiegelreflexprinzip wurde 1965 von Leitz eingeführt, weil sie sich auf Dauer der augenscheinlichen Vorzüge dieser Bauweise nicht entziehen konnten. Das durch den Sucher betrachtete Bild ist immer identisch mit dem endgültigen Foto, weil das Objekt durch das Objektiv betrachtet wird. Auch wenn Objektive gewechselt werden, erhält man stets im Sucher das reale Bild, auch mit Tele oder Makro. Die Anpassungen der verschobenen Parallaxe durch Verdrehen des Suchers und variable Leuchtrahmen entfallen, dadurch sind schnellere Bildfolgen möglich. Die Vorteile werden erkauft durch ein deutlich größeres Bauvolumen (da der Spiegel sehr viel Platz benötigt) und Gewicht, einen lauteren Auslösevorgang, ein dunkles Sucherbild während der Aufnahme (kann bei Zeitaufnahmen stören, wenn der Spiegel den Lichtweg zum Sucher versperrt), einen deutlich höheren Preis, und die Kamera passt nicht mehr in die Jackentasche. Spiegelreflexkameras sind heute sehr weit verbreitet und haben seit den 1970er Jahren auf dem Massenmarkt die Messsucherkamers vollständig verdrängt. Diese sind von Kompaktkameras mit Autofokus ersetzt worden.

 Den Markt selbst gestalten oder dem Trend hinterherlaufen? Erst 30 Jahre nach Einführung der ersten Spiegelreflex-Kamera hat sich Leitz entschlossen, auf diese Technologie zu setzen. Auf die nächste große Revolution, die digitale Bildverarbeitung, haben sie bei Leitz auch nur reagiert, anstatt im Geiste Barnacks zu agieren und Althergebrachtes dann hinter sich zu lassen, wenn Neues am Horizont auftaucht und wieder etwas völlig Anderes prophezeit. Wo waren die Leute mit dem Unternehmergeist von Ernst Leitz II, die Visionäre, die unermüdlich neue Ufer erkundeten und dann hinüber schwammen? Warum Anderen hinterherlaufen statt aus eigenem Antrieb handeln? Ab 1996, lange nach Erfindung des Digitalbildes, führte die Firma bei der Analogkamera R8 und 2002 bei der R9 ein Digital-Modul ein, das man ansetzen konnte und bei ein und derselben Kamera entweder analog oder digital fotografieren konnte. Diese Hybridmethode klingt gut, war aber keine wirkliche Lösung, sondern wegen Verspätung nur ein Notbehelf.

 Die Erfindung der Digitalkamera. Das ist ein Fotoapparat, der als Aufnahmemedium anstatt eines Films einen elektronischen Bildwandler (Bildsensor) und ein digitales Speichermedium enthält.

Im Jahr 1969 wurde von dem Kanadier W. Boyle und dem US-Amerikaner G. Smith das CCD (charge-coupled device) erfunden, wofür sie 2009 den Nobelpreis erhielten. Das ist die Grundlage des Bildsensors, Bild-Chip genannt. Dieser lichtempfindliche Chip war die Erfindung, die der digitalen Fotografie zum endgültigen technischen Durchbruch verhalf. 1970 bauten Bell-Wissenschaftler die erste Solid-State-Kamera, die ein CCD als Bildsensor benutzte. 1973 produzierte die Firma Fairchild Imaging die CCDs. 1975 war das Geburtsjahr der ersten „richtigen“ Digitalkamera. Konstruiert wurde sie von Kodak mit Fairchild-CCDs als Bildsensor. 23 Sekunden wurden benötigt, um ein einziges Bild auf eine Digitalkassette zu speichern, die Kamera wog gut 4 kg. Die Fairchild MV-101 war dann 1976 die erste kommerziell erhältliche CCD-Kamera. Ende der 1980er benutzten Profi-Fotografen Digitalkameras in der Studio- und Werbefotografie und Mitte der 1990er auch für Reportage-Fotografie. Frühe serienreife Modelle gab es von Casio, Kodak, Sony und Canon, Minolta, Nikon, und Olympus folgten mit eigenen Modellreihen. Wo blieb die Leica? Entwicklung verschlafen? Digitalkameras setzten sich zunehmend durch und erzielen aufgrund rapide fallender Preise seit etwa 2003 höhere Verkaufszahlen als analoge Fotoapparate. Viele Hersteller haben inzwischen analoge Geräte nicht mehr im Programm. Dabei setzen eingeschworene Profi-Fotografen, besonders die in der Kunstfotografie tätig sind, immer noch auf die Analog-Technologie. Für sie gibt es nach wie vor nichts Besseres als analoges Fotografieren. Diese Verpixelung der Welt und das "Rauschen" ist ihnen ein Graus.

Bild 10. Digitale einäugige Spiegelreflex-Kamera (DSLR): Bild-Sensor statt Film. Der Sensor ist das Herzstück der Digitalfoto-Technologie, er entscheidet über die Bildqualität.

Bild 11. Die lichtempfindlichen CCD-Sensoren sind die Schlüsselelemente für die Erfassung des Bildes. Die Ladungen werden wie in einer Eimerkette schrittweise weitergegeben.

Bild 12. So arbeitet ein CCD-Sensor ("Bildchip") in einer Digitalkamera. Die Fotozellen werden auch als Sammel-Eimer, die CCDs als Weitergabe-Eimer bezeichnet. Nur die Zellen in den leuchtenden Farben sind dem Licht zugängig.

Bild 13. Anordnung, Farben, Pixelanzahl, Pixelgröße, Format der Sensoren, sowie die Definition des Formatfaktors CF (crop factor). Die Sensor-Bezeichnungen 1/2.3", 1/1.7", 2/3" sind nur historisch begründet und haben keine konkrete Bedeutung für ihre Größe.

Bild 14. Format einiger Sensoren. Aufgrund der verschiedenen Pixelflächen ist die Anzahl der Pixel pro Sensor nur ein Richtwert. Auf einer Sensor-Fläche von 6,2 x 4,6 mm sind 12 MP untergebracht, in Worten: 12 Millionen Fotozellen! Anders ausgedrückt: 420 000 Fotozellen pro Quadrat-Millimeter.

Bild 15. So sieht er aus, der Sensor in einer Digital-Kompakt-Kamera, montiert auf eine flexible Leiterplatte.

Die CMOS-Sensoren. Neben den CCD-Sensoren gibt es noch die CMOS-Sensoren (Complementary Metal Oxide Semiconductor (komplementärer Metall-Oxid-Halbleiter)), bei denen jedes einzelne Fotoelement einen eigenen A/D-Wandler hat, wodurch jedes Element direkt ausgelesen werden kann. Dafür entfallen die CCD-Register und der aufwändige Ladungstransport. Die Herstellungskosten sind dadurch geringer, aber die Fertigungstoleranzen der vielen A/D-Wandler ließen in der Anfangszeit ungleichmäßige Bilder entstehen. Eine Weiterentwicklung wurde inzwischen konsequent betrieben durch Chip-Vergrößerung und Verbesserung der Algorithmen, die die Messdifferenzen der Wandler bei der Auswertung der Ladungen berücksichtigen, so dass die CMOS- an den CCD-Sensoren inzwischen vorbeigezogen sind. Der Trend geht daher heute mehr in Richtung CMOS-Sensor. CMOS-Sensoren benötigen auch weniger Strom. Dadurch fällt auch das Rauschen durch die Sensorerwärmung weniger stark aus.

Das Rauschen. Wie die Staubfussel beim Rahmen von Dias ist das Rauschen bei den Digitalkameras allgegenwärtig. Jede unerwünschte Veränderung des eigentlichen Nutzsignals, d.h. des unverfälschten Bildes, wird als Rauschen bezeichnet. Es kommt nun darauf an, das Verhältnis des Nutzsignals zum Störsignal möglichst groß zu halten (signal-to-noise-ratio, SNR). Das ist keineswegs in allen Situationen möglich.

Bild 16. Foto mit thermischem Rauschen. Aufnahme mit Lumix DMC-TZ10, Leica Vario Elmar 1:3,3-4,9 / f 4,1-49,2; CF=5,84. t=0,33 s, f=37 mm, ISO 800.

Das „thermische Rauschen“ macht manche schöne Absicht zunichte, da die Fotoelemente nicht nur bei Licht-, sondern auch bei Wärmeeinwirkung Elektronen freisetzen. So zeigt ein typischer CCD-Sensor bei 20°C ein hundert mal so großes Rauschen als bei 0°C. Bei Kälte werden die Fotos also viel kontrastreicher  als im Hochsommer und ebenfalls bei kurzen Belichtungszeiten. In der Dämmerung, beim wunderbaren Nachleuchten nach Sonnenuntergang oder Mondaufgang wird die Belichtungszeit notwendigerweise länger … und das lästige Rauschen durch die längere Wärmeeinwirkung bekommt leider einen erheblichen Einfluss auf die Bildqualität. Der Hintergrund ist nicht gleichmäßig dunkel, wie in der Wirklichkeit, sondern mit einem unregelmäßigen, oft falschfarbigen Gesprenkel, eben dem "Rauschen", bedeckt. Analogfilme mit hohen ISO-Werten haben ein grobes Korn, bei Digitalsensoren rauscht es bei langen Belichtungszeiten. Rauschen wird größer bei langer Belichtungszeit, hoher ISO-Einstellung (Filmempfindlichkeit), hoher Sensortemperatur, wenig Licht.

Der Weg des Stroms der Elektronen vom Fotoelement zum Speicher wird aber auch noch anderweitig gestört. Daher gibt es noch eine Reihe anderer Rauschquellen, die die Qualität der aufgenommen Bilder beeinträchtigen. Im Normalfall, d.h. kurze Belichtungszeiten bei heller Sonne, kann man sie jedoch alle vernachlässigen.

