Die erste Elektrolokomotive der Welt. Er war schon 62 Jahre alt, als seine Firma Siemens & Halske in Berlin 1879 die erste kleine Elektro-Lokomotive der Welt mit der Werksnummer 1 für den Braunkohlenbergbau "Stadtgrube" in Senftenberg baute. Die Rede ist von Werner von Siemens (*1816 Lenthe, †1892 Berlin). Neben der Gewerbe-Ausstellung in Berlin wurde die Lok auch in Brüssel, London, Kopenhagen und Moskau gezeigt und ist seit 2007 in der Außenstelle Theresienhöhe im Deutschen Museum in München zu bewundern.

Die Entdeckung des dynamo-elektrischen Prinzips im Jahr 1866 war es, die Siemens auf die Idee brachte, dass der elektrische Strom anstelle des Dampfes als Lokomotiv-Antrieb benutzt werden könnte. Der Bergbau bot sich dafür zunächst am besten an: Der lästige und gefährliche Rauch der Dampfloks konnte vermieden werden, die zu verlegenden elektrischen Leitungen waren in ihrer Länge begrenzt, und die Energie stand auf Knopfdruck sofort zur Verfügung. Nach der Entwicklung des dynamo-elektrischen Prinzips schrieb Siemens: Die Technik hat jetzt das Mittel erworben, durch Aufwendung von Arbeitskraft elektrische Ströme jeder gewünschten Spannung und Stärke zu erzeugen. Dies wird für viele Industriezweige von großer Bedeutung werden.

Damit war das Tor zur erfolgreichen deutschen Elektrotechnik weit aufgestoßen. Werner von Siemens (1888 erhielt er vom Kaiser für seine Verdienste den erblichen Adelstitel) war Gelehrter und Techniker zugleich, und hat als einer der ersten mit erfindungsreichem Geist den elektrischen Strom der Menschheit dienstbar gemacht, so steht es auf der Erinnerungstafel in der Ruhmeshalle des Deutschen Museums in München.

Jugend und Werdegang. Werner, das vierte Kind eines Gutspächters in Niedersachsen, hatte noch neun Geschwister, die die Kindheit überlebten. Die Kinder mussten schon in frühester Jugend auf dem Hof mitarbeiten, da dem Vater in landwirtschaftlich sehr schwerer Zeit der Erfolg weitgehend versagt blieb. Werner wurde von einem tüchtigen Hauslehrer unterrichtet, der es sehr gut verstand, ihm erreichbare Ziele zu setzen, seine Tatkraft und seinen Ehrgeiz zu wecken und aus dem verwilderten, arbeitsscheuen Jungen einen eifrigen Schüler zu machen. So bestand er das Eintrittsexamen am Lübecker Gymnasium, das hohes Ansehen genoss. Werner war 23 Jahre alt, als die Eltern starben, so musste er für seine Geschwister schon als junger Mann Verantwortung übernehmen. Zu Werners Ärger setzte das Gymnasium den Schwerpunkt auf die alten Sprachen. Da sein Herz sehr für Mathematik, Physik und Chemie schlug, verließ er die Schule ohne Abschluss und machte sich zu Fuß auf den Weg über staubige Chausseen nach Berlin, um sich um einen Platz auf der Artillerie- und Ingenieurschule zu bewerben.

Der Weg zur Technik führt über das preußische Militär. Alle Plätze waren dort besetzt, kein Grund für Werner, die Flinte ins Korn zu werfen, denn er war von früher Jugend an gewöhnt, sich Schwierigkeiten mutig entgegen zu stellen. Frohen Mutes ging er weiter nach Magdeburg, um den notwendigen Militärdienst zu absolvieren; auch dort war der Andrang groß, doch er bestand das Examen bestens... und war damit Soldat in der preußischen Armee. Nach Ableistung des Rekrutendienstes erhielt er 1835 das ersehnte Kommando zur Artillerie- und Ingenieurschule in Berlin. Er beschreibt die Jahre bis 1838 als die glücklichsten seines Lebens: Endlich Mathe, Physik, Chemie, eine neue, interessante Welt eröffnete sich ihm. Die Liebe zu diesen Wissenschaften ist ihm ein ganzes Leben hindurch treu geblieben und bildete die Grundlage für die späteren Erfolge.

Er wurde nach Wittenberg versetzt und beschäftigte sich wissenschaftlich mit galvanischen Überzugsverfahren für Metalle. Er musste in einer vergitterten Gefängniszelle einsitzen, weil er bei einem unerlaubten Duell als Sekundant gedient hatte. Da benutzte er kurzerhand die Zelle als Chemielabor, und hier gelang ihm zu seiner größten Freude die elektrolytische Verwandlung eines Silberlöffels, dessen Oberfläche nach wenigen Minuten in schönstem Golde glänzte.

Wieder in Berlin, widmete er sich als preußischer Offizier wissenschaftlichen Studien, besuchte Vorlesungen an der Universität, schloss sich der Physikalischen Gesellschaft an und der Polytechnischen Gesellschaft. Er stellte fest, dass die meisten Wissenschaftler es nicht mit ihrer Würde vereinbaren konnten, in die Niederungen der Technik hinab zu steigen. Ihm wurde klar, dass technischer Fortschritt und damit die Industrialisierung nur durch Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse unter den Technikern erzielt werden kann.

Bild 2. Signalarme des optischen Telegrafen 1833, im Dienste der preußischen Armee. Wirksam über große Entfernungen...bei klarem Wetter.

Leutnant Siemens erfindet den Zeigertelegrafen. Beim Generalstab der Armee ging es jetzt um die Frage, ob man die optische Telegrafie durch ein elektrisches System ersetzen könnte. Siemens erblickte in der Aufgabe eine große Herausforderung, die doch lösbar sein sollte. Die optische Telegrafie war zwar besser als Rauch- und Feuerzeichen vergangener Zeiten und Völker, aber sie basierte auf der Zeichenübermittlung mit Hilfe von drei schwenkbaren, an einem hohen Mast angebrachten Signalarmen, womit je nach Position anhand eines Codes unterschiedliche Buchstaben bis zur nächsten sichtbaren Station signalisiert werden konnten. Bei Nacht und Nebel waren jedoch Nachrichtenübermittlungen unmöglich. Die militärische Operation musste also auf besseres Wetter hoffen.

 

 

 

Bild 3. Der Siemens-Zeigertelegraf von 1847, schnell wie Klaviertasten, hatte nur eine Leitung für die Übertragung. Beim Sende-Gerät wird eine Buchstaben-Taste gedrückt, automatisch werden soviele Stromstöße abgegeben, bis der Zeiger beim Empfangsgerät in der gleichen Position steht. Erster Einsatz auf der Leitung Berlin-Frankfurt 1849, um Infos über die erste deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche zu bekommen.

 

 

Bild 4. Der Mechaniker Johann Georg Halske wurde Siemens´ Partner, der seine Ideen ausführungsreif machte.

Siemens probierte erst mal den Wheatstone´schen Zeigertelegrafen aus... mit sehr unbefriedigendem Erfolg: Die von einer Handkurbel erzeugten Stromimpulse waren zu schwach und unregelmäßig. Er erfand den neuen selbsttätig laufenden Zeigertelegrafen, basierend auf einem Zeiger, der manuell eingestellt wird; eine Verstellung des Zeigers bei dem sendenden Apparat führt zu einer entsprechenden Verstellung des Zeigers bei dem empfangenden Gerät; so können unkompliziert die einzelnen Buchstaben eines Textes übermittelt werden. Nach jedem Tastendruck wird der Strom automatisch unterbrochen. Mein Telegraph gebraucht nur einen Draht, kann dabei mit Tasten wie ein Klavier gespielt werden und verbindet mit der größten Sicherheit eine solche Schnelligkeit, dass man fast so schnell telegraphieren kann, wie die Tasten nacheinander gedrückt werden, sagte Werner Siemens.

Bild 5. Das erste Logo der neuen Firma, die einmal deutsche Elektrotechnik-Geschichte schreiben sollte. Heute 360 000 Mitarbeiter weltweit mit 73 Milliarden € Umsatz.

 

Die Ausführung übertrug er dem jungen Mechaniker Johann Georg Halske, der in Berlin eine kleine Werkstatt betrieb. Nach anfänglicher Skepsis war Halske begeistert und gründete am 1. Oktober 1847 mit Werner Siemens die neue Firma "Telegraphen Bau-Anstalt von Siemens & Halske" in Berlin, Schöneberger Straße 19.

 

Bild 6. Die Guttapercha-Presse zur nahtlosen Ummantelung des Telegraphendrahtes unter hohem Druck.

 

Der Leutnant verlegt Telegrafenlinien. Siemens gehörte der (militärischen) Kommission des Telegraphenwesens an, die jetzt die Entscheidung fällte, die Leitungen unterirdisch zu verlegen. Siemens entwickelte eine Presse für die nahtlose Ummantelung des Drahtes mit Guttapercha, dem eingetrockneten Milchsaft des malaiischen Guttaperchabaumes, einer Kautschuk ähnlichen Substanz, die bei 50° gut knetbar wird und eine gute Dauerisolierung des Kupferdrahtes ergab. Eine erste unterirdische Leitung zwischen Berlin und Großbeeren mit den patentierten Zeigertelegrafen arbeitete mit hoher Geschwindigkeit und großer Zuverlässigkeit. In einem Vortrag vor dem späteren Kaiser Friedrich setzte sich Siemens für die zivile Nutzung der Telegrafie ein, ihr stünde eine große Zukunft bevor, wenn man sie zum Allgemeingut des Volkes machte.

Zunächst musste er noch als preußischer Offizier im deutsch-dänischen Krieg eine tragende Rolle übernehmen. Er ließ sich 1848 vom Generalstab nach Kiel beordern, um den Hafen mit von ihm konstruierten Unterwasserminen gegen die dänische Flotte zu verteidigen. Dies gelang ihm auch, nachdem die Dänen die Wirkung einer unfreiwilligen Detonation einer Mine beobachtet hatten.

Nach dem Krieg wurde die Telegrafie dem Handelsministerium unterstellt, und Siemens & Halske bekam den Auftrag, eine Telegrafenlinie von Berlin nach Frankfurt zu bauen, wo die Nationalversammlung tagte. Es gab sehr große Schwierigkeiten technischer und politischer Natur (Deutschland war noch kein Staat!). Doch diese erste längere Leitung ganz Europas konnte im Winter 1849 in Betrieb genommen werden, und die in Frankfurt erfolgte Kaiserwahl war noch in derselben Stunde in Berlin bekannt.

Bild 7. Siemens im Jahr seiner Heirat mit Mathilde Drumann in Königsberg, 1852.