 

Bild 17. Eine Auswahl der heutigen Leica-Kameras. gemäß Online-Katalog 2013. Die meisten mit CMOS-Sensor, drei Modelle mit CCD-Sensor, zwei Analog-Modelle mit Messsucher, ein DSLR-Modell mit verschiedenen Varianten, die V-Lux 40 ist baugleich mit Panasonic Lumix DMC-TZ31. Leider können hier keine Kameras im Bild gezeigt werden, weil die Firma auf ein striktes Urheberrecht pocht (warum eigentlich? Auf solch einer Website wären Fotos doch eine gute Werbung!).

Ja, was wurde aus Oskar Barnacks epochaler Erfindung? Der findige Brandenburger, einfacher Mechaniker ohne Hochschulbildung und akademischen Titel, Foto-Revoluzzer und Nonkonformist, wanderte nach der Lehre in Berlin nach Thüringen aus, ging zu Carl Zeiss in Jena und wanderte dann weiter nach Hessen, zu den Optischen Werken Ernst Leitz in Wetzlar. Dort fand er den väterlichen Freund Ernst Leitz I und den vorausschauenden Unternehmer Ernst Leitz II und vor allem das geistige Klima, das es ihm ermöglichte, die Vorlage und die Philosophie für die Kleinbildkamera zu liefern. Gemeinsam mit seinem Chef setzte er Maßstäbe und Standards für eine ganz neue Kamera durch einen Coup, der 75 Jahre lang das Geschehen in der Fotografie bestimmen sollte. Und der bestand darin, den 1913 schon existierenden Kodak-Kinofilm für sein neues Fotoformat 24x36 mm umzufunktionieren. Der Film von 35 mm Breite mit den berühmten Rand-Lochstreifen blieb in der Form völlig unverändert, das bestehende Kinobildformat von 18x24 mm wurde lediglich verdoppelt. Um dieses Format herum konstruierte er dann in genialer Weise die Jackentaschen-Kamera „Leica“, die bald zum Qualitätssymbol schlechthin avancierte. Althergebrachtes hinter sich lassen und zu neuen Ufern aufbrechen… das war sein Motto. Und das alles mit einem chronischen Bronchialkatarrh, der ihn zeit Lebens quälte. Oder war es gerade dieses Leiden, das ihn zu dieser Erfindung trieb, weil er die schwere Plattenkamera nicht in die Natur schleppen konnte?

Aus der analogen Kleinbildkamera wurde die Digitalkamera mit Bild-Chips (oder „Sensoren“) anstelle des Films. Die Sensoren sind heute 6x5 mm klein, haben aber auch die alte Kleinbildgröße 24x36 mm und gehen hoch bis zu 49x37 mm mit 10 bis 37 Millionen Fotozellen und befinden sich immer noch in rasanter Veränderungsgeschwindigkeit. Der Bezugspunkt zum Kleinbild ist immer noch präsent in Form des Format- oder Crop Factors CF.

Warum überließ die deutsche Fotoindustrie das Feld Anderen? Leider legte seit den 1970ern die deutsche Fotoindustrie nicht mehr die alte Innovationsfreudigkeit an den Tag, leider überließ man die ungebrochene Weiterentwicklung hin zu den Spiegelreflex- und dann zu den Digitalkameras mit Autofokus den Japanern mit der Konsequenz, dass immer mehr traditionelle deutsche Fotofirmen aufgeben mussten. Wo sind heute Voigtländer, Rollei, Agfa, Zeiss-Ikon und Co.? Wenn sie nicht gestorben sind, leben sie unter fernöstlichen Eigentümern weiter und knüpfen an alte, eingeführte Namen an. Wenn man heute ein Fotogeschäft betritt, sieht man fast nur noch Canons, Nikons, Sonys, Panasonics u.a. Dabei hatte doch Deutschland eine beneidenswerte Ausgangsbasis. Woran liegt es? Zweifellos sind die „modernen Manager“ nicht aus dem gleichen Holz geschnitzt wie die Gründerväter der traditionellen Familienunternehmen, sie sind vielfach Hasenfüße und schauen nur auf die Geschäftsergebnisse innerhalb ihres Vertragsverlaufs, Nachhaltigkeit und Zukunftssicherung eines Unternehmens bleiben dabei auf der Strecke. Zum anderen liegt eine Ursache in der Zwanghaftigkeit, ohne Not unsere Arbeitskosten ständig zu erhöhen. Die von den Arbeitnehmervereinigungen per Streik oder Streikandrohung, also eine Art grundgesetzlich zugelassener Erpressung, durchgesetzten flächendeckenden Entgelterhöhungen sind für eine Firma dann fatal, wenn sie in der Höhe über den Rationalisierungsfortschritten in dieser betreffenden Firma liegen. Warum kann man nicht Betriebsvereinbarungen treffen, die genau auf die Lage eines Unternehmens zugeschnitten sind? Das hätte manchen alteingesessenen Hersteller vor dem Ruin bewahrt.

 Gottseidank hat die Firma Leitz nach vielen Jahren der Fusionitis und Separatitis, der Namensänderungen, wechselnden Zugehörigkeiten jetzt offensichtlich wieder ein stetiges Fahrwasser erreicht, das den alten Namen LEICA wieder zum Erfolg führt mit eigenen und nicht zugekauften Innovationen. Wenn auch der Name LEITZ längst abgelegt wurde, sollte er doch, genauso wie der des Oskar Barnack, Ansporn und Verpflichtung sein für eine eigenbestimmte Zukunft.

 

Nachtrag. Hat wenig mit der LEICA zu tun, wohl aber mit Barnacks Erfindung, den Kleinbildkameras. Eine kleine, persönliche Geschichte der Kameras des Autors, am Anfang war die Box:

Bild 18. Die persönliche Geschichte aller Kameras des Website-Autors seit 1952: Mit einer 1935er Voigtländer fing es an. Agfa-Box war der Schlager der 1950er. Die Genos-Box war ein treuer Begleiter auf Radtouren bis nach Schottland. Die Voigtländer Vito CL hatte schon etwas Leica-haftes. Die Rollei 35 ein technisches Meisterwerk, klein, versenkbares Objektiv. Die Canon AE-1 das erste SLR-Gerät mit Wechselobjektiven, mit Tele nie geahnte Möglichkeiten. Mit der Canon Rebel X fühlte man sich schon wie ein Profi. 2005 begann das digitale Fotografieren, die Coolpix hatte einen 2/3“-Sensor von 8,8x6,6 mm Größe, daher superscharfe Bilder, leider fiel sie ins Wasser und aus war´s. Lumix FZ8 und TZ10 haben zwar mit 1/2,3“ kleinere Sensoren, machen aber trotzdem schärfere Bilder (weil die sehr guten Leica-Objektive besser mit den Sensoren harmonieren?). Die TZ10 ist ideal für Hochgebirgstouren, klein, leicht, Hosentasche. Leider hat es nie zu einer LEICA-Kamera gereicht, aber immerhin ist die TZ10 (fast) baugleich mit der Leica V-Lux 40, ein kleiner Trost. Seit 2016 ist die kompakte Sony DSC-RX 100 M3 mein Favorit mit CMOS-Sensor von 13,2 x 8,8 mm Größe (entsprechend Nikon CX), eine Sensation für eine derart kompakte Kamera, äquivalente Brennweite 24 bis 70 mm, Cropfactor 2,72.

 

Nachtrag. Ein Besuch bei Hans Bejenke, dem langjährigen Freund des Autors noch aus Schulzeiten, im April 2014. Er ist ein sehr guter Amateur-Fotograf und Besitzer vieler schöner Kameras, schwört, auch heute noch, auf die Analog-Fotografie.

Bild 19. Der Freund des Autors Hans Bejenke zeigt seine schöne Kamerasammlung - die Leicas.

 

Bild 20. Die Rollei, ein- und zweiäugig, Format 6x6.

 

Bild 21. Voigtländer, die "Prominent" mit großer Lichtstärke.

 

Bild 22. Die legendäre Linhof für Profis.

 

 

Bildnachweis

Bild1:  Wikipedia, Urheber Leitz, Verwendung für mit dem Logo im Zusammenhang stehende Artikel erlaubt. Bild 2: Wikipedia, Urheber Dontworry, CC-BY-SA 3.0. Bild 3, 4: Wikipedia, Urheber Rama, CC-BY-SA 3.0. Bild 5: Wikipedia, Urheber Leica Microsystems, CC-BY-SA 3.0. Logos Bilder 3, 4, 5: Verwendung für mit dem Logo im Zusammenhang stehende Artikel erlaubt. Die Leitz-Geschichte ab 1972 stammt aus Wikipedia "Leitz (Optik)" - Wikipedia, Verwendung gestattet. Bilder 6, 7: eigene Skizzen. Bild 8: Wikipedia, Urheber Cburnett, CC-BY-SA 3.0, eigene Ergänzungen. Bild 9: Wikipedia, Urheber Hans-Peter Scholz, CC-BY-SA 3.0. Bild 10: Wikipedia, Urheber Bautsch, gemeinfrei und Wikipedia Urheber Welleman, CC-BY-SA 3.0. Bild 11: aus Wikipedia, Urheber Michael Schmid, CC BY-SA 3.0, eigene Ergänzungen. Bild 12: Eigene Skizze. Bild 13: Wikipedia, Urheber Amada44, public domain und Wikipedia, Urheber MarcusGR, CC-BY-SA 3.0. Bild 14: Eigene Zusammenstellung. Bild 15: Wikipedia, Urheber C-M, CC-BY-SA 3.0. Bild 16: eigene Aufnahme 2013. Bild 17: Eigene Zusammenstellung aus Katalogen. Bild 18: eigene Fotos. Bilder 19-22: Eigene Fotos April 2014.