 

Um sich mit ganzer Kraft seinen wissenschaftlichen und technischen Aufgaben zu widmen, nahm er 1849 seinen Abschied vom Militär. Jetzt mit 33 Jahren beginnt das Erfindergehirn Siemens seine volle Leistung zu entfalten. Die Zahl der Mitarbeiter von Siemens und Halske beträgt 25. In den Jahren 1853-55 baut die Firma große Telegrafenlinien in Russland: Warschau-St.Petersburg, Moskau-St.Petersburg, Moskau-Kiew-Sewastopol.

Trotz der gewaltigen Länge funktionierten die russischen Telegrafenlinien zur großen Zufriedenheit, da das Werk von Siemens & Halske in St. Petersburg auch für die Verwaltung und Wartung verantwortlich war (die sog. Remonte). Die Siemens-Leute erhielten das Recht, Uniformen und Rangabzeichen zu tragen, da die russische Bevölkerung nur die Träger von Uniformen respektiert, wie Siemens in seinen Erinnerungen schreibt. Siemens ließ in Berlin schöne Uniformen entwerfen mit auf den Achselklappen angebrachten goldenen Raupen. Der Zar genehmigte sie persönlich. Siemens versichert auch in seinen Erinnerungen, dass in Russland keine Bestechungen gezahlt wurden, da die Auftragsverhandlungen stets mit den höchsten Staatsbehörden geführt wurden.

Der große Wurf: das dynamo-elektrische Prinzip. 1866 erfindet Siemens das dynamo-elektrische Prinzip, das wie keine andere Erfindung die Stromerzeugung und die Antriebstechnik in der Industrie und im gesamten öffentlichen Leben revolutionieren sollte. Dahinter verbirgt sich "Die Umwandlung von Arbeitskraft in elektrische Ströme ohne Anwendung permanenter Magnete", wie seine der Königlichen Akademie der Wissenschaften vorgetragene Abhandlung lautete. 1867 wurde auf der Pariser Weltausstellung der erste Generator der Welt ausgestellt. Elektrische Ströme jeder gewünschten Spannung und Stärke und Rückverwandlung dieser Ströme in Arbeitskraft elektrischer Motoren ... das war die Grundlage der modernen Starkstromtechnik, aus der ein mächtiger Industriezweig erwuchs. Parallel zur Dampfmaschine war das die zweite Kraftmaschine, die der Industrie zu ungeahntem Aufschwung verhalf (die dritte, der Verbrennungsmotor kam ein paar Jahre später).

Bild 8. Siemens´ größte Erfindung: Das dynamo-elektrische Prinzip. Das Faradaysche Induktionsgesetz (Bewegung eines elektrischen Leiters in Magnetfeld erzeugt Strom) erhielt jetzt seine praktische Bedeutung. Wird der Anker gedreht, fließt sofort in der Wicklung ein Strom infolge des Restmagnetismus im Eisen der Polschuhe. Der erzeugte Gleichstrom wird durch die Wicklung des Elektromagneten geschickt, Restmagnetismus und in der Ankerwicklung induzierte Spannung werden erhöht bis zu einem Grenzwert, der von der Drehzahl des Ankers abhängt. In Selbsterregung schafft sich der Generator so sein eigenes Magnetfeld, ohne Verwendung eines besonderen Dauermagneten, dessen Leistung eng begrenzt ist und ohne dass für die Anfangserregung von außen elektrischer Strom zugeführt werden muss.

 

 

Bild 9. Nach 100 Jahren wird an die große Erfindung erinnert. Die gestrichelte Linie ist der Verbraucher.

 

Demonstration des dynamo-elektrischen Prinzips im Deutschen Museum München. Bild 10a (links): Der Generator treibt den baugleichen Motor. Bild 10b (rechts): Der Generator speist eine Glühlampe. Maschinen haben Trommelanker (statt Doppel-T-Anker).

Die Voraussetzungen für den Elektro-Großmaschinenbau waren geschaffen. Die Maschine funktionierte nicht nur als Generator, sondern auch als Motor. Legte man an die beiden Anschlussklemmen der Maschine eine Gleichspannung, so lief sie als Motor und konnte zum Antrieb von Arbeitsmaschinen verwendet werden. Die Fabriken erhielten mit dem Elektromotor endlich eine langersehnte Antriebsmaschine, die viel praktischer, bequemer und Energie effizienter war als die Dampfmaschinen. Es dauerte nicht lange, bis der Elektromotor die alten Wasserräder, Windräder und Dampfmaschinen verdrängt hatte und die führende Stellung unter den Antriebsmaschinen einnahm.

Tiefsee-Telegrafenkabel. Wenn die unterirdischen Telegrafenkabel so gut funktionierten, müsste doch die unterseeische Verlegung ebenso klappen! Das Guttapercha war jedenfalls schon Seewasser tauglich befunden worden. Die Engländer fingen damit 1850 an und fielen zunächst auf die Nase mit dem Kabel zwischen Dover und Calais. Sie wollten das Hauruck-Verfahren anwenden, obwohl die wissenschaftlich-technischen Grundlagen dafür noch nicht feststanden. Auch der Versuch, ein schweres Kabel von Sardinien nach Algerien zu verlegen ging schief, da die Bremseinrichtungen der Kabeltrommel beim Eintritt in tiefes Wasser nicht ausreichten und das ganze Kabel unaufhaltsam in die Tiefe rollte. Es war eben nicht ausreichend, die Praxis von mal zu mal zu verbessern, ohne die physikalische Theorie zu beachten. Sie kamen an einen Punkt, wo es so nicht weiter ging. Das Kabel riss zweimal. Da riefen sie den deutschen Ingenieurforscher um Hilfe. Werner entwickelte seine Theorie und Technik, wie man Seekabel zu verlegen habe, präzise, logisch, rasch und einfallsreich, ganz in der Art eines technischen Genies. In den Grundzügen sind seine Anweisungen aus dem Jahr 1857 heute noch gültig. Die Fa. Newall & Co. schloss mit Siemens & Halske einen Vertrag. Werner stellte zuallererst die physikalischen Grundlagen sicher. Meerestiefe, Kabelgewicht im Wasser, Schiffsleistung, Schiffsgeschwindigkeit, Bremskraft ... alle Parameter mussten miteinander in Beziehung gebracht werden. Die Bremskraft muss so groß sein wie die Gewichtskraft eines senkrecht zum Meeresboden hinabreichenden Kabelstücks im Wasser, das war die Quintessenz seiner Seekabellegungstheorie. Auch seine Methode der Suche von Kabelfehlern mit Hilfe von Widerstandsmessungen war "wasserdicht". Und damit ging die Verlegung im Mittelmeer bei 3000m Wassertiefe zur Freude aller über die Bühne. Die pragmatisch-sachbezogene Arbeitsweise der Angelsachsen und die wissenschaftliche Methodik der Deutschen... sicherlich ein starker Gegensatz, die Kombination beider führt zu optimalen Ergebnissen.

Bild 11. Siemens-Erdtelegrafenkabel, Rheinlandkabel Berlin-Köln, Abschnitt Berlin-Hannover, 52 Doppeladern, 1912. Ummantelt mit eingetrocknetem Milchsaft des malaiischen Guttaperchabaumes.

Bild 12. So sahen die Unterwasserkabel aus, 1853 bis 1863. Länge 40 bis 600 km, zwischen England und Frankreich, Belgien, Deutschland.

Bild 13. Die 10000km lange Telegrafenlinie der Gebrüder Siemens von London nach Kalkutta, gebaut 1867-69.

 

Die Indo-Europäische Telegrafenlinie. Mit diesen und noch vielen anderen gesammelten Erfahrungen fassten 1867 die Brüder Werner, Wilhelm und Carl den kühnen Plan, eine Telegrafenlinie von London nach Kalkutta zu planen und zu bauen, um eine schnelle und sichere Korrespondenz zwischen Großbritannien und seiner indischen Kolonie zu ermöglichen. Die Linie verlief von London durch die Nordsee über Berlin, Warschau, durch Russland, zur Krim, teilweise durchs Schwarze Meer, durch den Kaukasus, über Teheran, durch den Persischen Golf, Karachi, quer durch den indischen Subkontinent bis Kalkutta. Es erübrigt sich hier, von den unzähligen vertraglichen, rechtlichen, politischen und technischen Schwierigkeiten zu berichten. Das Siemens´sche Kabel- und Apparatesystem löste die Aufgabe vollständig, und es erregte in London ein gewaltiges Aufsehen, als bei den ersten offiziellen Versuchen London mit Kalkutta so schnell miteinander sprechen konnte wie zwei benachbarte englische Telegrafenstationen.

 

Bild 14. Der große Saal des Haupt-Telegrafenamts Berlin in der Französischen Straße, 1908, Gemälde von Otto Antoine. Es war das Nervenzentrum der Kommunikation über die Telegrafenlinien.

 

Bild 15. Der Kabeldampfer "Faraday" der Gebrüder Siemens, 5000 BRT, geplant und gebaut nach ihren Ideen, legt 1874 das erste Unterseekabel von Irland in die USA. Stapellauf in Newcastle, im Einsatz bis 1922, verlegte insgesamt 60000 km Kabel.

 

Bild 16. Das erste Kraftwerk der Welt. Die Generatoren von 1878 im Schloss Linderhof - Siemens-Technologie nicht für die Industrie, sondern für die Lichtinstallationen des abgehobenen Märchenkönigs. Ankerwellen, Polschuhe und zylinderförmige Wicklungen der Elektromagnete sind deutlich zu erkennen, außerdem die Transmissionswelle (oben im Hintergrund) der antreibenden Kraftmaschine mit den Riemenantrieben für jeden einzelnen Generator.

 

Bild 17. Berliner Erinnerungstafel für das erste öffentliche Kraftwerk 1885.

 

Bayerns Märchenkönig betrieb das erste Elektrizitätswerk der Welt - im Schloss Linderhof. Die Erfindung des dynamo-elektrischen Prinzips war die Initialzündung für den Bau von Kraftwerken. Man mag es kaum glauben: Am Anfang stand die Vision eines Märchenkönigs. 24 Generatoren im Maschinenhaus von Schloss Linderhof erzeugten nach dem Siemens´schen Prinzip ab 1878 elektrischen Strom für die von Ludwig II. erträumte, sagenhaft strahlende Farbenpracht in der Venusgrotte. Die Gesamtanlage ist damit das erste fest installierte Kraftwerk der Welt, wenn auch nur für einen "Kunden", König Ludwig II. Im Mai 2011 beging die Firma Siemens dort einen Festakt zur Erinnerung an diese Pioniertat. Das erste öffentliche deutsche Elektrizitätswerk ging 1885 in Berlin in Betrieb. Es folgten München, Darmstadt bis 1888. In den Folgejahren entstanden viele E-Werke, die bis zur Jahrhundertwende ganz Deutschland versorgten.

 

Bild 18. 1879 - das Geburtsjahr der Elektrolokomotive, Vorführung auf der Gewerbeausstellung in Berlin. Der Fahrer reitet die Lok wie ein Pferd.

 

Der Querdenker Siemens erfindet die Elektrolokomotive. Mit dem Dynamo lassen sich nicht nur Beleuchtungen sondern auch Elektromotoren betreiben, überall dort, wo bisher Dampfmaschinen im Einsatz waren. Ein wahres Füllhorn von Anwendungen öffnete sich in Industrie, Landwirtschaft und zuallerst im Verkehrswesen. Die "Ideenschmiede Werner Siemens" lief auf vollen Touren. Im Alter von 63 baut er die erste Elektrolokomotive der Welt, eine kleine Grubenlok für den Senftenberger Kohlebau, die mit ihren 2 kW Leistung einige Loren ziehen konnte. Der Strom von 100 Volt Spannung wurde über die beiden Schienen zugeführt. Zunächst wurde die Bahn auf der Gewerbeausstellung 1879 in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt; dort beförderte sie während der Ausstellung 100 000 Fahrgäste auf drei mit Sitzbänken versehenen Wagen. Das Ereignis war eine Sensation, die noch hundert Jahre später gewürdigt wird.

Bilder 19-22. So wird nach 100 Jahren der revolutionären Erfindung in aller Welt gedacht. Das Foto (Bild 18) wurde auf Briefmarken übernommen.

 

Bild 23. Einblick in die erste E-Lok. Oben die Motorwelle mit der Ankerwicklung. Zahnräder übertragen das Drehmoment auf die Radwellen. Die seitlich herausstehenden Elektromagnete sind ebenfalls zu sehen. Der Verstellhebel regelt die Geschwindigkeit und ist gleichzeitig Bremse.

 

Die Technik der ersten Elektrolok. Die Motorachse liegt in Längsrichtung. Deswegen ragen die beiden Elektromagnetwicklungen an beiden Seiten quer aus der Lokomotive heraus. Die Übertragung der Motorkraft auf die Räder erfolgte über Zahnräder. Das Getriebe war ein Wendegetriebe. Siemens wusste damals noch nicht, dass sich die Drehrichtung durch Vertauschen der Stromanschlüsse am Kommutator umkehren ließ. Der Motor wurde mit dem Stellhebel bedient. Durch langsames Zurücklegen des Hebels wurden die Vorwiderstände allmählich kurzgeschlossen. Wurde der Hebel ganz nach vorne gedrückt, drückte er den hölzernen Bremsklotz an die Lauffläche des Rades. Geschwindigkeit 13 km/h ohne Wagen, mit drei Wagen und 18 Passagieren 7 km/h.

 

Bild 24. 1881: Die erste elektrische Straßenbahn der Welt - in Berlin-Lichterfelde.  Bild 25. Berlin Alexanderplatz 1903 - neben der Straßenbahn fährt noch die alte Pferdebahn.

Warum widmet Werner von Siemens in seinen ab 1889 verfassten, 300 Seiten umfassenden Lebenserinnerungen gerade mal drei Seiten der dynamo-elektrischen Maschine und warum erwähnt er die Elektrolokomotive fast gar nicht? Warum befasst er sich über hunderte von Seiten mit seiner Telegrafie und der Telegrafenkabelverlegung? Es steht zu vermuten, dass er die 1887 von Heinrich Hertz entdeckte Ausbreitung der elektromagnetischen Wellen durch den freien Raum, ohne an metallische Drähte gebunden zu sein, in seinen letzten Lebensjahren nicht mehr richtig realisierte. Danach müsste es ihm eigentlich klar geworden sein, dass die Übermittlung von Informationen über Kabel früher oder später der drahtlosen Funktelegrafie weichen müsste. Sah er nicht, dass sein dynamo-elektrische Prinzip viel größer in seiner Bedeutung war, dass mit der Elektrifizierung der gesamten Industrie, des Handwerks, der Infrastruktur, der Privathaushalte die nachhaltige Grundlage für Deutschlands Aufstieg in die Riege der entwickelten Länder geschaffen war?

1880 führte Siemens den ersten elektrischen Fahrstuhl auf der Mannheimer Industrieausstellung vor. 1881 baute er die erste elektrische Straßenbahn der Welt; sie fuhr auf einer 2,4 km langen Strecke in Berlin-Lichterfelde. 1882 beleuchtete er mit seinen Bogenlampen den Potsdamer Platz; der Strom kam von einer Zentrale in der Wilhelmstraße, wo vier Dynamomaschinen von einem Otto-Gasmotor angetrieben wurden. 1882 wird die erste elektrische Grubenbahn nach Sachsen geliefert. 1883 wird ein Vertrag zwischen der Deutschen Edison-Gesellschaft und Siemens & Halske geschlossen; daraus geht vier Jahre später die AEG hervor. 1887 nimmt die auf Werners Vorschlag und mit seiner Hilfe gegründete Physikalisch-Technische Reichsanstalt ihre Tätigkeit auf. 1888 wird Werner von Kaiser Friedrich III geadelt. 1890 übergibt er die Leitung seiner Firma seinem 13 Jahre jüngeren Bruder Carl und seinen Söhnen Arnold und Wilhelm. Am 6.12.1892 stirbt der große deutsche Erfinder in Berlin-Charlottenburg; seine letzte Ruhe findet er auf dem Südwestfriedhof Stahnsdorf bei Berlin. Ein Mann, der wahrlich unser aller Leben bis in die kleinsten Einzelheiten verändert hat.

Bilder 26-28. Die Deutsche Post ehrt Werner von Siemens - 1952, 1966, 1992.

Bild 29. Werner von Siemens´ Grabrelief auf dem Stahnsdorfer Friedhof.  Bild 30. Auszeichnung in der Ehrenhalle des Deutschen Museums in München.

Was bleibt vom Menschen Werner von Siemens und vom Vollblutingenieur, der noch nicht mal ein akademisches Studium absolvierte? Er selbst sah sich in seinem Wesenskern als Forscher, seine Zeitgenossen mehr als einfallsreichen Techniker und großen Unternehmer mit hohem sozialen Verantwortungsgefühl für die ihm anvertrauten Menschen, mit der Gabe, das jeweils Richtige und Zukunftssichernde zu tun. Die Art, wie er Probleme anging, hat uns auch heute noch sehr viel zu sagen. Er selbst warnte vor der Überschätzung der reinen Erfindungsidee. Ihre Durchführung ist die eigentliche Leistung, und dazu gehören in erster Linie Geduld und Charakter. Und den hatte er. Als er 1874 in die Preußische Akademie der Wissenschaften aufgenommen wurde, sagte sein Freund Du Bois-Reymond: Die Liebe zum Phänomen, die Treue zum Experiment, die Unbefangenheit zur Theorie, die Begeisterung für die reine Wissenschaft... das stempelt ihn zum wahren Akademiker.

 

Nachtrag

Optischer Telegraf auf dem Marienberg in der Stadt Brandenburg

Bild 31, 32, 33. Gut erhaltener optischer Telegraf, sechs Seilrollen steuern die drei Doppel-Signalarme.

Bild 34, 35. Eine ausdrucksvolle Siemens-Büste im Brandenburg-Preußischen Museum Wustrau/Brandenburg.

 

Bildnachweis.

Bild 1: Werner Siemens, preußischer Seconde-Leutnant, der Vater der Elektrotechnik, 1843, und Bild 7: Aus den "Nachrichten der Familie Siemens" 1992. Bild 2: Public domain. Bild 3: Eigenes Foto im Deutschen Technikmuseum Berlin, 8/2013. Freundliche Genehmigung für heureka-stories.de vom 2.9.2013 von Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin, Abt. Presse- und Oeffentlichkeitsarbeit, http://www.sdtb.de/. Auch rückwirkende Genehmigung für früher gemachte eigene Bilder. Bild 4, 5: Urheberrecht abgelaufen. Bild 6, 8, 13, 15, 24: Aus W. v. Siemens "Lebenserinnerungen", Prestel Verlag München, 1956, mit eig. Ergänzungen. Bild 9: Public domain. Bild 10a,b, 30: Eigene Fotos am 1./2.8.2011 im Deutschen Museum München, Gestattungsvertrag für Bildaufnahmen vom 12.7.2011. Bild 11, 12, 14: Eigene Fotos 10.8.2012 im Museum für Kommunikation Berlin, Zustimmung für Veröffentlichung in heureka-stories.de erteilt. Bild 16: Pressebild Deutsches Museum München/ Bayerische Schlösser- und Seenverwaltung​, Reference Number: SOAXX201117-05. Bild 17: Wikipedia, GNU free Licence, Urheber OTFW. Bild 18: Wikipedia, Urheber WHell, Schutzfrist abgelaufen. Bild 19-22:Public domain. Bild 23: Schutzfrist abgelaufen. Bild 25: Schutzfrist abgelaufen. Bilder 26-28: Public domain. Bild 29: Wikipedia, Urheber Membeth, gemeinfrei. Bild 31-33: Eigene Fotos Marienberg/Brandenburg, Aug. 2015. Bild 34, 35: Eigene Fotos im Brandenburg-Preußischen Museum Wustrau/Brandenburg, Aug. 2015

         

Die Elektrolokomotive - Kurzinfo

Werner von Siemens (*1816 Lenthe, †1892 Berlin), Erfinder der Elektrolokomotive, der Erstgeborene von 14 Bauernkindern, von denen 10 überlebten, musste schon als 23-Jähriger Verantwortung für seine Geschwister übernehmen, da die Eltern frühzeitig starben. Er trat in die preußische Artillerie- und Ingeniuerschule ein. Sie ermöglichte ihm eine gute praktisch-wissenschaftliche Ausbildung in Physik, Chemie und Mathe. Berlin wurde ab 1842 seine Heimat. 1847 machte er sich selbständig und gründete mit dem Feinmechaniker Georg Halske in der Schöneberger Straße 19 die "Telegraphenbauanstalt Siemens & Halske". Hier wurde die Firma zum Stammhaus der gesamten deutschen Elektrotechnik, das seine Erzeugnisse in die ganze Welt lieferte.