 

Der Brandenburger Oskar Barnack (*1879 Lynow, †1936 Bad Nauheim) ist der Erfinder der legendären Leica. Als Ernst Leitz in Wetzlar den Fotoapparat 1925 auf der Leipziger Messe ausstellte, wurde das kleine Ding als Spielzeug verspottet, war es doch die Zeit der schweren Plattenkameras, so groß wie eine Aktentasche, montiert auf Holzstativen. Die neue Kleinbildkamera wurde zu einem Verkaufsschlager, zum Handwerkszeug des modernen Bildjournalismus, zum Ferrari der Fotografen.

Wie war der Stand der Fotografie im Jahre 1913, dem Jahr der Erfindung der Kleinbildkamera? Oskar Barnack war ein leidenschaftlicher Fotograf. Er hatte eine Plattenkamera, dazu gehörte ein Satz Doppelkassetten und das schwere Holzstativ. Mehr als 5 kg musste man schon tragen, um zwölf Aufnahmen zu machen.

Bild 3. Typische Studio-Plattenkamera um 1900. Bild 4. Englische Plattenkamera für Bildformat 82x108 mm, ca. 1907. Die Gleitschiene auf dem Laufboden dient der horizontalen Verschiebung der Objektiv-Standarte, die mit einer Schraubkurbel fixiert wird. Der Lederbalg passt sich der Verschiebung an. Das Objektiv kann auch nach oben verschoben und gekippt werden, damit fliehende Linien bei Gebäudeaufnahmen ausgeglichen werden können, Fixierung durch Muttern in den senkrechten Gleitschienen. Die Kamera wurde bis in die 1960er benutzt.

Wie lief eine Aufnahme ab? Geeignetes Motiv suchen, Aufstellen des Stativs auf festem Untergrund, Aufschrauben der Kamera, Frontklappe mit der Führungsschiene öffnen, Objektivstandarte mit dem Balg herausziehen, diese anhand der Meterskala am Laufboden auf die Motiventfernung einstellen, Verschluss öffnen, Mattscheibe einschieben, Einstellung der Schärfe anhand des umgekehrten Mattscheibenbildes mit dem Kopf unter einem schwarzen Tuch, Schätzen der Belichtungszeit, Verschluss schließen, Einstellen der Belichtungszeit, Spannen des Verschlusses, Entfernen der Mattscheibe, Einschieben der Plattenkassette, Herausziehen des Abdeckschiebers der Kassette, Emulsionsseite der Platte jetzt gegen die Linse geöffnet, Verschluss auslösen, Abdeckschieber wieder einstecken, Herausnehmen der Kassette, Mattscheibe einschieben, Grundeinstellung der Kamera wiederherstellen, Abschrauben vom Stativ, Einpacken, neues Motiv suchen. 15 Minuten musste man für diese Prozedur schon aufwenden. Jede Kassette enthielt zwei Glasplatten mit der lichtempfindlichen Emulsion, durch Umdrehen und erneutes Einschieben konnte man noch eine zweite Aufnahme machen. Die Glasplatten gab es in lichtdichten Verpackungen, in der Dunkelkammer entnahm man zwei Stück und steckte sie in die Kassette. Die belichteten Platten nahm man in der Dunkelkammer aus der Kassette, um sie zu entwickeln.

 

Bild 5. Die Glasplattenkamera wurde durch die Planfilmkamera ersetzt. Der Planfilm bestand aus ebenem Zelluloid. Das Zinnfiguren-Männchen hat ein Tuch über dem Kopf, mit dem die Schärfe auf der Mattscheibe kontrolliert und mit dem waagerechten Rändelrad unten nachreguliert wurde. Im Bild eine Voigtländer-Planfilm-Kamera von 1925, Format 9x12, Objektiv Voigtar 1:4,5, F=13,5 cm. Der große Bügel ist ein Klapprahmensucher.

Von der Glasplatte zum Planfilm zum Rollfilm. Bis nach dem ersten Weltkrieg waren die Glasplatten als Schichtträger der Emulsion im Einsatz, aber für die Massenfotografie viel zu umständlich, auch die Handhabung mit dem Planfilm anstelle des Glases. In den USA bekam 1887 Hannibal Goodwin ein Patent auf den biegsamen 70-mm-Rollfilm auf durchsichtigem Zelluloid, den 1893 George Eastman (Kodak) zu einem 35-mm-Rollfilm halbierte und als Kinofilm einführte. Daraus entstand die Rollfilm-Fotokamera, die statt der Plattenkassette einen Vorrat von bis zu 16 Aufnahmen hatte, im Format 125x100 und 45x60 mm. Die Breite des Films betrug 140 und 70 mm. Die Fotoapparate glichen den Plattenkameras, hatten noch die Verschiebeoptik auf dem Laufboden und den Balg. 

Barnacks revolutionäre Idee. Der Erfinder der Leica entwickelt die neue Kamera nicht als Auftragsarbeit, sondern fast wie ein Hobbybastler. Er schrieb: Meiner Vorliebe für Ungewöhnliches und Neuartiges ließ ich völlig freien Lauf. Ich war nicht gebunden durch irgendeinen Auftrag oder in einer bestimmten Richtung, wie es in einem modernen Konstruktionsbüro üblich ist, sondern es war mehr private Liebhaberei. Indem ich so unbekümmert Althergebrachtes gehen ließ und fast nichts von dem verwandte, was bisher unbedingt zu einer guten Photo-Kamera notwendig war, entstand dieser neuartige Kamera-Typ. Das war 1913.

Barnacks Idee war nun, den 35-mm-Kodak-Rollfilm für seine Kleinbildkamera zu benutzen; dazu verdoppelte er das Kino-Einzelbild-Format von 18x24 mmm auf 24x36 mm. Er hielt das Seitenverhältnis von 2:3 für zweckmäßig und schön, da es dem goldenen Schnitt nahe kommt (goldener Schnitt: Die kleine Seite des Rechtecks verhält sich zur großen Seite wie die Große Seite zur Summe beider Seiten). Nach dieser Festlegung konnte er sich der eigentlichen Konstruktion der Handkamera zuwenden.

Bild 6. Aus dem Kinofilm-Format von Kodak machte Barnack das Kleinbild-Format 24x36, indem er die Filmbreite von 35 mm beibehielt. 25,4 mm = 1 Zoll (inch).

Es ist nun weit verbreitet, dass Barnack keinen fotografischen Apparat, sondern ein Belichtungsgerät für eine Kinokamera entwickeln wollte. Ulf Richter schreibt in seinem Buch "Oskar Barnack - von der Idee zur Leica", Wetzlar 2009, dass diese These sich nicht mit Barnacks eigenen Entwicklungsnotizen vereinbaren lässt. Die Eintragungen im Werkstattbuch sagen eindeutig, dass es eine unabhängige Entwicklungslinie war.

Wie soll der neue Apparat aussehen? Um den Fotoapparat klein, einfach, schnell und robust zu machen, setzte er sich folgende Vorgaben (heute sagt man "Spezifikation"): Bildformat 24x36 mm, 50 Bilder auf einem Film, Objektiv im Tubus herausziehbar, Schlitzverschluss (Der Schlitzverschluss befindet sich unmittelbar vor dem Film im Kameragehäuse und wird durch zwei waagerechte Verschlussvorhänge, gebildet. Nach der Auslösung gibt der erste Vorhang den Film zur Belichtung frei. Ist die gewünschte Belichtungszeit erreicht, deckt der zweite Vorhang den Film wieder ab, indem er dem ersten Vorhang in der Bewegung folgt). Ein Zentralverschluss zwischen den Linsen kam nicht in Frage, da er zu viel axialen Platz verbrauchen und ein Einschieben des Objektivs in den Kamerakörper unmöglich machen würde. (Der Zentralverschluss befindet sich typischerweise „zentral“ zwischen den Linsen des Objektivs und besteht aus mehreren konzentrisch um die optische gruppierten Lamellen, die nach dem Auslösen des Fotoapparates synchron aus dieser Achse zurückschnellen und den Weg des Lichts auf den Film freigeben).

Aus dieser Spezifikation resultierten durch Konstruktion von innen nach außen die Abmessungen der Kamera. Die Länge ergab sich aus dem Bildformat von 36 mm, den Durchmessern der zwei Schlitzverschlusswalzen, der Filmschaltrolle und der zwei Filmspulen, deren Durchmesser sich aus dem Spulenkern und dem aufgerollten Film von 1,9 m Länge (für 50 Aufnahmen bei 0,2 mm Filmstärke) errechnen ließ. Die Höhe ergab sich aus der Filmbreite von 35 mm (Bildformat 24 mm plus Perforation plus Randstreifen), Führungszapfen der Spulen und Platz für die Ratsche. Die Tiefe war durch die axiale Abmessung des vorliegenden Objektivs gegeben (ist nicht genau bekannt, wahrscheinlich das Summar 4,5/42mm von Leitz). Das Ganze in einem robusten Aluminiumguss-Gehäuse. Barnack ließ sich als Meister und Leiter der Versuchsabteilung das Gehäuse mit 2 mm Wandstärke nach seinen Maßangaben gießen. Und das waren die sich daraus zwangsläufig ergebenden Abmessungen der Ur-Leica von 1913: L=128 mm, H=53 mm, T=28 mm. Sie passte tatsächlich in eine Jackentasche! Quod erat demonstrandum.

Bild 7. Voilá, da ist sie, die allererste Kleinbildkamera der Welt, für das Format 24x36 mm, die Ur-LEICA von 1913, Schöpfung des genialen Oskar Barnack in Wetzlar. Der unförmige Klapprahmensucher stammt nicht von Barnack. Silbern: Bildzählwerk von 1 bis 50, darüber Rändelrad für die Drehung des Films. Fester Messingring mit Entfernungszahlen von 1,25 bis 10 m (sichtbar), danach noch unendlich; halbrunder Messingknopf stellt Objektiv auf Entfernung ein (steht auf ca. 7 m).

Bild 8. Eine schöne Replik der Ur-Leica, Baujahr unbekannt.

Gescheitertes Patent und Kriegsbeginn. Nach dem Werkstattbuch Barnacks ergibt sich eine Zeitspanne von Juni 1913 bis März 1914 für die Entwicklung der Ur-Leica. Ernst Leitz jun. (genannt Ernst Leitz II) meldet sie am 12. Juni 1914 zum Patent an. Er hatte mit einem weiteren Exemplar, dem "Prototypen 3" im Frühjahr 1914 eine USA-Reise gemacht, fünf Filmrollen zu je 50 Aufnahmen abfotografiert (die meisten Bilder sind erhalten), war sehr begeistert von dem kleinen Ding. Der Produktionsaufnahme stand nichts mehr im Weg. Oder doch? In Barnacks Werkstattbuch steht unter dem August 1914 lakonisch: KRIEG! Die europäischen Mächte setzten mal wieder auf Gewalt für die Lösung ihrer Probleme und versagten beim Krisenmanagement total. Dadurch musste die Serienfertigung des Wunderdings elf lange Jahre warten. Die Patentanmeldung wurde zurückgewiesen, weil sie nach Ansicht des Kaiserlichen Patentamtes ein Zeiss-Patent und ein französisches Patent berührte. Lediglich Gebrauchsmusterschutz wurde gewährt, der 1923 auslief. Nach Recherchen von Ulf Richter ist die Ablehnung des Patentes nicht gerechtfertigt, es handelt sich bei der Ur-Leica um eine ganz eigenständige Konstruktion. Der Erfolg spricht eine eindeutige Sprache: Von 1925 bis 1960 wurden 800 000 Leicas hergestellt und verkauft.

Unterbrechung für 6 Jahre. Es gab mit beginnendem Krieg andere Aufgaben. Die Firma Leitz wurde in die Kriegsproduktion einbezogen, hauptsächlich für Feldstecher und Artillerie-Messfernrohre. Erfahrene Facharbeiter wurden eingezogen, ungelernte Frauen mussten die Kriegsfertigung mehr schlecht als recht bewältigen. Barnack war wegen seiner labilen Gesundheit vom Wehrdienst befreit, hatte aber mehr als genug zu tun. Verbesserungen für seine Kleinbildkamera wurden von ihm auf viele Zettel notiert, immer mit Skizzen. Er dokumentierte das Kriegsgeschehen an der Heimatfront mit vielen Fotos, zuerst den Hurra-Patriotismus der ins Feld ziehenden Truppen, zum Schluss die geschlagenen heimkehrenden Soldaten. Das war Bildreportage in neuer Form mit Hilfe der handlichen, schnellen Kamera. Die Leica (noch hieß sie nicht so) wurde von Anfang an zum Maßstab.

Wie geht es nach dem Krieg weiter? Für die Fabrikationsreife mussten noch folgende Aufgaben gelöst werden: Konstruktion eines Entfernungsmessers (da die Mattscheibe entfallen ist), eines in der Schlitzbreite verstellbaren Rouleau-Verschlusses, von Kassetten, die Tageslichtwechselung des Films möglich machen, eines verbesserten Suchers und vor allen Dingen eines neuen Objektivs bester Qualität, das die 10-fache lineare Vergrößerung der Bildchen ermöglicht.

Bild 9. Der Abbildungsfehler "Astigmatismus" ist eine physikalische Eigenschaft einfacher Linsen.

Bild 10. Der Leitz-Anastigmat, 1920 patentiert, bestehend aus einem Paket von vier Linsen, die den Abbildungsfehler "Astigmatismus" beseitigten. Lichtstärke 1:3,5, Brennweite 50 mm. Lichtstärke eines Objektivs:  Quotient aus maximal möglichem Durchmesser der Eintrittspupille und der Brennweite. Eintrittspupille: reelle oder virtuelle Öffnung, die die in ein optisches System einfallenden Strahlenbündel begrenzt.

Das erste Objektiv für Barnacks neue Kamera. Ein erster wichtiger Schritt war die Entwicklung eines Objektivs speziell für die Leica. Das Summar war nur eine Behelfslösung, um überhaupt die Konstruktion der Kamera auf den Weg zu bringen. Barnack hatte schon auf die Mängel hingewiesen: mangelnder Kontrast, Randunschärfe. Dr. Max Berek (1886-1949), naturwissenschftlich gebildeter Optik-Spezialist entwarf und berechnete das Objektiv, genannt Leitz-Anastigmat, das die Leica-Kameras bis zur Serien-Nr. 279 ausrüsten sollte. Es ist ein Vierlinser, das den Astigmatismus ausschaltet, ein Triplet mit verkitteter Hinterlinse mit sechs Luft-Glas-Flächen; die optische Baulänge war kürzer als ein Drittel der Brennweite und konnte sehr gut mit dem Tubus in den Kamerakörper geschoben werden. Die Berechnung eines derartigen Objektivs war damals noch sehr aufwändig: Diverse Strahlengänge von Punkten nahe oder abseits der optischen Achse mussten für drei Wellenlängen und sieben brechende Flächen durchgerechnet werden, alles noch per Hand mit Hilfe von Logarithmentafeln. Optimierende Computer-Programme lagen noch in ferner Zukunft. Leitz erhielt das Patent Nr. 343086 auf den Anastigmat im Jahr 1920 zugesprochen. Er erhielt noch keinen Eigennamen, später wurden daraus das Elmax (nach Ernst Leitz, Max Berek) und das Elmar.

Soll die Kleinbildkamera in Serie produziert werden? Barnack bekam ein "Handmuster" mit dem neuen Objektiv. Er sammelte jede Menge Erfahrungen damit, führte Verbesserungen ein. Eine "Nullserie", d.h. Versuchsserie von 31 Stück wurde gefertigt. Hatte Barnack 1913 allein begonnen, so sind ab 1920 Ernst Leitz II und Max Berek mit im Boot. Ernst Leitz musste jetzt handeln. 1924 drohten die bisherigen Abnehmer seiner wissenschaftlichen Optik-Instrumente auszufallen. Sollte er das neue Wunderding als Serienfertigung einführen? Im Juni 1924 war die entscheidende Besprechung, die darüber Klarheit schaffen sollte. Anwesend waren Barnack, Betriebsdirektor Bauer, Berek, Verkaufsleiter Türk und Marketingleiter Becker. 1951, zu seinem 80. Geburtstag berichtete Ernst Leitz II über dieses Gespräch im Rundfunk: Ich sagte: Herr Barnack hat mehrere Apparate gebaut, kleine, immer besser, ich habe sie gesehen, habe sie mit nach Amerika genommen, um zu sehen, was man damit erreicht. Eines Tages mussten wir uns entscheiden, ob wir diese Apparate machen sollten. Die meisten der anwesenden Herren sprachen sich gegen die Serien-Fabrikation aus. Viele Argumente wurden ausgetauscht. Wir kamen zu keinem Resultat, zu keiner Einigung. Einige unterstützten mich. Da sagte ich: Wir machen jetzt Schluss, ich entscheide hiermit, es wird riskiert.

Seine Entscheidung hat sich als völlig richtig erwiesen, weil er gewagt hatte, große Mittel für die Realisierung der genialen Erfindung von Oskar Barnack einzusetzen. Erfinderbegabung und Unternehmergeist hatten sich in mustergültiger Weise zusammen getan. In der Fachpresse wurde die Produktionsentscheidung mit einem "Ritt über den Bodensee" bei trügerischem Eis verglichen. Produktionsleiter Bauer hatte gegen die Fabrikation gestimmt. Jetzt, da die Entscheidung gefallen war setzten er sich und die ganze Belegschaft mit Elan für das Gelingen des großen Vorhabens ein. Barnack hatte sich vorerst noch die Aufsicht über die letzten Schritte der Montage vorbehalten; mit großem Fingerspitzengefühl glättete er noch so manchen Schnitzer, und alles wurde gut.

Wie soll das Wunderding denn heißen? Der Name musste eingängig, einprägsam, leicht zu merken sein. "Barnack-Kamera" wurde verworfen, "Leca" brachte einen Konflikt mit dem französischen Apparat EKA, die Entscheidung fiel dann für den wohlklingenden Namen "LEICA". Bravo!, könnte man ihnen zurufen, der war wirklich gut.

Vorstellung und erste Erfolge. Auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1925 wurde die revolutionäre Kamera vorgestellt. Einige bezeichneten sie als Spielzeug, es gab Spott, Vorurteile und abfällige Bemerkungen, man konnte sich einfach nicht vorstellen, dass aus 24X36 mm großen Negativen vernünftige, brillante Vergrößerungen werden könnten. Die Kritiker sollten alle Unrecht haben. Die Leica wurde sofort ein einschlagender Erfolg.

Bild 11. Der Namensgebungsprozess dauerte fast drei Jahre. "LEICA" für LEITZCAMERA war sehr einprägsam. (Bild entfernt wg fehlender Genehmigung, 25.4.13). 1924 hieß die Kamera "Barnack-Kamera", 1925 "Leca" und 1926 dann endlich "Leica".