Sein unermüdlicher Erfindergeist begann zu arbeiten. Er erfand das Guttapercha (kautschukähnlicher Saft des malaiischen Guttaperchabaumes) als Isoliermasse für unterirdische und unterseeische Telegraphenkabel und die Presse zur nahtlosen Ummantelung des Drahtes. Die Erfindung war ein großer Erfolg, besonders in den Weiten Osteuropas und des Atlantiks, den Werner, Wilhelm und Carl Siemens mit ihrem Seekabel durchquerten, mit ihrem selbst gebauten Kabeldampfer "Faraday". Werners größte Erfindung war 1866 das "dynamoelektrische" Prinzip. Es besagt, dass der Elektromagnet im Generator keine besondere Stromquelle benötigt, sondern sich seinen Strom selbst erzeugen kann. Ein Rest von Magnetismus, der beim Starten notwendig ist − so seine Entdeckung − ist nämlich immer vorhanden. Das wurde der berühmte Siemens-Dynamo. Er brauchte dann noch 13 Jahre bis zur Fertigstellung der ersten kleinen Elektrolokomotive, die 1879 auf der Berliner Gewerbeausstellung viele tausend Fahrgäste beförderte. Der Siegeszug der Elektrolok begann, das Zeitalter der Dampflok ging damit in den 1930ern langsam, aber sicher seinem Ende entgegen. 1880 lieferte Siemens den ersten elektrischen Aufzug in Berlin und 1881 die erste elektrische Straßenbahn.

1888 erhob der Kaiser Werner Siemens in den Adelsstand.

 

Die Elektrolokomotive - die ganze Geschichte

Was machen die Enkel Robert Kochs im Jahr 2012 ?

Robert Koch erkannte als erster die mikroskopisch kleinen Erreger als Ursache zahlreicher Infektionskrankheiten. Das war eine medizinische Revolution. Bis dahin galten Ausdünstungen der Erde und Verunreinigungen der Luft als Krankheitsauslöser. "Malaria" bedeutet wörtlich "schlechte Luft". Kochs Revolution ging weiter. Wir können hier nicht alle Aspekte der Mikrobenforschung in aller Welt beschreiben. Wir wollen uns auf die heutigen Aufgaben des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin beschränken. Sind die Visionen des Nobelpreisträgers wahr geworden? War sein Vermächtnis stark genug, sein großes Werk fortzuführen? Gab es Fortschritte, gab es Rückschläge?

Bild 1. Das Robert Koch-Institut in Berlin heute. Das Backsteingebäude wurde 1900 gebaut.  Bild 2. Das eindrucksvolle Portal hat dem Bombeninferno widerstanden. Heute schmückt es der Bundesadler.

Das Robert Koch-Institut hat bis heute nichts von seiner kreativen Dynamik eingebüßt. Als wissenschaftlich-medizinische Leitinstitution der Bundesregierung hat es die Aufgabe, Gesundheit zu schützen und Risiken zu erforschen. Es hat 990 Mitarbeiter,  und ein jährliches Budget von 60 Mio. €. Die Grundfinanzierung leistet das Bundesgesundheits-Ministerium.

Erste Aufgabe: Erkennen, Verhüten, Bekämpfen von Infektionskrankheiten. Hier sind sie, die Feinde, deren Bekämpfung Robert Kochs ganzes Leben gewidmet war: Bakterien, Viren, Sporen, Einzeller, Parasiten. Für die Erforschung der Bakterien hatte er schon sehr gute Mikroskope von Zeiss und Leitz zur Verfügung. Wenn man aber bedenkt, dass die Größe eines Virus ein halbes Promille einer Bakteriengröße beträgt (wenn ein Auto die Größe eines Bakteriums darstellt, dann ist die Radmutter so groß wie ein Virus), wird klar, dass kein Lichtmikroskop Viren enttarnen kann.

Bild 3. Die eiförmigen Sporen, die Dauerformen der Milzbrandbakterien hat Koch entdeckt, obwohl er sie so, wie in dieser modernen elektronenmikroskopischen Aufnahme gezeigt, nie gesehen hat.

 

Erkennen. Dazu werden heute Elektronenmikroskope benutzt, deren Auflösungsvermögen bis zu 2000 mal größer ist als bei Lichtmikroskopen (0,1 nm gegenüber 200 nm). So können z.B. die von Koch entdeckten Milzbrandsporen, die Dauerform der Bakterie, im Elektronenmokroskop sehr gut sichtbar gemacht werden, das war wichtig bei den Milzbrandanschlägen im Jahr 2001. Für die Forschung stehen auch molekulargenetische Methoden der DNA-Analyse zur Verfügung, um durch die Abstammungslinien die Reiserouten von Krankheitskeimen zu verfolgen. Dieses Verfahren der Messung von Markern im Erbgut ist Stand der Technik, z.B. auch bei der Ausbreitung des Homo sapiens über den gesamten Globus. Man misst z.B. die Zahl der Y-Chromosom-Marker bei zwei Individuen, kann dann anhand der Unterschiede den letzten gemeinsamen Vorfahren örtlich dingfest machen, und ist so in der Lage, sukzessive die geografische Wanderroute nachzuvollziehen. Analog geht das auch mit Bakterienstämmen, deren einzelne Mutationsschritte sehr viel schneller ablaufen als bei der Gattung Mensch.

Verhütung. Milzbrand, Tuberkulose, Typhus, Cholera sind von Bakterien verursacht, Masern, Mumps, Röteln sind Viruserkrankungen, Malaria und Schlafkrankheit werden von Parasiten ausgelöst. Das Tuberkulose-Bakterium, das gegen Medikamente immer unempfindlicher wird, fordert jährlich 2 Mio. Todesopfer, ist gefährlicher denn je und ist Gegenstand intensiver Forschung am RKI; man versteht noch nicht, warum die Bakterien ausgerechnet in den Fresszellen des Immunsystems überleben. 160000 Menschen sterben jährlich an Masern.

Die ständige Impfkommision der Bundesrepublik (STIKO) wird vom RKI koordiniert und gibt aufgrund von Erhebungen Impfempfehlungen heraus für Gebiete in Deutschland, wo noch Impflücken bestehen. So tritt die Masernkrankheit immer wieder auf, weil der Impfschutz nachgelassen hat. Andere Infektionskrankheiten, wie Polio und Pocken, konnten (fast) ausgerottet werden. Auch für den Wundstarrkrampf Tetanus gibt es sehr wirksamen Impfschutz, der allerdings ab und zu aufgefrischt werden muss. Schwieriger gestaltet sich der Impfschutz gegen die Grippeviren, weil diese sich sehr schnell durch genetische Mutation verändern und gegen bestimmte Medikamente resistent werden. Das RKI untersucht jedes Jahr die verschiedenen Grippeviren und gibt dann Empfehlungen für die Herstellung des Impfstoffs. Ein ganz großes Problem stellen die in Krankenhäusern erworbenen Infektionskrankheiten dar, die von Bakterien verursacht werden, die mit Antibiotika nicht mehr wirkungsvoll bekämpft werden können. Besonders der mehrfach resistente Staphylococcus aureus (MRSA) ist ein schlimmer, kaum zu bekämpfender Feind geworden. 500000 Patienten jährlich bekommen hierzulande eine Krankenhausinfektion, und 10000 sterben daran. Das RKI untersucht die genetischen Eigenschaften der Erreger und analysiert riskante Trends in der Ausbreitung widerstandsfähiger Mikroben, um Gegenmaßnahmen einleiten zu können.

Das Antibiotikum muss in das Bakterium eindringen, um zu wirken. Je häufiger Antibiotika eingesetzt werden, umso mehr lernen die Bakterien, sich auf unterschiedliche Art dagegen zu wehren. Sie werden resistent, indem sie den Eintritt ihrer Gegner durch eine Mutation verhindern, das Antibiotikum aufspalten, abstoßen oder ausschleusen. Es gibt schon Keime, gegen die kein Antibiotikum mehr hilft. Es könnten wieder Zeiten kommen, in denen einfache Wunden den Tod bedeuten. Könnte man nicht die chemischen Sulfonamide, die Gerhard Domagk in den 1930ern entdeckt hat, weiterentwickeln? Wo bleibt der Ideenreichtum der Pharmaindustrie?

Bild 4. Der hoch gefährliche EHEC-Erreger - vom RKI identifiziert.

 

Neue Erreger bekämpfen. Neu auftauchende Krankheitskeime verbreiten sich durch die Mobilität der Menschen heute sehr schnell über den Globus. Viele werden auch von Tieren auf den Menschen übertragen. Das Virus HIV löst AIDS aus, stammt von Schimpansen und hat 30 Millionen Menschen infiziert, in Deutschland 70000, 600 davon sterben pro Jahr. Andere neue Erreger: H1N1, SARS, BSE, XMRV, HTLV-1, vCJK, EHEC, Ebola, Lassa ... die meisten rufen schwere Krankheiten hervor. Fast jedes Jahr taucht ein neuer, gefährlicher Erreger auf. Alle müssen analysiert, beobachtet, Flächen deckend überwacht, in Grenzen gehalten werden. Das RKI ist, ganz im Sinne des Gründers Robert Koch, immer am Ball, erforscht den Feind, erarbeitet Vorgehensweisen zu seiner Eindämmung und Bekämpfung. Der große Meister hatte die bis heute gültige Strategie vorgegeben: Erst den Erreger entdecken, identifizieren, dann Maßnahmen zur Bekämpfung einleiten.

Seuchengefahr eindämmen. Es gehört zu den Aufgaben des RKI, bei ersten Anzeichen einer Epidemie oder sogar Pandemie (weltweite Seuche) die Krankheitsfälle rasch zu erkennen und Gegenmaßnahmen zügig einzuleiten, internationale Warnmeldungen auszulösen und Schutzmaßnahmen in Deutschland anzuordnen. In schlimmer Erinnerung ist noch die berüchtigste Pandemie, die spanische Grippe von 1918, die weltweit 20 Millionen Todesopfer forderte. Die Weltgesundheitsorganisation WHO gibt Frühwarnungen über mögliche Infektionsausbrüche an die nationalen Institute heraus, und dann entscheidet das RKI, welche Vorkehrungen in Deutschland getroffen werden müssen. Diese können Massenimpfungen oder Quarantäne umfassen.

Zweite Aufgabe: Risiken für die Volksgesundheit erforschen. Das RKI ist für die Gesundheits-Berichterstattung an das Bundesgesundheits-Ministerium verantwortlich. Sie soll ein Bild der Gesundheitslage der Deutschen geben. Sind die Deutschen zu dick? (Ja, eindeutig, die EU hat den Deutschen bescheinigt, die Dicksten in der EU zu sein). Treiben Kinder ausreichend Sport? Häufen sich psychische Leiden? Es werden aussagekräftige Daten zu Gesundheitsrisiken in der Bevölkerung bereit gestellt, damit gesundheitspolitische Weichenstellungen getroffen werden können. Hier wird auch der demografische Wandel hin zu einer Gesellschaft mit sehr vielen alten Leuten erfasst. Alterstypische Krankheiten werden definiert und statistisch zusammen gestellt.