Schon 1925 betrug der Umsatz mit der Leica 5% vom Gesamtumsatz der Firma, 1927 10%, 1928 23%, 1930 46% und 1933 70%. Sie kostete 1928 zwischen 220 und 290 RM, je nach Ausstattung. Das Durchschnitts-Einkommen aller Deutschen betrug zu dieser Zeit 165 RM pro Monat. Bis 1931 waren schon 70 000 Stück verkauft, bis Ende 1935 183 000. Die Leica war ein einzigartiges fotografisches Werkzeug, eine echte technische Revolution. Sie eröffnete der Fotografie ganz neue Perspektiven. Die Bilddokumentation sagte mehr als jede wortreiche Beschreibung eines Ereignisses. Der Betrachter hatte sofort das Gefühl, selbst dabei gewesen zu sein. Ab etwa 1929 sah man die Leica überall, auch in der Hand von Engländern, Amerikanern, Franzosen ...man sieht sie bei allen touristischen Sehenswürdigkeiten, sie ist die ausgesprochene Reisekamera. 1925 war der Anteil des Exports am Gesamtfotoumsatz bereits 47%, 1930 46%, 1933 46%. Und die Fotografen, Amateure und Profis verlangten immer mehr und bessere Möglichkeiten bei schlechten Lichtverhältnissen, bei schnell bewegten Objekten, bei Sportereignissen, für Nahaufnahmen und Sternbeobachtungen, es war, als wenn die Menschen von einer Sucht ergriffen wurden. Die Kamera eröffnete den Fotografen völlig neue Perspektiven: die flexible Bildfindung, das Einfangen von Momenten. Es war eine grenzüberschreitende Revolution, die die Sicht auf die Dinge grundlegend veränderte. Sie bildete die Wirklichkeit ab und stieß somit gesellschaftliche Veränderungen an.

Dabei musste die Firma Leitz ganz neue, für sie ungewohnte Vertriebsmethoden anwenden. Die bisherigen Optik-Produkte wurden direkt an die Behörden, Institute oder Kliniken verkauft, es gab dafür keinen Einzelhandel. Der Leica-Werber Baumann hielt weltweit Lichtbildvorträge, um den Fotohandel zu überzeugen. In England gelang ein besonderer Coup. Man bat einen bekannten engluschen Pressefotografen ins Werk nach Wetzlar, schulte ihn mit der Leica und schickte ihn als "lecturer" zrück nach London. Dann gab es auf Londoner Doppeldeckerbussen Aufschriften wie: "How do you like a LEICA? See Wallace Heaton!" Der war ein großer Fotohändler in London. Die Folge war, dass der Absatz in England größer wurde als in den USA. Auch in Berlin funktionierte es auf ähnliche Weise. Sie schickten einem Fotochemiker eine Leica zur Begutachtung. Nach anfänglicher Zurückhaltung war er so begeistert, dass er schnell zu einem Multiplikator der Botschaft wurde.

Bild 12. Das sind sie, die Leica-Pioniere: ideenreicher Erfinder ... väterlicher Freund und Visionär ... Mann mit Unternehmergeist.

Bild 13. Die Leica I von 1925, damals schon eine schlichte, klassische Schönheit, mit Elmar-Objektiv.

Bild 14. Leica I, 1925, mit Elmax-Objektiv.

Bild 15. Die Bergsteiger mit ihrem schweren Gepäck; die kleine, schnelle, handliche Leica kam ihnen gerade recht. Ihnen gelangen faszinierende Bilder der Berge. V.l.n.r.: Der Bergkraxler; G.O. Dyhrenfurth, Himalaja 1934; Drei Zinnen; Piz Palü; Castor und Pollux; Wildspitze. Anmerkungen zu Dyhrenfurth: Das schlesische Bergsteiger-Ehepaar Hettie und Günter Oskar Dyhrenfurth bekam 1936 die Olympische Goldmedaille für herausragende alpinistische und wissenschaftliche Leistungen im Himalaja 1934. Doch die Nazis hatten ihnen übel mitgespielt: Sie mussten den Deutschen Alpen-Verein verlassen - weil sie Juden waren. Sie emigrierten in die Schweiz und wurden Schweizer Staatsbürger. Am 16.8.1936 wurden ihnen die Medaillen (in Abwesenheit von Frau Dyhrenfurth) im Berliner Olympia-Stadion überreicht. Sie sind jedoch weder im deutschen, noch im Schweizerischen Olympia-Buch verzeichnet.

Bild 16. Der große Ideenschmied Oskar Barnack in seiner Wetzlarer Werkstatt. Es ist der 19.3.1934. Die Leica III war ein Jahr alt.

Bild 17. Die technische Evolution der LEICA: Sucher, Entfernungsmesser, Verschluss und natürlich das Objektiv mit immer größerer Lichtstärke.

La Leica - capricieuse comme une jolie femme. Die Leica eilte also von Erfolg zu Erfolg. Lassen wir mal Oskar Barnack selbst erzählen, was sie ist (aus dem Heft "Die Leica", Mai-Juni 1931): Zunächst mal muss ich mich der Leica wegen entschuldigen (!). Ich denke an die vielen Plackereien und Scherereien, die so mancher Fotojünger mit dieser merkwürdigen Kamera erlebt hat. Der neuzeitliche Kram, der perforierte Film, der immer gleich einreißt (wenn man ihn falsch einlegt), die Kamera, die niemand verstehen kann, die Filmkassetten, die die Mitmenschen ärgern! Ich komme mir wie ein Übeltäter vor. Vorher war alles so schön geklärt und geregelt. Man hätte alles so lassen sollen. Einer wollte mir sogar in seinem Zorn die Kamera an den Kopf schmeißen. Die Leica ist nun mal ein etwas empfindliches Geschöpf. Ein Franzose bezeichnete sie als "capricieuse comme une jolie femme". Bei falscher Behandlung wird sie sofort renitent, und mit Gewalt ist bei ihr gar nichts zu erreichen. Die große Mehrheit jedoch hält die Gebrauchsanweisung nicht so ganz für überflüssig. Es gibt sogar Fälle, dass mit ein und derselben Leica über 100 000 Aufnahmen in einem Jahr geschossen wurden, ohne die geringste Störung.  Solch ein Leica-Besitzer meistert sein Handwerk. Die Leica ist die vielseitigste und die am universellsten verwendbare Kamera.

Wie hatte Barnack das Angebot aus Wetzlar im Jahre 1910 beantwortet? Es kann einem Geschäft nicht angenehm sein, wenn ein junger, sich in eine neue Materie einzuarbeitender Angestellter sich alle Jahre ein bis zwei Monate aus Gesundheitsgründen beurlauben lassen muss. So legte er seine persönliche Situation dar. In der Einschätzung der Folgen hat er sich total geirrt. Ernst Leitz I und Ernst Leitz II haben jedoch diese Offenheit belohnt, haben sich in ihrer Einschätzung der Fähigkeiten des jungen Mannes nicht geirrt und haben es nicht bereut, ihn eingestellt zu haben.

Bild 18. Der Erfolg der Leica lag auch an den parallel entwickelten Zusatzgeräten, wie z.B. Vergrößerungsgeräten, hier der Leitz-Focomat.

Die Entwicklung ging immer weiter. Um die Kamera zu einem universellen System auszubauen, mussten externe Zusatzgeräte, die es noch nicht gab, entwickelt werden: Entwicklungsgeräte für die kurzen Filmstreifen, Kopier- und Vergrößerungsapparate, Projektoren für Dias. Die schnelle Aufnahmebereitschaft der Kamera allein reichte eben nicht aus. 

Hinzu kamen die notwendigen Verbesserungen an der Kamera selbst. Lassen wir da einfach mal ein paar Patente sprechen, die Barnack zuerteilt bekam: Unokularer Basisentfernungsmesser 1921, Kupplung von Filmtransport m. Verschlussaufzug 1922, verstellbarer Schlitzverschluss 1924, Rollfilmkassette 1929, mit dem Objektiv gekuppelter Entfernungsmesser 1933, Schlitzverschluss mit ungleichzeitig ablaufenden Vorhängen 1933, Kupplung des Objektivs mit dem Entfernungsmesser 1931, Schlitzverschluss m. Langzeiteinstellung 1933, Betätigungsvorrichtung für die Rückwickelspule 1931, Berührungsfreie Filmführung in der Kamera 1932, Schnellrückspulung 1934, Schlitzverschluss m. Hemmwerk 1934, und noch viele mehr. Auf Barnacks Konto gehen insgesamt 56 Patente (nicht in allen wurde er als Erfinder benannt).

 

 

Bild 19. Die Konkurrenz schläft nicht. Die Contax I von 1932 war längst nicht so griffig wie die Leica und hatte viele Kinderkrankheiten. Bei Zeiss war eben kein Oskar Barnack zugange.

Die Konkurrenz erwacht. Der größte deutsche Kameraproduzent, die Zeiss-Ikon AG in Dresden sah mit Sorge den steigenden Erfolg der Leica. Die kleinsten Kameras im eigenen Sortiment hatten das Format 4,5x6 cm. 1930 brachte man die Baby-Ikonta heraus mit einem Format von 3x4 cm. Die wurde als Leica des kleinen Mannes angepriesen. Sie war noch eine „alte“ Kamera mit herausklappbarem Objektiv, weil man die Leica-Patente nicht verletzen konnte. Aber im Sommer 1932, als die Leica II vorgestellt wurde, erschien die Contax I, die in allen Details anders war. 1936 waren erst alle Kinderkrankheiten ausgemerzt, als die Leica IIIa herauskam und ihren Vorsprung ausgebaut hatte.

Der Weg ganz nach oben. Der Bruch mit alter Tradition, die völlig neuartige Konstruktion und die hohe Qualität – das waren die Gründe für den rasanten Aufstieg. Die Leica traf aber auch auf einen immer stärker werdenden Wunsch der Menschen, ohne Mühe das gerade ablaufende Ereignis sofort im Bild festzuhalten. Und für die Bildreporter wurde immer klarer, dass die fotografisch erzählte Geschichte die Wortreportage in der Beliebtheit ablöste. Es war etwas gänzlich Ungewohntes, die Kamera in der Jackentasche mitzuführen.