Schutz vor Bioterror. Seit der neolithischen Revolution vor 11000 Jahren im fruchtbaren Halbmond im Nahen Osten (dauernde Sesshaftigkeit in größeren Gruppen, Haustierhaltung, Getreideanbau) haben die Menschen auf Gewalt zur Lösung von Problemen gesetzt. Dazu gehören Kriege, Völkermorde und heute, im Rahmen der sog. asymmetrischen Kriegsführung, auch Anschläge auf Politiker, Andersgläubige, Zeitungsredaktionen. Das "dreckige Dutzend" nennt man die Erreger und Gifte, die für derartige Terroranschläge in Frage kommen: Dazu gehören Erreger von Milzbrand, Pest und Hasenpest, Pocken- und Ebola-Viren sowie das Botulinum-Toxin und das Gift Rizin.Das Zentrum für Biologische Sicherheit am RKI ist die zentrale Stelle für die Erkennung, Beurteilung und Bewältigung bioterroristischer Anschläge.

Das dunkelste Kapitel des Robert Koch-Instituts. Das Unfassbare geschah im Jahr 1933 und dauerte bis 1945, und das war ein tiefer Sturz in die Abgründe des Bösen: Das Institut des Menschenretters Robert Koch fiel in die Hände der Menschenvernichter. Nachdem alle jüdischen Mitarbeiter entfernt wurden, bestand die Forschungsstätte nahezu vollständig aus überzeugten Nationalsozialisten, die die Eroberungspolitik unterstützten, die Möglichkeiten zur schrankenlosen "Forschung" an Menschen aktiv nutzten und willfährig die von ihnen verlangten "Untersuchungen" durchführten. Sie unternahmen Menschenexperimente mit tödlichem Ausgang und nahmen hin, dass mehrere hundert Menschen bei diesen Versuchen vielfach unter großen Qualen ihr Leben verloren. Nach Kriegsende wurden nur wenige Beteiligte für diese Verbrechen verurteilt.

 

Bild 5. Die dunkle Vergangenheit des Robert Koch-Instituts wurde nach 65 Jahren aufgearbeitet - Inschrift im Foyer.

 

Die Vergangenheitsbewältigung. Unter der Überschrift "Die Wahrheit ist zumutbar" setzte das RKI von 2006 bis 2008 eine Untersuchungskommission ein, um herauszufinden, wie weit das renommierte Institut in die Nazi-Gräuel verstrickt war. Im März 2011 wurden die Ergebnisse veröffentlicht und in einer Feierstunde ein Erinnerungszeichen eingeweiht und in Ansprachen der Opfer der verbrecherischen "Forschung" gedacht. Die Wahrheit musste ungeschminkt ausgesprochen werden, wie weit sich die Wissenschaftler damals in die Nazi-Ideologie einbinden ließen. Die Ergebnisse der Untersuchung sind ungeheuerlich. RKI-Wissenschaftler unter der Leitung von Eugen Gildemeister beteiligten sich an inhumanen Menschenversuchen in Konzentrationslagern und psychiatrischen Anstalten. Sie übertraten humanistische Grundsätze und verletzten die Würde und Unantastbarkeit des Menschen, indem sie ihn in wertvolle und minderwertige Exemplare einteilten. Welche Verrohung menschlichen Handelns und Verachtung des Koch´schen Wertesystems! Wie war es möglich, dass man "Forschung" ohne moralische Grenzen zuließ? Dafür gibt es keine Rechtfertigung, auch wenn die politische Führung ihr Verhalten tolerierte oder gar forderte. 

Ein niederschmetterndes Einzelschicksal. Erschütternd ist der beispielhafte Bericht der Kommission über den Sinti Otto Schmidt, der 1938 als 20-Jähriger im Rahmen der Aktion "Arbeitsscheu" ins KZ Buchenwald eingeliefert wurde. Nach vier Jahren Lagerhaft wurde er 1942 in eine 19-köpfige Gruppe für vom RKI auszuführende Fleckfieberversuche ausgewählt. Zum Studium des Krankheitsverlaufs wurde er mit Fleckfieberimpfstoff, hergestellt aus Hundelungen, infiziert. Vier Personen erkrankten sofort tödlich. Schmidt überlebte die Fieberattacken, nicht jedoch den mörderischen Versuchsplan. Alle "überlebenden" Häftlinge der Gruppe wurden nach Versuchsabschluss durch den Lagerarzt Hoven mit einer Spritze getötet. Im offiziellen Bericht über die Krankheitsverläufe steht: Sehr schwere Erkrankung, Bewusstseinsstörung, Delirium, psychische Störungen... Mitarbeiter des RKI benutzten KZ-Häftlinge als menschliche Versuchsobjekte zur perversen Befriedigung ihrer wissenschaftlichen Interessen. Kann ein Institut, das sich dem Wohle der Menschheit verschrieben hat, tiefer sinken?

Es ist immerhin anerkennenswert, dass sich eine weltbekannte, wissenschaftliche Einrichtung, wenn auch spät, doch nicht zu spät, der Verantwortung gestellt hat, ihre dunkle Vergangenheit aufzuarbeiten. Mit offenen Augen, Wahrheit muss ausgesprochen, der Opfer muss gedacht, nichts darf verharmlost werden. Wir sind es den Opfern schuldig. Man sieht nur, was man weiß. Glasstelen vor dem Eingang und Augenpaare auf langen Bändern in Augenhöhe mit Robert Kochs Büste im Foyer sind eine würdige Erinnerungs- und Reuekultur. So ist das Foyer eine ständige Mahnung zur Wachsamkeit vor dem Missbrauch wissenschaftlichen Geistes und der Verführung der Macht.

 

Bild 6. GROSSDEUTSCHES REICH: Menschen vernichten statt retten, kann es eine schlimmere, perversere Ausrenkung der Wahrheit geben? Es müsste stattdessen heißen: NIEDRIGSTES DEUTSCHLAND.

 

Ein schlimmes Postwertzeichen. 1943, zum 100. Geburtstag Kochs, gab die Post eine Briefmarke mit einem schönen, würdevollen Portrait Robert Kochs heraus, mit der Unterschrift GROSSDEUTSCHES REICH. Oh, schändlicher Missbrauch des guten Namens Koch! Die Naziverbrecher berufen sich auf Robert Koch, den großen Menschenfreund, wie das denn? Treten sie nicht tagtäglich seine hohen Werte in den Dreck? Quälen und töten sie nicht tagtäglich Menschen, wo er tagtäglich alles daran setzte, Menschen zu retten, sie vor einem qualvollen Tod zu bewahren? Was war überhaupt GROSS an diesem Reich? Auf eine niedrigere Stufe kann überhaupt kein Staatengebilde sinken als dieses Dritte Reich. Und war es überhaupt noch DEUTSCH? Ist "Deutschland" nicht Luther, Kant, Goethe, Bach, Beethoven, Schweitzer, Einstein? Und was war eigentlich REICH an diesem Staatsgebilde? REICH, das ist ja etwas Hehres, von königlicher Abstammung, etwas Heiliges (das "Heilige Römische Reich"). Das, was sich die Deutschen damals freiwillig gewählt haben, war weiter nichts als ein monopolistisches Verbrecherkartell mit absolutem Herrschaftsanspruch über jeden Einzelnen und mit dem bedingungslosen Anspruch, Gut und Böse, Wert und Unwert, Nutzen und Schaden nach eigener Auffassung zu definieren, die Umsetzung mit brutaler Gewalt durchzupeitschen und auf dieser Menschen beglückenden Grundlage die germanische Weltherrschaft anzustreben.

Jeden Sonntag um 11:58 ist die Freiheitsglocke im Deutschlandradio Kultur zu hören, gefolgt von dem Freiheitsgelöbnis: „Ich glaube an die Unantastbarkeit und an die Würde jedes einzelnen Menschen. Ich glaube, dass allen Menschen von Gott das gleiche Recht auf Freiheit gegeben wurde. Ich verspreche, jedem Angriff auf die Freiheit und der Tyrannei Widerstand zu leisten, wo auch immer sie auftreten mögen". Dies wird in eindringlichen Worten gesprochen zur ständigen Erinnerung an die Welt, dass Freiheit nicht von selbst entsteht und zeitlebens verteidigt werden muss. Dieses Gelöbnis entspricht auch dem Vermächtnis Robert Kochs. Es wurde von seinen Enkeln in Deutschlands renommiertem Forschungsinstitut mit Füßen getreten, aber es ist jetzt aufgearbeitet, und der Geist des "Engineer of Bacteriology", des großen Menschenfreundes kann jetzt wieder wehen, wo er will..

 

Bildnachweis

Bild 1, 3: Foto RKI in "Gesundheit schützen, Risiken erforschen", Hrsg. RKI, 3. Aufl. 2011. Bild 4, 5: Eigene Fotos Robert-Koch-Museum im RKI Berlin, 7.5.2012, lt. Pressestelle RKI 7/2012: Genehmigung nicht erforderlich. Bild 2: Eigenes Foto 5/2012. Bild 6: Eigenes Foto, Public Domain.

 

Im April 1876 kam der 33-jährige Landarzt Dr. Robert Koch (*1843 Clausthal, †1910 Baden-Baden) nach einer langen nächtlichen Postkutschenfahrt von Wollstein in Westpreußen frühmorgens in Breslau an. Er hatte eine ungewöhnliche Reiseausrüstung dabei, die er in das Universitätsinstitut hinein schleppte: Koffer, Kisten und Käfige mit weißen Mäusen und ein Mikroskop. Er war vom Institutsdirektor aufgefordert worden, über seine Forschungen zu berichten. Kaum hatte er vor ein paar Leuten, die aus Höflichkeit gekommen waren, begonnen in einfachen, klaren Worten seine Experimente zu erläutern, da sprang der Professor hoch, verließ den Saal, holte seine Assistenten: Lassen Sie alles liegen, kommen Sie sofort mit, hier ist ein Mann, der eine großartige Entdeckung gemacht hat, vielleicht die größte auf dem Gebiet der Mikroorganismen! Alle eilten in den Lehrsaal, darunter der junge Paul Ehrlich, der später einmal einer der berühmtesten Schüler Kochs werden sollte - und es blieb ihnen der Mund offen stehen. Kochs Thema lautete: Die Ursache der Milzbrandseuche.

 

 

Bild 1. Robert Koch im Jahr 1880, Begründer der modernen Bakteriologie.  Bild 2 (unten). Der tückische Milzbranderreger - er kam ihm auf die Spur.

 

Viele hatten darüber schon geschrieben, aber keiner hatte so genau und systematisch experimentiert und beobachtet wie der kleine Landarzt, der aus keiner Ärztedynastie kam, der auch nicht in Paris oder London arbeitete, sondern als Hausarzt in der Provinz Posen. Und das mit wenig Erfolg: Mehrmals musste er aufgeben, weil er pleite war. Es gelang ihm, dem geladenen Kreis von Gelehrten glasklar nachzuweisen (seine Veröffentlichung hatte er ja vorher der Universität eingeschickt), dass er zweifelsohne den Milzbranderreger gefunden und damit die Grundlage für die Bekämpfung einer der schlimmsten Tierseuchen geschaffen hatte. Die Seuche raffte in seinem Bezirk von heute auf morgen Rinder, Schafe, Pferde, Schweine hinweg, egal, ob sie einem Großgrundbesitzer mit gutem Weideland oder einem armen Tagelöhner gehörten. Und manchmal wurden auch Menschen befallen.

Rückblende: Robert Koch leitet sein epochales Forschungswerk ein. Das Genie Robert Koch, immer getrieben von seinem Wahlspruch "nunquam otiosus", hatte sich ans Werk gemacht, in dem abgelegenen Städtchen, ohne Gedankenaustausch mit den Wissenschaftlern der Welt. Es müsste doch möglich sein, die im Blut an Milzbrand verendeter Tiere sichtbaren Bakterien als Krankheitserreger zu identifizieren! Die verheerende Tierseuche Milzbrand, lateinisch Anthrax, verursachte in der ganzen Welt große Tierverluste und übertrug sich auch auf Menschen, weil die Übertragungswege unbekannt waren. 1617 starben in Südeuropa 60 000 Menschen und 1864 fielen in Russland 1000 Menschen der Seuche zum Opfer. Koch sah, dass sie in seinem Amtsbezirk zahlreiche Rinder, Schafe und Schweine dahinraffte und dass alle Versuche, dagegen anzugehen, fehlschlugen. Die meisten Menschen, nicht nur in Wollstein, glaubten damals, dass böse Geister ansteckende Krankheiten verursachen, oder dass sie von verseuchten Böden oder Ausdünstungen und giftiger Luft übertragen werden. Ab und zu hatte ein schlauer Mensch dafür winzige Lebewesen verantwortlich gemacht. Robert Koch war nicht abergläubisch und glaubte nicht an Geister und Gespenster, für ihn zählten nur beweisbare Tatsachen, und er beschloss, den Geheimnissen der ansteckenden Krankheiten auf den Grund zu gehen. Wie begann er seine Jagd auf die winzigen Organismen, die Mikroorganismen, die vermutlich den Milzbrand verursachten, wie fand er die Beweise?

Das Abenteuer mit den Milzbrandbakterien. Hier sind die einzelnen Schritte seiner abenteuerlichen Forschungsreise in dem abgelegenen Provinznest Wollstein. Schritt 1: Er fuhr von Bauernhof zu Bauernhof und sammelte das Blut verendeter Tiere. Er fand unter dem Mikroskop zwischen den Blutkörperchen die stäbchenartigen, aneinandergehefteten Gebilde von 1/10000 mm, also 0,1 μm Größe, nicht jedoch im Blut gesunder Tiere. Aber leben diese Gebilde? Schritt 2: Er bestrich einen muldenförmigen Objektträger am Rand mit Vaseline, dann gab er Milzbrandbazillen auf ein Glasplättchen und drückte dieses umgekehrt in die Vaselineschicht, so dass der luftdicht abgeschlossenen Tropfen in der Mulde hing. Er stellte fest, dass die Stäbchen, unbeeinflusst von anderen Bakterien, sich vermehrten. Sie lebten! Schritt 3: Er züchtete in einem selbst gebauten Brutschrank in Reinkultur acht Bazillengenerationen auf einem aus Kammerwasser eines Ochsenauges bestehenden Nährboden. Übertrug sie auf gesunde Tiere, die alle erkrankten. Schritt 4: Aber wie steckte sich der Hirsch im Wald an, in dessen Blut er Anthrax entdeckt hatte? Er fand nach vielen Beobachtungen sporenartige Gebilde in den Stäbchen. Er ließ sie austrocknen und betropfte sie nach einem Monat mit Nährlösung, und siehe da, diese widerstandsfähigen Dauerformen waren Sporen, die in der freien Natur überleben, und bei Aufnahme in den Tierkörper sich in die todbringenden Bakterien zurückverwandeln.

Die Live-Vorführung in der Universität Breslau. Hatte er alles bedacht, keinen Fehler gemacht? Er schickte ein Gesuch an Prof. Cohn vom Pflanzenphysiologischen Institut Breslau, ihm die Möglichkeit zu geben, im Institut die Experimente während einiger Tage vorzuführen. Cohn war sehr skeptisch, da er es schon oft mit Möchtegernentdeckern zu tun hatte. Nach einigem Zögern willigte Cohn ein. Nach sehr beschwerlicher Reise traf Koch am 30. April 1876 in Breslau ein, beladen mit Apparaten, Reagenzien, Versuchstieren und begann mit seiner Demonstration. Die Skepsis der Anwesenden wich bald einer großen Begeisterung. Sie erkannten, dass mit diesen Forschungsergebnissen die moderne Bakteriologie begründet war. Von nun an trat auch eine Wende in Kochs Leben ein, er hatte nun ständigen Kontakt zu Fachkollegen, eine absolute Notwendigkeit für weitere Forschungen. Er veröffentlichte seine Versuchsergebnisse unter dem Titel Die Ätiologie der Milzbrandkrankheit. Eine Arbeit von fundamentaler Bedeutung für die Seuchenbekämpfung. Koch schrieb, dass es jetzt auch möglich erscheint, Versuche mit Typhus- und Cholera-Erregern anzustellen.

1876, nach seinem Breslauer Besuch, bestellte Robert Koch bei Zeiss einen mikrophotographischen Apparat nebst Kondensor und Beleuchtungsapparat. Es ist mir nämlich gelungen, schrieb er an Carl Zeiss, die Bakterien mit Anilin zu imprägnieren, das ihre Form nicht verändert und sie ganz außerordentlich deutlich erscheinen lässt.

Mit Ungeduld erwartete Robert Koch die Lieferung: Als der Apparat nach elf Wochen ankam, gefielen dem Forscher „die Konstruktion und die Arbeit sehr“. Da er „so viel Rühmliches“ über die Zeissschen Objektive gehört hatte, bestellte er für seine Untersuchungen auch ein Mikroskop in Jena. Im Februar 1878 schrieb er an Carl Zeiss: Mit Hilfe dieses Instrumentes ist es mir gelungen, nicht unwichtige Entdeckungen zu machen und, um was es mir hauptsächlich zu tun war, eins der schwierigsten mikroskopischen Objekte durch photographische Abbildungen weiteren Kreisen zugänglich zu machen...Auch in Form der Papierabdrücke haben meine Photogramme vielen Beifall gefunden und manches Lob eingetragen. Beim Arbeiten habe ich die Überzeugung gewonnen, dass die photographischen Systeme vorzügliche Leistungen Ihrer Kunst sind.

 

Bild 3. Das Zeiss-Mikroskop (hier ein Exemplar von 1879) wurde Kochs wichtigstes Arbeitsgerät, durch Anwendung der physikalischen Gesetze der Lichtbrechung mit höchster Präzision von Ernst Abbe berechnet und mit größter Qualität von Carl Zeiss hergestellt.

 

 

Auf diese Mitteilungen erhielt Robert Koch neue Linsensysteme. Wahrscheinlich handelte es sich bereits um die homogene Ölimmersion. Jedenfalls hat der Gelehrte im September 1878 auf der Versammlung der Deutschen Naturforscher und Ärzte in Kassel mitgeteilt, wie er mit Hilfe der neuen Technik die Schwierigkeiten meistern konnte: Mit dem Abbeschen Condensor und den Ölimmersions-Systemen änderte sich die Sachlage vollständig. An den Präparaten, in denen vorher gar keine oder wenig charakteristische Bakterien zu sehen waren, zeigte dieses neue Verfahren eine solche Klarheit und Schärfe des Bildes, dass sie mit Leichtigkeit zu erkennen und von anderen gefärbten Objekten im Präparat ganz sicher zu unterscheiden waren.

1878 hatte Robert Koch zum ersten Mal ein Abbesches Ölimmersions-Mikroskop erprobt und sich von dem gewaltigen Fortschritt überzeugt, der, wie er schrieb, der optischen Werkstätte von Carl Zeiss unter Professor Abbes genialem Beirat gelungen war. Seit dieser Zeit bevorzugte der Forscher die Zeisss-Mikroskope, und es gibt kaum einen Zweifel, dass er die Tuberkelbazillen 1882 wie die Erreger der Cholera 1883 mit Zeiss-Mikroskopen entdeckt hat (siehe hierzu auch den Link "Die moderne Optik"). Schon 1847 sagte der preußische Medizin-Pabst Rudolf Virchow: Das Mikroskop in der Hand des Forschers wird das Dunkel durchdringen und eine Waffe zur Verteidigung des Lebens werden.

Voller Hoffnung besuchte Koch den Halbgott Virchow in Berlin im August 1878, um ihm die Untersuchungsergebnisse über den Milzbrand zu zeigen. Der autokratische Virchow verweigerte Koch die Anerkennung, wies seine Schlussfolgerungen als äußerst unwahrscheinlich zurück. Sein auf Selbstbehauptung ausgerichteter Charakter ließ grundsätzlich medizinische Forschungsergebnisse anderer nicht gelten (so verfuhr er auch mit dem Neandertaler-Fund von 1856, den er als eine krankhafte Deformation eines in den napoleonischen Kriegen zurückgebliebenen Kosaken bezeichnete und die These eines 40000 Jahre alten Urmenschen verwarf). Mit Bitterkeit im Herzen fuhr Koch nach Wollstein zurück. Auch der große Louis Pasteur in Paris bestritt Kochs Schlussfolgerungen über den Milzbrand; nach seiner Meinung wurden die Keime durch Regenwürmer auf den Weiden auf das Vieh übertragen. Wie sollten sich Männer mit großen Namen irren!

Der Kampf gegen die Volksseuche "Tuberkulose" beginnt. 1880 waren Kochs miserable Arbeitsverhältnisse endlich zu Ende, als er eine Berufung zum Kaiserlichen Gesundheitsamt in Berlin in Händen hielt. Der scheue, bescheidene Koch erhielt völlige Freiheit für seine Arbeit, und das war für ihn die beste Voraussetzung für erfolgreiches Forschen. Systematisch, logisch, ausdauernd und präzise entwickelte er seine Arbeitsmethoden weiter zur Entdeckung weiterer Bakterien, stets die Not der Kranken vor Augen, denen er helfen wollte. 1881 begann er den Kampf gegen die Volksseuche Lungenschwindsucht, die Tuberkulose, an der damals jeder siebente in Europa starb. Die Statistik besagte, dass diese heimtückische Geißel der Menschheit besonders unter Menschen wütete, die in erbärmlichen Verhältnissen wohnten und arbeiteten. Die Sterblichkeitsrate von unter Tuberkulose leidenden Arbeitern betrug 40 bis 80%. Koch ahnte, dass die Auffindung des Erregers viel schwieriger und gefährlicher sein würde als seine Anthrax-Versuche.