Die Beurteilungen in den Fachzeitschriften steigern sich sehr schnell von skeptisch, abwartend auf gut, sehr gut, ausgezeichnet; die leistungsfähigste Kamera (1931); Universalkamera, hervorragendes Werkzeug für den anspruchsvollen Fotografen; in jeder Richtung eine Neuschöpfung, verdrängte alle Vorläufer, in allen Einzelheiten durchgearbeitetes Präzisionswerk, ein neues Zeitalter der Fotografie einleitend (1938). Viele Plattenkamera-Fans stiegen auf die Leica um und wollten nicht mehr von ihr lassen. Erst die Leica machte es möglich, dass man das Bild selbst als Nachricht verwenden konnte. Den Reportern liegt sie in der Hand wie die Brille auf der Nase.

Bild 20. Sie versuchten es, schafften aber nur grobe Nachbauten, der Feinschliff des Oskar Barnack fehlte. Die Leica und etwas später auch die Contax prägten die Kleinbildfotografie weltweit, ihre effiziente Arbeitsweise war vorher nicht möglich. So entstand der Anreiz, Kopien und sogar Fälschungen herzustellen. Kosten und Zeit, eigene Prototypen anzufertigen, entfielen auf diese Weise. Ab 1934 bis in die 1970er wurden über 300 verschiedene Kopien, z.T. in großen Stückzahlen produziert. Nach 1945 begann man in vielen Ländern mit der Massenherstellung von exakten Kopien, die oft vom Original nicht zu unterscheiden waren. Die Japaner waren die ersten, die, ausgehend von der Kopie, eigenständige Kameramodelle mit vielen Weiterentwicklungen herstellten.

 

Bild 21. Plagiate der Leica III in Japan und China im Jahre 1951.

 

Bild 22. Auch die deutsche Contax von Zeiss Ikon war das Ziel von Plagiatoren in Japan und der UdSSR.

 

Bild 23. In der Ukraine stellte man 1960 eine Kopie der Contax III her.

 

Nachbauten. Man könnte auch Plagiate sagen. Die gab es schon seit 1932, z.B. in der Kommune F.E. Dzerzinski, die dann als sowjetische Leica, die FED propagiert wurde. Der Unterschied war greifbar, es fehlte die Präzision und die jahrzehntelange Erfahrung, das ganz besondere Barnack´sche Fingerspitzengefühl. Es soll 300 verschiedene nachempfundene Leicas gegeben haben.

Jubiläumsgeschenke. Ernst Leitz schenkte berühmten Leuten Jubiläums-Nummern der Leica: 1928 Nr. 10 000 Hugo Eckener, Luftschiffpionier. 1929 Nr. 25 000 Sven Hedin, Asienforscher. 1932 Nr. 75 000 August Piccard, Stratosphärenforscher. 1933 Nr. 125 000 Günter Dyhrenfurth, Himalajaforscher. Mit diesen ganz besonderen Geschenken würdigte Leitz nicht nur deren Leistungen, sondern ebenso das Lebenswerk des Oskar Barnack, der der Firma zu solchem Ruhm verholfen hatte. Aber es gehörten ja zwei dazu: Barnacks Erfindergeist und Leitz´ Unternehmergeist.

Oskar Barnacks Leben geht zu Ende. Anfang der 1930er hatte sich die Leica am Markt endgültig durchgesetzt. Aber der unermüdliche Werkmeister Barnack musste immer wieder aus Gründen seiner sehr schwachen Gesundheit eine Kur in Bad Nauheim oder Bad Ems machen. Er unternahm auch noch ein paar schöne Reisen, von denen er mit gestochen scharfen Leica-Bildern aus den bayrischen Alpen zurückkam. Er war auch ein Fotograf mit dem richtigen Blickwinkel. Ab Sommer 1935 ging es ihm immer schlechter. Er konnte seinen ersten Enkel noch mit seiner Wunder-Kamera fotografieren. Er feierte noch am 2. Januar 1936 sein 25-jähriges Betriebsjubiläum, war aber schon von einer Lungenentzündung schwer gezeichnet. Zwei Wochen danach hatte die Krankheit über ihn gesiegt. Er wurde nur 57 Jahre alt. Er ruht auf dem Alten Friedhof in Wetzlar, ein unbearbeiteter Feldstein … die Erinnerung bleibt an dieses große Erfindergenie. Ernst Leitz fasste seinen Dank so zusammen: Wir haben mit ihm gearbeitet in Kriegs- und Friedenszeiten. Wir haben uns erfreut an seiner Schaffenskraft. Wer je in seine Augen gesehen hat, erblickte einen Menschen besonderer Prägung und feiner Art, der durch seine Veranlagung fähig war, etwas Neues, Großes zu schaffen. Er hat damit der Fotografie, jener schönen Kunst der Menschen einen neuen Auftrieb gegeben, der sich auf alle Länder der Erde verbreitet hat; überall kennt man seinen Namen und sein Werk. Sein guter Geist wird auch fernerhin unter uns wirken. Sein Andenken wird stets in höchsten Ehren gehalten.

Ernst Leitz II hat ihn um 20 Jahre überlebt. 1950 hielt er die Leica Nr. 500 000 in den Händen. Seine Entscheidung im Juni 1924 war aus damaliger Sicht ein großes Wagnis; aber sie war gut vorbereitet. Die Produktionszahlen beweisen, dass die Entscheidung richtig war. Die Kamera hat die Fotografie im 20.Jahrhundert wie keine andere beeinflusst. Sie hat den Standard gesetzt. Die Fantasie des Erfinders und der Unternehmergeist seines Direktors überwanden die Grenzen und Schranken des Althergebrachten.

Bild 24. Eine sehr schöne Erinnerungsmedaille.

Ehrungen. Die American Society of Magazine Photographers verlieh ihm 1969 The Special Posthumous Award for developing the concept of the Leica Camera, the first 35mm miniature camera capable of fulfilling professional requirements (ganz stimmt die Aussage nicht; er hat nicht nur das Konzept der Leica entwickelt, sondern sie auch gebaut). Die Firma Ernst Leitz ließ zum 100. Geburtstag Barnacks eine schwere Gedenkplakette gießen. Frau Elsie Kühn-Leitz ließ ihm zu Ehren Anfang der 1980er in dem kleinen Wetzlarer Park gegenüber dem Verwaltungsgebäude der Firma einen Gedenkstein aufstellen. Recherchen haben ergeben, dass es leider nur ein Postwertzeichen gibt: von den Federated States of Micronesia, 2000. Warum eigentlich nicht von der Deutschen Post?

 

 

 Bild 25. Die einzige Leica-Briefmarke kommt aus den Föderierten Staaten von Mikronesien.

Ernst Leitz sagte 1936: Sein guter Geist wird auch fernerhin unter uns wirken. Hat er das wirklich? Erwuchs der Firma ein neuer Oskar Barnack, der mit Althergebrachtem brach, als es um Spiegelreflex-Technik ging oder als das digitale Zeitalter auch die Fotografie erneut zu revolutionieren begann? Hat die Firma diese neuen Entwicklungen verschlafen? Wo waren die Firmenchefs, die wie Ernst Leitz II im Jahr 1924 entschieden: Wir riskieren es?

 

 

 

 

 

 

...

Bild 26. So wird uns Oskar Barnack in Erinnerung bleiben. Bild 27. Das Oskar-Barnack-Museum in Lynow, seinem Geburtsort, Gemeinde Nuthe-Urstromtal/Brandenburg.

 

Ein Nachruf auf Ernst Leitz II. Viele Erfinder- und Entdeckergeschichten sind durch wunderbare Symbiosen charakterisiert, d.h. durch Zusammenarbeit verschiedener Personen zum gegenseitigen Nutzen. So konnte Haber seine Ammoniaksynthese nicht ohne Bosch verwirklichen, Hahn brauchte Lise Meitner, Abbe konnte ohne Zeiss nichts ausrichten, Daimler war ohne Maybach hilflos, und Benz wäre wahrscheinlich ohne seine Frau Bertha gescheitert. 

Auch im Falle Barnack und Ernst Leitz II kann man von solch einer Symbiose sprechen. Die große Erfindung der Kleinbildkamera ist eine Sache, doch ohne die unternehmerische Entscheidung, das Wunderding in die Serienfertigung zu übernehmen, wäre Barnacks Innovation im Sande verlaufen. Und ohne die großartige Erfindung wäre Leitz in der Wirtschaftskrise Ende der 1920er bankrott gewesen. Leitz´ unternehmerische Fähigkeiten sind bekannt, seine Visionen und seine Bereitschaft, große Risiken einzugehen. Aber was für ein Mensch war er? Wie tickte er? Die nachfolgende Geschichte, veröffentlicht im SZ-Magazin 5/2007, ist geeignet, die menschlichen Eigenschaften dieses Mannes zu beleuchten und wert, hier angefügt zu werden.

Ernst Leitz, NSDAP-Mitglied, der Oskar Schindler der Fotografie, rettete Juden vor den Nazis, und keiner wusste es. Und das kam so: Die Firma Leitz galt als nationalsozialistischer Musterbetrieb. Er lieferte Steuerungssysteme für die V2-Rakete, Leicas für Armee und Luftwaffe. Propaganda-Minister Goebbels ließ mit Leicas ausgestattete Einheiten 1939 in Warschau Aufnahmen von den „entarteten Juden“ machen, die dann den Fotos der blonden Herrenmenschen gegenübergestellt wurden. Trotzdem verlieh die amerikanische „Anti-Defamation-League" posthum im Februar 2007 ihren „Courage to Care Award" an Ernst Leitz, der 1956 starb. Die Begründung dazu lautete: „Deutscher Gründer des Leica Camera-Freedom Train wird geehrt für die Rettung hunderter Juden vor den Nazis“. In der US-Presse hieß es: The greatest invention of the Leitz family: The Leica Freedom Train. Nach Hitlers Machtübernahme benutzte der Firmenpatriarch einen einfachen Trick, um jüdische Menschen zu retten. Er engagierte in seinem Betrieb in Wetzlar Juden als Lehrlinge, die er dann nach erfolgter Ausbildung nach New York in die Leica-Filiale schickte oder in assoziierte Betriebe in USA. Er bezahlte die Reisekosten und stattete sie mit Empfehlungsschreiben leitender Angestellter aus. Norman Lipton, 1938 bis 1940 Angestellter bei Leica New York, sah alle paar Wochen, wenn die Bremen oder Europa am Pier anlegte, 20 bis 30 müde Männer und Frauen im Büro sitzen, mit Gepäck und einer Leica um den Hals. Die wurden dann ins Hotel verfrachtet, bis man für sie eine Stelle bei Leica oder anderen Fotobetrieben gefunden hatte.

Bild 28. Ernst Leitz II, der Oskar Schindler der Fotografie. Nicht nur großer Unternehmer, sondern auch Gutmensch.

1967 machte sich Lipton daran, seine ehemaligen jüdischen Kollegen zu suchen, um deren Geschichte zu veröffentlichen. Er interviewte auch Günther Leitz (1914-1969) in Wetzlar, den jüngsten Sohn von Ernst Leitz II. Der gab ihm aber eine überraschende Antwort: Ich möchte nicht, dass die Geschichte zu meinen Lebzeiten veröffentlicht wird. Mein Vater tat, was er konnte, er fühlte sich für seine Angestellten verantwortlich. Lipton beugte sich diesem Verdikt widerstrebend. Aber er recherchierte weiter, sammelte diverse Belege, Briefe und zeigte sie (er war jetzt 80) 1997 dem Rabbi Frank Dabba Smith.

Smith besuchte den 70-jährigen Knut Kühn-Leitz, den Enkel von Ernst II. Sein Großvater hatte ihm nie etwas über die Flucht der jüdischen Lehrlinge erzählt. Er hatte ein Motto: Tu Gutes, aber rede nicht darüber. Das passte sehr gut zu dem streng protestantisch erzogenen Großvater aus Baden. 1942 zog sich die Schlinge um seinen Hals immer weiter zu. Die SA hatte er als braune Affen bezeichnet. Den Nazis war er schon lange ein Dorn im Auge, weg mit diesem widerlichen Demokraten! Seine Tochter Elsie und sein Verkaufsleiter Alfred Türk wurden von der Gestapo verhaftet, weil sie von einem Denunzianten im Werk verraten wurden. Ernst bekam sie in Berlin nur mit Mühe frei. Als er kurz vor der Enteignung stand, sah er nur eine Möglichkeit, das Schlimmste zu verhindern: den Eintritt in die Nazi-Partei 1942. Die Recherchen ergaben, dass er über die gesamten 1930er-Jahre hinweg Juden in seiner Fabrik eingestellt und ihnen zur Flucht ins Ausland verholfen hatte. Dass Leitz seine Taten nur so unzureichend dokumentierte, hat für Smith nur einen Grund: Er wollte kein Held werden.

 

Was wurde aus der Leica?

 

Bildnachweis

Bild 1:  Wikipedia, Urh Leica Microsystems CC-BY-SA 3.0. Bild 2:  Selbstportrait Barnack, ca. 1914, Schutz abgelaufen. Bild 3:  Wikipedia, Urheber  Janez Novak, CC-BY-SA 3.0. Bild 4: aus dem Web, Urheber Martin H. Evans, 2010. Bild 5: Foto Hans Bejenke, Sattelpeilnstein, 1995, Erlaubnis erteilt. Bild 6: Eigenes Foto mit Skizze. Bild 7: Wikipedia, Urheber Leica Microsystems, CC-BY-SA 3.0. Bild 8, 14, 24, 26, 27: eigene Fotos 6-2013, mit freundlicher Genehmigung Barnack-Museum, Lynow, Landkreis Teltow-Fläming. Bild 9: Wikipedia, Urheber der Skizze Michael Schmid, CC-BY-SA 3.0, eigene Ergänzungen. Bild 10: eigene Skizze.  Bild 11: gelöscht. Bild 12, 13: Aus div. Websites. Bild 15,1: Die Bergkraxler, München 1916. Bild 15,2: aus Zuehlke-Kruckenhauser: Das Bergbild mit der Leica, Rother, 1938. 15,3, 4, 5, 6: aus: Die Alpen, Hrsg. H. Schmithals, Wasmuth 1926. Bild 16: aus Camerapedia u.a. Schutz abgelaufen. Bild 17,1, 2 und 19: Wikipedia, Urheber Rama, CC-BY-SA 3.0. Bild 17,3: Wikipedia, Urheber Holger.Ellgaard, CC-BY-SA 3.0. Bild 17,4: Wikipedia, Urheber Rshino, CC-BY-SA 3.0. Bild 18: Wikipedia, Urheber Magnus Manske, CC-BY-SA 3.0. Bild 25: public domain. Bild 28: Auf div. Websites veröffentlicht. Schutzfrist abgelaufen. Bilder 20, 21, 22, 23: Eigene Fotos im Deutschen Technikmuseum Berlin, 8/2013. Freundliche Genehmigung für heureka-stories.de vom 2.9.2013 von Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin, Abt. Presse- und Oeffentlichkeitsarbeit, http://www.sdtb.de/. Auch rückwirkende Genehmigung für früher gemachte eigene Bilder.

 

Oskar Barnack - Jugend und Werdegang

Volksschule - Mechanikerlehre - Wanderschaft als Handwerksbursche

Bild 1. Oskar Barnacks Geburtshaus, der Bauernhof seiner Eltern in Lynow/Mark Brandenburg, Merzburger Straße.

Geboren in Brandenburg, Schule in Berlin. Geboren wurde er 1879 in Lynow, gelegen im Baruther Urstromtal, 40 km von der südlichen Berliner Stadtgrenze entfernt. Seine Eltern bewirtschafteten einen kleinen Bauernhof, der nicht viel hergab, weil das Land karg und sandig ist. Das ist auch der Grund, warum die Familie 1882 nach Berlin-Lichterfelde umzog. Der Vater betätigte sich als Heilkundiger und betrieb technische Basteleien.Oskar sah ihm fasziniert zu, bekam so seine ersten Anregungen, und eine erste Weichenstellung hin zu einem technischen Beruf ist unverkennbar. 1885 kam er in die noch heute existierende Giesensdorfer Schule, in deren Nähe 1959 eine Straße ihm zu Ehren in "Barnackufer" umbenannt wurde. Das Kraftwerk Lichterfelde am Teltowkanal ist ganz in der Nähe.

Bilder 2-7. Die Zeit um 1890 - große Dinge taten sich in Berlin. Sie blieben nicht ohne Einfluss auf den jungen Oskar Barnack.

Bild 8. Schulbänke anno 1890 - Schiefertafel, Griffel und Schwamm.

Feinmechanikerlehre. Es war die große Zeit der Technik-Begeisterung, und da ist es kein Wunder, dass Oskar in der Volksschule (heute Grundschule) schon für Mathematik und die Naturwissenschaften eine besondere Neigung entwickelte. Hermann von Helmholtz, der Reichskanzler der Physik, hielt eine große Rede auf Joseph von Fraunhofer. Es wurde die Physikalisch-Technische Reichsanstalt gegründet, Siemens & Halske, AEG machten von sich reden, auch Otto Lilienthal und Robert Koch. Überall gab es Vereine von Anhängern wissenschaftlicher Erkenntnisse. Oskar machte es nichts aus, dass die Schulbänke hart, die Lehrer streng waren und die Schüler forderten. Mit 14 machte er seinen Volksschulabschluss und begann mit Lust und Liebe eine Feinmechanikerlehre beim Meister Julius Lampe in der Boothstraße, ganz in der Nähe.

Fotografie - ein erster Funke zündet. Von der Ausbildung wird berichtet, dass sein Meister ihm ein halbes Jahr von den vier Lehrjahren erlassen hat, weil er alles schon beherrscht habe. Es war während seiner Lehre, dass Oskar Interesse für die Fotografie und deren Technik entwickelte, als er davon hörte, dass Ottomar Anschütz einen Projektor für bewegte Bilder erfunden hat, die sich die Leute für einen Groschen anschauen konnten. Auch Lilienthals Flugversuche in Lichterfelde wurden von Anschütz fotografisch festgehalten. Davon hat Barnack sicherlich erfahren, da er später Fotografie und Luftfahrt gut verbinden konnte.

Bild 9. Oskar in jungen Jahren.

Als Handwerksbursche zu Fuß bis Südtirol. Im Jahre 1897 zog er auf Wanderschaft; das war ein alter Brauch für Handwerksburschen, um die Welt kennenzulernen und neue Berufserfahrungen zu sammeln. Sie sprachen bei einem Meister vor: Meister, wir sind auf der Walz, hast du Arbeit für uns? Oskars Weg führte zuerst nach Bozen, wo er etwas gegen sein Asthma tun wollte, dann nach Wien bis nach Dresden, wo er in einer Feinmechaniker-Werkstatt eine Rechenmaschine auseinander nahm, reinigte, wieder zusammen setzte und neu justierte - sehr zum Erstaunen des Meisters. Er geht nach Berlin zurück, lehnt aber das Angebot seines alten Meisters Lampe ab, die Werkstatt zu übernehmen.

Nächste Station: Jena. Die Stadt, in der Ernst Abbe und Carl Zeiss die Herstellung von Mikroskopen, Fernrohren und Foto-Linsen auf eine exakte, wissenschaftliche Grundlage stellten. Durch Anwendung der pysikalischen Gesetze der Wellenoptik konnten hier optische Instrumente von bis dahin ungeahnter Präzision angefertigt werden. Carl Zeiss hatte 1902 Arbeit für Oskar Barnack, jetzt 22 Jahre alt, in der Mikroskop-Fertigung, die höchste feinmechanische Präzision erforderte. Hier lernte er den Ingenieur Emil Mechau kennen, der bei Zeiss einen Filmprojektor entwickeln wollte, aber mit seiner Idee kein Gehör fand und 1908 zu den Optischen Werken Ernst Leitz nach Wetzlar ging. Ihm folgte Barnack zwei Jahre später. Aber zunächst heiratete er 1903 seine Jugendfreundin Emma Leopold in Berlin-Lichterfelde. Sie bekamen zwei Kinder 1906 und 1908.