Bild 4. Ein Blick in die Welt der kleinsten Lebewesen. Hier sind sie, die Tuberkulose verursachenden Mykobakterien. Koch fand sie 1881 in seinem 271. Präparat.

 

Der Weg, die TBC-Bakterien aufzuspüren ist sehr mühsam. Er machte Tierversuche und unternahm gleichzeitig alle Anstrengungen, den Erreger direkt unter das Mikroskop zu bekommen. Er besorgte sich von an der Krankheit Gestorbenen alles tuberkulöse Material, dessen er habhaft werden konnte, färbte die Präparate mit den verschiedensten Chemikalien bei unterschiedlichen Temperaturen, ließ sie in diversen Nährlösungen liegen, fand wochenlang keinerlei Gebilde, die Bazillen ähnelten. Wurde brummig, einsilbig, übellaunig, kümmerte sich nicht um Frau und Tochter, fuhr planlos durch Berlin. Dann, im 271. Präparat fand er, was er suchte: Spindelförmige Stäbchen, geschichtet wie Baumstämme beim Flößen, in Kurven ausgerichtet, wie Zigarettenpakete, strahlend blau gefärbt. Ist das der Tuberkelbazillus, der Killer? Das musste er beweisen. Er musste in jedem Krankheitsfall anzutreffen sein. Und er musste die Bazillen in Reinkulturen auf Nährböden züchten, 60 Tage lang, fünf Generationen, wozu er sich Rinderblut aus dem Schlachthof besorgte. 14 Tage Wartezeit, Übertragung von Teilen davon auf frische, keimfreie Nährböden, Mikroskopieren: Da waren sie, die blauen Stäbchen! Letzter Schritt: Übertragung der isolierten Bazillen auf gesunde Meerschweinchen. Die nach zwei Monaten gestorbenen Tiere waren mit Tuberkulose infiziert! Noch Dutzende weiterer Wiederholungen dieser Experimente, um ganz sicher zu gehen. Wie sind die Ansteckungswege? Dazu blies er ein Spray mit Bazillen in den Käfig. Die Tiere erkrankten. Also war Tröpfcheninfektion ein Ansteckungsweg. Wie durch ein Wunder steckte er sich nicht selbst an. Die Beweise waren vollständig erbracht.

Bild 5. Berlin-Mitte, Luisenstraße 57. Durchbruch bei der Tuberkulose.

 

24. März, 1882: Der Vortrag in der Physiologischen Gesellschaft Berlin "Über Tuberkulose", ein Dutzend Mikroskope waren aufgestellt, alle Präparate waren richtig eingestellt, der Saal bis auf den letzten Platz besetzt. Hermann von Helmholtz, Paul Ehrlich waren anwesend. Virchow war nicht da. Er und seine Anhänger in der Berliner Medizinischen Gesellschaft bekämpften Koch auf das heftigste. Koch machte sich auf einen jahrelangen Kampf um die Anerkennung seiner Arbeiten gefasst. Sein Vortrag: genau, einfach, streng logisch, überzeugend, seine Beweise erdrückend. Atemlose Stille, kein Kritiker meldete sich zu Wort, es gab nichts zu kritisieren, es war alles eindeutig bewiesen. Paul Ehrlich sagte später: Es war mein größtes wissenschaftliches Erlebnis.  Virchow war nicht überzeugt, sprach noch jahrelang vom "sogenannten Tuberkelbazillus". Der Ruhm Kochs durcheilte die ganze Welt.

Cholera - der Schrecken des 19. Jahrhunderts. Im Juni 1883 brach in Ägypten die Cholera aus, eine der gefürchtetsten Seuchen der Welt. Keiner wusste, woher sie kam und was man dagegen tun sollte. Die abenteuerlichsten Theorien darüber wurden verbreitet, auch von deutschen Ärzten. Koch waren alle geäußerten Behauptungen zuwider, er hasste ausposaunte "Wahrheiten", ohne Beweise in der Hand zu haben.

Bild 6. 1883, deutsche Cholera-Expedition in Ägypten. Koch (3.v.r.) im Kampf mit seinen Gegnern, den Infektionskrankheiten. Die Gewehre und Patronengürtel dienten sicherlich dazu, Banditen abzuschrecken.

Bild 7. Das sind die Killerparasiten, Vibrio cholerae, die Komma förmigen Cholerabazillen, 2 μm lang - Durchfall, Erbrechen, Austrocknung.

 

Zwei Monate später wurde er zum Leiter der deutschen Choleraexpedition ernannt. Mit Instrumenten und Versuchstieren ausgerüstet machte sie sich auf den Weg nach Ägypten. Für Koch ging ein alter Jugendtraum in Erfüllung: In fremde Länder reisen und mit seiner beruflichen Passion verbinden. Ein paar Stunden nach Ankunft sezierte er schon mit Gründlichkeit, Systematik und Vorsicht im Hospital in Alexandria frische Choleraleichen, fand in der Darmwand kommaförmige Gebilde und dieselben auch in anderen Cholerakranken. Er züchtete Reinkulturen, konnte aber die Versuchstiere damit nicht infizieren. Da die Seuche abflaute, erwirkte er von seinem Minister in Berlin die Erlaubnis, nach Indien weiterreisen zu dürfen. Er war wie ein Tiger auf dem Sprung, das Geheimnis dieser Infektionskrankheit zu lösen. Vorher untersuchte er noch die ägyptische Wasserversorgung, das Begräbniswesen. Er besuchte noch schnell die Cheops-Pyramiden und war im Dezember in Kalkutta schon dabei, 32 Choleraleichen und 16 Kranke zu untersuchen. Die Spitäler waren mit Cholerakranken überfüllt. Der Infektionsweg wurde ihm klar, als er im Armenviertel in schäbige Hütten kroch, in denen sehr viele erkrankt waren. In einem nahegelegenen sumpfigen Teich wurde gebadet, Wäsche gewaschen und Trinkwasser geschöpft... Für ihn selbst gab es große Ansteckungsgefahren, aber er kam durch. Der Tierversuch, das letzte Beweisstück, klappte hier in Indien doch noch. Meerschweinchen, mit einer starken Cholerakultur infiziert, starben innerhalb von 24 Stunden. Die Kausalkette der Infektion: Choleraerreger isst und trinkt man! Aber bei dieser Krankheit wurde auch klar, dass nicht jeder, der Cholerabazillen im Darm hat, daran erkrankt.

Bild 8. Koch im Labor in Kimberley, Südafrika, 1896.

 

In Berlin wurde Robert Koch wie ein siegreicher Feldherr empfangen, erhielt aus der Hand Kaiser Wilhelms I den Kronenorden am Bande mit Stern. Koch trug diesen Kriegsorden am liebsten, denn er hatte wahrlich eine Schlacht gewonnen. Selbst Rudolf Virchow erwies ihm jetzt höchste Anerkennung. 

Koch wurde 1885 zum Professor der Hygiene an der Berliner Universität ernannt. Er bereitete sich immer genau auf seine Vorlesungen vor, da er kein begnadeter Redner war, trotzdem kamen Ärzte und Studenten zu ihm in die Vorlesung, um den Meister der Bakteriologie zu hören. Seine Arbeitskraft war unerschöpflich.

Kochs Heilmittel gegen Tuberkulose - ein Misserfolg. Nach Abschluss der Arbeiten mit der Cholera wandte sich Koch wieder dem Forschungsthema "Tuberkulose", das ihn weltberühmt gemacht hatte, zu. In einem Vortrag auf dem Internationalen Medizinischen Kongress in Berlin im August 1890 drückte er seine Hoffnung aus, dass die Bakteriologie ein Heilmittel gegen TBC finden werde. Er wich aber von seiner Gewohnheit ab, über Versuche mit dem "Tuberkulin" zu berichten, dessen Erprobung noch nicht abgeschlossen war. Man darf die beschriebene Impfmethode noch nicht am Menschen anwenden, sondern erst, wenn die geplanten Tierversuche erfolgreich abgeschlossen sein werden. Es kam, was kommen musste: Eine ungeheure Begeisterung ergriff Patienten und Ärzte, Koch wurde das Großkreuz des Roten Adlerordens verliehen, er wurde mit Ehrungen überschüttet. Doch dann kamen die Hiobsbotschaften, überall Misserfolg! Die Anfeindungen trafen den bescheidenen Mann tief, dabei hatte er eindeutig seine Anweisungen gegeben. Der bissige Virchow wetterte wieder gegen Koch. Aber dessen Fehler war natürlich, über ungelegte Eier berichtet zu haben. Er stürzte in eine tiefe depressive Krise. Er machte sich schwerste Vorwürfe, Gewissensbisse plagten seinen auf Hochtouren arbeitenden Geist. Er hielt es in Berlin nicht mehr aus und floh nach Ägypten, um sich von diesen Stürmen zu erholen.

Bild 9. Das Robert-Koch-Institut. Heute das Bundesinstitut für Infektionskrankheiten in Berlin. Zentrale Überwachungs- und Forschungs-Einrichtung der Bundesrepublik Deutschland.

 

Das Robert-Koch-Institut. 1891 bat er um Entbindung von seinem Lehramt und übernahm als Direktor das Institut für Infektionskrankheiten mit einem großen Mitarbeiterstab, darunter Emil Behring. Es bestand aus einer wissenschaftlichen und einer Krankenabteilung. Das 120-Jahre alte Backsteingebäude besteht heute noch in Berlin-Mitte, Nordufer. Koch war jetzt wieder der Alte. Es wurde bakteriologisch geforscht, mikroskopiert, obduziert. Forschung und Krankenbehandlung waren eng verbunden, und diese Kombination erwies sich als Glücksfall. Koch ging stets direkt vom kranken Menschen aus, von der Praxis, vom Wirken der Seuche. Krankenstation, wissenschaftliche, chemische, serologische Abteilungen sowie Stationen für besonders gefährliche Krankheiten, wie Tollwut, Pocken und eine Tropenabteilung - das war die richtige Mischung für erfolgreiches Arbeiten.

Bild 10. Die Hamburger Presse berichtet über die Elendsquartiere, wo die Cholera ihre Brutstätten hat.

Bild 11. Die Warnung des Hamburger Senats. Die Wasseraufbereitung war noch ungenügend.