Seit Ende der 1890er ging Barnack seinem Hobby als Fotograf nach. Er nannte eine 13x18-Plattenkamera sein eigen, die er aus einer 9x18-Stereo-Kamera umgebaut hatte. Er war immer ein Bastler und Tüftler, der auch bei Zeiss immer bemüht war, die Erzeugnisse zu verbessern, auch wenn sie nicht in sein Arbeitsgebiet fielen. So baute er für seinen Freund August Leistenschneider den Montblanc-Druckbleistift "Pix". Er bemühte sich um eine Verbesserung seines sehr oft gebrauchten Schreibwerkzeugs, ein Druck auf den Kopf, die Mine kam ein Stück heraus, und das umständliche Anspitzen konnte er sich sparen. So erdachte er einen automatischen Brötchen-Fahrstuhl, der das frische Gebäck zu ihm in den zweiten Stock beförderte, sobald der Bäckerjunge die Ware in den Korb gelegt hatte. So enttarnte er einmal einen jungen Mann, der ihm ständig Schokolade aus der Tischschublade klaute. Er verband die Schublade über einen Schnurzug mit dem Auslöser einer versteckten Kamera - und der Dieb fotografierte sich selbst.

Bild 10. Eine Plattenkamera, ähnlich wie diese, schleppte Barnack in den Thüringer Wald, um Naturaufnahmen zu machen. Da wurde der Wunsch nach einer Kleinbildkamera immer stärker.

Er ist bei Zeiss jetzt auch in der Produktion von Fotoapparaten tätig. Da macht der Rollfilm von Kodak seine ersten Gehversuche, im Format 6x18 cm! Barnack versucht, daraus eine Kleinbildkamera zu machen, nach der Devise kleines Negativ, großes Bild. Aber die Körnung des Kodak-Films lässt es nicht zu. Zeiss hatte ab 1909 keine eigene Kamerafertigung mehr (Zeiss-Ikon wurde erst 1926 gegründet), die Firma konzentrierte sich ganz auf die Optik-Herstellung. Da Barnacks Interesse an der Fotografie ungebrochen war, schien es für ihn an der Zeit zu sein, den Arbeitgeber zu wechseln. Während seiner Ausflüge in den Thüringer Wald, auf denen er eine schwere Zeiss-Palmos-Plattenkamera mit schwerem Stativ mitschleppte, wo ihm sein Asthma schwer zu schaffen machte, ließ ihn die Idee, eine kleine Kamera für die Hosentasche zu bauen nicht los.

Bei Ernst Leitz in Wetzlar. Trotz seiner angeschlagenen Gesundheit durch den chronischen Bronchialkatarrh wagte Barnack 1911 den Schritt nach Wetzlar. Er fand bei Ernst Leitz sen. volles Verständnis für seine Lage, und es entwickelte sich fast ein Vater-Sohn-Verhältnis zwischen dem 68-jährigen und dem 31-jährigen, sogar mit gemeinsamem Urlaub im Schwarzwald. 1963, anlässlich eines Firmenjubiläums, wurde das bei Leitz so geschildert: Aus der Mark Brandenburg kam Oskar Barnack zu uns, auf dem Umweg über Jena. Seine Leistungen waren uns schon gut bekannt. Er war ein feiner, hochbegabter, bescheidener Mann. Dass er trotz seiner schwachen Gesundheit die für uns so bedeutende Entwicklung zu Ende bringen konnte, verdanken wir der liebevollen Betreuung durch Großvater Leitz. Er tat alles, um ihn bei Kräften zu halten und ihn glücklich zu machen. In Jena hatte Barnack die Erfahrungen erworben, die in Wetzlar gebraucht wurden.

Ernst Leitz I hatte die optische Werkstatt 1869 von einem Vorgänger übernommen, mit 7 Optikern und 10 Mechanikern. 1910 hatte die Firma "Optische Werkstätte Ernst Leitz Wetzlar" 947 Arbeitnehmer. Es gab eine mechanische und eine optische Werkstatt. Besonders die Leitz-Mikroskope hatte einen sehr guten Ruf. Robert Koch in Berlin bekam in Anerkennung seiner bahnbrechenden Arbeiten in der Bakteriologie das Mikroskop Nr. 100 000 von Leitz als Geschenk. Es wurden auch Untersuchungsapparate für Medizin, Mineralogie, Ferngläser, Projektionsapparate und Foto-Objektive hergestellt. Ab Januar 1911 leitete Barnack die Versuchsabteilung der Mechanischen Werkstatt. Entwicklung einer Linsenschleifmaschine, Justiereinrichtung für Feldstecher, Entwurf einer Tubendrehbank, Verbesserung diverser Werkzeugmaschinen, Mikroskopstative, Gasanzünder, Filmführung für Mechaus Filmkamera, Kompass für Panoramakamera... das sind seine ersten, in großem Tempo durchgeführten Arbeiten.

Die Welt war um die Jahrhundertwende sehr stark von dem Wunsch erfasst, alles Sichtbare fotografisch zu erfassen: Nah- und Fernaufnahmen, Luftaufnahmen vom Ballon oder Zeppelin. Auch die Bildjournalisten wollten das Zeitgeschehen dokumentieren. Die Zeit der schweren Plattenkameras mit Stativ drängte förmlich dem Ende entgegen. Oskar Barnacks Idee einer kleinen, überall einsetzbaren Kamera entsprach voll und ganz dem Wunsch sehr vieler Leute. 1913 war seine Idee einer kleinen, handlichen Kamera weit gediehen, er hatte das handwerkliche Zeug dazu, und er wurde in diesem privaten Vorhaben von Ernst Leitz wohlwollend unterstützt. Jawohl, er bekam von ihm nicht den offiziellen Auftrag: entwickle die Kleinbildkamera, sondern er stürzte sich zu Hause, neben seiner Arbeitszeit in dieses Vorhaben.

 

Die Kleinbildkamera - die ganze Geschichte

Was wurde aus der Leica?

 

 

Bildnachweis

Bild 1, 9: eigene Fotos 6-2013, mit freundlicher Genehmigung Barnack-Museum, Lynow, Landkreis Teltow-Fläming. Bilder 2-7: public domain. Bild 8: eigenes Foto 2005, alte Schule in Reckahn, Brandenburg. Bild 10: Eigenes Foto am 1./2.8.2011 im Deutschen Museum München, Gestattungsvertrag für Bildaufnahmen vom 12.7.2011.

Die Kleinbildkamera - Kurzinfo

Oskar Barnack (*1879 Lynow, †1936 Bad Nauheim) war ein deutscher Feinmechaniker. Er ist der Erfinder der Kleinbild-Kamera, der legenderen "Leica" (Kunstwort gebildet aus Leitz und Camera). Die Leica ist weltberühmt, doch kaum einer kennt Oskar Barnack. Dabei hat der clevere Kameraentwickler mit der Erfindung des Kleinbildformats 24 mal 36 Millimeter der Optikschmiede Leitz zu Weltruhm verholfen. Er ist heute noch sozusagen ein vergessener Pionier der Fotografie mit handlichen Apparaten.

Der aus Lynow, Gemeinde Nuthe-Urstromtal in Brandenburg stammende junge Mann machte zunächst eine Lehre als Feinmechaniker und arbeitete dann bei der Firma Zeiss in Jena. Weil er an Asthma litt, hatte er 1911 zunächst gezögert, als Werkmeister bei Leitz in Wetzlar anzufangen. Es ist sicher für die Firma nicht angenehm, wenn ein junger, sich in ein neues Gebiet  einarbeitender Angestellter sich alle ein bis zwei Monate krank schreiben lassen muss. Doch innerhalb eines Jahres wurde er zum Konstruktionsleiter für Mikroskope, dem Hauptgeschäftszweig von Leitz befördert.

Wodurch wurde er nun zum Erfinder der "Ur-Leica" im Jahre 1913? Seine Krankheit machte es dem Hobby-Naturfotografen sehr schwer, die Platten- und Großformatkameras zu transportieren und auf ein Stativ zu wuchten, sie hatten immerhin die Größe von Aktentaschen. Eine kleine Handkamera musste her. So entwickelte er in Privatarbeit in den Jahren 1913/14 einen kleinen Apparat, der mit auf kleinen Rollen gezogenem 35mm-Filmmaterial arbeiten konnte. Der erste Weltkrieg verzögerte jedoch die weitere Entwicklung. Der Wetzlarer Unternehmer Ernst Leitz zögerte lange, ob er das "Spielzeug" herstellen sollte. Doch 1924 entschied er, das Ding in Serie zu bauen. Auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1925 wurde es zum ersten Mal gezeigt und war geradezu eine Revolution.

Die handliche Leica wurde schnell zum Verkaufsschlager, und der Schnappschuss eroberte die Fotografie. Und weil erstmals ganze Bilderserien geschossen werden konnten, legte der Fotoapparat den Grundstein für den modernen Bildjournalismus.

Bis zu seinem Tod arbeitete der zurückhaltende, bescheidene Barnack in der Montage-Abteilung der Optischen Werke Ernst Leitz Wetzlar, beseitigte dort kleine Fehler und entwickelte Kamera und Zusatzgeräte weiter. Er liebte Musik, spielte meisterhaft Schach und fotografierte in der Natur. 1935 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand zunehmend, Anfang 1936 starb er im Krankenhaus in Bad Nauheim.

 

Barnacks Jugend und Werdegang

Die Kleinbildkamera - die ganze Geschichte

Was wurde aus der Leica?