 

Das Institut wurde von ihm sofort in den Dienst der Seuchenbekämpfung gestellt, als ein Jahr nach der Gründung in Hamburg die Cholera ausbrach. Die Seuche wurde von Indien über Persien auf dem Seeweg nach Hamburg eingeschleppt. 17000 schwere Erkrankungen und 8000 Todesfälle. Es gelang Koch, in kurzer Zeit die Infektionsquelle ausfindig zu machen: Fehlerhafte Filtrieranlagen für das aus der Elbe entnommene Trinkwasser. Er wandte seine in Indien erlangte Erfahrung an, indem er die Hamburger Abwässer mit einem Säure haltigen Desinfektionsmittel aufbereiten ließ. So wurden auch die Choleravorstöße 1905 und 1910 erfolgreich abgewehrt. Das Reichsseuchengesetz von 1900 basierte auf Kochs Grundsätzen. Ihm ist es zu verdanken, dass seit 1926 Europa cholerafrei ist.

Es blieb nicht aus, dass bei seinem ungebremsten Schaffensdrang im Kampf gegen seine Feinde, die Krankheitserreger, seine Ehe zerrüttet wurde. 1893 heiratete er zum zweiten Mal; die um 30 Jahre jüngere Frau unterstützte ihn bei allen seinen Vorhaben.

 

Bild 12. Eine Collage der Schlafkrankheits-Expedition in Ostafrika 1905. 

Bild 13. Die Tsetsefliege übertägt die Trypanosomen, die Erreger der Schlafkrankheit.

   

Bild 14. Koch experimentierte im Labor, analysierte am Schreibtisch und jagte die Krankheitserreger auf allen Kontinenten; hier auf einer Expedition in Afrika 1898. Bild 15. Koch erforschte auch die Malaria-Krankheit, die durch Plasmodium-Parasiten verursacht wird, übertragen von der Malaria-Stechmücke Anopheles gambiae. Er machte 1899-1900 eine Expedition über Italien (wo es damals auch Malaria-Sümpfe gab) nach Batavia (Djakarta) und Deutsch-Neuguinea. In abgeschlossenen Gebieten, wie in Italien, hatte er Erfolg mit Chinin-Prophylaxis, nicht jedoch in Neuguinea, wo trotz Anwendung von Insektiziden immer wieder erneut Malaria verseuchte Parasitenträger eindrangen. Auf dem Bild das Modell einer Malaria-Stechmücke.

Es ging weiter. 1901 brach im Ruhrgebiet Typhus aus. Koch und seine Mitarbeiter fanden die Quellen dieser Krankheit der Armen und der Kriege: Verunreinigtes Trinkwasser. Mit großem Organisationstalent wurde er durch planmäßiges und energisches Vorgehen auch gegen eine desinteressierte Bürokratie Herr der Seuchenherde. Am 1. Oktober trat Koch in den "Ruhestand". Doch was heißt das Wort "Ruhe" für einen Robert Koch, dessen lebenslanger Wahlspruch "nunquam otiosus" war? Für ein Jahr ging er nach Afrika, um besonders die von der Tsetse-Fliege übertragene Schlafkrankheit zu studieren. Kurz nach der Nobelpreisverleihung in Stockholm 1905 ging er wieder nach Ost-Afrika, um sich auf einer Expedition der Behandlung und Bekämpfung der Schlafkrankheit zu widmen. Seine Richtlinien: Abtöten des Erregers im Menschen durch ein Medikament, das später Germanin (Bayer 205) hieß und Abholzung der Schatten spendenden Bäume in den Dörfern und Bepflanzung mit niedrigen Kulturpflanzen.

Bild 16. Das Ehepaar Koch auf Weltreise, 1908. In Japan sieht er seinen treuen Schüler Kitasatos wieder.

 

Sein Jugendtraum geht in Erfüllung - eine Weltreise. 1908 war es soweit. Es war aber keine reine Touristenreise für ihn und seine Frau. In London nahm er am Internationalen Kongress zur Bekämpfung der Schlafkrankheit teil. Von dort ging es weiter nach Nordamerika. In New York bereitete ihm die amerikanische Gelehrtenwelt einen triumphalen Empfang. Andrew Carnegie, Menschenfreund und Kriegsgegner, hielt den Festvortrag: Der wahre Held der Zivilisation ist nicht derjenige, der tötet, sondern der seinen Mitmenschen rettet, wir heißen Sie mit ausgestreckten Armen willkommen. Tief bewegt dankte Koch für die herzliche Aufnahme und die Spende von 500000 Mark für die neu gegründete Robert-Koch-Stiftung zur Bekämpfung der Tuberkulose. Von San Francisco und Hawaii reiste das Ehepaar weiter nach Japan. Dort sah er seinen treuen Schüler Kitasatos wieder. Der berichtete: Koch war im 65. Lebensjahr, und sein vollkommen kahler, gewaltiger Kopf erinnerte an Konfuzius. Koch genoss diese Reise sehr. Er bedauerte es aber, dass sie nicht fortgesetzt werden konnte, weil er den Auftrag erhielt, am Internationalen Tuberkulosekongress in Washington teilzunehmen. Er wurde zum Ehrenpräsidenten gewählt und hielt in exzellentem Englisch einen Vortrag über Menschen- und Rinder-TBC.

Er starb viel zu früh - nicht an einer Bakterieninfektion, sondern an einem Herzinfarkt. Ende 1908 nahm er seine Forschung in Berlin wieder auf (er war offiziell im Ruhestand!). Am 10. April 1910 erlitt Koch einen schweren Herzanfall mit Atemnot, Erbrechen, Schmerzen und Sprachstörungen. Im Mai erlaubte es ihm sein Zustand, in Begleitung seiner Frau in ein Sanatorium nach Baden-Baden zu fahren. Am 27.Mai setzte er sich vor dem Abendessen in einen Sessel und blickte bei geöffneter Balkontür auf die blühenden Bäume in der herrlichen, ergrünten Natur. Da ereilte ihn ganz sanft der Tod.

Der große Forscher und Arzt, der "Engineer of the Bacteriology", Robert Koch hat seine letzte große Reise angetreten. Der aus armen Verhältnissen stammende, bescheidene, furchtlose, fleißige, aufrechte, selbstlose Mensch stellte sein ganzes Leben in den Dienst der Menschheit und wurde zu einem großen Menschenretter. Er hat unseren größten Respekt verdient.

   

Bild 17 und 18. Das Mausoleum im Robert Koch-Institut. Links der mit Marmor ausgekleidete würdevolle Raum, rechts die weiße Platte, die unten die Urne mit seiner Asche enthält.

Er hatte es sich gewünscht, dass die Urne mit seiner Asche im "Königlich-Preußischen Institut für Infektionskrankheiten" bestattet wird, das er von 1891 bis 1904 geleitet hatte. Und so geschah es. Das jetzige Robert-Koch-Institut in Berlin enthält ein kleines Museum mit Kochs Mausoleum, einen würdevollen Raum, ausgekleidet mit Marmor in verschiedenen Farbtönen. Voller Andacht steht man vor dem Epitaph mit dem Reliefbild Robert Kochs, sieht darunter die weiße Marmorplatte, die die Nische mit der Urne verschließt. Danke, du großer Wohltäter und Menschenfreund, dass es dich gab. Und es grenzt an ein Wunder, dass dieses Haus mit dieser Gedenkstätte erhalten blieb im Bombeninferno des zweiten Weltkrieges, den deine Gegenspieler, die Menschenfeinde ohne Grund vom Zaun brachen! Robert Koch, der mit seiner Bakteriologie zum Menschenretter von Millionen wurde... und die Nazi-Verbrecherclique, die mit ihrem Welteroberungsplan zum Menschenvernichter von Millionen wurde - sie stehen für das Gute und das Böse, das in dieser Bandbreite in unserem Volk ganz besonders extrem ausgeprägt zu sein scheint.

 Bilder 19-26. Alle ehren den großen Menschenretter: Die Freie Stadt Danzig 1939, das "Großdeutsche Reich" 1943, West-Berlin 1960, die DDR 1960, die Bundesrepublik 1982, die DDR 1982, das vereinigte Deutschland 2005. Die DDR gibt auch eine Münze heraus 1968. Damit bekennen sie sich zu seinem Wertesystem, das für einige nur ein Lippenbekenntnis war.

 

Bild 27 und 28. Büste im Robert Koch-Institut. Denkmal von 1916 auf dem Robert-Koch-Platz Berlin-Mitte: Ich wünsche, dass im Kriege gegen die kleinsten, aber gefährlichsten Feinde des Menschengeschlechts eine Nation die andere immer wieder überflügeln möge. 

Ein Besuch im Museum des Robert Koch-Instituts in Berlin-Mitte: Bild 29. Kochs Original-Schreibtisch. Bild 30.  Koch bekämpft die Schlafkrankheit. Eine eindrucksvolle Skulptur von 1910 vom Berliner Bildhauer Gustav Eberlein. Sie war Jahrzehnte verschollen und tauchte 1993 in Rom auf. Das RKI erwarb sie 1994.

Bild 31 . Aus der Bibliothek Robert Kochs.

Bild 32 . Kochs Werke und Wirken, Inschrift im Mausoleum. Bild 33. Koch, der Forscher im Labor

 

Wie ging es weiter mit Kochs Forschungen?

 

Bildnachweis

Bilder 1: Aus W. Genschorek "Robert Koch", S. Hirzel Verlag Leipzig, 1982 (Verlag aufgelöst). Bild 2: Aus: A. Ignatius "Robert Koch", Franck´sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart, 1965. Bild 3, 4: Eigene Fotos am 1./2.8.2011 im Deutschen Museum München, Gestattungsvertrag für Bildaufnahmen vom 12.7.2011. Bild 5: Eigenes Foto 5/2012. Bild 6: Aus Wikipedia, Nutzungsrecht abgelaufen. Bild 7: Aus Wikipedia, public domain. Bild 8: Wikipedia, Urheberrecht abgelaufen. Bild 9: Aus Wikipedia, Urheber Fridolin freudenfett, CC-BY-SA Unported 3.0. Bild 10, 11, 14, 16-18, 27, 29-33: Eigene Fotos Robert-Koch-Museum im RKI Berlin, 7.5.2012, lt. Pressestelle RKI 7/2012: Genehmigung nicht erforderlich. Bild 28: Eigenes Foto Berlin an der Charité 2012. Bild 15: Eigenes Foto in der Humboldt-Box Berlin, 2012, Modell gebaut von Julia Stoess, Hamburg. Bild 12, 13: Aus: Das Volksbuch unserer Kolonien, Georg Dollheimer Verlag, 1938. Bilder 19-25: Public domain. Bild 26: Wikipedia, Urheber Matd13 CC SA unported 3.0.